TE Vwgh Erkenntnis 1995/5/17 95/12/0098

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Veröffentlicht am 17.05.1995
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
65/01 Allgemeines Pensionsrecht;

Norm

AVG §69 Abs1 Z3;
MRK Art53;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6 Abs3 litc;
PG 1965 §11 litf;
PG 1965 §52 Abs2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/12/0099

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, in der Beschwerdesache des X in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Bundesministers für Finanzen je vom 27. Feber 1995,

1.) Zl. 55 5310/2-II/15/95, betreffend die Auszahlung eines Unterhaltsbeitrages gemäß § 52 des Pensionsgesetzes 1965 und

2.) Zl. 55 5310/3-II/15/94, betreffend die Wiederaufnahme eines pensionsrechtlichen Verfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde, den vorgelegten Ablichtungen der angefochtenen Bescheide sowie aus der vom Beschwerdeführer gegen die belangte Behörde eingebrachten, zur Zl. 95/12/0064 protokollierten Säumnisbeschwerde und der damit vorgelegten Beilage und den den Beschwerdeführer betreffenden Akten des zur Zl. 94/12/0191 protokollierten (Säumnis)Beschwerdeverfahrens ergibt sich folgender Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 15. März 1978 gemäß § 83 Abs. 1 Richterdienstgesetz (RDG) mit Ablauf des 31. März 1978 in den zeitlichen Ruhestand versetzt. Mit Bescheid vom 24. April 1978 stellte das Zentralbesoldungsamt (jetzt: Bundesrechenamt) fest, daß dem Beschwerdeführer gemäß den §§ 3 bis 7 Pensionsgesetz (PG 1965), vom 1. April 1978 an ein Ruhegenuß in der Höhe von monatlich brutto S 9.834,-- gebühre.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Kreisgericht (jetzt Landesgericht) Korneuburg vom 18. Dezember 1984, 10 Vr 949/82-570, unter anderem des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB für schuldig erkannt und nach den §§ 28 und 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Jahren verurteilt; in einem wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 2 StGB angeordnet.

Dieses Urteil wurde mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986, 9 Os 76/85-27, im Schuldspruch bestätigt, im Strafausspruch jedoch dahin abgeändert, daß der Beschwerdeführer einerseits zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, andererseits der Antrag auf Unterbringung gemäß § 21 Abs. 2 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abgewiesen wurde.

Daraufhin stellte das Bundesrechenamt mit (rechtskräftigem) Bescheid vom 7. August 1986 fest, daß der Anspruch des Beschwerdeführers auf Ruhegenuß gemäß § 11 lit. f PG 1965 mit Ablauf des 2. Juli 1986 erloschen sei. Gleichzeitig wurde festgestellt, daß dem Beschwerdeführer nach § 50 Abs. 1 PG 1965 in Verbindung mit den §§ 3 bis 7 PG 1965 vom 1. August 1986 an ein Unterhaltsbeitrag in der Höhe von monatlich brutto S 15.925,70 gebühre, der jedoch gemäß § 52 Abs. 2 PG 1965 von diesem Zeitpunkt an ruhe.

Das Oberlandesgericht Wien als Disziplinargericht für Richter verhängte mit Erkenntnis vom 22. Juni 1988, Ds 2/83, über den Beschwerdeführer wegen grober Verletzung der ihm als Richter des Ruhestandes obliegenden Verpflichtungen die Disziplinarstrafe des Verlustes aller aus dem Dienstverhältnis erfließenden Rechte. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter mit Erkenntnis vom 3. Oktober 1989, Ds 6/88-51, nicht Folge.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte mit Urteil vom 21. September 1993, Zl. 29/1992/374/448, fest, daß nach Lage des Falles die persönliche Anwesenheit des Beschwerdeführers beim Gerichtstag über die Berufung im Strafverfahren im Interesse der Fairneß des Verfahrens geboten gewesen wäre und erblickte in der unterbliebenen Sicherstellung der Anwesenheit des Beschwerdeführers bei der mündlichen Berufungsverhandlung, um ihn solcherart in die Lage zu versetzen, sich "persönlich selbst zu verteidigen", eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 lit. c der EMRK.

Mit Teilurteil vom 28. April 1994, 31 Cg n1/93i-7, sprach das Landesgericht für ZRS Wien aus, es werde festgestellt, daß die Republik Österreich als beklagte Partei dem Beschwerdeführer als klagende Partei "für Schäden aller Art zu haften hat, die daraus resultieren, daß der Strafvollzug aufgrund des Urteiles des OGH vom 2.7.1986 der gegen den Kläger verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe zufolge der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 21.9.1993 festgestellten Verletzung der klägerischen Rechte rechts- und konventionswidrig" sei. Dieses Urteil ist infolge Berufung nicht in Rechtskraft erwachsen. Es wurde dem Beschwerdeführer seinem Vorbringen zufolge am 10. Juni 1994 zugestellt.

Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer am 16. Juni 1994 beim Bundesrechenamt als Pensionsbehörde erster Instanz

a)

die Auszahlung des mit Bescheid vom 7. August 1986 zuerkannten Unterhaltsbeitrages mit Wirkung ab 1. Juli 1994 und

b)

die Wiederaufnahme des mit Bescheid des Bundesrechenamtes vom 7. August 1986 abgeschlossenen Pensionsverfahrens.

Die Pensionsbehörde erster Instanz wies ersteren Antrag mit Bescheid vom 15. September 1994 zurück, letzteren mit Bescheid vom 29. Juli 1994 ab. Dagegen erhob der Beschwerdeführer jeweils Berufung an die belangte Behörde. Da über die Berufung gegen den Bescheid vom 29. Juli 1994 (Wiederaufnahme des Pensionsverfahrens) nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 27 VwGG entschieden worden war, erhob der Beschwerdeführer die zur Zl. 95/12/0064 protokollierte Säumnisbeschwerde (das diesbezügliche Verfahren wurde mit Beschluß vom heutigen Tage gemäß § 36 Abs. 2 VwGG wegen Nachholung des versäumten Bescheides eingestellt).

Mit den angefochtenen Bescheiden hat die belangte Behörde die Berufungen als unbegründet abgewiesen und die bekämpften erstinstanzlichen Bescheide bestätigt.

Im erstangefochtenen Bescheid (betreffend die Auszahlung des Unterhaltsbeitrages) führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der Rechtslage (insbesondere §§ 11 lit. f, 50 Abs. 1 und 52 Abs. 2 PG 1965) begründend zusammengefaßt aus, daß sich an dem dem Bescheid des Bundesrechenamtes vom 7. August 1986 zugrundeliegenden Sachverhalt auch durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 21. September 1993 nichts geändert habe. "Das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 ist nach wie vor voll wirksam und gehört weiter dem Rechtsbestand an". Aus diesem Grund befinde sich der Beschwerdeführer "auch weiter in Strafhaft" und verbüße die über ihn verhängte lebenslange Freiheitsstrafe. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes habe nämlich nicht die ihm vom Beschwerdeführer zugeschriebene innerstaatliche Wirkung (Anmerkung: daß damit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes keine Wirksamkeit mehr zukomme). Das vom Beschwerdeführer angesprochene Teilurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 28. April 1994 habe auf die Rechtswirksamkeit des Urteiles des Obersten Gerichtshofes ebenfalls keinen Einfluß. Ebensowenig sei eine Änderung der für das Ruhen des Unterhaltsbeitrages maßgebenden Rechtslage seit dem Ergehen des Bescheides vom 7. August 1986 eingetreten. Dem zufolge habe die Pensionsbehörde erster Instanz den Antrag des Beschwerdeführers vom 16. Juni 1994 (betreffend die Auszahlung des Unterhaltsbeitrages) zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Im zweitangefochtenen Bescheid betreffend die Wiederaufnahme des pensionsrechtlichen Verfahrens führte die belangte Behörde ebenfalls nach Darstellung des Verfahrensganges und der Rechtslage (§ 69 AVG in Verbindung mit § 14 Abs. 4 DVG) aus, daß nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG das Hervorkommen von neuen Tatsachen und Beweismitteln unter anderem nur dann einen Wiederaufnahmsgrund bilde, wenn diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Im Gegensatz zum Vorbringen im verfahrensleitenden Antrag gehe der Beschwerdeführer in seiner Berufung davon aus, daß das erwähnte Teilurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 28. April 1994 keine neue Tatsache, sondern ein neues Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG darstelle. Auf die Frage, ob dieses Teilurteil als eine Tatsache oder ein Beweismittel im dargestellten Sinne anzusehen sei, ob der damit bewiesene Sachverhalt neu entstanden oder lediglich neu hervorgekommen sei, brauche aber gar nicht eingegangen werden, denn dieses Teilurteil wäre selbst bei Zutreffen aller übrigen im § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG genannten Voraussetzungen nicht geeignet, einen anderen als den im Bescheid des Bundesrechenamtes vom 7. August 1986 enthaltenen Spruch herbeizuführen. Nach § 11 lit. f PG 1965 erlösche der Anspruch auf Ruhegenuß durch Verurteilung wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbaren Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe. Da der Beschwerdeführer mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, sei sein Anspruch aufgrund dieser Gesetzesstelle

-

wie im rechtskräftigen Bescheid des Bundesrechenamtes vom 7. August 1986 festgestellt worden sei - mit dem 2. Juli 1986 erloschen. An der Rechtswirksamkeit dieses Urteiles des Obersten Gerichtshofes habe auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 21. September 1993 nichts geändert, weil

-

wie bereits in früheren Entscheidungen vom Bundesrechenamt

ausgeführt worden sei - ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes einen innerstaatlichen Hoheitsakt "nicht aufheben" könne. Wenn nun mittels des Teilurteiles des Landesgerichtes für ZRS Wien bewiesen werden solle, daß die Konventionswidrigkeit des Urteiles des Obersten Gerichtshofes bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorgelegen sei, so sei darauf hinzuweisen, daß es nach § 11 lit. f PG 1965 für den Eintritt des Erlöschens des Ruhegenusses des Beschwerdeführers ohne Bedeutung sei, zu welchem Zeitpunkt die Konventionswidrigkeit vorgelegen sei. Selbst wenn das Urteil des Europäischen Gerichtshofes bereits vor Erlassung des Bescheides des Bundesrechenamtes, mit dem das Erlöschen seines Ruhegenusses festgestellt worden sei, ergangen wäre, so wäre

-

mangels einer unmittelbaren innerstaatlichen Wirkung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes - die mit § 11 lit. f PG 1965 vorgesehene und im Bescheid des Bundesrechenamtes festgestellte Rechtsfolge eingetreten. Vorfragen im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG seien Rechtsfragen, deren Lösung für die Entscheidung der Verwaltungssache notwendig sei und die als Hauptfragen von einem Gericht, einer anderen Verwaltungsbehörde oder von derselben Verwaltungsbehörde in einem anderen Verfahren zu entscheiden seien. Die einzige Vorfrage, die im Verfahren, das zum Bescheid des Bundesrechenamtes vom 7. August 1986 geführt habe, zu beurteilen gewesen sei, sei die Frage gewesen, ob eine Verurteilung im Sinne des § 11 lit. f PG 1965 vorliege oder nicht. Eine derartige Verurteilung liege aufgrund des Urteiles des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986, das trotz des Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte "nach wie vor rechtskräftig" sei, vor. Das Teilurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien habe keinerlei Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit des Urteiles des Gerichtshofes (Anmerkung: nach dem Zusammenhang gemeint: des Obersten Gerichtshofes). Es habe auch keinerlei Rechtsfragen zum Gegenstand, die für die Beurteilung der Frage, ob der Ruhegenuß des Beschwerdeführers erloschen sei oder nicht, relevant seien. Die mit diesem Teilurteil gefällte Entscheidung sei daher nicht als Vorfragenentscheidung im Sinne des § 38 AVG anzusehen. Es erübrige sich daher auf die Frage näher einzugehen, ob eine Entscheidung um eine Vorfrage rechtskräftig sein müsse oder nicht, damit sie einen Wiederaufnahmsgrund bilden könne. Demnach lägen im gegenständlichen Fall keiner der im § 69 Abs. 1 AVG normierten Wiederaufnahmsgründe vor.

Gegen diese beiden Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die angefochtenen Bescheide in folgenden Rechten verletzt:

a)

hinsichtlich beider Bescheide im Recht auf Beachtung der Bindungswirkungen eines Urteiles des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte;

b)

hinsichtlich des Bescheides vom 15. September 1994 betreffend die Auszahlung eines Unterhaltsbeitrages im Recht auf Bezahlung eines Unterhaltsbeitrages infolge Beendigung eines rechtmäßigen Strafvollzuges (§ 52 Abs. 2 PG 1965);

c)

hinsichtlich des Bescheides vom 29. Juli 1994 betreffend die Wiederaufnahme des pensionsrechtlichen Verfahrens im Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens wegen unrichtiger Anwendung der Bestimmungen des § 69 Abs. 1 Z. 2 und Z. 3 AVG.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 11 lit. f PG 1965 erlischt der Anspruch auf Ruhegenuß durch Verurteilung durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbaren Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe. Der Anspruch erlischt nicht, wenn diese Rechtsfolge der Verurteilung bedingt nachgesehen wird, es sei denn, daß die Nachsicht widerrufen wird.

Nach dem § 50 Abs. 1 leg. cit. gebührt dem ehemaligen Beamten des Ruhestandes, dessen Anspruch auf Ruhegenuß infolge gerichtlicher oder disziplinärer Verurteilung erloschen ist, ein monatlicher Unterhaltsbeitrag in der Höhe von 75 v.H. des Ruhegenusses und der Ruhegenußzulage, auf die er Anspruch hätte, wenn er nicht verurteilt worden wäre.

Gemäß § 52 Abs. 2 leg. cit. ruht der Unterhaltsbeitrag auf die Dauer des Vollzuges einer wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen verhängten mehr als einjährigen Freiheitsstrafe.

§ 69 AVG lautet:

"(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1.

der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2.

neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3.

der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.

(2) der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen vom Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z. 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem."

Nach § 14 Abs. 4 DVG betragen die im § 69 Abs. 2 und 3 AVG mit drei Jahren festgesetzten Fristen im Dienstrechtsverfahren zehn Jahre.

Der Anspruch auf Ruhegenuß erlischt im Sinne des § 11 lit. f PG 1965 erst mit dem Eintritt der Rechtswirksamkeit der Verurteilung (siehe dazu Gebetsroiter-Grüner, Das Pensionsgesetz 1965, Seite 233, Anm. 10 zu § 11 PG). Der Beschwerdeführer vertritt nun mit eingehenden Ausführungen (zusammengefaßt) die Auffassung, das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 habe mit der Verkündung des Urteiles des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21. September 1993 - rückwirkend - die Eignung als Vollstreckungstitel verloren, vermöge demnach die Ruhensfolgen des § 52 Abs. 2 PG 1965 nicht mehr auszulösen.

Der Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG liege unter anderem vor, wenn der ursprüngliche Bescheid von Vorfragen abhängig gewesen sei und nachträglich über eine solche Vorfrage in wesentlichen Punkten anders entschieden werde. Die Frage der Verurteilung des Beschwerdeführers sei nun durch eine "hiefür zuständige Behörde" (im Original unter Anführungszeichen), nämlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in einem wesentlichen Punkt anders entschieden worden. Dieser habe festgestellt, daß im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof die Konventionsrechte des Beschwerdeführers nach Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK verletzt worden seien. Dies habe ex tunc zur Folge, daß dem Urteil des Obersten Gerichtshofes die Eigenschaft als "Vollstreckungstitel" (im Original unter Anführungszeichen) im weiteren Sinne verlorengegangen sei. Sei die Haft, die am Beschwerdeführer vollzogen werde, rechtswidrig, dann seien es umsomehr die Rechtsfolgen, die aus einer solchen Haft abgeleitet würden. Das pensionsrechtliche Verfahren, welches mit Bescheid vom 7. August 1986 abgeschlossen worden sei, sei von der Annahme ausgegangen, daß durch das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 der Anspruch auf Ruhegenuß nach § 11 lit. f PG 1965 erloschen sei. Ob die Voraussetzungen des § 11 lit. f PG vorlägen, habe die Pensionsbehörde erster Instanz somit als Vorfrage zu beurteilen. Damit ergebe sich auch diesbezüglich, daß dem Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 7. August 1986 abgeschlossenen Verfahrens zu bewilligen gewesen wäre.

Dem ist folgendes zu entgegnen: wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 14. März 1995, Zl. 94/20/0804 - das dem Beschwerdeführer bei Erhebung der gegenständlichen Beschwerde noch nicht zugestellt war - in einem Beschwerdeverfahren des Beschwerdeführers betreffend einen Antrag auf Überstellung in den Entlassungsvollzug (Beschwerde vom 7. November 1994 gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 28. Oktober 1994) unter anderem ausgeführt hat - auf dieses Erkenntnis kann gemäß § 43 Abs 2 VwGG verwiesen werden -, verschaffte die sich aus Art. 53 EMRK ergebende, völkerrechtliche Verpflichtung der Republik Österreich dem Beschwerdeführer nicht den - in jenem Beschwerdeverfahren behaupteten - Anspruch; vielmehr sei das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 und die darauf beruhende (Straf-)Vollzugsanordnung des Vollzugsgerichtes bislang im innerstaatlichen Rechtsbestand unberührt geblieben.

Überträgt man diese Erwägungen, von denen abzugehen kein Anlaß besteht, auf den vorliegenden Fall, ergibt sich daraus, daß der Beschwerdeführer seine Ausführungen auf rechtlich unzutreffenden Annahmen aufgebaut hat: da nämlich das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 samt der darauf beruhenden Vollzugsanordnung durch das genannte Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im innerstaatlichen Rechtsbestand unberührt blieb, liegen die Voraussetzungen des § 11 lit. f und des § 52 Abs. 2 PG 1965 (letztere wegen des Andauerns des Strafvollzuges) weiterhin vor, womit - schon deshalb - der behauptete Wiederaufnahmsgrund nicht vorliegt.

Da diese Überlegungen zeigen, daß die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde - schon deshalb - gemäß § 35 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung, und ohne daß dem Beschwerdeführer weitere Kosten entstünden, als unbegründet abzuweisen. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen und die weitere Argumentation der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden. Bei diesem Ergebnis ist auch nicht weiter auf den Umstand einzugehen, daß der Oberste Gerichtshof - wie der Verwaltungsgerichtshof erhoben hat - mit Beschluß vom 3. April 1995, 14 Ns 2/95-18, dem Antrag des Landegerichtes Korneuburg vom 29. Dezember 1994 auf nachträgliche Strafmilderung nach § 410 StPO nicht Folge gegeben und den Beschwerdeführer mit seinem Antrag auf Hemmung des Strafvollzuges auf diese Entscheidung verwiesen hat.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995120098.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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