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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Holeschofsky, Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. November 1994, Zl. 4.329.527/2-II/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 3. Dezember 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am darauffolgenden Tag den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Bei seiner niederschriftlichen Befragung vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 30. April 1992 gab er im wesentlichen an, als Mitglied der "Nigerian Defence Academy" im April 1990 in einen Putschversuch involviert gewesen zu sein. Er habe von seinem Vorgesetzten den Auftrag erhalten gehabt, das nigerianische Telekommunikationssystem zu zerstören und dadurch die Kontaktaufnahme der Regierung mit den militärischen Stützpunkten zu verhindern. Nachdem der Putsch fehlgeschlagen sei, sei er in der Telekommunikationszentrale in Lagos festgenommen und am 30. April 1990 von einem Militärtribunal zu einer Haftstrafe von zwanzig Jahren verurteilt worden. Er sei während seines Gefängnisaufenthaltes Mißhandlungen ausgesetzt gewesen, bei denen ihm sogar ein Zahn ausgeschlagen worden sei. Im November 1991 sei es ihm mit Hilfe eines Onkels sowie eines Cousins gelungen, sein Heimatland zu verlassen.
Mit Bescheid vom 20. Mai 1992, ergangen (zugestellt) am 3. Juni 1992, stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention sei.
Mit dem Bescheid vom 21. November 1994 wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Über die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes des bekämpften Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen, daß von ihr bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden sei, dies im Hinblick auf die Bestimmung des § 25 Abs. 2 erster Satz dieses Gesetzes, weil das gegenständliche Asylverfahren "am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängig war". Diese Auffassung trifft aber angesichts der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides nach dem 1. Juni 1992 - wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf das des näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt hat - aufgrund der Auslegung der genannten Bestimmung sowie der des § 25 Abs. 1 erster Satz AsylG 1991 nicht zu. Dies führt aber noch nicht zwangsläufig dazu, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten verletzt wurde, ist doch die belangte Behörde zu ihrer abweislichen Entscheidung deshalb gelangt, weil sie seine Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 AsylG 1991 verneint hat; diese Bestimmung führt aber zu keiner inhaltlichen Änderung gegenüber dem nach § 1 AsylG (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff. Danach ist Flüchtling nur eine Person, die aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 1995, Zl.94/19/1415).
Die belangte Behörde hat jedoch im bekämpften Bescheid das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers mit der Begründung verneint, "daß es sich bei der Teilnahme an einem Putschversuch um ein rein kriminelles Delikt handelt, aufgrund dessen man in jedem rechtsstaatlichen Land strafrechtlich verfolgt wird". "Derartige Aktionen" seien auch in Mitgliedstaaten der Genfer Konvention mit Strafe bedroht, wobei die Strenge und Art der angedrohten Strafe nicht "maßgeblich" sei.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt jedoch diese Rechtsansicht nicht. Bei einem "Putsch" handelt es sich nach dem allgemeinen Verständnis um einen mit staatsstreichähnlicher Technik durchgeführten Umsturz bzw. Umsturzversuch zur Übernahme der Staatsgewalt, der in der Regel von kleineren subalternen Gruppen (etwa von Militärs) durchgeführt wird, die im Gegensatz zu den Initiatoren eines Staatsstreichs noch nicht Teilhaber der Staatsgewalt sind (vgl. etwa Meyers enzyklopädisches Lexikon9 (1977) Band 19, 425). Ebenso wie beim Staatsstreich muß darin ein politisch motiviertes Vorgehen erblickt werden, ist die Aktion der Putschisten doch gerade gegen die Träger der jeweiligen Staatsgewalt gerichtet. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß derartige Umsturzversuche (im Falle ihres Mißlingens) strafrechtlich verfolgt werden. So stellt etwa auch das österreichische Strafrecht hier in Betracht kommende Verhaltensweisen unter Strafe (vgl. etwa die §§ 242, 244, 246 sowie 249 bis 251 StGB); wegen des POLITISCHEN CHARAKTERS dieser Straftaten obliegt jedoch die Hauptverhandlung und Urteilsfällung darüber den Geschwornengerichten (vgl. § 14 Abs. 1 Z. 2, 3 und 5 StPO in Verbindung mit Art. 91 B-VG). Es kann somit - im Gegensatz zur Ansicht der belangten Behörde - aus der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens (selbst unter Zugrundelegung der Rechtsordnung eines demokratischen Staates) alleine nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß die Verfolgung einer Person nicht mit deren politischer Gesinnung in Zusammenhang stünde. (Ob allenfalls ein Asylausschlußgrund im Sinne des Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention in Betracht käme, war im vorliegenden Fall nicht zu erörtern.)
Schon aus diesen Gründen erweist sich der angefochtene Bescheid als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Er war daher - ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995190002.X00Im RIS seit
11.07.2001