TE Bvwg Erkenntnis 2024/7/4 L504 2244628-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.07.2024
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Entscheidungsdatum

04.07.2024

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Spruch


L504 2244628-1/40E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Clemens Lahner, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.06.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt: Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 auch römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Clemens Lahner, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.06.2021, Zl. römisch 40 , zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß § 3 Abs 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt. A) Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgangrömisch eins. Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 06.03.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, der seinen Angaben nach Staatsangehöriger der Türkei ist, der Volksgruppe der Kurden angehört und aus XXXX stammt. Es handelt sich dabei um einen Mann, der seinen Angaben nach Staatsangehöriger der Türkei ist, der Volksgruppe der Kurden angehört und aus römisch 40 stammt.

In der vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab die bP zu ihrer Ausreisemotivation im Wesentlichen an, dass sie in ihrer Heimat Rechtsverteidiger von politisch Gefangenen, Menschenrechtlern, Mitgliedern der HDP und von Mitgliedern der kurdischen Anwaltskammer in der Türkei gewesen sei. Sie sei von den türkischen Behörden angezeigt worden, weil sie selbst politisch sehr aktiv sei und politische Gefangene unterstütze.

In der nachfolgenden Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA] führte die bP hinsichtlich ihrer Ausreisegründe an, dass sie im Jahr 2003 für eineinhalb Monate inhaftiert gewesen sei, da sie vor einem Poster von Öcalan gestanden und die Polizei der Meinung gewesen sei, die bP habe dieses aufgehängt.

Die bP sei öfters bedroht worden. Zudem sei sie seit ihrer Kindheit diskriminiert worden, da sie Kurde sei.

Seit 2015 arbeite die bP in XXXX als Rechtsanwalt. Seit 2018 nehme sie politische Fälle wegen Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen an. Darüber habe sie auch Berichte geschrieben und diese an diverse Vereine sowie die HDP weitergeleitet. Deswegen sei sie auch immer belästigt worden. Bei politischen Fällen sei die bP auch immer als Terroristenanwalt bezeichnet worden. Seit 2015 arbeite die bP in römisch 40 als Rechtsanwalt. Seit 2018 nehme sie politische Fälle wegen Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen an. Darüber habe sie auch Berichte geschrieben und diese an diverse Vereine sowie die HDP weitergeleitet. Deswegen sei sie auch immer belästigt worden. Bei politischen Fällen sei die bP auch immer als Terroristenanwalt bezeichnet worden.

Die bP sei auch Mitglied der HDP. Sie sei als Wahlhelfer tätig gewesen und automatisch als Rechtsanwalt tätig geworden, wenn eines der Vereinsmitglieder Rechtsbeistand gebraucht habe.

Bei einer Rückkehr in die Türkei habe die bP Angst, verhaftet zu werden, da sie gegen das Rechtssystem der Türkei sei.

Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl [BFA] sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen bemessen.

Vom BFA wurde darin ausgeführt, dass die vorgebrachten politischen Aktivitäten sowie die Tätigkeit der bP als Rechtsanwalt als glaubhaft gewertet würden. Allerdings hätten keine Hinweise dafür festgestellt werden können, dass die bP seitens der türkischen Behörden einer willkürlichen bzw. unangemessenen Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt sei.

Gegen diesen Bescheid wurde von der bP fristgerecht Beschwerde erhoben.

Darin wird vorgebracht, dass die bP im Juni 2021 erfahren habe, dass die Polizei nach ihr suche. Im Falle einer Rückkehr würde die bP daher Gefahr laufen, inhaftiert und gefoltert zu werden. Zudem habe die bP ein widerspruchsfreies und nachvollziehbares Vorbringen erstattet. Hätte die Behörde ein ordentliches Ermittlungsverfahren sowie eine korrekte Beweiswürdigung durchgeführt, hätte sie zu dem Schluss kommen müssen, dass das Vorbringen der bP, in ihrem Heimatland einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, glaubwürdig sei.

Am 24.08.2023 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP, sowie im Beisein ihrer bevollmächtigten Vertretung eine Verhandlung durch. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

Mit Erkenntnis vom 07.11.2023 hat das BVwG die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Verfassungsgerichtshof hat der dagegen erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 26.02.2024, E 3982/2023-12, stattgegeben und dieses aufgehoben.

Mit Schreiben vom 19.03.2024 wurde das Bundesamt als Verfahrenspartei vom BVwG aufgefordert zum gegenständlichen VfGH Erkenntnis Stellung zu beziehen und allfällige neue Erkenntnisse, insb. über das türkische Justizsystem, darzulegen. Die Behörde äußerte sich dazu nicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

II.1. Feststellungen (Sachverhalt)römisch II.1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Name und Geburtsdatum (wie im Einleitungssatz des Spruches angeführt) stehen lt. Bundesamt fest.

Die bP ist der Volksgruppe der Kurden zugehörig.

Ihre Staatsangehörigkeit und der der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist Türkei.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Die bP ist in XXXX geboren und ab dem 5. Lebensjahr in XXXX aufgewachsen. Dort besuchte sie die Volks- und Hauptschule bzw. AHS. Anschließend studierte sie Rechtswissenschaften in Istanbul und XXXX und kehrte dann wieder nach XXXX zurück. Die bP ist in römisch 40 geboren und ab dem 5. Lebensjahr in römisch 40 aufgewachsen. Dort besuchte sie die Volks- und Hauptschule bzw. AHS. Anschließend studierte sie Rechtswissenschaften in Istanbul und römisch 40 und kehrte dann wieder nach römisch 40 zurück.

Seit 2015 ist die bP als selbständiger Rechtsanwalt tätig und lebte vor ihrer Ausreise aus der Türkei in einer Mietwohnung.

1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Die bP ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Die Familienangehörigen der bP leben in einem Dorf außerhalb von XXXX .Die bP ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Die Familienangehörigen der bP leben in einem Dorf außerhalb von römisch 40 .

1.4. Ausreisemodalitäten:

Die bP verließ die Türkei am 22.02.2021 und gelangte (unter anderem) über Bulgarien und Ungarn nach Österreich, wo sie am 06.03.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Seit 18.03.2021 ist die bP mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Sie durchreiste auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte sie nicht um Schutz an. Es wurde nicht dargelegt, dass ihr dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder, dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.

1.5. Strafrechtliche Vormerkungen:

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf. Rechtskräftige Verurteilung im Ausland wurden nicht bekannt.

1.6. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet:

a)       Betreffend ihrer persönlichen Sicherheit / Verfolgung im Herkunftsstaat:

Glaubhaft ist, dass die bP in der Türkei als Rechtsanwalt tätig war und dabei vor allem Kurden, aber etwa auch politische Gefangene und Terrorismusverdächtige vertreten hat. Zudem werden bzw. wurden gegen die bP in der Türkei folgende Strafverfahren geführt, die eingestellt wurden bzw. in denen Verfahren wider die bP aktuell anhängig sind.

Einstellung des Verfahrens

Mit Urteil vom XXXX wurde das Ermittlungsverfahren gegen die bP (und 12 weitere Personen) wegen Organisation und Verwaltung illegaler Treffen und Demonstrationen bzw. Teilnahme an illegalen Treffen und Demonstrationen eingestellt. Mit Urteil vom römisch 40 wurde das Ermittlungsverfahren gegen die bP (und 12 weitere Personen) wegen Organisation und Verwaltung illegaler Treffen und Demonstrationen bzw. Teilnahme an illegalen Treffen und Demonstrationen eingestellt.

Darin wird ausgeführt (AS 194ff): „Es wurde festgestellt, dass die Aktivitäten der Verdächtigen nicht die rechtlichen Elemente der Straftat gegen Artikel 22 des Gesetzes Nummer 2911 des türkischen Strafgesetzbuches tragen und dass es keine genügend konkreten Beweise und Hinweise dafür gibt, dass die Verdächtigen unter den Anweisungen einer terroristischen Organisation versammelt wurden.

Im Namen der Öffentlichkeit wurde entschieden, keine Strafverfolgung der Verdächtigen aufgrund des auferlegten Verbrechens einzuleiten“.

1. Anklage

Am XXXX wurde gegen die bP Anklage wegen Propaganda für eine terroristische Organisation erhoben (Tatzeitpunkt XXXX , Anti-Terrorismus-Gesetz Artikel 7/2, Türkisches Strafgesetzbuch Artikel 43/1, Türkisches Strafgesetzbuch Artikel 53/1). Darin heißt es (Auszug aus der Übersetzung, OZ 12): Am römisch 40 wurde gegen die bP Anklage wegen Propaganda für eine terroristische Organisation erhoben (Tatzeitpunkt römisch 40 , Anti-Terrorismus-Gesetz Artikel 7/2, Türkisches Strafgesetzbuch Artikel 43/1, Türkisches Strafgesetzbuch Artikel 53/1). Darin heißt es (Auszug aus der Übersetzung, OZ 12):

„Die Sicherheitskräfte haben im Rahmen der Aufdeckung der Aktivitäten der PKK/KCKTerrororganisation Untersuchungen in öffentlich zugänglichen Quellen wie

Nachrichtenwebsites im Internet durchgeführt, die von jedem eingesehen werden können

und keine Geheimhaltung aufweisen (Facebook, Twitter usw.). Dabei wurde festgestellt,

dass unter dem Twitter-Benutzernamen XXXX dass unter dem Twitter-Benutzernamen römisch 40

XXXX Propagandaaktivitäten der römisch 40 Propagandaaktivitäten der

Terrororganisation geteilt wurden. Es wurde festgestellt, dass dieses Twitter-Konto dem

verdächtigen XXXX gehört. Nachdem der Fall der Staatsanwaltschaft gemeldetverdächtigen römisch 40 gehört. Nachdem der Fall der Staatsanwaltschaft gemeldet

wurde, wurde eine Untersuchung gegen den Verdächtigen eingeleitet.

In der Untersuchung des Protokolls zur Social-Media-Recherche vom XXXX In der Untersuchung des Protokolls zur Social-Media-Recherche vom römisch 40

wurde festgestellt, dass der Verdächtige Abdurrahman ?LG?N auf seinem Twitter-Konto mit

der URL-Verbindung https://twitter.com/ XXXX folgende Beiträge veröffentlicht hat:der URL-Verbindung https://twitter.com/ römisch 40 folgende Beiträge veröffentlicht hat:

XXXX römisch 40

und dass der Verdächtige gemäß dem Beschluss des XXXX 1. Friedensstrafgerichtsund dass der Verdächtige gemäß dem Beschluss des römisch 40 1. Friedensstrafgerichts

vom XXXX mit der geänderten Aktennummer XXXX zur Festnahmevom römisch 40 mit der geänderten Aktennummer römisch 40 zur Festnahme

ausgeschrieben wurde. Es wird jedoch festgestellt, dass er noch nicht festgenommen wurde

und daher seine Aussage noch nicht aufgenommen werden konnte. Es wird darauf

hingewiesen, dass seit der Ausstellung des Haftbefehls eine angemessene Zeitspanne

vergangen ist.

Bei der Auswertung von Untersuchungsberichten, Protokollen und allen Unterlagen im Zusammenhang mit der Untersuchung wird deutlich, dass der Verdächtige in seinem Twitter-Account zu verschiedenen Zeitpunkten mehrmals Bilder der PKK/KCK Terrororganisation und ihrer syrischen Ableger PYD/YPG sowie Bilder der angeblichen Fahne der Organisation und des Anführers der PKK-Terrororganisation Abdullah Öcalan geteilt zu haben. Angesichts des Ziels der PKK/KCK Terrororganisation, einen sogenannten demokratischen Konföderalismus unter dem Namen „demokratischer konföderaler Kurdistan“ zu errichten, der das östliche und südöstliche Anatolien unseres Landes umfassen würde, sowie der Gewaltaktionen, die sie zur Erreichung dieses Ziels durchgeführt hat, lässt sich feststellen, dass der Verdächtige in einer kumulativen Art und Weise die Verbreitung von terroristische Propaganda begangen hat, indem er gewaltsame und bedrohliche Methoden der PKK/KCK –Terrororganisation rechtfertigte und zur Anwendung dieser Methoden anstiftete“.

Am XXXX fand eine Verhandlung vor dem Strafgericht 1. Instanz statt. Es wurde ua festgestellt, dass der Haftbefehl noch nicht vollstreckt wurde. Von der Anklagebehörde wurde beantragt, die Vollstreckung abzuwarten. Das Gericht hat folglich beschlossen, dass der Haftbefehl bestehen bleibt und die Vollstreckung abgewartet wird. Die Verhandlung wurde auf den XXXX vertagt.Am römisch 40 fand eine Verhandlung vor dem Strafgericht 1. Instanz statt. Es wurde ua festgestellt, dass der Haftbefehl noch nicht vollstreckt wurde. Von der Anklagebehörde wurde beantragt, die Vollstreckung abzuwarten. Das Gericht hat folglich beschlossen, dass der Haftbefehl bestehen bleibt und die Vollstreckung abgewartet wird. Die Verhandlung wurde auf den römisch 40 vertagt.

2. Anklage

Die bP wurde weiters wegen Beleidigung von XXXX , zu diesem Zeitpunkt Innenminister der Türkei, (Türkisches Strafgesetzbuch Artikel 125/1-2-3.a, 43 und 53) über ihren öffentlich zugänglichen Twitter-Account angeklagt (Auszug aus der Übersetzung, OZ 12):Die bP wurde weiters wegen Beleidigung von römisch 40 , zu diesem Zeitpunkt Innenminister der Türkei, (Türkisches Strafgesetzbuch Artikel 125/1-2-3.a, 43 und 53) über ihren öffentlich zugänglichen Twitter-Account angeklagt (Auszug aus der Übersetzung, OZ 12):

„Am XXXX teilte der Verdächtige ein Foto, auf dem auch XXXX zu sehen ist, mit den Worten: XXXX „Am römisch 40 teilte der Verdächtige ein Foto, auf dem auch römisch 40 zu sehen ist, mit den Worten: römisch 40

Am XXXX wurde festgestellt, dass der Verdächtige einen Beitrag mit den Worten XXXX gepostet hat. Am römisch 40 wurde festgestellt, dass der Verdächtige einen Beitrag mit den Worten römisch 40 gepostet hat.

[…]

Unter Berücksichtigung der persönlichen Fotos des Verdächtigen im Profil wird angenommen, dass die fraglichen Beiträge von ihm verfasst wurden“.

3. Anklage

Gegen die bP wurde weiters eine Anklage wegen Beleidigung eines Amtsträgers erhoben (Türkisches Strafgesetzbuch Artikel 125/2-1/3.a, 4 und 53):

„Gemäß der der Beschwerde, die der Kläger über seinen Anwalt eingereicht hat, hat der Angeklagte über die Social-Media-Plattform Facebook unter dem Beitrag des Klägers einen Beitrag veröffentlicht, der besagt XXXX Aufgrund dieser Veröffentlichung haben die Kläger eine Anzeige erstattet und eine Beschwerde eingereicht. „Gemäß der der Beschwerde, die der Kläger über seinen Anwalt eingereicht hat, hat der Angeklagte über die Social-Media-Plattform Facebook unter dem Beitrag des Klägers einen Beitrag veröffentlicht, der besagt römisch 40 Aufgrund dieser Veröffentlichung haben die Kläger eine Anzeige erstattet und eine Beschwerde eingereicht.

Die Untersuchungen des Cyberkriminalitätsbekämpfungsbüros ergaben in dem Untersuchungsbericht vom XXXX , dass der Verdächtige der Rechtsanwalt XXXX ist“.Die Untersuchungen des Cyberkriminalitätsbekämpfungsbüros ergaben in dem Untersuchungsbericht vom römisch 40 , dass der Verdächtige der Rechtsanwalt römisch 40 ist“.

Die bP ist in der Türkei zwecks Einvernahme zur Festnahme ausgeschrieben, da sie nicht angetroffen werden konnte.

Auf Grund der aktuellen Berichtslage ist im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit und politisch oppositionellen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine drohende staatliche Verfolgung aus einem asylrelevanten Motiv glaubhaft gemacht worden.


1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Version 8) ergeben sich nachfolgende Feststellungen über die relevante Lage:

Rechtsstaatlichkeit / Justizwesen

Letzte Änderung 2024-03-07 13:54

Allgemeine Situation der Rechtsstaatlichkeit und des Justizwesens

2022 zeigte sich das Europäische Parlament in einer Entschließung "weiterhin besorgt über die fortgesetzte Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz in der Türkei, die mit der abschreckenden Wirkung der von der Regierung in den vergangenen Jahren vorgenommenen Massenentlassungen sowie öffentlichen Stellungnahmen von Personen in führender Stellung zu laufenden Gerichtsverfahren verbunden sind, wodurch die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit und die allgemeine Fähigkeit der Justiz, bei Menschenrechtsverletzungen wirksam Abhilfe zu schaffen, geschwächt werden" (EP 7.6.2022, S. 11, Pt. 15; vgl. BS 23.2.2022a, S. 3) und "stellt mit Bedauern fest, dass diese grundlegenden Mängel bei den Justizreformen nicht in Angriff genommen werden" (EP 7.6.2022, S. 11, Pt. 15; vgl. AI 29.3.2022a), und dies trotz des neuen Aktionsplans für Menschenrechte und zweier vom Justizministerium ausgearbeiteten Justizreformpaketen (AI 29.3.2022a). Nicht nur, dass sich die Unabhängigkeit der Justiz verschlechtert hat, mangelt es ebenso an Verbesserungen des Funktionierens der Justiz im Ganzen (EC 12.10.2022, S. 23f.; vgl. EC 8.11.2023, S. 23, USDOS 20.3.2023a, S. 2, 16). In seiner Entschließung vom 13.9.2023 bekräftigte das Europäische Parlament uneingeschränkt den Inhalt der Entschließung aus dem Vorjahr im Sinne, dass die "dargestellte desolate Lage in Bezug auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit nach wie vor unverändert ist" (EP 13.9.2023, Pt. 8). Bei der Anwendung des EU-Besitzstands und der europäischen Standards im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte befindet sich die Türkei laut der Europäischen Kommission (EK) noch in einem frühen Stadium. Laut EK kam es sogar zu Rückschritten (EC 8.11.2023, S. 23). In diesem Zusammenhang betonte die Präsidentin der Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés (MEDEL), der Vereinigung der Europäischen Richter für Demokratie und Freiheit, Mariarosaria Guglielmi, im Juni 2023, dass die türkischen Bürgerinnen und Bürger aufgrund der jahrelangen Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, des harten Zugriffs der politischen Mehrheit auf den Obersten Justizrat und der Massenverhaftungen und Prozesse gegen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte derzeit keinen wirksamen gerichtlichen Schutz ihrer Grundrechte genießen. Diese Situation wird durch die Anwendung der Anti-Terror-Gesetzgebung noch verschärft, die zu einem mächtigen Instrument für die Verfolgung von Oppositionellen und all jenen, die unrechtmäßig verhaftet wurden, durch die Justiz geworden ist (MEDEL 23.6.2023).2022 zeigte sich das Europäische Parlament in einer Entschließung "weiterhin besorgt über die fortgesetzte Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz in der Türkei, die mit der abschreckenden Wirkung der von der Regierung in den vergangenen Jahren vorgenommenen Massenentlassungen sowie öffentlichen Stellungnahmen von Personen in führender Stellung zu laufenden Gerichtsverfahren verbunden sind, wodurch die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit und die allgemeine Fähigkeit der Justiz, bei Menschenrechtsverletzungen wirksam Abhilfe zu schaffen, geschwächt werden" (EP 7.6.2022, Sitzung 11, Pt. 15; vergleiche BS 23.2.2022a, Sitzung 3) und "stellt mit Bedauern fest, dass diese grundlegenden Mängel bei den Justizreformen nicht in Angriff genommen werden" (EP 7.6.2022, Sitzung 11, Pt. 15; vergleiche AI 29.3.2022a), und dies trotz des neuen Aktionsplans für Menschenrechte und zweier vom Justizministerium ausgearbeiteten Justizreformpaketen (AI 29.3.2022a). Nicht nur, dass sich die Unabhängigkeit der Justiz verschlechtert hat, mangelt es ebenso an Verbesserungen des Funktionierens der Justiz im Ganzen (EC 12.10.2022, Sitzung 23f.; vergleiche EC 8.11.2023, Sitzung 23, USDOS 20.3.2023a, Sitzung 2, 16). In seiner Entschließung vom 13.9.2023 bekräftigte das Europäische Parlament uneingeschränkt den Inhalt der Entschließung aus dem Vorjahr im Sinne, dass die "dargestellte desolate Lage in Bezug auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit nach wie vor unverändert ist" (EP 13.9.2023, Pt. 8). Bei der Anwendung des EU-Besitzstands und der europäischen Standards im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte befindet sich die Türkei laut der Europäischen Kommission (EK) noch in einem frühen Stadium. Laut EK kam es sogar zu Rückschritten (EC 8.11.2023, Sitzung 23). In diesem Zusammenhang betonte die Präsidentin der Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés (MEDEL), der Vereinigung der Europäischen Richter für Demokratie und Freiheit, Mariarosaria Guglielmi, im Juni 2023, dass die türkischen Bürgerinnen und Bürger aufgrund der jahrelangen Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, des harten Zugriffs der politischen Mehrheit auf den Obersten Justizrat und der Massenverhaftungen und Prozesse gegen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte derzeit keinen wirksamen gerichtlichen Schutz ihrer Grundrechte genießen. Diese Situation wird durch die Anwendung der Anti-Terror-Gesetzgebung noch verschärft, die zu einem mächtigen Instrument für die Verfolgung von Oppositionellen und all jenen, die unrechtmäßig verhaftet wurden, durch die Justiz geworden ist (MEDEL 23.6.2023).

Faires Verfahren

Die Auswirkungen dieser Situation auf das Strafrechtssystem zeigen sich dadurch, dass sich zahlreiche seit Langem bestehende Probleme, wie der Missbrauch der Untersuchungshaft, verschärft haben, und neue Probleme hinzugekommen sind. Vor allem bei Fällen von Terrorismus und Organisierter Kriminalität hat die Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz und die sehr lockere Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür geführt, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet (CoE-CommDH 19.2.2020). 2023 betrafen von den 72 Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) im Sinne der Verletzung der Menschenrechte in der Türkei allein 17 das Recht auf ein faires Verfahren (ECHR 1.2024). Die fehlende Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte ist die wichtigste Ursache für die vom EGMR in seinen Urteilen gegen die Türkei häufig monierten Verletzungen von Regelungen zu fairen Gerichtsverfahren, obgleich dieses Grundrecht in der Verfassung verankert ist (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 9).Die Auswirkungen dieser Situation auf das Strafrechtssystem zeigen sich dadurch, dass sich zahlreiche seit Langem bestehende Probleme, wie der Missbrauch der Untersuchungshaft, verschärft haben, und neue Probleme hinzugekommen sind. Vor allem bei Fällen von Terrorismus und Organisierter Kriminalität hat die Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz und die sehr lockere Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür geführt, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet (CoE-CommDH 19.2.2020). 2023 betrafen von den 72 Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) im Sinne der Verletzung der Menschenrechte in der Türkei allein 17 das Recht auf ein faires Verfahren (ECHR 1.2024). Die fehlende Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte ist die wichtigste Ursache für die vom EGMR in seinen Urteilen gegen die Türkei häufig monierten Verletzungen von Regelungen zu fairen Gerichtsverfahren, obgleich dieses Grundrecht in der Verfassung verankert ist (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 9).

Bereits im Juni 2020 wies der Präsident des türkischen Verfassungsgerichts, Zühtü Arslan, darauf hin, dass die Mehrzahl der Rechtsverletzungen (52 %) auf das Fehlen eines Rechts auf ein faires Verfahren zurückzuführen ist, was laut Arslan auf ein ernstes Problem hinweise, das gelöst werden müsse (Duvar 9.6.2020). 2022 zitiert das Europäische Parlament den Präsidenten des türkischen Verfassungsgerichtes, wonach mehr als 73 % der über 66.000 im Jahr 2021 eingereichten Gesuche sich auf das Recht auf ein faires Verfahren beziehen, was den Präsidenten veranlasste, die Situation als katastrophal zu bezeichnen (EP 7.6.2022, S. 12, Pt. 16).Bereits im Juni 2020 wies der Präsident des türkischen Verfassungsgerichts, Zühtü Arslan, darauf hin, dass die Mehrzahl der Rechtsverletzungen (52 %) auf das Fehlen eines Rechts auf ein faires Verfahren zurückzuführen ist, was laut Arslan auf ein ernstes Problem hinweise, das gelöst werden müsse (Duvar 9.6.2020). 2022 zitiert das Europäische Parlament den Präsidenten des türkischen Verfassungsgerichtes, wonach mehr als 73 % der über 66.000 im Jahr 2021 eingereichten Gesuche sich auf das Recht auf ein faires Verfahren beziehen, was den Präsidenten veranlasste, die Situation als katastrophal zu bezeichnen (EP 7.6.2022, Sitzung 12, Pt. 16).

Mängel gibt es weiters beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen gegen Beschuldigte sowie bei den Verteidigungsmöglichkeiten der Rechtsanwälte bei sog. Terror-Prozessen. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt (AA 28.7.2022, S. 12; vgl. AI 26.10.2020). Einerseits werden oftmals das Recht auf Zugang zur Justiz und das Recht auf Verteidigung aufgrund der vorgeblichen Vertraulichkeit der Unterlagen eingeschränkt, andererseits tauchen gleichzeitig in den Medien immer wieder Auszüge aus den Akten der Staatsanwaltschaft auf, was zu Hetzkampagnen gegen die Verdächtigten/Angeklagten führt und nicht selten die Unschuldsvermutung verletzt (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 11).Mängel gibt es weiters beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen gegen Beschuldigte sowie bei den Verteidigungsmöglichkeiten der Rechtsanwälte bei sog. Terror-Prozessen. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt (AA 28.7.2022, Sitzung 12; vergleiche AI 26.10.2020). Einerseits werden oftmals das Recht auf Zugang zur Justiz und das Recht auf Verteidigung aufgrund der vorgeblichen Vertraulichkeit der Unterlagen eingeschränkt, andererseits tauchen gleichzeitig in den Medien immer wieder Auszüge aus den Akten der Staatsanwaltschaft auf, was zu Hetzkampagnen gegen die Verdächtigten/Angeklagten führt und nicht selten die Unschuldsvermutung verletzt (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 11).

Einschränkungen für den Rechtsbeistand ergeben sich auch bei der Festnahme und in der Untersuchungshaft. - So sind die Staatsanwälte beispielsweise befugt, die Polizei mit nachträglicher gerichtlicher Genehmigung zu ermächtigen, Anwälte daran zu hindern, sich in den ersten 24 Stunden des Polizeigewahrsams mit ihren Mandanten zu treffen, wovon sie laut Human Rights Watch auch routinemäßig Gebrauch machen. Die privilegierte Kommunikation von Anwälten mit ihren Mandanten in der Untersuchungshaft wurde faktisch abgeschafft, da es den Behörden gestattet ist, die gesamte Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant aufzuzeichnen und zu überwachen (HRW 10.4.2019). Ein jüngstes, prominentes Beispiel hierfür:

In seinem Urteil vom 6.6.2023 in der Rechtssache Demirta? und Yüksekda? ?eno?lu [seit November 2016 in Haft] gegen die Türkei entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrheitlich (mit 6 gegen 1 Stimme), dass ein Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf eine rasche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung) vorliegt. Die beiden ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP beschwerten sich darüber, dass sie keinen wirksamen Rechtsbeistand erhalten hatten, um gegen ihre Untersuchungshaft zu klagen, da die Gefängnisbehörden ihre Treffen mit ihren Anwälten überwacht und die mit ihnen ausgetauschten Dokumente beschlagnahmt hatten. Der EGMR war der Ansicht, dass die nationalen Gerichte keine außergewöhnlichen Umstände dargelegt hatten, die eine Abweichung vom Grundprinzip der Vertraulichkeit der Gespräche der Beschwerdeführer mit ihren Rechtsanwälten rechtfertigen könnten, und dass die Verletzung des Anwaltsgeheimnisses den Beschwerdeführern einen wirksamen Beistand durch ihre Rechtsanwälte im Sinne von Artikel 5 § 4 der Konvention vorenthalten hatte. In Anbetracht der in seinen früheren Urteilen getroffenen Feststellungen war der Gerichtshof außerdem der Ansicht, dass es nicht möglich war, das Vorliegen solcher Umstände nachzuweisen, da der Gerichtshof das Argument der türkischen Regierung vormals zurückgewiesen hatte, dass sich die Beschwerdeführer wegen terrorismusbezogener Straftaten in Untersuchungshaft befunden hätten. Schließlich stellte das Gericht fest, dass die nationalen Behörden keine detaillierten Beweise vorgelegt hatten, die die Verhängung der angefochtenen Maßnahmen gegen die Kläger im Rahmen des Notstandsdekrets Nr. 676 rechtfertigen könnten. Das Gericht entschied, dass die Türkei den Klägern jeweils 5.500 Euro an immateriellem Schaden und zusammen 2.500 Euro an Kosten und Auslagen zu zahlen hat (ECHR 6.6.2023).In seinem Urteil vom 6.6.2023 in der Rechtssache Demirta? und Yüksekda? ?eno?lu [seit November 2016 in Haft] gegen die Türkei entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrheitlich (mit 6 gegen 1 Stimme), dass ein Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf eine rasche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung) vorliegt. Die beiden ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP beschwerten sich darüber, dass sie keinen wirksamen Rechtsbeistand erhalten hatten, um gegen ihre Untersuchungshaft zu klagen, da die Gefängnisbehörden ihre Treffen mit ihren Anwälten überwacht und die mit ihnen ausgetauschten Dokumente beschlagnahmt hatten. Der EGMR war der Ansicht, dass die nationalen Gerichte keine außergewöhnlichen Umstände dargelegt hatten, die eine Abweichung vom Grundprinzip der Vertraulichkeit der Gespräche der Beschwerdeführer mit ihren Rechtsanwälten rechtfertigen könnten, und dass die Verletzung des Anwaltsgeheimnisses den Beschwerdeführern einen wirksamen Beistand durch ihre Rechtsanwälte im Sinne von Artikel 5 Paragraph 4, der Konvention vorenthalten hatte. In Anbetracht der in seinen früheren Urteilen getroffenen Feststellungen war der Gerichtshof außerdem der Ansicht, dass es nicht möglich war, das Vorliegen solcher Umstände nachzuweisen, da der Gerichtshof das Argument der türkischen Regierung vormals zurückgewiesen hatte, dass sich die Beschwerdeführer wegen terrorismusbezogener Straftaten in Untersuchungshaft befunden hätten. Schließlich stellte das Gericht fest, dass die nationalen Behörden keine detaillierten Beweise vorgelegt hatten, die die Verhängung der angefochtenen Maßnahmen gegen die Kläger im Rahmen des Notstandsdekrets Nr. 676 rechtfertigen könnten. Das Gericht entschied, dass die Türkei den Klägern jeweils 5.500 Euro an immateriellem Schaden und zusammen 2.500 Euro an Kosten und Auslagen zu zahlen hat (ECHR 6.6.2023).

Die Verfassung sieht zwar das Recht auf ein faires öffentliches Verfahren vor, doch Anwaltskammern und Rechtsvertreter behaupten, dass die zunehmende Einmischung der Exekutive in die Justiz und die Maßnahmen der Regierung durch die Notstandsbestimmungen dieses Recht gefährden. Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 20.3.2023a S. 11, 19). Strafverteidiger, die Angeklagte in Terrorismusverfahren vertreten, sind mit Verhaftung und Verfolgung aufgrund der gleichen Anklagepunkte wie ihre Mandanten konfrontiert (USDOS 20.3.2023a, S. 11; vgl. TT/Perilli 2.2021, S. 41, HRW 13.1.2021). Das EP zeigte sich entsetzt "wonach Anwälte, die des Terrorismus beschuldigte Personen vertreten, wegen desselben Verbrechens, das ihren Mandanten zur Last gelegt wird, oder eines damit zusammenhängenden Verbrechens strafrechtlich verfolgt wurden, das heißt, es wird ein Kontext geschaffen, in dem ein eindeutiges Hindernis für die Wahrnehmung des Rechts auf ein faires Verfahren und den Zugang zur Justiz errichtet wird" (EP 7.6.2022, S. 12, Pt. 15). Beispielsweise wurden im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung am 11.9.2020 47 Anwälte in Ankara und sieben weiteren Provinzen aufgrund eines Haftbefehls der Oberstaatsanwaltschaft Ankara festgenommen. 15 Anwälte blieben wegen "Terrorismus"-Anklagen in Untersuchungshaft, der Rest wurde gegen Kaution freigelassen. Ihnen wurde vorgeworfen, angeblich auf Weisung der Gülen-Bewegung gehandelt und die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Klienten (vermeintliche Mitglieder der Gülen-Bewegung) zugunsten der Gülen-Bewegung beeinflusst zu haben (AI 26.10.2020).Die Verfassung sieht zwar das Recht auf ein faires öffentliches Verfahren vor, doch Anwaltskammern und Rechtsvertreter behaupten, dass die zunehmende Einmischung der Exekutive in die Justiz und die Maßnahmen der Regierung durch die Notstandsbestimmungen dieses Recht gefährden. Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 20.3.2023a Sitzung 11, 19). Strafverteidiger, die Angeklagte in Terrorismusverfahren vertreten, sind mit Verhaftung und Verfolgung aufgrund der gleichen Anklagepunkte wie ihre Mandanten konfrontiert (USDOS 20.3.2023a, Sitzung 11; vergleiche TT/Perilli 2.2021, Sitzung 41, HRW 13.1.2021). Das EP zeigte sich entsetzt "wonach Anwälte, die des Terrorismus beschuldigte Personen vertreten, wegen desselben Verbrechens, das ihren Mandanten zur Last gelegt wird, oder eines damit zusammenhängenden Verbrechens strafrechtlich verfolgt wurden, das heißt, es wird ein Kontext geschaffen, in dem ein eindeutiges Hindernis für die Wahrnehmung des Rechts auf ein faires Verfahren und den Zugang zur Justiz errichtet wird" (EP 7.6.2022, Sitzung 12, Pt. 15). Beispielsweise wurden im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung am 11.9.2020 47 Anwälte in Ankara und sieben weiteren Provinzen aufgrund eines Haftbefehls der Oberstaatsanwaltschaft Ankara festgenommen. 15 Anwälte blieben wegen "Terrorismus"-Anklagen in Untersuchungshaft, der Rest wurde gegen Kaution freigelassen. Ihnen wurde vorgeworfen, angeblich auf Weisung der Gülen-Bewegung gehandelt und die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Klienten (vermeintliche Mitglieder der Gülen-Bewegung) zugunsten der Gülen-Bewegung beeinflusst zu haben (AI 26.10.2020).

Geheime bzw. anonyme Zeugen

Das Thema der geheimen Zeugenaussagen kam mit dem 2008 verabschiedeten Zeugenschutzgesetz auf der Tagesordnung. Trotz dutzender Skandale fällen die Gerichte nach wie vor Urteile auf der Grundlage der Aussagen anonymer bzw. geheimer Zeugen, bzw. sehen diese kritisch als ein politisches Instrument. So soll die Gülen-Bewegung, als sie gemeinsam mit der regierenden AKP die Macht teilte, anonyme Zeugen gegen ihre Gegner verwendet haben. Nach dem Putschversuch 2016 waren es dann vor allem vermeintliche Gülen-Mitglieder, gegen welche sich das Instrument der geheimen Zeugen richtete. Ein Zeuge mit dem Codenamen "Garson" (Kellner) ist wahrscheinlich der bekannteste, da er Zeuge in einem Fall war, an dem rund 4.000 Polizisten, vermeintliche Unterstützer der Gülen-Bewegung, beteiligt waren. Problematisch sind insbesondere Fälle, bei denen sich herausstellt, dass die anonymen Zeugen gar nicht existieren. Etwa wurden die Aussagen des anonymen Zeugen "Mercek" zur Begründung für die Verurteilung vieler Politiker herangezogen, u. a. auch gegen den seit 2016 inhaftierten, ehemaligen Ko-Vorsitzenden der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirta?. Später stellte sich jedoch heraus, dass es diese Person nicht gibt (Mezopotamya 2.8.2022; vgl. TM 26.11.2020a). Mitunter geben die Behörden zu, dass es keine anonymen Zeugen gibt. So musste die Polizeibehörde von Diyarbak?r 2019 eingestehen, dass eine anonyme Zeugin mit dem Codenamen "Venus", deren Aussage zur Festnahme und Inhaftierung zahlreicher Personen führte, in Wirklichkeit nicht existierte (NaT 19.2.2019). Im seit 2022 laufenden Verbotsverfahren gegen die HDP wurde zumindest ein anonymer Zeuge gehört, der laut HDP-Parlamentarierin, Meral Dan??-Be?ta?, der Generalstaatsanwaltschaft Auskunft über die Parteifinanzen erteilte, was vermeintlich zur Sperrung der Parteienförderung für die HDP führte (Bianet 30.1.2023).Das Thema der geheimen Zeugenaussagen kam mit dem 2008 verabschiedeten Zeugenschutzgesetz auf der Tagesordnung. Trotz dutzender Skandale fällen die Gerichte nach wie vor Urteile auf der Grundlage der Aussagen anonymer bzw. geheimer Zeugen, bzw. sehen diese kritisch als ein politisches Instrument. So soll die Gülen-Bewegung, als sie gemeinsam mit der regierenden AKP die Macht teilte, anonyme Zeugen gegen ihre Gegner verwendet haben. Nach dem Putschversuch 2016 waren es dann vor allem vermeintliche Gülen-Mitglieder, gegen welche sich das Instrument der geheimen Zeugen richtete. Ein Zeuge mit dem Codenamen "Garson" (Kellner) ist wahrscheinlich der bekannteste, da er Zeuge in einem Fall war, an dem rund 4.000 Polizisten, vermeintliche Unterstützer der Gülen-Bewegung, beteiligt waren. Problematisch sind insbesondere Fälle, bei denen sich herausstellt, dass die anonymen Zeugen gar nicht existieren. Etwa wurden die Aussagen des anonymen Zeugen "Mercek" zur Begründung für die Verurteilung vieler Politiker herangezogen, u. a. auch gegen den seit 2016 inhaftierten, ehemaligen Ko-Vorsitzenden der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirta?. Später stellte sich jedoch heraus, dass es diese Person nicht gibt (Mezopotamya 2.8.2022; vergleiche TM 26.11.2020a). Mitunter geben die Behörden zu, dass es keine anonymen Zeugen gibt. So musste die Polizeibehörde von Diyarbak?r 2019 eingestehen, dass eine anonyme Zeugin mit dem Codenamen "Venus", deren Aussage zur Festnahme und Inhaftierung zahlreicher Personen führte, in Wirklichkeit nicht existierte (NaT 19.2.2019). Im seit 2022 laufenden Verbotsverfahren gegen die HDP wurde zumindest ein anonymer Zeuge gehört, der laut HDP-Parlamentarierin, Meral Dan??-Be?ta?, der Generalstaatsanwaltschaft Auskunft über die Parteifinanzen erteilte, was vermeintlich zur Sperrung der Parteienförderung für die HDP führte (Bianet 30.1.2023).

Im Februar 2022 stellte das türkische Verfassungsgericht fest, dass die Aussagen geheimer Zeugen, die konkrete Tatsachen enthalten, als "starke Indizien für eine Straftat" akzeptiert werden können, ohne dass sie durch andere Beweise gestützt werden, und dass die auf diese Weise vorgenommenen Verhaftungen im Einklang mit dem Gesetz stehen würden (DW 17.2.2022; vgl. Duvar 18.2.2022). Allerdings liegt die Betonung auf "konkrete Tatsachen", denn das Urteil war die Folge einer laut Verfassungsgericht rechtswidrigen Verhaftung eines Gemeinderates in Diyarbak?r-E?il im Jahr 2020 und basierte auf einer geheimen Zeugenaussage, mit welcher der Gemeinderat der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" beschuldigt wurde. Diese Aussage war rechtswidrig weil "abstrakt" und eben nicht "konkret". Kritiker der Hinzuziehung geheimer bzw. anonymer Zeugen betrachten diese Praxis als Instrument, Zeugenaussagen zu fälschen und abweichende Meinungen und Widerstand zum Schweigen zu bringen (Duvar 18.2.2022).Im Februar 2022 stellte das türkische Verfassungsgericht fest, dass die Aussagen geheimer Zeugen, die konkrete Tatsachen enthalten, als "starke Indizien für eine Straftat" akzeptiert werden können, ohne dass sie durch andere Beweise gestützt werden, und dass die auf diese Weise vorgenommenen Verhaftungen im Einklang mit dem Gesetz stehen würden (DW 17.2.2022; vergleiche Duvar 18.2.2022). Allerdings liegt die Betonung auf "konkrete Tatsachen", denn das Urteil war die Folge einer laut Verfassungsgericht rechtswidrigen Verhaftung eines Gemeinderates in Diyarbak?r-E?il im Jahr 2020 und basierte auf einer geheimen Zeugenaussage, mit welcher der Gemeinderat der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" beschuldigt wurde. Diese Aussage war rechtswidrig weil "abstrakt" und eben nicht "konkret". Kritiker der Hinzuziehung geheimer bzw. anonymer Zeugen betrachten diese Praxis als Instrument, Zeugenaussagen zu fälschen und abweichende Meinungen und Widerstand zum Schweigen zu bringen (Duvar 18.2.2022).

Im Gegensatz zum Verfassungsgericht hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits Mitte Oktober 2020 entschieden, dass geheime Zeugenaussagen, welche die türkischen Gerichte insbesondere in Prozessen gegen politische Dissidenten als Beweismittel akzeptiert haben, nicht als ausreichendes Beweismaterial für eine Verurteilung angesehen werden können. Wenn die Verteidigung die Identität des Zeugen nicht kennt, wird ihr nach Ansicht des EGMR in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit genommen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage zu stellen oder in Zweifel zu ziehen. Infolgedessen können geheime Zeugenaussagen allein keine rechtmäßige Verurteilung begründen, es sei denn, eine Verurteilung stützt sich noch auf andere solide Beweise (SCF 26.11.2022; vgl. TM 26.11.2020a).Im Gegensatz zum Verfassungsgericht hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits Mitte Oktober 2020 entschieden, dass geheime Zeugenaussagen, welche die türkischen Gerichte insbesondere in Prozessen gegen politische Dissidenten als Beweismittel akzeptiert haben, nicht als ausreichendes Beweismaterial für eine Verurteilung angesehen werden können. Wenn die Verteidigung die Identität des Zeugen nicht kennt, wird ihr nach Ansicht des EGMR in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit genommen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage zu stellen oder in Zweifel zu ziehen. Infolgedessen können geheime Zeugenaussagen allein keine rechtmäßige Verurteilung begründen, es sei denn, eine Verurteilung stützt sich noch auf andere solide Beweise (SCF 26.11.2022; vergleiche TM 26.11.2020a).

Auswirkungen der Anti-Terror-Gesetzgebung

Eine Reihe von restriktiven Maßnahmen, die während des Ausnahmezustands ergriffen wurden, sind in das Gesetz aufgenommen worden und haben tiefgreifende negative Auswirkungen auf die Menschen in der Türkei (Rat der EU 14.12.2021a, S. 16, Pt. 34). Mit Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 beschloss das Parlament das Gesetz Nr. 7145, durch das Bestimmungen im Bereich der Grundrechte abgeändert wurden. Zu den zahlreichen, nunmehr gesetzlich verankerten Maßnahmen aus der Periode des Ausnahmezustandes zählen insbesondere die Übertragung außerordentlicher Befugnisse an staatliche Behörden sowie Einschränkungen der Grundfreiheiten. Problematisch sind vor allem der weit ausgelegte Terrorismus-Begriff in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelne Artikel des türkischen Strafgesetzbuches, so Art. 301 – Verunglimpfung/Herabsetzung des türkischen Staates und seiner Institutionen und Art. 299 – Beleidigung des Staatsoberhauptes. Opposition, Zivilgesellschaft und namhafte Juristen kritisieren die Einschränkungen als eine Perpetuierung des Ausnahmezustands. (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 7). Das Europäische Parlament (EP) "betont, dass die Anti-Terror-Bestimmungen in der Türkei immer noch zu weit gefasst sind und nach freiem Ermessen zur Unterdrückung der Menschenrechte und aller kritischen Stimmen im Land, darunter Journalisten, Aktivisten und politische Gegner, eingesetzt werden" (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 29) "unter der komplizenhaften Mitwirkung einer Justiz, die unfähig oder nicht willens ist, jeglichen Missbrauch der verfassungsmäßigen Ordnung einzudämmen", und "fordert die Türkei daher nachdrücklich auf, ihre Anti-Terror-Gesetzgebung an internationale Standards anzugleichen" (EP 19.5.2021, S. 9, Pt. 14). Eine Reihe von restriktiven Maßnahmen, die während des Ausnahmezustands ergriffen wurden, sind in das Gesetz aufgenommen worden und haben tiefgreifende negative Auswirkungen auf die Menschen in der Türkei (Rat der EU 14.12.2021a, Sitzung 16, Pt. 34). Mit Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 beschloss das Parlament das Gesetz Nr. 7145, durch das Bestimmungen im Bereich der Grundrechte abgeändert wurden. Zu den zahlreichen, nunmehr gesetzlich verankerten Maßnahmen aus der Periode des Ausnahmezustandes zählen insbesondere die Übertragung außerordentlicher Befugnisse an staatliche Behörden sowie Einschränkungen der Grundfreiheiten. Problematisch sind vor allem der weit ausgelegte Terrorismus-Begriff in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelne Artikel des türkischen Strafgesetzbuches, so Artikel 301, – Verunglimpfung/Herabsetzung des türkischen Staates und seiner Institutionen und Artikel 299, – Beleidigung des Staatsoberhauptes. Opposition, Zivilgesellschaft und namhafte Juristen kritisieren die Einschränkungen als eine Perpetuierung des Ausnahmezustands. (ÖB Ankara 28.12.2023, Sitzung 7). Das Europäische Parlament (EP) "betont, dass die Anti-Terror-Bestimmungen in der Türkei immer noch zu weit gefasst sind und nach freiem Ermessen zur Unterdrückung der Menschenrechte und aller kritischen Stimmen im Land, darunter Journalisten, Aktivisten und politische Gegner, eingesetzt werden" (EP 7.6.2022, Sitzung 18, Pt. 29) "unter der komplizenhaften Mitwirkung einer Justiz, die unfähig oder nicht willens ist, jeglichen Missbrauch der verfassungsmäßigen Ordnung einzudämmen", und "fordert die Türkei daher nachdrücklich auf, ihre Anti-Terror-Gesetzgebung an internationale Standards anzugleichen" (EP 19.5.2021, Sitzung 9, Pt. 14).

Auf Basis der Anti-Terror-Gesetzgebung wurden türkische Staatsbürger aus dem Ausland entführt oder unter Zustimmung der Drittstaaten in die Türkei verbracht (EP 19.5.2021, S. 16, Pt. 40). Das EP verurteilte so wie 2021 in seiner Entschließung vom Juni 2022 neuerlich "aufs Schärfste die Entführung türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz außerhalb der Türkei und deren Auslieferung in die Türkei, was eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte darstellt" (EP 7.6.2022, S. 19, Pt. 31). Die Europäische Kommission kritisierte die Türkei für die hohe Zahl von Auslieferungsersuchen im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten, die (insbesondere von EU-Ländern) aufgrund des Flüchtlingsstatus oder der Staatsangehörigkeit der betreffenden Person abgelehnt wurden. Überdies zeigte sich die Europäische Kommission besorgt ob der hohen Zahl der sog. "Red Notices" bezüglich wegen Terrorismus gesuchter Personen. Diese Red Notices wurden von INTERPOL entweder abgelehnt oder gelöscht (EC 1

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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