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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §18 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des E in L, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 5. Dezember 1994, Zl. St 217-1/94, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 5. Dezember 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und 2 Z. 1 sowie den §§ 19, 20 und 21 FrG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Nach der Begründung sei der in Linz geborene Beschwerdeführer bis 1982 bei seiner Großmutter in der Türkei aufgewachsen und halte sich seither in Österreich bei seinen Eltern auf.
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18. Jänner 1994 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten rechtskräftig verurteilt worden, wobei gemäß § 43a StGB 16 Monate dieser Freiheitsstrafe für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden seien. Gleichzeitig sei ein Bewährungshelfer bestellt worden. Der Verurteilung liege zugrunde, daß der Beschwerdeführer zusammen mit einem gleichfalls jugendlichen türkischen Staatsangehörigen, A, geplant habe, durch eine kriminelle Aktion Geld zu beschaffen. Es sei überlegt worden, einen Einbruchsdiebstahl oder einen Raubüberfall zu begehen. Am 11. November 1993 sei die Absicht, eine Person zu überfallen, konkretisiert und vereinbart worden, diese Tat noch am selben Tag auszuführen. Sie haben sich eine Person aussuchen wollen, die eher schwach aussehen würde und der sie beide jedenfalls körperlich überlegen wären. Die Möglichkeit, ein von A mitgeführtes Messer einzusetzen, sei in die Überlegung einbezogen worden. Gegen Einbruch der Dunkelheit haben sie im Volksgarten in Linz einen 15-jährigen Schüler in Raubabsicht überfallen. A habe den Schüler am Nacken gepackt und in der rechten Hand ein aufgeklapptes Butterflymesser gehalten, das er etwa in Brusthöhe des Opfers in drohender Haltung gehalten habe. Gleichzeitig habe er mit den Worten "Geld her" die Herausgabe von Bargeld gefordert. Als der Schüler erklärt habe, kein Geld zu haben, hätten die beiden Täter ihn zu Boden gerissen und mit den Füßen auf den Körper des Opfers eingeschlagen und ihm auch Faustschläge versetzt. Schließlich habe A mit dem Butterflymesser zweimal auf die Oberschenkel des Überfallenen eingestochen, der dadurch am Körper schwer verletzt worden sei. Der Überfallene habe schließlich die Geldbörse aus der Hosentasche herausgezogen und sie den beiden Tätern hingeworfen. In der Geldbörse hätten sich S 45,-- befunden. Der überfallene Schüler habe sich bis zur Bushaltestelle schleppen können, wo er bewußtlos zusammengebrochen sei. Der Beschwerdeführer und sein Mittäter hätten kurz darauf in einem Cafe in Linz gestellt werden können.
Bei der Strafbemessung für den Beschwerdeführer sei sein Geständnis und sein bisheriger unbescholtener Lebenswandel als mildernd gewertet worden, als erschwerend hingegen, daß die beiden Täter in brutaler Weise vorgegangen seien.
Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG sei verwirklicht; die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Diese Annahme sei nicht nur durch die Schwere des begangenen Deliktes und die Höhe der verhängten Strafe gerechtfertigt, sondern auch dadurch, daß der Beschwerdeführer schon als Strafunmündiger, nämlich im Alter von etwa 12 Jahren, kriminell in Erscheinung getreten sei. Er habe am 19. Jänner 1990 zusammen mit zwei unmündigen, mit einem Maurerhammer die Glasscheibe der Eingangstüre zu einer Tankstelle eingeschlagen und mit den Mittätern Süßigkeiten und Zigaretten gestohlen. Die belangte Behörde halte für die zu stellende Zukunftsprognose auch für bemerkenswert, daß der Beschwerdeführer, wie bei der Haftprüfungsverhandlung am 24. November 1993 festgestellt worden sei, keinerlei Emotion gezeigt habe, die erkennen lassen würde, daß er sich tatsächlich von seinem inneres Verhalten distanziert hätte, sondern er Gefühllosigkeit an den Tag gelegt habe.
In einem Bericht des Bewährungshelfers des Beschwerdeführers an das Landesgericht Linz vom 27. Juli 1994 sei die Rede davon, daß der Beschwerdeführer zwar einige Wochen nach seiner Haftentlassung eine Lehre als Installateur begonnen habe, jedoch entlassen worden sei, nachdem er unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei. Er hätte, wie im Bericht ausgeführt werde, "noch" Schwierigkeiten mit gewissen Anforderungen in der Berufswelt (z.B. Verlässlichkeit) zurechtzukommen. Die Kontakte zur Bewährungshilfe würde der Beschwerdeführer "zumeist" einhalten.
Da der Beschwerdeführer bei seinen Eltern lebe, werde durch diese Maßnahme zweifellos, und in nicht geringem Ausmaß, in sein Privat- und Familienleben eingegriffen. Dieser Eingriff erscheine zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen (Art. 8 Abs. 2 MRK) insofern dringend geboten, als das begangene Delikt des schweren Raubes nicht auf eine einmalige Unüberlegtheit zurückgehe, sondern vielmehr, insbesondere was die Brutalität der Vorgangsweise betreffe, Ausdruck der Wesenheit des Beschwerdeführers zu sein scheine. Selbst wenn der Beschwerdeführer nunmehr das Geschehene bedauere, reiche dies allein nicht aus, um nunmehr annehmen zu können, daß vom Beschwerdeführer keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen werde.
Der Beschwerdeführer halte sich schon seit etwa zwölf Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet auf. In Anbetracht des Umstandes, daß er in keinem festen Arbeitsverhältnis stehe und Schwierigkeiten habe, mit den Anforderungen der Berufswelt zurechtzukommen, könne nicht von einem sehr hohen Grad an Integration ausgegangen werden. Daß intensive familäre Bindungen bestünden, werde von der belangten Behörde nicht bestritten. Die Einvernahme der Eltern des Beschwerdeführers erübrige sich daher. Allerdings würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes immer noch schwerer wiegen, als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Es sei in diesem Zusammenhang wiederum auf die Brutalität der Tatausführung und die schon früher gezeigte kriminelle Tendenz des Beschwerdeführers zu verweisen.
Was die Gültigkeitsdauer betreffe, so könne derzeit nicht abgesehen werden, wann die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt haben, wegfallen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer läßt die - zutreffende - Auffassung der belangten Behörde, es sei der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht, die in § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 leg. cit. zulässig, unbestritten.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG, vermag jedoch keine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides aufzuzeigen. Unrichtig ist, daß die belangte Behörde die gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen habe. Die belangte Behörde hat auf die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Inland und seinem Versuch, in der Berufswelt Fuß zu fassen, Bedacht genommen und daraus den Schluß gezogen, es könne nicht von einem sehr hohen Grad an Integration ausgegangen werden. Dieser Auffassung kann nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Durch die Beschäftigungslosigkeit des Beschwerdeführers erfährt nämlich das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers zufolge eines Defizites der hiefür ganz wesentlichen sozialen Komponente eine nicht unbeachtliche Minderung (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/18/0816). Die Beschwerde meint, die belangte Behörde hätte die Schulbildung, die kulturelle und gesellschaftliche Integration des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen konkret erheben müssen, zeigt aber nicht auf, welche weiteren Feststellungen diesfalls zu treffen gewesen wären, die zu einem anderen Ergebnis der Abwägung geführt hätten. Die belangte Behörde ist darüber hinaus von intensiven familiären Beziehungen ausgegangen und hat die Kontakte des Beschwerdeführers zu seinem Bewährungshelfer berücksichtigt. Es ist somit auf alle in § 20 Abs. 1 FrG zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Gesichtspunkt Bedacht genommen worden. Wenn die belangte Behörde angesichts der besonderen Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last fallenden Straftat und des daraus abgeleiteten hohen Grades der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit den öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes größeres Gewicht beimaß als den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers, so begegnet dies seitens des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken. Auch die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe zu den in der Türkei lebenden weit entfernten Verwandten kaum Kontakt, vermag das Ergebnis der Interessenabwägung schon im Hinblick auf das Gewicht der dargelegten öffentlichen Interessen nicht zu seinen Gunsten zu beeinflussen.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde hätte kein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängen dürfen. Nach den Intentionen des Gesetzgebers solle die Anwendung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes auf strafrechtlich Auffällige und Schlepper eingeschränkt werden. In allen anderen Fällen solle das Höchstausmaß der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ex lege auf zehn Jahre beschränkt sein. Nachdem er lediglich eine einzige rechtskräftige Verurteilung aufweise, handle es sich bei ihm um keine strafrechtlich auffällige Person.
Dem kann nicht zugestimmt werden. Nach dem - durch die Materialien gestützten - Wortlaut des § 21 Abs. 1 FrG kann das Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 18 Abs. 2 Z. 1 und 5 FrG auch unbefristet erlassen werden. Für die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes wird daher entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht das Vorliegen mehrerer rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilungen gefordert, sondern die - im Beschwerdefall nicht zweifelhafte - Erfüllung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG. Die Bemessung der Gültigkeitsdauer und die dazu im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage. Demnach ist - unter Bedachtnahme auf Abs. 1 des § 21 FrG - ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/18/0150). Wenn die belangte Behörde im Beschwerdefall zum Ausdruck brachte, daß nicht zu erkennen sei, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die Gefährdung der von ihr genannten öffentlichen Interessen durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, wegfallen werde, so stößt diese Auffassung bei der gegebenen Sach- und Rechtslage auf keinen Einwand.
Soweit der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darin erblickt, daß die belangte Behörde ihr Verfahren unter Anwendung des nach Auffassung der Beschwerde verfassungswidrigen § 71 FrG geführt habe, ist er daran zu erinnern, daß dem Verwaltungsgerichtshof die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen nicht obliegt. Angesichts der aus dem angefochtenen Bescheid ersichtlichen Zustellverfügung, wonach der angefochtene Bescheid an den Beschwerdeführer zu Handen eines namentlich genannten Rechtsanwaltes zugestellt wurde, gehen diese Ausführungen ins Leere.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995210125.X00Im RIS seit
20.11.2000