Entscheidungsdatum
25.07.2024Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
I412 2222896-2/9E
I412 2216992-2/8E
Schriftliche Ausfertigung des am 11.07.2024 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , alias XXXX und 2. von XXXX , geb. XXXX , beide StA. NIGERIA, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien Außenstelle Wien (BFA-W-ASt-Wien) vom 09.02.2024, Zl. XXXX und vom 12.02.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.07.2024 zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. römisch 40 , geb. römisch 40 , alias römisch 40 und 2. von römisch 40 , geb. römisch 40 , beide StA. NIGERIA, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien Außenstelle Wien (BFA-W-ASt-Wien) vom 09.02.2024, Zl. römisch 40 und vom 12.02.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.07.2024 zu Recht erkannt:
A)
Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , StA. NIGERIA gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, und mj. XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA gemäß § 3 Abs. 1 iVm
§ 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.Den Beschwerden wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG stattgegeben und römisch 40 , geb. römisch 40 , alias römisch 40 , StA. NIGERIA gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005, und mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. NIGERIA gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit
§ 34 Absatz 2, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige Nigerias. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Es handelt sich um ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005.1. Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige Nigerias. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Es handelt sich um ein Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG 2005.
2. Die Erstbeschwerdeführerin reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 20.11.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde sie am 21.11.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie an, sie habe ihr Land verlassen, weil sie kein Geld habe und sich nicht selbst versorgen könne. In Nigeria habe sie nicht lange zur Schule gehen können und habe außerdem niemanden, der sich um sie kümmere. Sie habe Angst auf der Straße zu leben, andere Fluchtgründe habe sie nicht.
3. Am 28.11.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden als belangte Behörde oder BFA bezeichnet, niederschriftlich einvernommen. Im Wesentlichen führte sie dabei aus, sie sei ausgereist, weil sie nicht genug Geld für Essen gehabt hätten. Als Kind sei sie mit einem Messer verletzt worden, sie sei sehr oft krank gewesen. In Nigeria habe sie keine Arbeit gehabt und wolle auch ein besseres Leben haben.
4. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 08.03.2019 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Zugleich wurde der Erstbeschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus Gründen des § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Das Ende der Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung mit dem 31.10.2019 festgesetzt (Spruchpunkt VI.).4. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 08.03.2019 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Zugleich wurde der Erstbeschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus Gründen des Paragraph 57, AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt römisch III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Das Ende der Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung mit dem 31.10.2019 festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.).
5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 01.04.2019. Im Wesentlichen wurde dabei ausgeführt, dass ihres Erachtens sehr wohl ein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bestünde, weshalb sie ihre bislang getätigten Aussagen aufrecht halte. Zudem sei sie auf sich alleine gestellt, ohne Unterstützung von der Familie, ohne Berufsausbildung oder Arbeitserfahrung, weshalb von einer Verletzung des Art. 3 EMKR auszugehen sei. 5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 01.04.2019. Im Wesentlichen wurde dabei ausgeführt, dass ihres Erachtens sehr wohl ein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bestünde, weshalb sie ihre bislang getätigten Aussagen aufrecht halte. Zudem sei sie auf sich alleine gestellt, ohne Unterstützung von der Familie, ohne Berufsausbildung oder Arbeitserfahrung, weshalb von einer Verletzung des Artikel 3, EMKR auszugehen sei.
6. Am XXXX wurde die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich geboren, für die am 02.08.2019 durch die Erstbeschwerdeführerin ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, wobei keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen dargetan wurden, sondern Bezug auf den Antrag der Erstbeschwerdeführerin genommen wurde. 6. Am römisch 40 wurde die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich geboren, für die am 02.08.2019 durch die Erstbeschwerdeführerin ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, wobei keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen dargetan wurden, sondern Bezug auf den Antrag der Erstbeschwerdeführerin genommen wurde.
7. Mit Bescheid vom 05.08.2019 wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Zugleich wurde der Zweitbeschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus Gründen des § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgesetzt (Spruchpunkt VI.).7. Mit Bescheid vom 05.08.2019 wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Zugleich wurde der Zweitbeschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus Gründen des Paragraph 57, AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt römisch III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.).
10. Nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 03.01.2022 wurden die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden als unbegründet abgewiesen.
11. Am 10.11.2022 wurde von den Beschwerdeführerinnen der gegenständliche Folgeantrag auf internationalen Schutz eingebracht. Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab die BF1 an, sie habe aus Angst im ersten Asylverfahren darüber, dass sie durch den Menschenhandel nach Österreich gebracht worden sei, nichts erwähnt. Sie fürchte eine Dame namens „U.A.“, eine Nigerianerin, die sie bereits im Alter von 15 Jahren nach Libyen gebracht und in weiterer Folge auch nach Österreich gebracht habe. Sie habe für sie als Prostituierte arbeiten müssen. Sie fordere von ihr eine hohe Geldsumme, die sie nicht aufbringen könne und habe ihr damit gedroht, sie und ihre Tochter zu töten, sollten sie nach Nigeria zurückkehren. Für die BF2 gab sie an, dass für diese die von ihr angegebenen Fluchtgründe ebenso gelten würden und diese keine eigenen Fluchtgründe habe.
12. In einer am 10.11.2022 eingebrachten Stellungnahme wurde von der Rechtsvertretung der Erstbeschwerdeführerin ergänzend (zusammengefasst) vorgebracht, diese sei Opfer von Menschenhandel geworden, von einem Menschenhändlerring nach Österreich gebracht und gezwungen worden, der Prostitution nachzugehen. Die BF1 habe sich trotz ihrer durchaus nachvollziehbaren Furcht dazu durchgerungen, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Die BF1 sei eine schutzlose Mutter und könne der minderjährigen BF2 nicht den notwendigen Schutz bieten. Als alleinstehende Mutter drohe der BF1 und ihrer Tochter bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine existenzbedrohende Lage zu geraten, die die Schwelle von Art 3 EMRK erreiche. 12. In einer am 10.11.2022 eingebrachten Stellungnahme wurde von der Rechtsvertretung der Erstbeschwerdeführerin ergänzend (zusammengefasst) vorgebracht, diese sei Opfer von Menschenhandel geworden, von einem Menschenhändlerring nach Österreich gebracht und gezwungen worden, der Prostitution nachzugehen. Die BF1 habe sich trotz ihrer durchaus nachvollziehbaren Furcht dazu durchgerungen, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Die BF1 sei eine schutzlose Mutter und könne der minderjährigen BF2 nicht den notwendigen Schutz bieten. Als alleinstehende Mutter drohe der BF1 und ihrer Tochter bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine existenzbedrohende Lage zu geraten, die die Schwelle von Artikel 3, EMRK erreiche.
13. Am 03.11.2022 wurde die BF1 von der Landespolizeidirektion XXXX als Zeugin einvernommen. 13. Am 03.11.2022 wurde die BF1 von der Landespolizeidirektion römisch 40 als Zeugin einvernommen.
14. Am 17.07.2023 wurde sie im Beisein eines Dolmetschers in der Sprache Englisch sowie im Beisein ihrer rechtlichen Vertretung niederschriftlich von der belangten Behörde einvernommen. Dabei gab sie erneut an, Angst vor dieser Frau zu haben, vor allem jetzt, wo sie eine Tochter habe. Für diese gab die BF1 an, dass sie Angst um sie habe und nicht wolle, dass sie Opfer von Menschenhandel oder Vergewaltigung werde.
15. Mit Bescheiden der belangten Behörde vom 09.02.2024 wurde der Antrag der Beschwerdeführerinnen hinsichtlich des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ihnen wurde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten erteilt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt. Begründend führte die belangte Behörde aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerinnen in Nigeria asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen sind oder zukünftig ausgesetzt seien. Sie würden jedoch in Nigeria über kein tragfähiges Netzwerk verfügen. Im Falle der BF1 wurde nach Treffen der Feststellungen, dass diese zwar an keinen lebensbedrohenden Krankheiten, allerdings an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, ausgeführt, dass davon ausgegangen werden müsse, dass diese allein für sich und ihre Kinder zu sorgen hätte und alleinerziehende Mutter sei. Als alleinstehende unverheiratete Mutter ohne Ersparnisse wäre es ihr nur schwer möglich, eine Anstellung zu finden, zumal sie sich zumindest um ein minderjähriges Kind zu kümmern hätte. Von der im Allgemeinen problematischen wirtschaftlichen und sozialen problematischen Lage in Nigeria sei im besonderen Maße die Gruppe der alleinstehenden Frauen betroffen, welche darüber hinaus vielen Arten von Diskriminierung ausgesetzt seien. Es bestehe derzeit daher aufgrund des Fehlens eines familiären Netzwerkes die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Nigeria