Entscheidungsdatum
26.06.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W604 2289913-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert PLESCHBERGER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , GZ. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21.06.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert PLESCHBERGER über die Beschwerde des römisch 40 , geboren am römisch 40 , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , GZ. römisch 40 , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21.06.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG und Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 10.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 11.10.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes seine niederschriftliche Erstbefragung statt, in welcher er sich antragsbegründend auf den Krieg in Syrien berief, er wolle nicht im Krieg kämpfen.
2. Aus Anlass des Antrages auf internationalen Schutz erfolgte am 28.02.2024 die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Der Beschwerdeführer hielt sein Fluchtvorbringen hinsichtlich des Krieges aufrecht und präzisierte eine fluchtbedingende Rekrutierungsgefahr zum kurdischen Militärdienst oder anderen bewaffneten Gruppierungen, im Rückkehrfall müsse er „eine Waffe tragen“, würde sterben oder müsste töten.
3. Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I), erkannte den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II) und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine mit einem Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III). Die mit Spruchpunkt I erfolgte Abweisung der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft machen habe können. Dem Beschwerdeführer stehe mit dem Freikauf eine Alternative zur Ableistung des Wehrdienstes in der SAA zur Verfügung. 3. Mit Bescheid vom römisch 40 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins), erkannte den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 zu (Spruchpunkt römisch II) und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine mit einem Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch III). Die mit Spruchpunkt römisch eins erfolgte Abweisung der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft machen habe können. Dem Beschwerdeführer stehe mit dem Freikauf eine Alternative zur Ableistung des Wehrdienstes in der SAA zur Verfügung.
4. Gegen die Abweisung der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten in Spruchpunkt I richtet sich die vorliegende und mit Einlangen bei der belangten Behörde am 05.04.2024 erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers. Das Begehren auf Beschwerdestattgebung stützt sich unter gleichzeitiger Darlegung der allgemeinen Länderberichtslage auf inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafte Beweiswürdigung sowie eine relevante Verletzung von Verfahrensvorschriften, unter einem wird die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Der Beschwerdeführer unterliege der Wehrpflicht in Syrien und werde er im Einziehungsfall zur Beteiligung an völkerrechtswidrigen Handlungen herangezogen, auch drohe eine erhebliche Gefahr für sein Leben. Das syrische Regime „starte“ Zugriffe/Rekrutierungen auch auf dem Gebiet der AANES, von Seiten kurdischer Einheiten sei ein Versuch zur Rekrutierung des Beschwerdeführers unternommen worden. Für einen Freikauf von der Wehrdienstverpflichtung fehlten dem Beschwerdeführer die finanziellen Mittel, zudem biete ein solcher keine ausreichenden Garantien. Bereits aufgrund der oppositionell kontrollierten Herkunft werde dem Beschwerdeführer eine eben solche Gesinnung unterstellt, dasselbe sei aufgrund der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in einem europäischen Staat und der „illegalen Flucht“ anzunehmen. Eine legale Rückkehrmöglichkeit bestehe lediglich über den Luftweg und damit unter Kontakt zum syrischen Regime, eine Einreisemöglichkeit über die irakisch-nordsyrische Grenze sei nicht ausreichend gesichert und drohe auf diesem Weg der Aufgriff des Beschwerdeführers. Die belangte Behörde habe ungenügend ermittelt und sich überhaupt mit Länderberichten unzureichend auseinandergesetzt, der Beschwerdeführer erfülle Risikoprofile als tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner der syrischen Regierung oder der kurdischen Autonomie sowie als Wehrdienstverweigerer.4. Gegen die Abweisung der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten in Spruchpunkt römisch eins richtet sich die vorliegende und mit Einlangen bei der belangten Behörde am 05.04.2024 erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers. Das Begehren auf Beschwerdestattgebung stützt sich unter gleichzeitiger Darlegung der allgemeinen Länderberichtslage auf inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafte Beweiswürdigung sowie eine relevante Verletzung von Verfahrensvorschriften, unter einem wird die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Der Beschwerdeführer unterliege der Wehrpflicht in Syrien und werde er im Einziehungsfall zur Beteiligung an völkerrechtswidrigen Handlungen herangezogen, auch drohe eine erhebliche Gefahr für sein Leben. Das syrische Regime „starte“ Zugriffe/Rekrutierungen auch auf dem Gebiet der AANES, von Seiten kurdischer Einheiten sei ein Versuch zur Rekrutierung des Beschwerdeführers unternommen worden. Für einen Freikauf von der Wehrdienstverpflichtung fehlten dem Beschwerdeführer die finanziellen Mittel, zudem biete ein solcher keine ausreichenden Garantien. Bereits aufgrund der oppositionell kontrollierten Herkunft werde dem Beschwerdeführer eine eben solche Gesinnung unterstellt, dasselbe sei aufgrund der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in einem europäischen Staat und der „illegalen Flucht“ anzunehmen. Eine legale Rückkehrmöglichkeit bestehe lediglich über den Luftweg und damit unter Kontakt zum syrischen Regime, eine Einreisemöglichkeit über die irakisch-nordsyrische Grenze sei nicht ausreichend gesichert und drohe auf diesem Weg der Aufgriff des Beschwerdeführers. Die belangte Behörde habe ungenügend ermittelt und sich überhaupt mit Länderberichten unzureichend auseinandergesetzt, der Beschwerdeführer erfülle Risikoprofile als tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner der syrischen Regierung oder der kurdischen Autonomie sowie als Wehrdienstverweigerer.
5. Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt zugehörigem Verwaltungsakt mit Einlangen im Bundesverwaltungsgericht am 10.04.2024 vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.06.2024 unter Anwesenheit sowohl der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers als auch eines Dolmetschers für die Sprache Kurdisch (Kurmanji) eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, von Seiten der belangten Behörde wurde von einer Teilnahme Abstand genommen. Der Beschwerdeführer führte vorbringensergänzend aus, dass er nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Bezahlung des Wehrersatzgeldes verfüge, es an entsprechenden Garantien fehle und er die Freikaufsmöglichkeit aufgrund bürokratischer Hürden nicht in Anspruch nehmen könne. Er habe seine persönliche „Gewissensüberzeugung“ zum Ausdruck gebracht und sei die Verknüpfung zum Konventionsgrund unabhängig von der Verfolgersicht gegeben, dessen ungeachtet werde ihm vom syrischen Staat eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben. Letzteres auch aufgrund seiner Angehörigeneigenschaft zu regime-kritischen Familienmitgliedern, seinem Bruder sei aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung in Österreich der Asylstatus zuerkannt worden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer, XXXX , geboren am XXXX , ist syrischer Staatsbürger sunnitisch islamischen Glaubens, arabischer und kurdischer Muttersprache und arabischer Volksgruppenzugehörigkeit. Er hat eine Schwester, fünf Brüder, weitere sechs Halbbrüder und drei Halbschwestern, mit Ausnahme eines in Österreich lebenden Bruders befinden sich die Geschwister aus erster Ehe seines Vaters gemeinsam mit seinen Eltern in der Türkei. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und Vater zweier minderjähriger Töchter, letztere halten sich gemeinsam mit seiner Ehefrau im Libanon auf. Der Beschwerdeführer ist in Österreich auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung erwerbstätig und erzielt ein Einkommen von monatlich EUR 1.500 in jährlich vierzehnfacher Auszahlung. Bis Juni 2024 bezieht der Beschwerdeführer ferner Unterstützungsleistungen in Höhe von EUR 200 pro Monat. Er hat derzeit keine Kosten für seine Unterbringung aufzuwenden, in vier Monaten wird er an Wohnkosten einen Betrag von monatlich EUR 250 bis EUR 300 zu bezahlen haben. Er hat keine physischen oder psychischen Beschwerden, strafrechtliche Verurteilungen liegen gegen ihn in Österreich nicht vor.1.1.1. Der Beschwerdeführer, römisch 40 , geboren am römisch 40 , ist syrischer Staatsbürger sunnitisch islamischen Glaubens, arabischer und kurdischer Muttersprache und arabischer Volksgruppenzugehörigkeit. Er hat eine Schwester, fünf Brüder, weitere sechs Halbbrüder und drei Halbschwestern, mit Ausnahme eines in Österreich lebenden Bruders befinden sich die Geschwister aus erster Ehe seines Vaters gemeinsam mit seinen Eltern in der Türkei. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und Vater zweier minderjähriger Töchter, letztere halten sich gemeinsam mit seiner Ehefrau im Libanon auf. Der Beschwerdeführer ist in Österreich auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung erwerbstätig und erzielt ein Einkommen von monatlich EUR 1.500 in jährlich vierzehnfacher Auszahlung. Bis Juni 2024 bezieht der Beschwerdeführer ferner Unterstützungsleistungen in Höhe von EUR 200 pro Monat. Er hat derzeit keine Kosten für seine Unterbringung aufzuwenden, in vier Monaten wird er an Wohnkosten einen Betrag von monatlich EUR 250 bis EUR 300 zu bezahlen haben. Er hat keine physischen oder psychischen Beschwerden, strafrechtliche Verurteilungen liegen gegen ihn in Österreich nicht vor.
1.1.2. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Gouvernement Aleppo, wo er im etwa 30 Kilometer südlich der Stadt Ain Al Arab (Kobane) gelegenen Dorf XXXX geboren und aufgewachsen ist. Hier hat er im Kreise seiner Familie bis zu seiner endgültigen Ausreise aus Syrien ununterbrochen gelebt und ab seinem 15. Lebensjahr am Feld seines Vaters landwirtschaftlich gearbeitet, zuvor hat er in unmittelbarer Nähe des Dorfes über neun Jahre die Schule besucht. Zu keinem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer einen syrischen Wohnsitz außerhalb dieser Ortschaft.1.1.2. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Gouvernement Aleppo, wo er im etwa 30 Kilometer südlich der Stadt Ain Al Arab (Kobane) gelegenen Dorf römisch 40 geboren und aufgewachsen ist. Hier hat er im Kreise seiner Familie bis zu seiner endgültigen Ausreise aus Syrien ununterbrochen gelebt und ab seinem 15. Lebensjahr am Feld seines Vaters landwirtschaftlich gearbeitet, zuvor hat er in unmittelbarer Nähe des Dorfes über neun Jahre die Schule besucht. Zu keinem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer einen syrischen Wohnsitz außerhalb dieser Ortschaft.
1.1.3. Im Herbst 2019 reiste der Beschwerdeführer aufgrund des Krieges und der schlechten Sicherheits- und Wirtschaftslage illegal aus Syrien in die Türkei aus, von wo aus er im Juni 2021, nachdem er wiederum landwirtschaftlich tätig war, über verschiedene Staaten letztlich in Richtung Europa aufbrach, um am 10.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich zu stellen.
1.1.4. Der Beschwerdeführer lebt in Österreich als subsidiär Schutzberechtigter.
1.2. Zu den weiteren Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Ort XXXX befindet sich wie auch die Stadt Ain Al Arab (Kobane) unter kurdischer Kontrolle, ebenso die angrenzenden Gebiete in der näheren und großräumigen Umgebung im Nordosten Syriens südlich des Grenzstreifens zur Türkei und nördlich der Kontrollgrenze zum syrischen Regime. Sowohl im Dorf XXXX als auch in der Stadt Kobane wird die kurdische Kontrolle zur Abschreckung türkisch dominierter Kräfte durch Einheiten des syrischen Regimes unterstützt, unweit des Dorfes XXXX beginnt nach Osten hin die ausschließliche Präsenz kurdischer Kräfte. 1.2.1. Der Ort römisch 40 befindet sich wie auch die Stadt Ain Al Arab (Kobane) unter kurdischer Kontrolle, ebenso die angrenzenden Gebiete in der näheren und großräumigen Umgebung im Nordosten Syriens südlich des Grenzstreifens zur Türkei und nördlich der Kontrollgrenze zum syrischen Regime. Sowohl im Dorf römisch 40 als auch in der Stadt Kobane wird die kurdische Kontrolle zur Abschreckung türkisch dominierter Kräfte durch Einheiten des syrischen Regimes unterstützt, unweit des Dorfes römisch 40 beginnt nach Osten hin die ausschließliche Präsenz kurdischer Kräfte.
1.2.2. Der Beschwerdeführer hat in Syrien keinen Militärdienst abgeleistet.
1.2.3. Der Beschwerdeführer hat keine Einberufung zur syrischen Armee erhalten und besitzt kein Militärbuch der syrischen Armee. Er hat keinen Aufschub des Militärdienstes in der syrischen Armee erwirkt und verfügt über keine Befreiung von der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes in der syrischen Armee.
1.2.4. Ein konkreter Versuch zur Einziehung des Beschwerdeführers zur Ableistung des Militärdienstes von Seiten kurdischer Kräfte hat nicht stattgefunden. Der Beschwerdeführer lehnt die Ableistung des Militärdienstes im Rahmen der kurdischen „Selbstverteidigungspflicht“ aufgrund des Krieges und der damit einhergehenden Gefahren und Handlungen ab. Er hat keine eigene, gegen die kurdische Autonomie in Nordost-Syrien gerichtete politische Überzeugung und ist wie auch seine Familienmitglieder zu keinem Zeitpunkt mit einer solchen in Erscheinung getreten.
1.2.5. Kein Cousin des Beschwerdeführers ist im Jahr 2018 aufgrund seiner politischen Gesinnung westlich der Stadt Manbidsch von Einheiten des syrischen Regimes erschossen worden.
1.2.6. Das am Weg vom kurdisch-irakischen und nordost-syrischen Grenzübergang Semalka-Faysh Khabour bis zum Ort XXXX zu durchquerende Gebiet steht unter kurdischer Kontrolle.1.2.6. Das am Weg vom kurdisch-irakischen und nordost-syrischen Grenzübergang Semalka-Faysh Khabour bis zum Ort römisch 40 zu durchquerende Gebiet steht unter kurdischer Kontrolle.
1.3. Zur Situation im Herkunftsland Syrien:
1.3.1. Allgemeine Situation und politische Lage (zuletzt aktualisiert am 08.03.2024):
1.3.1.1. Allgemeines:
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Als die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen.
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden. Das Assad-Regime kontrolliert rund 70% des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen. Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten. Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen.
Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen. Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung. Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen.
Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt. In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar.
1.3.1.2. Zum Selbstverwaltungsgebiet Nord- und OstSyrien (zuletzt geändert am 08.03.2024):
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre.
Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF). Die von den USA unterstützten SDF sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen, in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist. Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben. Im März 2018 übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe. Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa sowie Manbidsch, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES.
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben. Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an. Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen. Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren. Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung. Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen. Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet. Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei.
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden. Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht. Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in Kurdisch besiedelten Gebieten, und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen. Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest.
Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen. Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor.
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht.
Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee.
Die Regierung ist in kleinen Teilen der Stadt al-Qamischli und in zahlreichen Dörfern südlich der Stadt sowie in kleinen Teilen der Stadt al-Hasaka stark vertreten. Außerhalb dieser Gebiete ist die Kontrolle der Regierung locker und umstritten. Die Regierung ist daher nicht in der Lage, die Wehrpflicht durchzusetzen oder Oppositionelle zu verhaften. Die Gebiete in und um Manbidsch, Ain Al-Arab, Tal Rifaat und an der türkischen Grenze zeichnen sich zwar durch Präsenz einiger Regierungstruppen aus, die SDF (Syrian Democratic Forces) sind jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF haben der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher sind die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränkt sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. Zurzeit sind die SDF der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften.
1.3.2. Zur allgemeinen Sicherheitslage in Syrien (zuletzt aktualisiert am 08.03.2024):
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen. Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden. Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60% des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens.
Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen. Für keinen Landesteil Syriens kann insofern von einer nachhaltigen Beruhigung der militärischen Lage ausgegangen werden. Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) der VN stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den VN benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind. Im Mai 2023 begannen zusätzlich dazu die jordanischen Streitkräfte, Luftangriffe gegen die Drogenschmuggler zu fliegen. Die USA sind mit mindestens 900 Militärpersonen in Syrien, um Anti-Terror-Operationen durchzuführen. Seit Ausbruch des Krieges zwischen der Hamas und Israel begannen die USA, mehrere Luftangriffe gegen iranische Milizen in Syrien und dem Irak zu fliegen. Anfang Februar 2024 eskalierten die Spannungen zwischen dem Iran und den USA, nachdem iranische Milizen in Jordanien eine militärische Stellung der USA mit einer Drohne angriffen und dabei mehrere US-amerikanische Soldaten töteten und verletzten. Die USA reagierten mit erhöhten und verstärkten Luftangriffen auf Stellungen der iranischen Milizen in Syrien und dem Irak. In Syrien trafen sie Ziele in den Räumen Deir ez-Zor, Al-Bukamal sowie Al-Mayadeen. Die syrische Armee gab an, dass bei den Luftangriffen auch Zivilisten sowie reguläre Soldaten getötet wurden. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 intensivierte Israel die Luftangriffe gegen iranische und syrische Militärstellungen. Infolge der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 wurde israelisch kontrolliertes Gebiet auch von Syrien aus mindestens dreimal mit Raketen beschossen.
Die syrische Regierung hat derzeit die Kontrolle über ca. zwei Drittel des Landes, inklusive größerer Städte, wie Aleppo und Homs. Unter ihrer Kontrolle sind derzeit die Provinzen Suweida, Daraa, Quneitra, Homs sowie ein Großteil der Provinzen Hama, Tartus, Lattakia und Damaskus. Auch in den Provinzen Aleppo, Raqqa und Deir ez-Zor übt die syrische Regierung über weite Teile die Kontrolle aus. Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Die Opposition konnte eingeschränkt die Kontrolle über Idlib und entlang der irakisch-syrischen Grenze behalten. Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind im Land in den bewaffneten Konflikt involviert. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“. Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden.
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen:
1.3.2.1. Sicherheitslage in Nordsyrien und Kooperation der kurdischen Autonomie mit dem syrischen Regime (zuletzt aktualisiert am 08.03.2024):
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichteten. Laut der Vereinbarung übernahmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein. Seitdem verblieben die Machtverhältnisse [mit Stand April 2023] weitgehend unverändert. Die syrischen Regierungstruppen üben im Gebiet punktuell Macht aus, etwa mit Übergängen zwischen einzelnen Stadtvierteln (z. B. Stadt Qamischli im Gouvernement Al-Hassakah). Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-?Ayn ein, die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist.
Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u. a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil. Erdo?an hat wiederholt angekündigt, einen 30 Kilometer breiten Streifen an der syrischen Grenze vollständig einzunehmen, um eine sogenannte Sicherheitszone auf der syrischen Seite der Grenze zu errichten, unter anderem, um dort syrische Flüchtlinge und Vertriebene, sowohl sunnitische Araber als auch Turkmenen, anzusiedeln. Dieser Prozess ist in Afrîn, al-Bab und Ra's al-'Ayn bereits im Gange. Zuletzt konzentrierte die türkische Regierung ihre Drohungen auf die Region um Kobanê und Manbidsch - also die westlichen Selbstverwaltungsgebiete. Damit kann eine Verbindung zwischen dem Gebiet al-Bab-Jarablus und dem Gebiet Tel Abyad-Ra's al-'Ayn hergestellt werden, außerdem ist Kobanê ein Symbol des kurdischen Widerstands gegen den IS.
1.3.2.2. Zur Situation im Nordosten Syriens (zuletzt aktualisiert am 08.03.2024):
Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der PKK zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Defence Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet. Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet. Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbidsch, Kobanê, Tell Abyad, Ar-Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und al-Hassakah. Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt. Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war. Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur. Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei.
Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern. Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent. Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an.
Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt. Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen.
SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen. Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand. Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS".
Die kurdischen, sogenannten 'Selbstverteidigungseinheiten' (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen. In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien. Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet wurden.
Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF. Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Al-Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können. Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer. Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten. Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF. US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte. Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen. Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab. Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS. Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren, wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 2023 waren Human Rights Watch keine Wiederaufbaupläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten. Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden. Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS in letzter Zeit im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt. Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben.
Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird. Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF sowie gegen steigende Treibstoffpreise. In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement al-Hassakah und Manbidsch (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen. Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt. Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige