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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art140;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Robl und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. Juli 1993, Zl. SD 273/92, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 20. Juli 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
In der Begründung ihres Bescheides nahm die belangte Behörde als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 11. Mai 1992 wegen der Verbrechen des schweren Raubes und des Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren) rechtskräftig verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe als Mitglied einer Jugendbande ("Italia-Mafia") u.a. eine große Zahl von Raubüberfällen mit Waffen, bei denen als Opfer alte Frauen und Kinder ausgesucht worden seien, begangen. Es könne keinem Zweifel unterliegen, daß angesichts dieses Verhaltens des Beschwerdeführers - die deswegen erfolgte Verurteilung erfülle den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG und stelle eine bestimmte Tatsache dar, welche die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertige - die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - auch wenn damit ein schwerer Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei (Aufenthalt in Österreich seit dem Jahr 1979, Zusammenleben mit seiner Familie) -, da zum Schutz der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten, zulässig sei (§ 19 FrG). Aufgrund der Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten wögen die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen schwerer als die im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes und die damit bewirkte Integration des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen beträchtlichen Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine und seiner Familie Lebenssituation (§ 20 Abs. 1 FrG).
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser trat die Beschwerde - nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluß vom 28. Februar 1994, B 1613/93-16) - mit Beschluß vom 19. Mai 1994, B 1613/93-18, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde bleibt die auf der maßgeblichen Sachverhaltsfeststellung der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der Verbrechen des schweren Raubes und des Einbruchsdiebstahls zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren - die Beschwerdebehauptung, daß die Verurteilung im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig gewesen sei, steht mit der Aktenlage nicht in Einklang - beruhende Beurteilung durch die belangte Behörde, daß im Beschwerdefall der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht und die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, unbekämpft. Auch der Gerichtshof hegt gegen diese, auf eine unbedenkliche Sachverhaltsannahme gestützte Subsumtion keine Bedenken.
2.1. Die Beschwerde wirft der belangten Behörde eine unrichtige Anwendung der §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG vor. Die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich und das Ausmaß seiner Integration sowie die Intensität seiner familiären Bindungen seien von solcher Art, daß bei Abwägung der Interessen i.S. der §§ 19 und 20 leg. cit. die Interessen des Beschwerdeführers eindeutig schwerer wögen. Die belangte Behörde habe gewußt, daß der Beschwerdeführer mit seiner gesamten Familie in Österreich lebe, in der Türkei keinerlei Verwandte oder Bekannte mehr habe, keinen kulturellen Kontakt mehr zu seinem Heimatland habe und seine gesamte Schulbildung in Österreich erhalten habe. Die belangte Behörde sei nicht davon ausgegangen, daß es sich beim Beschwerdeführer um ein "besonders markantes Mitglied einer Jugendbande handle", vielmehr habe sie "5 Sündenböcke" (darunter den Beschwerdeführer) ausgewählt, "an denen das exekutiert werden mußte, was der zuständige Sektionsleiter des Innenministeriums für den sinnvollen Umgang mit Jugendkriminalität hält".
Darüber hinaus hätte die belangte Behörde zu beachten gehabt, daß der Beschwerdeführer (trotz seiner Verurteilung) einen Ausbildungsplatz als Lehrling gefunden habe. Denn das berufliche Fortkommen gehöre "zweifelsfrei in den Schutzbereich des Rechtes auf Privatleben". Auch wenn § 20 Abs. 1 FrG, anders als früher § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz, nicht ausdrücklich anordne, daß im Rahmen der Rechtsgüterabwägung auf eine mögliche Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens des Fremden Bedacht zu nehmen sei, müsse darauf auch im Geltungsbereich des Fremdengesetzes Rücksicht genommen werden, andernfalls § 20 Abs. 1 FrG "mit Verfassungswidrigkeit behaftet" wäre.
2.2. Mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerde nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.
Was die von der belangten Behörde bejahte Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG anlangt, so vertritt auch der Gerichtshof die Auffassung, daß selbst unter Zugrundelegung des von der belangten Behörde - zutreffend - als "schwer" gewerteten Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch die Verhängung des Aufenthaltsverbotes diese Maßnahme aufgrund der Schwere und der (nach Ausweis der Akten) Vielzahl der der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zugrunde liegenden Straftaten, die von einer krassen Mißachtung des Lebens bzw. der körperlichen Integrität sowie des Eigentums anderer zeugen, zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen, insbesondere zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, dringend geboten ist. Die belangte Behörde durfte umso mehr von einer solchen Notwendigkeit ausgehen, als sich zufolge der unbedenklichen Begründung des angefochtenen Bescheides (iVm jener des erstinstanzlichen Bescheides) die vom Beschwerdeführer als Mitglied einer Jugendbande begangenen strafbaren Handlungen vornehmlich gegen alte Frauen und Kinder richteten und "teilweise in besonders brutaler Weise durchgeführt (wurden)", somit hinsichtlich der Opfer und der Art der Begehung als besonders verwerflich zu kennzeichnen sind. Ob der Beschwerdeführer bei Begehung seiner strafbaren Handlungen als "besonders markantes Mitglied einer Jugendbande" agiert hat, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der nach § 19 FrG vorgenommenen Beurteilung ohne wesentliche Bedeutung; Gleiches gilt für das (aktenkundige) Vorliegen einer Weisung der Oberbehörde. Rechtlich relevant ist insoweit allein, ob die von der belangten Behörde als gegeben erachtete Notwendigkeit des Aufenthaltsverbotes eine durch das Gesetz gedeckte Beurteilung darstellt. Dies aber ist unter Bedachtnahme auf die vorbezeichneten Gesichtspunkte der Fall.
Im Rahmen der nach § 20 Abs. 1 FrG vorgenommenen Interessenabwägung hat die belangte Behörde darauf Bedacht genommen, daß der Beschwerdeführer zusammen mit seiner Familie seit vielen Jahren in Österreich lebt. Was die daraus ableitbare Integration des Beschwerdeführers anlangt, so ist zu berücksichtigen, daß diese in ihrem Ausmaß eine nicht unbeträchtliche Minderung dadurch erfährt, daß die für eine Integration wesentliche soziale Komponente aufgrund der schweren Straftaten erheblich beeinträchtigt wird (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. Juni 1994, Zl. 94/18/0338, und vom 23. Februar 1995, Zl. 95/18/0025). Das behauptete Fehlen von Beziehungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatland vermag dessen von der belangten Behörde ohnehin als sehr gewichtig gewerteten privaten Interessen nicht wesentlich zu verstärken. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht war von der belangten Behörde im Rahmen der Abwägung der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechenden maßgeblichen öffentlichen Interessen mit den gegenläufigen Privatinteressen des Beschwerdeführers nicht auf dessen berufliches Fortkommen bzw. eine allfällige Beeinträchtigung desselben Bedacht zu nehmen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 14. April 1993, Zl. 93/18/0103, und Zl. 93/18/0142, und vom 8. September 1994, Zl. 94/18/0525). Die Meinung des Beschwerdeführers, daß § 20 Abs. 1 FrG deshalb, weil er (im Gegensatz zum § 3 Abs. 3 FrPolG) eine Berücksichtigung dieses Umstandes nicht vorsieht, im Hinblick auf Art. 8 MRK verfassungswidrig sei, wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt. Daß im übrigen auch der Verfassungsgerichtshof derartige Bedenken nicht hat, ergibt sich aus seinem die Behandlung der Beschwerde des Beschwerdeführers - in der gleichfalls ein die Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 1 FrG behauptendes Vorbringen erstattet worden war - ablehnenden Beschluß vom 28. Februar 1994, B 1613/93-16. Zusätzliche, dem Verfassungsgerichtshof zu dieser Frage noch nicht unterbreitete Argumente enthält der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstattete ergänzende Schriftsatz nicht.
Wenn die belangte Behörde unbeschadet der von ihr hoch veranschlagten privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich zu dem Ergebnis gelangt ist, daß das öffentliche Interesse an der Verhängung des Aufenthaltsverbotes schwerer wiege, so kann dieser Beurteilung angesichts der durch die inkriminierten Straftaten des Beschwerdeführers herbeigeführten gravierenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht mit Erfolg entgegengetreten werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. November 1994, Zl. 94/18/0551, vom 17. November 1994, Zl. 94/18/0158, und vom 1. Februar 1995, Zl. 95/18/0071, denen bezüglich der Abwägung nach § 20 Abs. 1 FrG weitgehend gleichgelagerte Fälle zugrunde lagen). Daran vermag der Beschwerdehinweis auf das Urteil des EGMR vom 18. Februar 1991, 31/1989/191/291, im anders gelagerten Fall Moustaquim gegen Belgien nichts zu ändern.
3. Die Verfahrensrüge dahingehend, daß es die belangte Behörde unterlassen habe, Ermittlungen darüber durchzuführen, ob der Beschwerdeführer "im Umfeld der Jugendbande "Italia-Mafia" an Raubüberfällen oder an anderen Straftaten beteiligt war", ist nicht berechtigt, ergibt sich doch aus den Feststellungen im angefochtenen Bescheid (iVm der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides) mit hinreichender Deutlichkeit, daß eben dies der Fall war. Der Vorwurf, die belangte Behörde habe dazu kein Parteiengehör eingeräumt, ist nicht zielführend, hatte doch der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren Gelegenheit, zu den diesbezüglichen Feststellungen der Erstbehörde Stellung zu nehmen.
4. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als zur Gänze unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994180323.X00Im RIS seit
20.11.2000