Entscheidungsdatum
18.07.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W299 2274697-1/11E
W299 2274698-1/10E
W299 2274699-1/10E
W299 2274701-1/10E
W299 2274703-1/10E
W299 2274705-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Neuhold als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX .1969, 2.) XXXX , geb XXXX .1974, 3.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX .2005, 4.) mj. XXXX alias XXXX , geb. XXXX 2007, 5.) mj. XXXX alias XXXX , geb. XXXX 2009 und 6.) mj. XXXX , geb. XXXX 2014, alle StA. Syrien, alle vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2023, zu den Zahlen 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX und 6.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.03.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Neuhold als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) römisch 40 , geb. römisch 40 .1969, 2.) römisch 40 , geb römisch 40 .1974, 3.) römisch 40 alias römisch 40 , geb. römisch 40 .2005, 4.) mj. römisch 40 alias römisch 40 , geb. römisch 40 2007, 5.) mj. römisch 40 alias römisch 40 , geb. römisch 40 2009 und 6.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 2014, alle StA. Syrien, alle vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen Spruchpunkt römisch eins. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2023, zu den Zahlen 1.) römisch 40 , 2.) römisch 40 , 3.) römisch 40 , 4.) römisch 40 , 5.) römisch 40 und 6.) römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.03.2024 zu Recht:
A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: BF2) sind verheiratet und die Eltern der Dritt-, Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer:innen (in der Folge: BF3, BF4, BF5 und BF6). Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Syrien.
Die BF2, BF3, BF4 und BF5 reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte hier am 10.04.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die Erstbefragung der BF2, BF3 und BF4 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gaben die BF2, BF3 und BF4 zu ihren Fluchtgründen an, dass in ihrem Heimatland Krieg herrsche.
Der BF1 und die BF6 reisten ebenfalls unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 12.04.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die Erstbefragung des BF1 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen an, dass in Syrien Krieg herrsche. Im Fall einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben und das seiner Familie.
Im Zuge der Erstbefragung wurde vom BF1 im Original ein syrischer Personalausweis vorgelegt, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) auf Echtheit überprüfen ließ. Weiters wurde im Original ein syrisches Militärbuch, ein syrischer Führerschein sowie in Kopie ein Dokument betreffend eines Studiumabschlusses, zwei Mitgliedskarten der syrischen Rechtsanwaltsgewerkschaft und ein Familienbuch vorgelegt.
2. Am 11.01.2023 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der BF2 vor dem BFA. Dabei führte sie im Wesentlichen aus, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten. Sie und ihr Mann hätten die selben Fluchtgründe. Persönlich habe sie nie jemand bedroht. Die Sicherheitslage sei unsicher.
Im Zuge der Einvernahme wurde von der BF2 im Original ein syrischer Personalausweis vorgelegt, den das BFA auf Echtheit überprüfen ließ. Weiters wurde in Kopie eine Medikamentenverordnung und eine ärztliche Bestätigung jeweils vom 13.01.2023 vorgelegt.
3. Am 23.01.2023 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme der BF1, BF3 und BF4 vor dem BFA. Dabei führte der BF1 im Wesentlichen aus, dass er Syrien wegen des Krieges verlassen habe. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, dass die Al Nusra Front ihn bestraft. Im Jahr 2014 wollte die Al Nusra Front ihn als Anwalt anstellen, er habe dies, trotz mehrmaliger Aufforderung, abgelehnt. Mehr als zehn Mal sei er aufgefordert worden. Die Frage, ob er oder seine Familie aufgrund seiner Ablehnung jemals Probleme in Syrien gehabt hätten, verneinte der BF1. Auch verneinte er die Frage, ob es konkrete Hinweise oder Anzeichen gebe, dass ihm, im Falle einer Rückkehr, Konsequenzen durch Al Nusra drohen würden. Weiters verneinte er in Syrien jemals persönlich bedroht oder verfolgt worden zu sein. Zu den syrischen Behörden habe er seit 2012 keinen Kontakt. Zudem würde jeder der aus Idlib stamme bei den Checkpoints der Behörden in Regierungsgebieten angehalten werden.
4. Am 24.04.2023 langte beim BFA der Untersuchungsbericht einer LPD ein, aus dem hervorgeht, dass es sich hinsichtlich des vorgelegten Personalausweis der BF2 nach derzeitigem Wissenstand um ein Originaldokument handelt.
5. Am 09.05.2023 langte beim BFA der Untersuchungsbericht einer LPD ein, aus dem hervorgeht, dass es sich hinsichtlich des vorgelegten Personalausweis des BF1 nach derzeitigem Wissenstand um ein Originaldokument handelt.
6. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 24.05.2023 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).6. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 24.05.2023 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihnen den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.).
7. Gegen die Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde und brachten vor, dem BF1 und BF5 drohe eine Verfolgung der Einberufung/Rekrutierung und drohe ihnen durch ihre Weigerung eine Verfolgung als politische Gegner, auf Grund der ihnen unterstellten politischen Gesinnung. Allen BF drohe im Herkunftsland Verfolgung aufgrund einer – jedenfalls unterstellten – politischen Gesinnung und aufgrund der Zugehörigkeit zur Familie ihrer männlichen Familienmitglieder. Aus den Länderfeststellungen gehe klar hervor, dass auch Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern oder Regimekritikern aus Vergeltung oder zur Erpressung von Informationen über den Verbleib gesuchter Personen unmenschliche Behandlung seitens des syrischen Regimes erfahren würden. Weiters drohe den BF auch wegen ihrer Asylantragstellung in Österreich, die eine gewisse regimekritische Haltung impliziert, Verfolgung aufgrund einer (unterstellten) politischen Gesinnung. Ebenfalls drohe ihnen Verfolgung als politische Oppositionelle wegen ihrer Herkunft aus einer ehemaligen Oppositionshochburg als sunnitische Araber:innen, sowie ihres langen Auslandsaufenthalts.
8. Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes fand am 08.03.2024 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch, der Rechtsvertretung der BF und der gesetzlichen Vertretung der minderjährigen BF4, BF5 und BF6 eine mündliche Verhandlung statt. Das BFA gab mit Schreiben vom 03.02.2024 die Nichtteilnahme an der Verhandlung bekannt. In der mündlichen Verhandlung wurden die BF1, BF2, BF3, BF4 und BF5 ausführlich zu ihren persönlichen Lebensumständen in Syrien und ihren Fluchtgründen sowie zu ihrer Situation im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt. Von einer gesonderten Befragung der erst 9 Jahre alten BF6 wurde abgesehen.
9. Mit Schreiben vom 18.03.2024 wurde den BF das neue Länderinformationsblatt zu Syrien übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt binnen 14 Tagen – ab Erhalt des Schreibens – eine Stellungnahme abzugeben.
10. Am 03.04.2024 langte eine Stellungnahme der Rechtsvertretung der BF ein.
11. Mit Schreiben vom 22.04.2024 wurde den BF das Länderinformationsblatt zu Syrien, Version 11 vom 27.03.2024 sowie die EUAA Country Guidance Syria 2024 vom April 2024 übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt binnen 14 Tagen – ab Erhalt des Schreibens – eine Stellungnahme abzugeben. Eine Stellungnahme hierzu liegt im Entscheidungszeitpunkt nicht vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:
1.1.1. Die BF führen die im Spruch angeführten Namen und die dort genannten Geburtsdaten. Ihre Identitäten stehen fest. Sie sind syrische Staatsangehörige, Angehörige der arabischen Volksgruppe und der sunnitisch-islamischen Glaubensgemeinschaft. Ihre Muttersprache ist Arabisch.
1.1.2. Der BF1 und die BF2 sind seit 1995 verheiratet und die Eltern der BF3 und der jeweils minderjährigen BF4, BF5 und BF6.
1.1.3. Die BF1, BF2, BF3, BF4 und BF5 wurden im Dorf XXXX , Provinz Idlib, geboren. Mit Beginn des Bürgerkrieges 2012 verließen die BF ihr Heimatdorf und lebten fortan in Flüchtlingslagern. Zunächst in Jarabulus, danach in Atmeh. Dort wurde auch die BF6 geboren. Die Familie kehrte aber bis Mai 2014 immer wieder nach XXXX zurück. 2015 verließ die Familie Syrien in Richtung Türkei, wo sie sich bis März 2022 legal aufhielten. Die Ausreise nach Österreich wurde von Verwandten in der Türkei finanziert.1.1.3. Die BF1, BF2, BF3, BF4 und BF5 wurden im Dorf römisch 40 , Provinz Idlib, geboren. Mit Beginn des Bürgerkrieges 2012 verließen die BF ihr Heimatdorf und lebten fortan in Flüchtlingslagern. Zunächst in Jarabulus, danach in Atmeh. Dort wurde auch die BF6 geboren. Die Familie kehrte aber bis Mai 2014 immer wieder nach römisch 40 zurück. 2015 verließ die Familie Syrien in Richtung Türkei, wo sie sich bis März 2022 legal aufhielten. Die Ausreise nach Österreich wurde von Verwandten in der Türkei finanziert.
1.1.4. Die Herkunftsregion der BF steht unter Kontrolle der islamistischen Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (in der Folge auch: HTS).
1.1.5. Die BF1 und BF2 haben gemeinsam insgesamt fünf Töchter und drei Söhne. Tochter XXXX (geb. 1999) lebt in der Türkei. Dieser geht es finanziell sehr gut. Tochter XXXX (geb. 1997) hält sich an der syrisch-türkischen Grenze in einem Flüchtlingslager auf. Sohn XXXX (geb. 2003) lebt in Österreich. Ein Sohn ist bereits verstorben. Die Familie hat noch Verwandte in Syrien.1.1.5. Die BF1 und BF2 haben gemeinsam insgesamt fünf Töchter und drei Söhne. Tochter römisch 40 (geb. 1999) lebt in der Türkei. Dieser geht es finanziell sehr gut. Tochter römisch 40 (geb. 1997) hält sich an der syrisch-türkischen Grenze in einem Flüchtlingslager auf. Sohn römisch 40 (geb. 2003) lebt in Österreich. Ein Sohn ist bereits verstorben. Die Familie hat noch Verwandte in Syrien.
1.1.6. Der BF1 arbeitete in Syrien als Rechtsanwalt. In der Türkei war der BF1 einige Zeit als Schulwart tätig, die BF2 als Schneiderin.
1.1.7. Die BF kamen über verschiedene Länder unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich, wo die BF2, BF3, BF4 und BF5 am 10.04.2022 und die BF1 und BF6 am 12.04.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Mit den Bescheiden des BFA vom 24.05.2023 wurde ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
1.1.8. Die BF1, BF3, BF4, BF5 und BF6 sind gesund. Bei der BF2 wurde Diabetes und Osteoporose diagnostiziert.
Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Die BF6 ist eine unmündige Minderjährige und somit nicht strafmündig.
1.2. Zu den Fluchtgründen:
1.2.1. Zu den Fluchtgründen des BF1:
Der BF1 hat seinen verpflichteten Militärdienst bei der syrischen Armee im Zeitraum von 1993 bis 1995 abgeleistet. Er erhielt keine militärische Spezialausbildung, erreichte keinen besonderen Dienstgrad und übte keinen Beruf aus, in dem er für einen Militäreinsatz relevante Qualifikationen erwarb. Er hat an keinen Kampfhandlungen oder Militäroperationen teilgenommen. Der BF1 hat keinen Einberufungsbefehl als Reservist erhalten und wurde nicht gesucht oder zwangsrekrutiert.
Das syrische Regime kann in jenen Teilen Syriens, welche sich unter der Kontrolle von Hay'at Tahrir ash-Sham oder sonstigen oppositionellen Gruppierungen befinden, keine Personen zum Militärdienst einberufen, da es keinen Zugriff auf die dort lebende Bevölkerung hat. Die Herkunftsregion des BF1 ist zudem ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar. Im gegenwärtigen Zeitpunkt drohen dem BF1 daher im Fall der (hypothetischen) Rückkehr in seine Herkunftsregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht die zwangsweise Rekrutierung durch die syrischen Streitkräfte und/oder sonstige gezielt gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen durch das syrische Regime.
Dem BF1 droht im Falle einer Rückkehr nach Syrien keine Zwangsrekrutierung durch die HTS. Der BF1 hatte und hat in seiner Herkunftsregion keinerlei Probleme mit der HTS.
Dem BF 1 ist die Einreise in seine Heimatregion ohne Kontakt zum syrischen Regime über einen nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang, etwa den Grenzübergang Bab Al-Hawa, möglich. Er kann auch innerhalb des unter Kontrolle der HTS stehenden Gebietes seine Herkunftsregion ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichen.
1.2.2. Zu den Fluchtgründen des BF5:
In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger von 18 bis 42 Jahren. Junge Männer im Alter von 17 Jahren sind dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Der BF5 ist zum Entscheidungszeitpunkt minderjährig und mit seinen 15 Jahren nicht wehrpflichtig. Es droht ihm daher keine Einberufung in die reguläre Armee.
1.2.3. Zu den Fluchtgründen der mj. BF:
Ihnen droht keine Zwangsrekrutierung in Syrien.
1.2.4. Zu den gemeinsamen Fluchtgründen:
Den BF droht keine mögliche asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern.
Den BF droht allein aufgrund ihrer Ausreise oder der Asylantragstellung nicht die Gefahr der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt. Ebenso wenig droht den BF aufgrund ihrer Herkunft aus ihrem Herkunftsgebiet eine konkrete Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit.
Auch sonst ist sind die BF nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
1.3.1. Auszüge aus der Länderinformation der Staatendokumentation zu „Syrien“
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformation der Staatendokumentation, Version 11 vom 27.03.2024, wiedergegeben:
„[…]
1.3.1.1. Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-03-08 11:17
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 2.2.2024). United Nations Geospatial veröffentlichte eine Karte mit Stand Juni 2023, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind (UNGeo 1.7.2023):
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen [Anm.: zu den Gebieten mit IS-Präsenz siehe Unterkapitel zu den Regionen]:
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023). Für keinen Landesteil Syriens kann insofern von einer nachhaltigen Beruhigung der militärischen Lage ausgegangen werden (AA 2.2.2024).
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) der VN stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den VN benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Im Mai 2023 begannen zusätzlich dazu die jordanischen Streitkräfte Luftangriffe gegen die Drogenschmuggler zu fliegen (SOHR 8.5.2023). Die USA sind mit mindestens 900 Militärpersonen in Syrien, um Anti-Terror-Operationen durchzuführen (CFR 24.1.2024). Seit Ausbruch des Krieges zwischen der Hamas und Israel begannen die USA mehrere Luftangriffe gegen iranische Milizen in Syrien und dem Irak zu fliegen. Anfang Februar 2024 eskalierten die Spannungen zwischen dem Iran und den USA, nachdem iranische Milizen in Jordanien eine militärische Stellung der USA mit einer Drohne angriffen und dabei mehrere US-amerikanische Soldaten töteten und verletzten. Die USA reagierten mit erhöhten und verstärkten Luftangriffen auf Stellungen der iranischen Milizen in Syrien und dem Irak. In Syrien trafen sie Ziele in den Räumen Deir ez-Zor, Al-Bukamal sowie Al-Mayadeen. Die syrische Armee gab an, dass bei den Luftangriffen auch Zivilisten sowie reguläre Soldaten getötet wurden (CNN 3.2.2024).
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 intensivierte Israel die Luftangriffe gegen iranische und syrische Militärstellungen CFR 24.1.2024). Infolge der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023, wurde israelisch kontrolliertes Gebiet auch von Syrien aus mindestens dreimal mit Raketen beschossen. Israel habe daraufhin Artilleriefeuer auf die Abschussstellungen gerichtet. Beobachter machten iranisch kontrollierte Milizen für den Raketenbeschuss verantwortlich. Israel soll im selben Zeitraum, am 12.10.2023 und 14.10.2023 jeweils zweimal den Flughafen Aleppo sowie am 12.10.2023 den Flughafen Damaskus mit Luftschlägen angegriffen haben; aufgrund von Schäden an den Start- und Landebahnen mussten beide Flughäfen daraufhin den Betrieb einstellen (AA 2.2.2024).
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung hat derzeit die Kontrolle über ca. zwei Drittel des Landes, inklusive größerer Städte, wie Aleppo und Homs. Unter ihrer Kontrolle sind derzeit die Provinzen Suweida, Daraa, Quneitra, Homs sowie ein Großteil der Provinzen Hama, Tartus, Lattakia und Damaskus. Auch in den Provinzen Aleppo, Raqqa und Deir ez-Zor übt die syrische Regierung über weite Teile die Kontrolle aus (Barron 6.10.2023). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 2.2.2024). Die Opposition konnte eingeschränkt die Kontrolle über Idlib und entlang der irakisch-syrischen Grenze behalten. Das Erdbeben 2023 in der Türkei und Nordsyrien machte die tatsächliche Regierung fast unmöglich, weil die Opposition Schwierigkeiten hatte, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen (CFR 24.1.2024).
Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien]. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Iran unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah (AA 2.2.2024). Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).
Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der SDF und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022; vgl. CFR 24.1.2024). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022). Die Türkei bombardierte auch im Oktober 2023 kurdische Ziele in Syrien als Reaktion auf einen Bombenangriff in Ankara durch die PKK (Reuters 7.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der SDF und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022; vergleiche CFR 24.1.2024). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022). Die Türkei bombardierte auch im Oktober 2023 kurdische Ziele in Syrien als Reaktion auf einen Bombenangriff in Ankara durch die PKK (Reuters 7.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).
Im Gouvernement Dara'a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten 'Versöhnungsabkommens'. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 9.3.2023). In Suweida kam es 2020 und 2022 ebenfalls zu Aufständen, immer wieder auch zu Sicherheitsvorfällen mit Milizen, kriminellen Banden und Drogenhändlern. Dies führte immer wieder zu Militäroperationen und schließlich im August 2023 zu größeren Protesten (CC 13.12.2023). Die Proteste weiteten sich nach Daraa aus. Die Demonstranten in beiden Provinzen forderten bessere Lebensbedingungen und den Sturz Assads (Enab 20.8.2023).
Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nicht-identifzierte Akteure (SNHR 1.5.2023).
Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS)
Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vgl. DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vgl. CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vgl. BAMF 6.12.2022). Im August 2023 wurde dieser bei Kampfhandlungen mit der HTS getötet und der IS musste zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren einen neuen Führer ernennen. Als Nachfolger wurde Abu Hafs al-Hashimi al-Qurayshi eingesetzt (WSJ 3.8.2023). Die Anit-Terror-Koalition unter der Führung der USA gibt an, dass 98 Prozent des Gebiets, das der IS einst in Syrien und Irak kontrollierte, wieder unter Kontrolle der irakischen Streitkräfte bzw. der SDF sind (CFR 24.1.2024). Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vergleiche DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vergleiche CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vergleiche BAMF 6.12.2022). Im August 2023 wurde dieser bei Kampfhandlungen mit der HTS getötet und der IS musste zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren einen neuen Führer ernennen. Als Nachfolger wurde Abu Hafs al-Hashimi al-Qurayshi eingesetzt (WSJ 3.8.2023). Die Anit-Terror-Koalition unter der Führung der USA gibt an, dass 98 Prozent des Gebiets, das der IS einst in Syrien und Irak kontrollierte, wieder unter Kontrolle der irakischen Streitkräfte bzw. der SDF sind (CFR 24.1.2024).
Der Sicherheitsrat der VN schätzt die Stärke der Gruppe auf 6.000 bis 10.000 Kämpfer in ganz Syrien und im Irak, wobei die operativen Führer der Gruppe hauptsächlich in Syrien stationiert sind (EUAA 9.2022). Die Terrororganisation IS kann in Syrien selbst in ihren Rückzugsgebieten im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien weiterhin keine territoriale Kontrolle mehr ausüben. Mit mehreren Tausend Kämpfern sowie deren Angehörigen, die sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF befinden, sowie einer vermutlich dreistelligen Zahl von im Untergrund aktiven Kämpfern bleibt der IS jedoch ein relevanter asymmetrischer Akteur (AA 2.2.2024). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle und Attentate (DIS 29.6.2020). Der IS verübte immer wieder Angriffe und Anschläge, insbesondere auf Einheiten der SDF im Nordosten sowie auf Truppen des Regimes in Zentralsyrien (AA 2.2.2024). IS-Kämpfer sind in der Wüste von Deir ez-Zor, Palmyra und Al-Sukhna stationiert und konzentrieren ihre Angriffe auf Deir ez-Zor, das Umland von Homs, Hasakah, Aleppo, Hama und Raqqa (NPA 15.5.2023). In der ersten Jahreshälfte 2023 wurde von 552 Todesopfer durch Angriffe des IS berichtet (NPA 8.7.2023).
Trotz der starken Präsenz syrischer und russischer Streitkräfte in Südsyrien sind mit dem IS verbundene Kämpfer in der Region aktiv und das syrische Regime ist derzeit nicht in der Lage, IS-Aktivisten in Gebieten zurückzudrängen, die vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (VOA 24.10.2022). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF (Zenith 11.2.2022). Nach Angaben der International Crisis Group verübten IS-Zellen Ende 2021 durchschnittlich zehn bis 15 Angriffe auf die Regierungsstreitkräfte pro Monat, die meisten davon im Osten von Homs und im ländlichen westlichen Deir Ez-Zour. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2022 fort (EUAA 9.2022). Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte auch von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
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Nordwest-Syrien
Letzte Änderung 2024-03-08 11:28
Während das Assad-Regime etwa 60 Prozent des Landes kontrolliert, was einer Bevölkerung von rund neun Millionen Menschen entspricht, gibt es derzeit [im Nordwesten Syriens] zwei Gebiete, die sich noch außerhalb der Kontrolle des Regimes befinden: Nord-Aleppo und andere Gebiete an der Grenze zur Türkei, die von der von Ankara unterstützten Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army, SNA) kontrolliert werden, und das Gebiet von Idlib, das von der militanten islamistischen Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert wird. Zusammen kontrollieren sie 10 Prozent des Landes mit einer Bevölkerung von etwa 4,4 Millionen Menschen, wobei die Daten zur Bevölkerungsanzahl je nach zitierter Institution etwas variieren (ISPI 27.6.2023).
Auf diesem Kartenausschnitt sind die Machtverhältnisse in Nordwest-Syrien eingezeichnet:
Das Gebiet unter Kontrolle von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)
In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte Hochburg der Opposition in Syrien (BBC 2.5.2023). Das Gebiet wird von dem ehemaligen al-Qaida-Ableger Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [Anm.: übersetzt soviel wie: Komitee zur Befreiung der Levante] beherrscht, der nach Ansicht von Analysten einen Wandel durchläuft, um seine Herrschaft in der Provinz zu festigen (Alaraby 5.6.2023). Das Gebiet beherbergt aber auch andere etablierte Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden (BBC 2.5.2023). HTS hat die stillschweigende Unterstützung der Türkei, die die Gruppe als Quelle der Stabilität in der Provinz und als mäßigenden Einfluss auf die radikaleren, transnationalen dschihadistischen Gruppen in der Region betrachtet. Durch eine Kombination aus militärischen Konfrontationen, Razzien und Festnahmen hat die HTS alle ihre früheren Rivalen wie Hurras ad-Din und Ahrar ash-Sham effektiv neutralisiert. Durch diese Machtkonsolidierung unterscheidet sich das heutige Idlib deutlich von der Situation vor fünf Jahren, als dort eine große Anzahl an dschihadistischen Gruppen um die Macht konkurrierte. HTS hat derzeit keine nennenswerten Rivalen. Die Gruppe hat Institutionen aufgebaut und andere Gruppen davon abgehalten, Angriffe im Nordwesten zu verüben. Diese Tendenz hat sich nach Ansicht von Experten seit dem verheerenden Erdbeben vom 6.2.2023, das Syrien und die Türkei erschütterte, noch beschleunigt (Alaraby 5.6.2023).
Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten, ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition geworden (AA 29.11.2021). Zehntausende radikal-militanter Kämpfer, insb. der HTS, sind in Idlib präsent. Unter diesen befinden sich auch zahlreiche Foreign Fighters (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB Damaskus 12.2022). Unter dem Kommando der HTS stehen zwischen 7.000 und 12.000 Kämpfer, darunter ca. 1.000 sogenannte Foreign Terrorist Fighters (UNSC 25.7.2023). Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren und sich nun anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front [Jabhat al-Nusra], heute als HTS bekannt, angeschlossen haben. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Der IS sieht den Nordwesten als potenzielles Einfallstor in die Türkei und als sicheren Rückzugsort, wo seine Anhänger sich unter die Bevölkerung mischen (UNSC 25.7.2023). Laut einem Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Februar 2023 sind neben HTS und Hurras ad-Din unter anderem auch die zentralasiatischen Gruppierungen Khatiba at-Tawhid wal-Jihad (KTJ) - im März 2022 in Liwa Abu Ubayda umbenannt - und das Eastern Turkistan Islamic Movement (ETIM) - auch bekannt als Turkistan Islamic Party (TIP) - in Nordwestsyrien präsent (UNSC 13.2.2023).
Im Jahr 2012 stufte Washington Jabhat an-Nusra [Anm.: nach Umorganisationen und Umbenennungen nun HTS] als Terrororganisation ein (Alaraby 8.5.2023). Auch die Vereinten Nationen führen HTS als terroristische Vereinigung (AA 2.2.2024). Die Organisation versuchte, dieser Einstufung zu entgehen, indem sie 2016 ihre Loslösung von al-Qaida ankündigte und ihren Namen mehrmals änderte, aber ihre Bemühungen waren nicht erfolgreich und die US-Regierung führt sie weiterhin als "terroristische Vereinigung" (Alaraby 8.5.2023; vgl. CTC Sentinel 2.2023). HTS geht gegen den IS und al-Qaida vor (COAR 28.2.2022; vgl. CTC Sentinel 2.2023) und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Dschihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für die Einwohner von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. Die HTS versucht so, dem Verdacht entgegenzutreten, dass sie das Verstecken von IS-Führern in ihren Gebieten unterstützt, und signalisiert so ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft bei der Terrorismusbekämpfung (COAR 28.2.2022). Im Mai 2023 startete die HTS in den Provinzen Idlib und Aleppo beispielsweise eine Verhaftungskampagne gegen Hizb ut-Tahrir (HuT) als Teil der langfristigen Strategie, andere islamistische Gruppen in den von ihr kontrollierten Gebieten zu unterwerfen und die Streichung der HTS von internationalen Terroristenlisten zu erwirken (ACLED 8.6.2023; vgl. Alaraby 8.5.2023). Das Vorgehen gegen radikalere, konkurrierende Gruppierungen und die Versuche der Führung, der HTS ein gemäßigteres Image zu verpassen, führten allerdings zu Spaltungstendenzen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen (AM 22.12.2021). Im Dezember 2023 wurden diese Spaltungstendenzen evident. Nach einer Verhaftungswelle, die sich über ein Jahr hinzog, floh eine Führungspersönlichkeit in die Türkei, um eine eigene rivalisierende Gruppierung zu gründen. Die HTS reagierte mit einer Militäroperation in Afrin (Etana 12.2023). HTS verfolgt eine Expansionsstrategie und führt eine Offensive gegen regierungsnahe Milizen im raum Aleppo durch (UNSC 25.7.2023).Im Jahr 2012 stufte Washington Jabhat an-Nusra [Anm.: nach Umorganisationen und Umbenennungen nun HTS] als Terrororganisation ein (Alaraby 8.5.2023). Auch die Vereinten Nationen führen HTS als terroristische Vereinigung (AA 2.2.2024). Die Organisation versuchte, dieser Einstufung zu entgehen, indem sie 2016 ihre Loslösung von al-Qaida ankündigte und ihren Namen mehrmals änderte, aber ihre Bemühungen waren nicht erfolgreich und die US-Regierung führt sie weiterhin als "terroristische Vereinigung" (Alaraby 8.5.2023; vergleiche CTC Sentinel 2.2023). HTS geht gegen den IS und al-Qaida vor (COAR 28.2.2022; vergleiche CTC Sentinel 2.2023) und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Dschihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für die Einwohner von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. Die HTS versucht so, dem Verdacht entgegenzutreten, dass sie das Verstecken von IS-Führern in ihren Gebieten unterstützt, und signalisiert so ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft bei der Terrorismusbekämpfung (COAR 28.2.2022). Im Mai 2023 startete die HTS in den Provinzen Idlib und Aleppo beispielsweise eine Verhaftungskampagne gegen Hizb ut-Tahrir (HuT) als Teil der langfristigen Strategie, andere islamistische Gruppen in den von ihr kontrollierten Gebieten zu unterwerfen und die Streichung der HTS von internationalen Terroristenlisten zu erwirken (ACLED 8.6.2023; vergleiche Alaraby 8.5.2023). Das Vorgehen gegen radikalere, konkurrierende Gruppierungen und die Versuche der Führung, der HTS ein gemäßigteres Image zu verpassen, führten allerdings zu Spaltungstendenzen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen (AM 22.12.2021). Im Dezember 2023 wurden diese Spaltungstendenzen evident. Nach einer Verhaftungswelle, die sich über ein Jahr hinzog, floh eine Führungspersönlichkeit in die Türkei, um eine eigene rivalisierende Gruppierung zu gründen. Die HTS reagierte mit einer Militäroperation in Afrin (Etana 12.2023). HTS verfolgt eine Expansionsstrategie und führt eine Offensive gegen regierungsnahe Milizen im raum Aleppo durch (UNSC 25.7.2023).
Anmerkung: s. das Unterkapitel "Syrische Interimsregierung und syr