Entscheidungsdatum
22.08.2024Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W127 2279692-1/7E
W127 2279691-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. FISCHER-SZILAGYI über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX und 2. XXXX geboren am XXXX , beide Staatsangehörigkeit Syrien, beide vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU-GmbH), gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 31.07.2023, Zlen. 1321849407/222693195 und 1321836006/222693255, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. FISCHER-SZILAGYI über die Beschwerden von 1. römisch 40 , geboren am römisch 40 und 2. römisch 40 geboren am römisch 40 , beide Staatsangehörigkeit Syrien, beide vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU-GmbH), gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 31.07.2023, Zlen. 1321849407/222693195 und 1321836006/222693255, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.römisch eins. Der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II. Der Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 und Abs. 5 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.römisch II. Der Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2 und Absatz 5, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der nunmehrige Erstbeschwerdeführer ist im August 2022 in die Republik Österreich eingereist und hat am 29.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Die Tochter des Erstbeschwerdeführers, die nunmehrige Zweitbeschwerdeführerin, ist zum selben Zeitpunkt gemeinsam mit dem Beschwerdeführer ins Bundesgebiet eingereist und stellte am selben Tag durch ihren gesetzlichen Vertreter (den Erstbeschwerdeführer) einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.08.2022 begründete der Erstbeschwerdeführer seine Antragstellung dahingehend, dass seine Familie vom syrischen Staat gesucht werde – konkret von der Abteilung 235 des Luftwaffengeheimdienstes. Sein Onkel sei ermordet worden und er könne nicht nach Syrien zurück, weil sein Leben in Gefahr sei.
Auch bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 17.11.2022 begründete der Erstbeschwerdeführer seine Asylantragstellung damit, dass seine ganze Familie vom Regime gesucht werde und alle inhaftiert werden würden. Zudem habe er schon 2006 den Militärdienst nicht ableisten wollen. Die zum Zeitpunkt der Einvernahme 10-jährige Zweitbeschwerdeführerin wurde selbst nicht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.
3. Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge des Erst- sowie der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Den beschwerdeführenden Parteien wurde jeweils gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).3. Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge des Erst- sowie der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, i.V.m Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) abgewiesen. Den beschwerdeführenden Parteien wurde jeweils gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, dass dieser vor seiner Ausreise im Jahr 2006 keiner individuellen Verfolgung durch das syrische Regime unterlegen ist und kein Grund zur Annahme bestehe, dass er in Syrien einer Verfolgung durch den syrischen Staat unterliegen würde.
Die Zweitbeschwerdeführerin habe persönlich keine eigenen Fluchtgründe und wäre niemals im Herkunftsstaat gewesen. Ihr Vater – der Erstbeschwerdeführer – habe für sie keine Rückkehrbefürchtungen vorgebracht, sich auf seine eigenen Rückkehrbefürchtungen berufen und ein Familienverfahren für sie beantragt. Auch amtswegig hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, die auf eine Verfolgungsgefahr hindeuten würden.
4. Gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wurden fristgerecht Beschwerden erhoben. Der Erstbeschwerdeführer führte begründend insbesondere aus, dass er während des Bürgerkrieges zwei Brüder bei Luftanschlägen verloren habe und ein Bruder vom syrischen Geheimdienst inhaftiert und getötet worden sei, weil er bei der Beisetzung von Leichen, die im Bürgerkrieg gefallen wären, geholfen habe. Seither werde die gesamte Familie des Erstbeschwerdeführers verfolgt, weshalb auch nur mehr ein Onkel des Erstbeschwerdeführers in Syrien verblieben sei. Bei einer Einziehung zum Militär müsse er sich zudem an schweren Menschrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder an anderen Handlungen, die der Satzung der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, beteiligen. Bei einer Weigerung müsse der Erstbeschwerdeführer mit einer Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung und folglich mit unverhältnismäßig hohen Strafen rechnen. Zudem würde dem Erstbeschwerdeführer aufgrund der Asylantragstellung im Ausland sowie der illegalen Ausreise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werden.4. Gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide wurden fristgerecht Beschwerden erhoben. Der Erstbeschwerdeführer führte begründend insbesondere aus, dass er während des Bürgerkrieges zwei Brüder bei Luftanschlägen verloren habe und ein Bruder vom syrischen Geheimdienst inhaftiert und getötet worden sei, weil er bei der Beisetzung von Leichen, die im Bürgerkrieg gefallen wären, geholfen habe. Seither werde die gesamte Familie des Erstbeschwerdeführers verfolgt, weshalb auch nur mehr ein Onkel des Erstbeschwerdeführers in Syrien verblieben sei. Bei einer Einziehung zum Militär müsse er sich zudem an schweren Menschrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder an anderen Handlungen, die der Satzung der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, beteiligen. Bei einer Weigerung müsse der Erstbeschwerdeführer mit einer Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung und folglich mit unverhältnismäßig hohen Strafen rechnen. Zudem würde dem Erstbeschwerdeführer aufgrund der Asylantragstellung im Ausland sowie der illegalen Ausreise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werden.
5. Die Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten langten am 16.10.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
6. Am 01.07.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht im Beisein einer Vertreterin der beschwerdeführenden Parteien und eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Der Erstbeschwerdeführer wurde insbesondere zu seinen Fluchtgründen und seinen Lebensumständen in Syrien befragt. Im Rahmen der Verhandlung erstattete der Erstbeschwerdeführer eine Stellungnahme und legte einen Screenshot vor zum Beweis, dass er in seinem Heimatland von der syrischen Regierung gesucht werden und deswegen als Verräter gelte. Überdies wurden aktuelle Länderberichte zu Syrien ins Verfahren eingebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweise wurden erhoben durch Einsicht in die vorliegenden Verwaltungsakten und in die Gerichtsakten, durch Befragung des Erstbeschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die vorgelegten Dokumente sowie insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformation der Staatendokumentation: Syrien, Version 11, 27.03.2024; EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024; EUAA, Country of Origin Information – Syria: Targeting of Individuals, September 2022; EUAA, Country of Origin Information – Syria: Country Focus, Oktober 2023; Ministerie van Buitenlandse Zaken, Allgemeiner Herkunftsland-Informationsbericht zu Syrien, August 2023; Danish Immigration Service, Syria – Militäry Service, Jänner 2024; Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 29.03.2023; UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021.
1. Feststellungen:
1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige von Syrien, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennen sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.
Der Erstbeschwerdeführer ist am XXXX in Damaskus geboren und lebte dort bis 2006. Danach hielt er sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf und reiste im Jahr 2009 für einen kurzen Aufenthalt nach Syrien zurück. Bis zu seiner Reise nach Österreich im Jahr 2022 hielt sich der Erstbeschwerdeführer zusammen mit der Zweitbeschwerdeführerin im Sudan und im Irak auf. Der Erstbeschwerdeführer ist am römisch 40 in Damaskus geboren und lebte dort bis 2006. Danach hielt er sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf und reiste im Jahr 2009 für einen kurzen Aufenthalt nach Syrien zurück. Bis zu seiner Reise nach Österreich im Jahr 2022 hielt sich der Erstbeschwerdeführer zusammen mit der Zweitbeschwerdeführerin im Sudan und im Irak auf.
Der Erstbeschwerdeführer hat die Grundschule absolviert, anschließend schloss er ein Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Damaskus ab und bestritt seinen Lebensunterhalt danach unter anderem als Callcenter-Agent, Vorarbeiter und Ölfeldmitarbeiter. Der Erstbeschwerdeführer absolvierte auch weitere Aus- und Fortbildungen.
Die Zweitbeschwerdeführerin ist am XXXX in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten geboren und hat sich bis zu ihrer Reise nach Österreich jeweils bei ihrem Vater (dem Erstbeschwerdeführer) aufgehalten.Die Zweitbeschwerdeführerin ist am römisch 40 in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten geboren und hat sich bis zu ihrer Reise nach Österreich jeweils bei ihrem Vater (dem Erstbeschwerdeführer) aufgehalten.
Der Erstbeschwerdeführer ist geschieden und hat ein Kind. Die Zweitbeschwerdeführerin ist die Tochter des Erstbeschwerdeführers. Die übrigen Angehörigen der Kernfamilie der beiden Beschwerdeführer leben in Großbritannien, Norwegen und Rumänien.
1.2. Die beschwerdeführenden Parteien sind unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich eingereist und haben am 29.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Beide sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.3. Die Herkunftsregion des Erstbeschwerdeführers, die Stadt Damaskus, steht unter der Kontrolle des syrischen Regimes.
1.4. Der Erstbeschwerdeführer hat seinen Wehrdienst für das syrische Regime bislang nicht abgeleistet. Er erhielt keinen Aufschub für den Wehrdienst und konnte sich diesem durch einen langjährigen Aufenthalt im Ausland dauerhaft entziehen. Er wird für die Ableistung des Wehrdienstes vom syrischen Regime gesucht und es besteht für ihn die reale Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime. Ein damit einhergehendes Risiko von Strafen erheblicher Intensität kann nicht ausgeschlossen werden.
Der Erstbeschwerdeführer verweigert den Reservedienst, weil er insbesondere mit den Mitteln und Methoden der Kriegsführung der Regierungstruppen nicht einverstanden ist.
1.5. Ein Bruder des Erstbeschwerdeführers verstarb bei einem Luftschlag im syrischen Bürgerkrieg. Ein weiterer Bruder wurde vom syrischen Regime für seine Tätigkeiten während des Konflikts inhaftiert und getötet. Die Kernfamilie wird deshalb vom syrischen Geheimdienst gesucht und gilt als oppositionell.
1.6. Die beschwerdeführenden Parteien können nur nach Kontrolle durch das syrische Regime in die Heimatregion des Erstbeschwerdeführers zurückkehren und es besteht die reale Gefahr, dass der Erstbeschwerdeführer nach seiner Rückkehr zum Militärdienst in der syrischen Armee eingezogen und/oder aufgrund seiner Verweigerung des Militärdienstes bestraft wird.
1.7. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
1.7.1. Verpflichtender Wehr- bzw. Reservedienst für das syrische Regime
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert. Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen.Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4 Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert. Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen.
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein.
Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen.
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen, wobei zuletzt von einer „Verkürzung“ des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden.
Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden. Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert, wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt.
Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte, berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt. Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als „Kanonenfutter“ im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren.
Reservedienst
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z. B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden berufen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. V.a. weil die SAA derzeit nicht mehr so viele Männer braucht, werden über 42-Jährige derzeit eher selten einberufen. Das syrische Regime verlässt sich vor allem auf Milizen, in deren Dienste sich 42-Jährige einschreiben lassen können. Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z. B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden berufen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. römisch fünf.a. weil die SAA derzeit nicht mehr so viele Männer braucht, werden über 42-Jährige derzeit eher selten einberufen. Das syrische Regime verlässt sich vor allem auf Milizen, in deren Dienste sich 42-Jährige einschreiben lassen können.
Befreiung, Aufschub und Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs
Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche manche Regierungsangestellte und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen. Auch für Wehrpflichtige, die ins Ausland reisen möchten, ist ein Aufschub von bis zu 6 Monaten möglich und wird von Oppositionsangehörigen genützt, nachdem sie im Rahmen von Versöhnungsabkommen ihren „Status geregelt“ haben. Das Risiko der Willkür ist immer gegeben. Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden.
Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr („badal an-naqdi“) zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 USD zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden, wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen. Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 31 die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthalts auf ein Jahr reduziert und die Gebühr erhöht. Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises. Die Syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom Danish Immigration Service befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein.
Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum Erreichen des wehrpflichtigen Alters dauerhaft und ununterbrochen im Ausland lebten, gilt eine Befreiungsgebühr von 3.000 USD. Wehrpflichtige, die im Ausland geboren wurden und dort mindestens zehn Jahre vor dem Einberufungsalter gelebt haben, müssen einen Betrag von 6.500 USD entrichten. Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, können Quellen zufolge durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden. Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor durch einen individuellen „Versöhnungsprozess“ bereinigen.
Ein Freikauf vom Reservedienst ist gemäß Quellen des niederländischen Außenministeriums nicht möglich, wobei mit Stand August 2023 aufgrund der aktuellen geringen Intensität der Kampfhandlungen es nur selten zur Einberufung von Reservisten gekommen ist. Das Italian Institute for International Political Studies (ISPI) hingegen schreibt hingegen, dass seit der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 auch Reservisten sich durch eine Gebühr von 5.000 USD nach einem Auslandsaufenthalt von mindesten einem Jahr freikaufen können. Am 01.12.2023 trat das neue Gesetzesdekret Nr. 37 in Kraft, wonach sich Rekruten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht in den Reservedienst eingetreten sind, sich von ebendiesem freikaufen können durch eine Zahlung von 4.800 USD. Für jeden Monat, in dem derjenige den Reservedienst bereits geleistet hat, werden 200 USD abgezogen.
Wehrdienstverweigerung
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt.
Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen.
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Artikel 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht.
Nach dem Wehrpflichtgesetz ist es syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter möglich, sich durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freizukaufen, sofern sie mindestens ein Jahr ohne Wiedereinreise nach Syrien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten. Auch Wehrdienstpflichtige, die das Land illegal verlassen haben, können sich durch eine solche Zahlung von der Wehrpflicht freikaufen. Die syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Quellen des Danish Immigration Service berichten von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen.
Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt, und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen. Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren. Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder „verschwindengelassen“ werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab. Wehrdienstverweigerer aus den Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, werden dabei mit größerem Misstrauen betrachtet und mit größerer Wahrscheinlichkeit inhaftiert oder verhaftet.
1.7.2. Syrische Streitkräfte
Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe, den Luftabwehrkräften und den National Defense Forces (NDF, regierungstreue Milizen und Hilfstruppen). Die syrische Armee war der zentrale Faktor für das Überleben des Regimes während des Bürgerkriegs. Im Laufe des Krieges hat ihre Kampffähigkeit jedoch deutlich abgenommen und mit Stand September 2022 war die syrische Armee in jeglicher Hinsicht grundsätzlich auf die Unterstützung Russlands, Irans bzw. sympathisierender, vornehmlich schiitischer Milizen angewiesen – d.h. ein eigenständiges Handeln, Durchführung von Militäroperationen usw. durch Syrien sind nicht oder nur in äußerst eingeschränktem Rahmen möglich.
Das syrische Regime und damit auch die militärische Führung unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“. Nach Experteneinschätzung trägt jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe dient, per defintionem zu Kriegsverbrechen bei, denn das Regime hat in keiner Weise gezeigt, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achtet. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Person in eine Einheit eingezogen wird, auch wenn sie das nicht will, und somit in einen Krieg, in dem die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern nicht wirklich ernst genommen wird. Soldaten können in Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein, weil das Militär in Syrien auf persönlichen Vertrauensbeziehungen, manchmal auch auf familiären Netzwerken innerhalb des Militärs beruht. Diejenigen, die Verbrechen begehen, handeln innerhalb eines vertrauten Netzwerks von Soldaten, Offizieren, Personen mit Verträgen mit der Armee und Zivilisten, die mit ihnen als nationale Verteidigungskräfte oder lokale Gruppen zusammenarbeiten.
1.7.3. Situation bei einer Rückkehr nach Syrien
Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen.
Rückkehrende werden vom Regime häufig als „VerräterInnen“ deklariert bzw. insgeheim als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen angesehen. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (regime-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiärer Verbindung zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z.B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig.
Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.). Die Herkunftsregion spielt eine große Rolle für die Behörden bei der Behandlung von Rückkehrern, genauso wie die Frage, was die Person in den letzten Jahren gemacht hat. SyrerInnen aus Homs, Deir ez-Zor oder Ost-Syrien werden dabei eher verdächtigt als Personen aus traditionell regierungstreuen Gebieten. Besonders Gebiete, die ehemals unter Kontrolle oppositioneller Kräfte standen (West-Ghouta, Homs, etc.), stehen seit der Rückeroberung durch das Regime unter massiver Überwachung und der syrische Staat kontrolliert genau, wer dorthin zurückkehren darf.
Gefährdungslage
Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt gemäß deutschem Auswärtigem Amt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person des Erst- sowie der Zweitbeschwerdeführerin, zu deren Herkunft, ihren Familienangehörigen und zu ihrer Ausreise aus Syrien (1.1.) beruhen auf den diesbezüglich gleichbleibenden Angaben des Erstbeschwerdeführers im Laufe des Asylverfahren sowie auf den vorgelegten Dokumenten.
2.2. Die Einreise der beschwerdeführenden Parteien und ihre Antragstellung in Österreich (1.2.) gehen aus dem Inhalt der Verwaltungsakten und den Angaben des Erstbeschwerdeführers hervor. Die Feststellungen zur Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Parteien gründen jeweils auf aktuellen Abfragen des Strafregisters der Republik Österreich.
2.3. Die Feststellungen zur aktuellen Kontrolle der Herkunftsregion sowie des letzten Wohnortes des Erstbeschwerdeführers (1.3.) gründen auf der Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien aus dem COI-CMS vom 27.03.2024 sowie insbesondere der Kontrollgebietskarte des Carter-Centers: Exploring Historical Control in Syria (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html) und der Live Universal Awareness Map („Liveuamap“) Syria (https://syria.liveuamap.com/).
2.4. Die Feststellungen zum nicht abgeleisteten Wehrdienst betreffend den Erstbeschwerdeführer (1.4.) ergeben sich aus dessen gleichbleibenden und nachvollziehbaren Angaben und Aussagen, die im Einklang mit den Feststellungen zur Situation in Syrien stehen. Der Erstbeschwerdeführer konnte auch bereits in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl glaubhaft darlegen, dass sein Militärdienstbuch sowie ein Einrückungsbefehl in Syrien verloren gingen und er diese Dokumente deshalb im Verfahren nicht vorlegen konnte. Seine Abneigung gegenüber dem Militärdienst legte er in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt dar und begründete diese damit, keine Waffen zu mögen. Er wäre zwar grundsätzlich bereit gewesen für sein Land zu kämpfen, wenn es einen „echten Gegner“ gegeben hätte, in einem Bürgerkrieg wolle er jedoch nicht kämpfen. Zudem würde man als Sunnit von den herrschenden Alewiten im Militärdienst nicht gut behandelt.
Diese Angaben decken sich weitestgehend mit einschlägigen Länderberichten – insbesondere jener der EUAA Country Guidance –, wonach der Großteil der hochrangigen Offiziere in der syrischen Armee und des Sicherheitsapparats Angehörige der Alewiten sind. Sunnitische Soldaten mussten verschiedener Quellen zufolge längere Zeit an der Front dienen, wurden schlecht bezahlt und ausgestattet. Daraus resultierten hohe Zahlen an Gefallenen während der intensiven Phasen des syrischen Bürgerkriegs.
Die reale Gefahr einer Zwangsrekrutierung des Erstbeschwerdeführers durch das syrische Regime und ein damit einhergehendes reales Risiko von Strafen erheblicher Intensität, wie insbesondere willkürliche Inhaftierung, Verhöre unter Anwendung von Folter oder sogar die Hinrichtung, gehen vor dem Hintergrund der Verweigerung des Militärdienstes seitens des Erstbeschwerdeführers unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände aus den Länderfeststellungen hervor.
Der zum Entscheidungszeitpunkt 38-jährige Erstbeschwerdeführer hat die Altersgrenze für den Militärdienst von 42 Jahren noch nicht erreicht. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass syrische Behörden vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren einziehen, gegenständlich ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Erstbeschwerdeführer bereits vor Aufflammen des syrischen Bürgerkriegs zum Militärdienst einberufen wurde, dieser Aufforderung nicht Folge leistete und deswegen von syrischen Behörden gesucht wird.
2.5. Jene Feststellungen wonach der Erstbeschwerdeführer sowie dessen Kernfamilie vom syrischen Regime gesucht werden (1.5.), gründen auf folgenden Erwägungen:
Der Erstbeschwerdeführer erwähnte bereits bei seiner Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.08.2022, dass konkret seine Familie vom syrischen Staat gesucht werde. Er könne nicht nach Syrien zurück, weil sein Leben in Gefahr sei. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt konkretisierte er seine Angst weiter und äußerte, er habe im Juli 2012 einen jüngeren Bruder durch einen Luftschlag verloren und ein weiterer Bruder sei in Haft vom syrischen Regime ermordet worden, weil er bei der Beisetzung von Leichen geholfen habe. Sein Bruder sei inhaftiert worden, weil jemand einen Bericht über ihn verfasst habe.
Die einschlägigen UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, weisen darauf hin, dass die tatsächliche oder vermeintliche regierungskritische Haltung einer Person häufig auch Menschen in ihrem Umfeld zugeschrieben werden, einschließlich Familienmitgliedern. Für Familienangehörige bestehe die Gefahr, dass sie zwecks Vergeltung und/oder mit dem Ziel, tatsächliche oder vermeintliche Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen, bedroht, schikaniert, willkürlich verhaftet, gefoltert, zwangsverschleppt und zum Verschwinden gebracht werden. Durch die Familiengeschichte des Erstbeschwerdeführers kann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dieser vom syrischen Regime als ein Familienangehöriger einer regierungskritischen Person wahrgenommen wird und somit Vergeltung an ihm bzw. seiner Tochter, der Zweitbeschwerdeführerin, geübt wird.
Gleichbleibend konsistent äußerte sich der Erstbeschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und verwies auf einen Screenshot der Homepage der „Zaman Alwsl“, einer laut eigenen Angaben unabhängige arabischen Zeitung (siehe dazu https://en.zamanalwsl.net/, abgerufen am 07.08.2024). In der abgerufenen Datenbank werden der Name und das Geburtsjahr des Erstbeschwerdeführers angeführt und geht aus dem Eintrag hervor, dass der Erstbeschwerdeführer von einer Militärabteilung wegen des Verbrechens des Nicht-Antretens des Militärdienstes gesucht wird. Der Erstbeschwerdeführer machte weitere Angaben zum Eintrag und äußerte glaubhaft, dass es sich um „durchgesickerte Listen“ (sogenannte „Leaks“) der Leute handeln würden, die wegen eines Sicherheitsverbrechens gesucht werden, in seinem Fall wegen des Nicht-Antretens des Militärdienstes.
Die Angaben des Erstbeschwerdeführers decken sich auch hier mit den einschlägigen Länderberichten, so sprach der Erstbeschwerdeführer wiederholt davon, die (Militär)-Abteilung 235 verfolge ihn und seine Familie. Über diese Abteilung gibt es zahlreiche Bericht im Zusammenhang mit Todesfällen, Hinrichtungen ohne fairen Prozessen, Folter oder andere Formen der Misshandlung in Gefängnissen in der Umgebung vom Damaskus. Auch bezog sich der Beschwerdeführer auf den sogenannten „Caesar-Report“, einen 2014 verfassten Bericht über Gefangene in syrischen Geheimdienstgefängnissen, welcher zu schwerwiegenden Sanktionen der Vereinigten Staaten gegenüber dem Machthaber Syriens Baschar al-Asad führte.
Insgesamt war sohin von einem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers auszugehen, zumal auch keine Wiedersprüche oder sonstigen Umstände hinzutraten, die Zweifel an der vorgebrachten Fluchtgeschichte aufkommen ließen.
Jene Feststellungen, die sich auf die Rückkehr des Erstbeschwerdeführers nach Syrien und einer realen Gefahr einer Einziehung zum Militärdienst der syrischen Armee beziehen (1.6.) ergeben sich aus folgenden Erwägungen:
Ausgehend von den Länderfeststellungen ist festzustellen, dass der Erstbeschwerdeführer bei einer Rückkehr im Zuge einer Kontrolle am Grenzübergang oder bei einem Checkpoint in einem von der Regierung kontrollierten Gebiet als Militärdienstpflichtiger, der sich dem Militärdienst entzogen hat, erkannt würde. Bei der zu erwartenden Überprüfung würde der Erstbeschwerdeführer insbesondere auch durch die aufrechte Suche nach seiner Person in den Fokus der syrischen Behörden geraten und in weiterer Folge unter Einsatz von Zwang zum Militärdienst rekrutiert sowie für seine Verweigerung des Militärdienstes bestraft werden. Zusätzlich treten hier die (vom syrischen Regime wahrgenommenen) oppositionellen Aktivitäten des Bruders des Erstbeschwerdeführers hinzu, welcher in Haft eben von dieser ermordet wurde.
2.6. Die Feststellungen zur gegenständlich relevanten Lage in Syrien (1.7.) beruhen auf den im Rahmen der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere der Länderinformation der Staatendokumentation aus dem COI-CMS betreffend Syrien (Version 11) mit Stand 27.03.2024 (vgl. insbesondere die Abschnitte „Sicherheitslage“, „Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen“/„Streitkräfte“, „Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen“, „Bewegungsfreiheit“, und „Rückkehr“) – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Syrien gewährleistet. Ergänzend wurden insbesondere der EUAA-Bericht Country Guidance: Syria vom April 2024 und die Länderberichte des niederländischen Ministerie van Buitenlandse Zaken, Allgemeiner Herkunftsland-Informationsbericht zu Syrien, August 2023 sowie des Danish Immigration Service (DIS), Syria – Militäry Service, Jänner 2024, herangezogen. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Syrien allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, die eine andere Entscheidung erwarten ließe, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in die wöchentlichen „Briefing Notes“ des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie in tagesaktuelle Medienberichte) versichert hat.2.6. Die Feststellungen zur gegenständlich relevanten Lage in Syrien (1.7.) beruhen auf den im Rahmen der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere der Länderinformation der Staatendokumentation aus dem COI-CMS betreffend Syrien (Version 11) mit Stand 27.03.2024 vergleiche insbesondere die Abschnitte „Sicherheitslage“, „Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen“/„Streitkräfte“, „Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen“, „Bewegungsfreiheit“, und „Rückkehr“) – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Syrien gewährleistet. Ergänzend wurden insbesondere der EUAA-Bericht Country Guidance: Syria vom April 2024 und die Länderberichte des niederländischen Ministerie van Buitenlandse Zaken, Allgemeiner Herkunftsland-Informationsbericht zu Syrien, August 2023 sowie des Danish Immigration Service (DIS), Syria – Militäry Service, Jänner 2024, herangezogen. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Syrien allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, die eine andere Entscheidung erwarten ließe, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in die wöchentlichen „Briefing Notes“ des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie in tagesaktuelle Medienberichte) versichert hat.
Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Syrien zugrunde gelegt wer