TE Vfgh Beschluss 1993/3/13 KI-6/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.03.1993
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde mangels Identität der Sache

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Bundeskanzler die Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes iS des Art138 Abs1 lita B-VG und des §42 Abs1 VerfGG zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde.

2. Aus den vorgelegten Gerichts- und Verwaltungsakten ergibt sich, daß dem Antrag folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

a) Hofrat iR Univ.-Doz. DDr. F P (im folgenden: beteiligte Partei) steht seit 1. Jänner 1962 in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seit 1. Jänner 1988 befindet er sich im Ruhestand. Er war vom 1. Jänner 1964 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand Leiter der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung in Wien. Vom 8. November 1983 bis 30. November 1987 war er bei vollen Bezügen vom Dienst suspendiert.

b) Mit Bescheid des Bundeskanzlers vom 19. September 1988, Zl. 3504/4-I/2/88, wurde der Antrag der beteiligten Partei auf Auszahlung der während des Zeitraumes ihrer Suspendierung "aufgelaufenen Taxanteile" unter Berufung auf §1 des Gehaltsgesetzes 1956 (im folgenden: GG 1956) abgewiesen, und zwar im wesentlichen mit der Begründung, daß es sich bei diesen "Taxanteilen" um (behauptete) Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis handle, die weder im GG 1956 noch sonst eine Rechtsgrundlage hätten und die jedenfalls für den Zeitraum der Suspendierung nicht gebührten.

c) Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid gerichteten, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde gemäß Art144 Abs2 B-VG mit Beschluß vom 11. Juni 1990, B1836/88, abgelehnt.

d) Die beim Verwaltungsgerichtshof erhobene (Parallel-)Beschwerde wurde von diesem mit Erkenntnis vom 23. April 1990, Zl. 88/12/0212, als unbegründet abgewiesen. Gleich der belangten Behörde vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, daß sich aus keiner Bestimmung des GG 1956, im besonderen auch nicht aus ArtXII der 47. Gehaltsgesetz-Novelle, BGBl. 288/1988, ein Anspruch auf "Taxanteile" (iS von Geldleistungen an Bedienstete in Form einer Beteiligung an bestimmten Einnahmen des Bundes) ableiten lasse. Der Verwaltungsgerichtshof legte des weiteren ausführlich dar, daß der vermeintliche Rechtsanspruch auf "Taxanteile" auch weder im Lebensmittelgesetz 1975 noch in der Verordnung vom 13. Oktober 1897, RGBl. 240, betreffend die Bestellung staatlicher Untersuchungsanstalten für Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände, noch in der (infolge materieller Derogation außer Kraft getretenen) Dienstinstruktion für die "k.k. Lebensmitteluntersuchungsanstalten" des Ministeriums des Inneren vom 22. Juni 1908 eine rechtliche Grundlage habe. Die Neuregelung der "Taxanteile" durch den Erlaß des Bundesministers für Soziale Verwaltung vom 8. Juli 1959, Zl. V-67.769-L/59, stelle, wie der Verwaltungsgerichtshof in der Begründung des in Rede stehenden Erkenntnisses unter Hinweis auf Vorjudikatur darlegte, da dieser - nicht gehörig kundgemachte - Erlaß sich nur an nachgeordnete Dienststellen richte, keine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren maßgebliche Rechtsquelle dar, aus der ein vor dem Verwaltungsgerichtshof verfolgbares Recht abgeleitet werden könne.

Abschließend führte der Verwaltungsgerichtshof aus:

"An dem Ergebnis, daß dem Beschwerdeführer als öffentlich-rechtlich Bedienstetem mangels entsprechender rechtlicher Deckung genereller bzw. individueller Art ... kein Anspruch auf die von ihm geforderten Taxanteile zusteht, kann auch der in der Beschwerde noch enthaltene Hinweis auf allfällige Ansprüche der privatrechtlich Bediensteten der genannten Anstalt auf Taxanteile im Hinblick auf den anderen Rechtscharakter des Dienstverhältnisses dieser Bediensteten nichts ändern."

e) Die beteiligte Partei hatte den von ihr behaupteten Anspruch auf Auszahlung von "Taxanteilen" auch im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht: Mit Schriftsatz vom 22. Juni 1988 brachte sie beim Arbeits- und Sozialgericht Wien eine Klage gegen die Republik Österreich (gemeint: den Bund) ein, mit der sie die Fällung des Urteils begehrte, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger einen ziffernmäßig bestimmten Betrag samt näher verzeichneten Zinsen und Kosten binnen 14 Tagen zu bezahlen. Zur Begründung seines Begehrens brachte der Kläger der Sache nach vor, daß der von ihm behauptete Anspruch auf Auszahlung von Taxanteilen unabhängig vom Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses zwischen ihm und der beklagten Partei auf einer zwischen den Streitparteien zustande gekommenen privatrechtlichen Vereinbarung beruhte.

f) Das Arbeits- und Sozialgericht Wien erkannte mit Urteil vom 12. Juni 1991, 21 Cga 1034/90/23, zu Recht, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger den begehrten Betrag samt näher bezeichneten Zinsen und ziffernmäßig bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu Handen des Klagsvertreters zu bezahlen. Das Gericht vertrat im Ergebnis die Auffassung, daß es sich bei den in Rede stehenden "Taxanteilen" um ein nach den Vorschriften des Privatrechtes zu beurteilendes Entgelt handle, auf das der Kläger - wie das Gericht mit näherer Begründung darlegte - einen auf einem konkludent zustande gekommenen Vertrag beruhenden (im ordentlichen Rechtsweg durchsetzbaren) Rechtsanspruch habe.

Gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien hat die beklagte Partei Berufung erhoben, mit der ua. der Sache nach die Unzulässigkeit des Rechtsweges geltend gemacht wurde.

3. Der antragstellende Bundeskanzler vertritt die Auffassung, es habe in derselben Sache sowohl das Gericht als auch die Verwaltungsbehörde entschieden, weshalb ein bejahender Kompetenzkonflik vorliege. Er stellt den auf Art138 Abs1 lita B-VG und auf §42 Abs2 VerfGG gestützten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, daß die Zivilgerichte zur Entscheidung in dieser Sache nicht zuständig seien und die dem Erkenntnis entgegenstehenden behördlichen Akte aufheben.

4. Der Bundeskanzler und das Arbeits- und Sozialgericht Wien legten die einschlägigen Akten vor.

Das Arbeits- und Sozialgericht Wien erstattete eine Äußerung, in der es die in seinem Urteil vertretene Rechtsauffassung bekräftigt, die Rechtzeitigkeit der Antragstellung bestreitet, im Ergebnis die Identität der Sache in der Bedeutung des Art138 Abs1 lita B-VG und des §42 Abs1 VerfGG verneint und den Ersatz ziffernmäßig verzeichneter Kosten begehrt.

Die beteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie mit näherer Begründung das Vorliegen eines bejahenden Kompetenzkonfliktes verneinte und die kostenpflichtige Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung des Antrages begehrte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Gemäß Art138 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Nach dieser Verfassungsbestimmung iVm §42 Abs1 VerfGG liegt ein (bejahender) Kompetenzkonflikt dann vor, wenn ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde die Entscheidung "derselben Sache" in Anspruch genommen oder in der Sache selbst entschieden haben.

Ein bejahender Kompetenzkonflikt zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde, zu dessen Entscheidung gemäß Art138 Abs1 lita B-VG der Verfassungsgerichtshof berufen ist, kann iS des §42 Abs1 VerfGG nur dann entstehen, wenn beide Behörden, also Gericht und Verwaltungsbehörde, die Entscheidung derselben Sache aufgrund derselben Rechtsnorm (tatsächlich) in Anspruch nehmen, aber nur eine dieser Behörden zuständig ist. Für die Identität der Sache ist nicht der meritorische Inhalt der zu gewärtigenden oder ergangenen Entscheidung maßgebend, sondern nur die formalrechtliche Frage der Zuständigkeit: Ein bejahender Kompetenzkonflikt kann infolge dessen nur gegeben sein, wenn eine der beiden angerufenen Stellen zu Unrecht ihre Zuständigkeit (in derselben Sache) in Anspruch nimmt (VfSlg. 1341/1930, 1351/1930, 1720/1948, 2956/1956, 9415/1982, 11925/1988, 12018/1989).

2. Im vorliegenden Fall hatte der Bundeskanzler, wie sowohl der Wortlaut des an ihn gerichteten Parteiantrages als auch dessen Begründung zweifelsfrei erkennen lassen, über einen behauptetermaßen in Vorschriften des öffentlichen Rechtes wurzelnden Anspruch auf eine Geldleistung in bestimmter (unbestrittener) Höhe zu entscheiden.

Demgegenüber hatte das Arbeits- und Sozialgericht Wien über einen mit Klage geltend gemachten Anspruch auf eine Geldleistung (in unbestrittener Höhe) abzusprechen, der nach dem Wortlaut des Begehrens und dem behaupteten Sachverhalt auf einen (konkludent zustandegekommenen) nach den Vorschriften des Privatrechtes zu beurteilenden Vertrag gestützt wurde.

Allein schon der Umstand, daß jede der angerufenen Stellen die ihr vorliegende Rechtssache jeweils nach anderen Rechtsnormen zu beurteilen hatte, schließt - unabhängig vom meritorischen Inhalt der (vom Verfassungsgerichtshof nicht auf ihre Richtigkeit zu prüfenden) Entscheidung - die (behauptete) Identität des Streitgegenstandes aus. Daraus folgt, daß ein bejahender Kompetenzkonflikt nicht vorliegt (vgl. VfSlg. 1720/1948, 9415/1982, 11925/1988, 12018/1989).

Der Antrag war daher schon deshalb zurückzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die vom Arbeits- und Sozialgericht Wien und die von der beteiligten Partei begehrten Kosten waren nicht zuzusprechen.

Gemäß §27 erster Satz VerfGG findet der Ersatz der Kosten des Verfahrens nur statt, wenn er in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. In Verfahren zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten iS des Art138 Abs1 B-VG ist ein Ersatz von Kosten nur im Fall eines iS der §§46, 48 und 50 VerfGG durch die Partei anhängig gemachten Kompetenzkonfliktes vorgesehen (§52 VerfGG; s. dazu VfSlg. 11925/1988).

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:KI6.1991

Dokumentnummer

JFT_10069687_91K00I06_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten