Index
L10016 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Steiermark;Norm
BGdAG 1967 §12 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. des A W,
2. des F H, 3. des Ing. F G, 4. des W K, 5. des H M, 6. des
E L, 7. des W C, 8. des L I, 9. des Mag. J H, 10. der Marktg W, vertreten durch den ehemaligen Bürgermeister Mag. J H, 11. des ehemaligen Gemeinderates der Marktg W, alle in W, alle vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 28. Juni 1993, Zl. 7-45 Ge 33/5-1993, betreffend Auflösung des Gemeinderates der Marktg W, gemäß § 103 Abs. 1 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967, LGBl. Nr. 115,
Spruch
I.
den Beschluß gefaßt:
Die Beschwerde wird hinsichtlich des Elftbeschwerdeführers
zurückgewiesen.
II.
zu Recht erkannt:
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
III.
Die beschwerdeführenden Parteien zusammen haben dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die Steiermärkische Landesregierung die Auflösung des Gemeinderates der Marktgemeinde W gemäß § 103 Abs. 1 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967, LGBl. Nr. 115 i.d.g.F., mit sofortiger Wirkung und das gleichzeitige Erlöschen aller Mandate der Mitglieder des Gemeinderates einschließlich des Mandates des Bürgermeisters aus. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Gemeinderat der Marktgemeinde W seiner Verpflichtung gemäß § 89 der Gemeindeordnung 1967, den Rechnungsabschluß so zeitgerecht zu beschließen, daß dieser spätestens 4 Monate nach Ablauf des Haushaltsjahres der Aufsichtsbehörde vorgelegt werden kann, nicht nachgekommen. In mehreren Gemeinderatssitzungen sei der Versuch unternommen worden, den Rechnungsabschlußentwurf 1992 zu beschließen. Trotz gesetzlich vorgegebener Frist zur Vorlage des Rechnungsabschlusses an die Aufsichtsbehörde habe ein entsprechender Beschluß bis dato nicht herbeigeführt werden können. Der Gemeinderat habe damit gegen die Bestimmung des § 89 der Gemeindeordnung 1967 verstoßen. Allein diese Vorgangsweise zeige auf, daß der Gemeinderat derzeit seine gesetzlichen Aufträge nicht erfülle. Des weiteren sei die Marktgemeinde W auf Grund verschiedener Vorhaben Verbindlichkeiten in einer Größenordnung eingegangen, die eine zukünftige geordnete Haushaltsführung nicht mehr gewährleisten könnten. Selbst der Erlös aus der Sparkassenfusion könne nicht alle Verbindlichkeiten abdecken. Auf Grund der Vorhaben "ODF, Polytechnikum, Fernwärme" sei es zu Kostenüberschreitungen gekommen, wobei nachweislich der Gemeinderat Beschlüsse gefaßt habe, die nach der Auftragsvergabe herbeigeführt worden seien. In diesem Punkte verstoße der Gemeinderat gegen zahlreiche Bestimmungen der Gemeindeordnung, insbesondere gegen §§ 43, 44, 45, 75, 78, sowie gegen § 5 der Gemeindehaushaltsordnung 1977, LGBl. Nr. 22 i. d.g.F. Es seien beispielsweise durch die Errichtung und den Betrieb des Heizwerkes einschließlich Kassenkreditzinsen und Finanzierungskosten (auch der Abgänge für den laufenden Betrieb) bisher rund 83,5 Millionen Schilling aus Gemeindemitteln und Förderungsmitteln investiert worden, wozu noch ein noch nicht feststehender Betrag für Investitionen komme, welcher von der Geschäftsführung des Heizwerkes als für den Weiterbetrieb unabdingbar bezeichnet worden sei. Der Substanzwert des Heizwerkes belaufe sich laut Gutachten des Wirtschaftstreuhänders Dr. S derzeit auf minus drei Millionen Schilling. Bei der Ortsdurchfahrt habe sich gegenüber dem in Konsens mit der Aufsichtsbehörde festgelegten Erfordernis eine zum Zeitpunkt der Auftragserteilung nicht vom Gemeinderat genehmigte Kostenüberschreitung von rund 4 Millionen Schilling ergeben. Das Vorhaben "Errichtung eines polytechnischen Lehrgangs" werde inklusive Finanzierungskosten rund 36 Millionen Schilling, damit eine Überschreitung von 250 % gegenüber der ursprünglichen Annahme, betragen, zumal die Leasing-Raten zum Teil aus dem Kassenkredit gezahlt worden seien, sodaß Zinsen zweimal angefallen seien. Auf Grund dieser Kostenüberschreitungen habe die Aufsichtsbehörde mit sämtlichen Mitteln, die nach der Gemeindeordnung zur Verfügung stünden, versucht, den Haushalt der Marktgemeinde W zu sanieren. Dies sei jedoch nicht gelungen, da den einzelnen Sanierungsschritten stets wieder neue Projekte bzw. Kostenüberschreitungen gefolgt seien. In dem gegen den Bürgermeister gemäß § 102 Gemeindeordnung 1967 angestrengten Verfahren habe sich dieser darauf berufen, lediglich die Beschlüsse des Gemeinderates vollzogen zu haben. Im Zuge des darüber angestellten Ermittlungsverfahrens habe sich ergeben, daß der Gemeinderat nicht vollständig informiert gewesen sei. Trotz allem seien in vielen Fällen die vom Bürgermeister getätigten Überschreitungen bei den einzelnen Projekten durch nachträgliche Beschlüsse mitgetragen worden. Zusätzlich dazu habe sich bei den Gebarungsüberprüfungen ergeben, daß Vergaben und Kostenüberschreitungen in der Größenordnung von 25 bis 28 Millionen Schilling überhaupt ohne beschlußmäßige Abdeckung getätigt worden seien. Obwohl dem Gemeinderat und somit auch den Gemeinderatsmitgliedern spätestens seit deren Einvernahme im Ermittlungsverfahren am 27., 28. April und 10. Mai 1993 die finanzielle Situation der Marktgemeinde W hätte bewußt sein müssen, seien später wiederum Beschlüsse gefaßt worden, die nicht bedeckte Überschreitungen beschlußmäßig hätten sanieren sollen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als diese Kosten längst entstanden gewesen seien. So sei in der Gemeinderatssitzung vom 18. Mai 1993 die Endabrechnung der "ODF" vom Gemeinderat beschlossen worden, obwohl die der Endabrechnung zugrunde liegende Summe nicht vollständig durch den Gemeinderat, wie es § 25 der Gemeindeordnung 1967 vorsehe, vergeben worden sei. Damit seien nachträgliche Ausgaben in Höhe von rund 6,225 Millionen Schilling beschlossen worden, wofür es nur unzureichende Vergabebeschlüsse und keine vollständige Bedeckung gegeben habe. Gerade das Fehlen der Beschlußfassung über die Bedeckung stelle den gravierendsten Gesetzesverstoß dar, da daraus ein unkontrolliertes Anwachsen von Schulden resultiere. Damit habe der Gemeinderat bewiesen, daß er weder willens noch imstande sei, auf den Ernst der Lage zu reagieren. Ohne ein Eingreifen der Aufsichtsbehörde sei ein weiteres unkontrolliertes Anwachsen nicht mehr finanzierbarer Ausgaben vorhersehbar. Reserven für die Abdeckung der Schulden seien nicht mehr vorhanden. Hinzu komme, daß der die Ausgliederung der Fernwärme in eine Voll-GesmbH betreffende Beschluß des Gemeinderates noch immer nicht (nach eineinhalb Jahren) vollzogen worden sei. Auf Grund der jährlichen Abgänge dieses Gemeindebetriebes im Vergleichszeitraum von rund 2 bis 5,3 Millionen Schilling hätte die Privatisierung längst erfolgen müssen. Diesbezügliche Vorhalte der Aufsichtsbehörde hätten noch zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. Seit Inbetriebnahme des Fernwärmekraftwerkes im Jahr 1986 sei noch keine Betriebsanlagengenehmigung erteilt worden, da stets Auflagen der Behörde unerfüllt geblieben seien. Die weitere Nichterfüllung dieser Auflagen berge die Gefahr in sich, daß ab Beginn der Heizperiode 1993/94 eine Betriebseinstellung verfügt werden müsse, da die Gewerbeordnungsnovelle, welche am 1. Juli 1993 in Kraft trete, keinen Probebetrieb mehr vorsehe. Es sei somit Gefahr in Verzug gegeben. Das gegen den Bürgermeister angestrengte Amtsenthebungsverfahren gemäß § 102 der Gemeindeordnung 1967 sei mangels Möglichkeit einer schnelleren Durchführung auch kein Mittel, weiteren unabsehbaren finanziellen Schaden hintanzuhalten; eine solche Möglichkeit werde nunmehr in der sofortigen Auflösung des Gemeinderates gemäß § 103 der Gemeindeordnung 1967 erblickt. In den letzten Wochen vor Beschlußfassung sei eine Reihe von Gemeinderatssitzungen überdies abgebrochen worden bzw. habe es eine Beschlußfähigkeit gar nicht gegeben, sodaß all die aufgezeigten Umstände insgesamt die Annahme rechtfertigten, die Marktgemeinde W sei zur ordnungsgemäßen Besorgung ihrer Aufgaben außerstande und erweise sich die Auflösung des Gemeiderates und die Bestellung eines Regierungskommissärs als unabdingbare Maßnahme, um für die Zukunft weitere Verluste und Schäden für die Marktgemeinde hintanzuhalten. Vor der Entscheidung habe die belangte Behörde noch einen Schriftsatz vom 14. Juni 1993 an den Gemeinderat der Marktgemeinde W gerichtet, doch habe dieses Schreiben vom Gemeinderat in zwei Gemeinderatssitzungen mangels Beschlußfähigkeit nicht beantwortet werden können. Im Hinblick auf die Dringlichkeit erscheine auch die gesetzte Frist angemessen.
Mit der vorliegenden Beschwerde wenden sich die betroffene Marktgemeinde W, der betroffene Gemeinderat, der betroffene Bürgermeister und die betroffenen Gemeinderäte gegen diesen Bescheid mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes infolge
"rechtswidriger Anwendung der Verfahrensvorschriften des AVG und wegen Verletzung des Rechtes der Beschwerdeführer auf Ausübung ihres Mandates als gewählte Mandatare bis zum Ablauf der Wahlperiode"
aufzuheben. Sie erachten sich durch den bekämpften Bescheid in ihrem Recht "auf ein ordnungsgemäßes Verfahren nach den Bestimmungen des AVG, insbesondere in ihrem Recht auf Erlassung eines Bescheides erst nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens, in ihrem Recht auf Gewährung einer angemessenen Frist zur Erstattung einer Stellungnahme sowie in ihrem Recht auf gesetzeskonforme Anwendung der Bestimmungen der Steiermärkischen Gemeindeordnung, insbesondere der Bestimmung des § 103 leg. cit. in Verbindung mit den Bestimmungen des AVG, verletzt". Darüberhinaus erachten sich - offenkundig jedoch nur - die Beschwerdeführer 1) bis 9) durch den bekämpften Bescheid in ihrem "in Art. 118 B-VG normierten Recht auf Ausübung unseres Mandates als gewählte Mandatare bis zum Ablauf der Wahlperiode verletzt".
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt, und hat die Verwaltungsakten vorgelegt.
I.
1. Zur Vertretungsbefugnis des Neuntbeschwerdeführers:
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Beschwerden u.a. wegen des Mangels der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde zurückzuweisen. Die Beschwerdelegitimation ist daher Voraussetzung für eine Sachentscheidung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine auf Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG gestützte Beschwerde nur dann zulässig, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem gesetzlich normierten subjektiven Recht verletzt wurde. Dies gilt sogar dann, wenn einem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren zu Unrecht Parteistellung zuerkannt worden sein sollte (vgl. den hg. Beschluß eines verstärkten Senates vom 2. Juli 1981, Slg. Nr. 10.511/A, u.a.).
Gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG hat die Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren Parteistellung; sie ist berechtigt, gegen die Aufsichtsbehörde vor dem Verwaltungsgerichtshof (Art. 131 und 132) und vor dem Verfassungsgerichtshof (Art. 144) Beschwerde zu führen. Dieser Regelung entspricht § 12 Abs. 5 des Bundes-Gemeindeaufsichtsgesetzes, BGBl. Nr. 123/1967, sowie § 105 Abs. 2 der Steiermärkischen Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 115/1967. Die Gemeinde wird durch das zu ihrer Vertretung berufene Organ vertreten; gemäß § 45 Abs. 1 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 ist dies der Bürgermeister. Im vorliegenden Fall beruft sich die Zehntbeschwerdeführerin (die Marktgemeinde W) auf die Vertretung durch ihren Bürgermeister, wobei durch den vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid der belangten Behörde nicht nur der Gemeinderat der Marktgemeinde W mit sofortiger Wirkung aufgelöst wurde, sondern - neben den Mandaten der Mitglieder des Gemeinderates - auch gem. § 103 Abs. 1 leg. cit. das Mandat des Bürgermeisters für erloschen erklärt wurde. Es erhebt sich daher die Frage, inwieweit in dem vorliegenden Rechtsstreit durch den seines Mandates für verlustig erklärten Bürgermeister eine Vertretung der - grundsätzlich beschwerdelegitimierten - Gemeinde nach wie vor rechtswirksam erfolgen kann. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt dazu die Auffassung, daß beim vorliegenden Sachverhalt, demzufolge durch einen aufsichtsbehördlichen Akt die Funktion des Gemeinderates und der Mitglieder des Gemeinderates einschließlich des Bürgermeisters beendet wird, dem letzteren zur Erhebung einer Beschwerde gegen dieses gravierendste aller Aufsichtsmittel nach wie vor eine insoweit eingeschränkte Vertretungsbefugnis der Gemeinde entsprechend der Zusammensetzung des Gemeinderates im Zeitpunkt seiner Auflösung zuerkannt werden muß. Andernfalls stünde der Gemeinde, der gemäß Art. 119 a Abs. 9 B-VG im aufsichtsbehördlichen Verfahren ohne Einschränkung ausdrücklich Parteistellung eingeräumt wird, gegen das tiefgreifendste Aufsichtsmittel kein Rechtsmittel zu.
Trotz der im angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Beendigung des Mandates des Bürgermeisters ist dieser daher nach wie vor im Rahmen des über die Rechtmäßigkeit des Auflösungsbescheides abgeführten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als vertretungsbefugtes Organ der Gemeinde anzusehen. Für dieses Ergebnis spricht auch, daß hinsichtlich des von der belangten Behörde eingesetzten Regierungskommissärs einerseits eine mögliche Überschreitung seiner Kompetenzen (nämlich eingeschränkt auf eine NOTkompetenz) und andererseits eine offenkundige Interessenkollision vorläge.
2. Zur Beschwerdelegitimation des Elftbeschwerdeführers:
Daran anknüpfend ist die Beschwerdelegitimation der elftbeschwerdeführenden Partei, also des ehemaligen Gemeinderates als Kollegialorgan zu untersuchen. Berchtold (Gemeindeaufsicht, S. 166) vertritt die Auffassung, der Gemeinderat als Kollegialorgan sei trotz erfolgter Auflösung berechtigt, eine Beschwerde an einen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zu erheben, und bezieht sich auf die Verfassungsbestimmung des Art. 119a Abs. 9 B-VG, der der Gemeinde ein Beschwerderecht gegen aufsichtsbehördliche Rechtsakte garantiere, "daher" sei dem aufgelösten Gemeinderat eine beschränkte Handlungsfähigkeit und Organstellung eingeräumt. Dieser Ableitung kann nicht gefolgt werden. Der Autor verweist zwar zutreffend darauf, daß einzelne Gemeindeordnungen (§ 108 Abs. 1 der Oberösterreichischen Gemeindeordnung, § 72b der Salzburger Gemeindeordnung) Bestimmungen enthalten, die dem aufgelösten Gemeinderat in bezug lediglich auf die Anfechtung des Auflösungsbescheides die Aktivlegitimation expressis verbis zuerkennen. Eine vergleichbare Bestimmung enthält aber die Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 nicht. Zu einer generalisierenden Anwendung dieser in einzelnen Landesgesetzen enthaltenen Bestimmungen auch auf andere landesgesetzlich geregelte Materien besteht kein Anlaß; es ist auch kein Regelungsdefizit erkennbar, welches eine Gesetzesanalogie zwingend erscheinen ließe. Insgesamt besteht daher kein Grund, von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzugehen, wonach außer in den Fällen der objektiven Beschwerdeberechtigung (Art. 131 Abs. 1 Z. 2 und 3 sowie Abs. 2 B-VG) nur physische oder juristische Personen zur Beschwerdeerhebung legitimiert sind (vgl. auch den hg. Beschluß vom 7. Juni 1978, Slg. Nr. 9582/A). Dem (ehemaligen) Gemeinderat als Kollegialorgan kommt diese Qualifikation jedoch nicht zu. Dem in Art. 119 a Abs. 9 B-VG verankerten Recht der Gemeinde auf Parteistellung im aufsichtsbehördlichen Verfahren, auf das sich auch BERCHTOLD im besonderen beruft, wird dadurch entsprochen, daß - wie dargelegt - der Gemeinde, vertreten durch den ehemaligen Bürgermeister, die Beschwerdelegitimation zusteht. Die Beschwerde des Elftbeschwerdeführers war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
3. Zur Beschwerdelegitimation der einzelnen Mitglieder des Gemeinderates:
Weiters ist die Frage zu stellen, inwieweit den Erst- bis Neuntbeschwerdeführern (also den ehemaligen Mitgliedern des Gemeinderates sowie dem ehemaligen Bürgermeister) die Beschwerdelegitimation gegen den angefochtenen Bescheid zusteht, insoweit er die Auflösung des Gemeinderates betrifft. Auch hier vertritt BERCHTOLD (Gemeindeaufsicht, S. 166 f) die Meinung, es stehe jedem Mitglied des Gemeinderates das Recht zu, den Auflösungsbescheid mit einer Beschwerde bei "den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts" anzufechten, "was allein schon aus dem im sogenannten passiven Wahlrecht enthaltenen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht des gewählten Mandatars auf Ausübung und - als "Reflexrecht" - Beibehaltung seines Mandates" folge. Die Legitimation der Mitglieder des ehemaligen (aufgelösten) Gemeinderates zur Beschwerdeerhebung an den Verfassungsgerichtshof, d.h. bei Geltendmachung ihres verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausübung (und Beibehaltung) ihres Mandates entspricht der diesbezüglich ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. die Erkenntnisse vom 6. Oktober 1988, B 911/1988, vom 19. Dezember 1977, B 40/1975, vom 10. Dezember 1980, B 294/80, u. a.). Daß damit aber in "selbstverständlicher Übereinstimmung" auch eine Beschwerdelegitimation vor dem Verwaltungsgerichtshof gegeben sei, kann nicht angenommen werden. Die Beschwerde bezieht sich in ihren Ausführungen zur Beschwerdelegitimation der Erst- bis Neuntbeschwerdeführer u.a. auf deren verfassungsgesetzlich geschützte Rechte als Mandatare. Beschwerden, in denen das Begehren auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides lediglich darauf gestützt wird, daß der (die) Beschwerdeführer in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt zu sein behauptet (behaupten), fallen nicht in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes im Sinne des Art. 133 Z. 1 B-VG (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Juni 1971, Zlen. 563, 565/1970, vom 28. November 1972, Zl. 1579/1972, vom 29. Juni 1984, Zl. 84/17/0093 (unrichtig zitiert in Dolp, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 328), u.a.). Insoweit mit der vorliegenden Beschwerde eine Verletzung verfassungsmäßig gewährleisteter Rechte geltend gemacht wurde, ist daher eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht gegeben.
Die Erst- bis Neuntbeschwerdeführer machen aber auch die Verletzung einfachgesetzlicher Rechte geltend, insbesondere das "Recht auf gesetzeskonforme Anwendung des § 103 leg. cit.".
§ 103 Abs. 1, 1. Satz der Steiermärkischen Gemeindeordnung bestimmt die Voraussetzungen für die Auflösung des Gemeinderates. Mit der Auflösung des Gemeinderates erlöschen gemäß § 103 Abs. 1, 2. Satz leg. cit. alle Mandate einschließlich des Mandates des Bürgermeisters. Es kann nun nicht davon ausgegangen werden, daß das aus dem passiven Wahlrecht abzuleitende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Mandatsausübung unter einem sogenannten Ausführungsvorbehalt im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 7. Dezember 1988, Slg. Nr. 12.821/A, steht, sodaß die Verletzung jeder einfachgesetzlichen Bestimmung in diesem Zusammenhang die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes darstellt, woraus sich die alleinige Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes ergäbe. Der Verwaltungsgerichtshof ist somit im vorliegenden Zusammenhang zuständig, den angefochtenen Bescheid im Hinblick auf die durch die einzelnen Mitglieder des Gemeinderates geltend gemachte Verletzung einfachgesetzlich gewährleisteter Rechte zu prüfen.
II.
Die somit zulässige Beschwerde der Erst- bis Zehntbeschwerdeführer erweist sich jedoch als unbegründet.
Gemäß § 103 Abs. 1 der Steiermärkischen
Gemeindeordnung 1967 ist die Aufsichtsbehörde berechtigt, die Auflösung des Gemeinderates zu verfügen, wenn Umstände die Annahme rechtfertigen, daß die Gemeinde aus Gründen, die sie selbst zu vertreten hat, zur ordnungsgemäßen Besorgung ihrer Aufgaben außerstande ist, insbesondere, wenn durch andere gegen sie ergriffene Aufsichtsmaßnahmen ein nachhaltiger Erfolg nicht erzielt werden konnte. Die belangte Behörde hat die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene aufsichtsbehördliche Maßnahme im wesentlichen damit begründet, in mehreren Gemeinderatssitzungen der Marktgemeinde W sei der Versuch unternommen worden, den Rechnungsabschlußentwurf für das Jahr 1992 zu beschließen, dies sei trotz der gesetzlich vorgegebenen Frist zur Vorlage des Rechnungsabschlusses an die Aufsichtsbehörde nicht herbeigeführt worden. Des weiteren habe die Marktgemeinde W aufgrund verschiedener Vorhaben Verbindlichkeiten in einer Größenordnung, die eine zukünftige geordnete Haushaltsführung nicht mehr gewährleisten könnten. Aufgrund der Vorhaben der "Ortsdurchfahrt, Polytechnikum, Fernwärme" sei es zu Kostenüberschreitungen gekommen, wobei der Gemeinderat nachweislich Beschlüsse gefaßt habe, die nach Auftragsvergabe herbeigeführt worden seien. Dadurch seien mehrfache im einzelnen genannte Bestimmungen der Steiermärkischen Gemeindeordnung verletzt worden. Im folgenden führte die belangte Behörde einzelne von der Marktgemeinde W verfolgte Projekte und deren Finanzierung an, die Grundlage der Annahme der belangten Behörde gewesen seien, die Marktgemeinde W sei zu einer ordnungsgemäßen Besorgung ihrer Aufgaben außerstande.
Die beschwerdeführenden Parteien halten dem zunächst entgegen, die belangte Behörde habe den Subsidiaritätscharakter dieser Bestimmung verkannt, sie habe als Aufsichtsbehörde nicht einmal versucht, eine andere als die gesetzlich ergriffene schärfste Aufsichtsmaßnahme zur Anwendung zu bringen; die Annahme einer "Gefahr im Verzug" sei überhaupt unbegründet.
Dem ist zu entgegnen, daß sich aus dem Akteninhalt, insbesondere auch aus der Besprechung vom 16. März 1993, ergibt, daß auch andere aufsichtsbehördliche Mittel, wie schriftliche Berichtspflicht, wiederholte Besprechungen und Urgenzen erfolglos unternommen wurden. Der belangten Behörde kann daher nicht der Vorwurf gemacht werden, das Subsidiaritätsprinzip verletzt zu haben.
Der Formulierung des § 103 Abs. 1 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 ist im übrigen zu entnehmen, daß bereits die ANNAHME des dort genannten Umstandes die Aufsichtsbehörde zur Auflösung des Gemeinderates berechtigt. Es muß daher durch die gegebenen Umstände NICHT NACHGEWIESEN SEIN, daß die Gemeinde ihre Aufgaben tatsächlich nicht ordnungsgemäß besorgen kann. Welche Umstände eine solche Annahme gerechtfertigt erscheinen lassen, hat aber die Aufsichtsbehörde in ihrem Auflösungsbescheid darzulegen. Des weiteren bestimmt die Steiermärkische Gemeindeordnung 1967, daß die Auflösung des Gemeinderates nur dann erfolgen darf, wenn die Voraussetzung für die Auflösung von der Gemeinde selbst zu vertreten ist. Mit anderen Worten: Nur wenn die Gemeinde aus Gründen, für die sie selbst die Schuld trifft, zur Besorgung ihrer Aufgaben außerstande ist, bzw. deren Besorgung nicht gewährleisten kann, ist die Auflösung des Gemeinderates gerechtfertigt (vgl. BERCHTOLD, Gemeindeaufsicht, S 155). Darüber hinaus ist nach der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 die Auflösung des Gemeinderates nur dann gerechtfertigt, wenn durch andere gegen die Gemeinde ergriffene Aufsichtsmaßnahmen ein nachhaltiger Erfolg nicht erzielt werden konnte. Damit kommt die Subsidiarität dieser Aufsichtsmaßnahme zu den anderen Aufsichtsmitteln zum Ausdruck.
Die belangte Behörde begründete die Annahme der nicht ordnungsgemäßen Besorgung ihrer Aufgaben durch die Marktgemeinde W im wesentlichen mit drei Schwerpunkten, nämlich
1. der ungebührlichen Verzögerung des Rechnungsabschlusses 1992,
2. der ungeordneten Finanzlage (Überschuldung) bzw. dem Eingehen von Verbindlichkeiten, deren zukünftige Bedeckung in Frage steht und
3. den Kostenüberschreitungen und der Auftragsvergabe ohne entsprechende Gemeinderatsbeschlüsse hinsichtlich dreier Großprojekte, nämlich
a)
der Ortsdurchfahrt W
b)
des Baues eines Polytechnikums und
c)
der Errichtung eines Fernwärmeheizwerkes.
Aus dem Akt ergibt sich, daß dem Bürgermeister der Marktgemeinde W von der belangten Behörde anläßlich einer Besprechung am 16. März 1993 von den gegen ihn und den Gemeinderat erhobenen Vorwürfen im einzelnen Mitteilung gemacht wurde; zum Ergebnis des von der belangten Behörde in der Folge durchgeführten Ermittlungsverfahrens sollte dem Bürgermeister am 14. Mai 1993 Parteiengehör gewährt werden. Es wurde über Intervention des Rechtsvertreters der beschwerdeführenden Parteien einvernehmlich davon abgesehen und vielmehr eine Zusammenfassung der wichtigsten Aktenbestandteile sowie die Niederschriften über die Einvernahme der Mitglieder des Gemeinderates in Kopie übermittelt. Innerhalb der gesetzten Frist von drei Wochen zur Abgabe einer Äußerung hiezu erfolgte keine Stellungnahme des Bürgermeisters. Mit Schreiben vom 14. Juni 1993 gewährte die belangte Behörde auch dem Gemeinderat der Marktgemeinde W mit einer detaillierten Darstellung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe Parteiengehör. Mangels einer Einigung über ein gemeinsames Vorgehen des Gemeinderates in der Sitzung vom 16. Juni 1993 äußerten sich hiezu jedoch nur die Mitglieder der SPÖ-Fraktion des Gemeinderates, wobei sie die Darstellung der belangten Behörde im wesentlichen als zutreffend bezeichneten. Die restlichen Gemeinderäte stellten hingegen mit Schreiben vom 21. Juni 1993 den Antrag, ihnen zur Stellungnahme eine Frist von zwei Monaten einzuräumen. Eine detaillierte Stellungnahme eines Vertretungsorganes der Marktgemeinde W zu den gegen den Bürgermeister und den Gemeinderat der Marktgemeinde W liegt daher nicht vor.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist, sofern verfahrensrechtliche Verletzungen nicht oder nicht mit Recht geltend gemacht werden, von jenem Sachverhalt auszugehen, den die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat. Die in der Beschwerde nunmehr abgegebenen Sachverhaltsdarstellungen sind daher als Neuerungen gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht aufzugreifen. Daß eine detaillierte Stellungnahme bereits im Verwaltungsverfahren nicht möglich gewesen sei, erscheint dem Gerichtshof in Anbetracht des gewährten Parteiengehörs, der Vertrautheit der Betroffenen mit den einzelnen Projekten und der sich darauf beziehenden Vorwürfe sowie der dem Beschwerdeführervertreter übermittelten Ermittlungsergebnisse, der Zeugeneinvernahmen und der Aktenabschrift nicht überzeugend. Davon ausgehend kann aber kein Rechtsirrtum darin erblickt werden, wenn die belangte Behörde die von ihr aufgelisteten näheren Umstände als geeignet angesehen hat, die Annahme zu rechtfertigen, daß die Gemeinde aus Gründen, die sie selbst zu vertreten hat, zur ordnungsgemäßen Besorgung ihrer Aufgaben außerstande ist.
Insgesamt erweist sich der angefochtene Bescheid als mit der Rechtslage in Einklang stehend, weshalb die Beschwerde der verbleibenden Neunt- und Zehntbeschwerdeführer gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
III.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 51 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Mangel der Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit sowie der Ermächtigung des Einschreiters Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Angelegenheiten die zur Zuständigkeit des VfGH gehören (B-VG Art133 Z1) Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter RechteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993010670.X00Im RIS seit
11.07.2001