Entscheidungsdatum
12.03.2024Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §6Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag Fischer über die Beschwerde der Frau A. B. *...1953, StA: Indien, vertreten durch Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 21.07.2023, Aktenzeichen: ..., mit dem der Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Daueraufenthalt – EU“ gemäß § 20 Abs 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und § 45 NAG abgewiesen wurde, zu Recht:Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag Fischer über die Beschwerde der Frau A. B. *...1953, StA: Indien, vertreten durch Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 21.07.2023, Aktenzeichen: ..., mit dem der Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Daueraufenthalt – EU“ gemäß Paragraph 20, Absatz 4, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und Paragraph 45, NAG abgewiesen wurde, zu Recht:
I. Der angefochtene Bescheid wird behoben.
II. Der mit Antrag auf Zweckänderung vom 04.10.2023 geänderte Antrag der Beschwerdeführerin wird gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 6 Abs 1 AVG zuständigkeitshalber an die belangte Behörde weitergeleitet.
III. Die Revision ist nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahren und Feststellungen
1. Am 26.05.2023 brachte die Beschwerdeführerin (BF) bei der belangten Behörde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU ein (MA35/ELAK-...-2023, ON1).
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der BF ab und sprach zugleich aus, das unbefristete Niederlassungsrecht sei erloschen; der Bescheid wurde am 14.09.2023 zugestellt (ON0-1 = MA35/ELAK-...-2023, ON33).
3. Dagegen erhob die BF mit Nachricht vom 20.09.2023 frist-und formgerecht Beschwerde und beantragte (im Ergebnis), ihrem Antrag stattzugeben (ON0-2 = MA35/ELAK-...-2023, ON41).
4. Mit Nachricht vom 04.10.2023 stellte die BF den Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach § 41a Abs 6 iVm § 20 Abs 4 NAG und brachte dazu insb vor, sie erfülle die entspr Voraussetzungen (MA35/ELAK-...-2023, ON45).
II. Beweiswürdigung
5. Die Feststellungen, die sich auf wesentliche Bestandteile des Verfahrens beziehen, ergeben sich aus den jeweils in Klammer angeführten Aktenstücken, die sowohl für sich genommen als auch im Zusammenhang schlüssig und widerspruchsfrei sind. Im Verfahren kam auch sonst kein Grund hervor, an der Richtigkeit des in den Akten dokumentierten Verfahrensablaufs zu zweifeln.
III. Rechtliche Beurteilung
6. Im Bescheidbeschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten besteht kein Neuerungsverbot; es kann also sowohl ein neues Tatsachenvorbringen als auch ein ergänzendes Beweisanbot erstattet werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsverfahren2013, § 9 VwGVG Anm 8 und § 10 VwGVG Anm 1; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2013, § 10 VwGVG K 2; Claudia Fuchs, ÖJZ 2013/110, 949 (950) mwN).
7. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich, dass die BF den Antrag auf „Daueraufenthalt – EU“ zunächst auch in ihrer Beschwerde aufrechterhalten hat. Mit dem Zweckänderungsantrag vom 04.10.2023 änderte sie ihren Antrag jedoch und strebt nunmehr ausdrücklich einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach § 41a Abs 6 NAG iVm § 20 Abs 4 NAG an.
8. Die BF hat damit ihren verfahrenseinleitenden Antrag nach Erlassung des angefochtenen Bescheides geändert („modifiziert“), insoweit kann daher von einer (konkludenten) Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrags ausgegangen werden.
9. Nach § 13 Abs 8 Satz 1 AVG kann der Antragsteller den verfahrenseinleitenden Antrag in jeder Lage des Verfahrens ändern. Grundsätzlich ist eine Antragsänderung nach dem im Berufungsverfahren gleichermaßen geltenden § 13 Abs 8 AVG mit bestimmten Einschränkungen also auch noch im Rechtsmittelverfahren zulässig. Wie weit eine Änderung des verfahrenseinleitenden Antrags gehen darf, hängt aber entscheidend davon ab, ob sie vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides oder erst im Zuge eines allfälligen Beschwerdeverfahrens erfolgt. § 66 Abs 4 AVG zieht Modifikationen (eines Projekts oder Antrags) engere Grenzen als der auf das „Wesen der Sache“ abstellende § 13 Abs 8 AVG. Die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde ist nämlich gemäß § 66 Abs 4 AVG auf die „Sache“ des erstinstanzlichen Verfahrens beschränkt, also auf die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der Behörde erster Instanz gebildet hat. Sie wird, weil maßgeblich durch die jeweils zur Anwendung kommende Verwaltungsvorschrift bestimmt, durch solche Antragsänderungen verlassen, die die Anwendbarkeit einer anderen Norm zur Folge haben (vgl VwGH 17.06.2019, Ra 2019/22/0021), oder – was dem gleichzuhalten ist – wenn sich der geänderte (Beschwerde)Antrag auf die Erlassung einer anderen Bescheidart bezieht, etwa eines Feststellungsbescheids anstelle des ursprünglich beantragten Rechtsgestaltungsbescheids. Dass dabei keine ergänzenden Erhebungen erforderlich sind, ist nicht maßgeblich (vgl zur Rechtslage nach dem AVG VwGH 23.06.2014, 2013/12/0224; und in Zusammenschau mit dem seit dem 01.01.2014 in Kraft stehenden VwGVG Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Teilband (2. Ausgabe 2014), § 13 Rz47).
10. Auf Grund der mit einer Berufung vergleichbaren Funktion der Bescheidbeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (in der Fassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51/2012) wird im Hinblick auf § 11 bzw § 17 VwGVG vertreten, dass § 13 Abs 8 AVG bei Änderungen des verfahrenseinleitenden Antrags während eines verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens bei Bescheiden nach dem AVG – mit denselben Einschränkungen – ebenfalls anwendbar ist (vgl Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Teilband (2. Ausgabe 2014), § 13 Rz47; sowie Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014), Rz162/1 Z 4 und Z 6 sowie Rz 833, insb Fn601). Auch hier sind nach der nunmehr zum VwGVG ergangenen klarstellenden Rechtsprechung des VwGH die Grundsätze und va die engeren Grenzen der Änderung des verfahrenseinleitenden Antrags wie (ehemals) im Berufungsverfahren gemäß § 66 Abs 4 AVG auf Antragsänderungen während eines verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens übertragbar (vgl abermals Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Teilband (2. Ausgabe 2014), § 13 Rz47; und Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014), Rz162/1 Z 6 und Rz833; VwGH 27.08.2014, Ro 2014/05/0062, wonach die bisher in der Rechtsprechung zu § 66 Abs 4 AVG vertretene Auffassung auch für das Verfahren vor den Landesverwaltungsgerichten aufrechtzuerhalten ist und Modifikationen des Projekts so weit möglich sind, als nicht der Prozessgegenstand ausgewechselt wird, der den Inhalt des Spruchs des verwaltungsbehördlichen Bescheids dargestellt hat).
11. Der im Beschwerdeverfahren geänderte Antrag der BF liegt aus folgenden Gründen außerhalb der Sache des Beschwerdeverfahrens gemäß § 27 und § 28 Abs 1 VwGVG: Die durch den angefochtenen Bescheid entschiedene Sache des erstinstanzlichen Verfahrens war der am 26.05.2023 bei der belangten Behörde eingebrachte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“; tragende Norm ist § 45 2 NAG. Mit der Modifizierung des Antrags der BF vom 04.10.2023 im Beschwerdeverfahren geht es nun um einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 41a Abs 6 NAG iVm § 20 Abs 4 NAG. Einerseits ist also eine andere Norm anzuwenden und andererseits sind die Voraussetzungen für die Erteilung des nunmehr begehrten Aufenthaltstitels in wesentlichen Punkten unterschiedlich (fünf Jahre ununterbrochene tatsächliche Niederlassung bzw Erlöschen des zuvor gegebenen Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“). Der Umstand, dass eine Antragsänderung im Verfahren vor der Behörde allenfalls zulässig wäre, führt nicht dazu, dass ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 41a Abs 6 NAG iVm § 20 Abs 4 NAG im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen einen Bescheid, mit dem einzig ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 45 NAG abgewiesen worden war, innerhalb der Sache dieses Beschwerdeverfahrens liegt. Eine Sachentscheidung über den geänderten Antrag unmittelbar durch das Verwaltungsgericht Wien kommt daher als außerhalb der Rechtssache und somit der funktionellen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gelegen nicht in Betracht.
12. Die als (konkludente) Zurückziehung zu wertende Änderung des verfahrenseinleitenden Antrags hat zur Folge, dass einerseits der angefochtene Bescheid (mangels eines dahingehenden Antrags) zu beheben und andererseits das Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung über den nunmehrigen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 41a Abs 6 NAG iVm § 20 Abs 4 NAG (funktionell) unzuständig ist (VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0016; VwGH 12.09.2016, Ra 2014/04/0037; VwGH 25.10.2017, Ra 2017/07/0073; VwGH 17.06.2019, Ra 2019/22/0021, jeweils mwN). Mangels Zuständigkeit im Verfahren gemäß § 41a Abs 6 NAG iVm § 20 Abs 4 NAG hat das VwG somit nicht gemäß § 23 NAG vorzugehen. Vielmehr ist diese (neue) Sache gemäß § 6 Abs 1 AVG an die dafür zuständige Behörde erster Instanz weiterzuleiten (vgl Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Teilband (2. Ausgabe 2014), § 13 Rz47 Ende letzter Absatz, sowie die auf Beschwerdeverfahren übertragbaren Ausführungen zum Berufungsverfahren 3. Teilband (1. Ausgabe 2007), § 66 Rz79; ebenso Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsverfahren2013, § 28 VwGVG Anm17f; Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014), Rz833 Z 8).
13. Eine öffentliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen, weil der Bescheid bereits aufgrund der Aktenlage aufzuheben war.
14. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zu den hier maßgeblichen Rechtsfragen ist höchstgerichtliche Rechtsprechung vorhanden, die nicht als uneinheitlich zu betrachten ist und von der in dieser Entscheidung nicht abgewichen wird (siehe oben zitierte VwGH-Rechtsprechung). Es kamen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage hervor.
Schlagworte
Daueraufenthalt – EU, Zweckänderungsantrag, konkludente Zurückziehung, Modifizierung, WeiterleitungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2024:VGW.151.066.13306.2023Zuletzt aktualisiert am
02.10.2024