Entscheidungsdatum
29.07.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W154 2277632-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2023, Zl. XXXX , zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geboren am römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2023, Zl. römisch 40 , zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am 28.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 28.09.2022 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, im Jahr 2017 von Damaskus-Umgebung nach Idlib vertrieben worden zu sein. Aufgrund der dortigen schlechten Lebensbedingungen sei er im Jahr 2019 aus Syrien in die Türkei ausgereist. In Idlib hätten bewaffnete Gruppierung gewollt, dass er sich ihnen anschließe. Er fürchte sich einer Gruppe anschließen und in den Krieg ziehen zu müssen.
Am 23.05.2023 erfolgte unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde). Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er den Reservedienst ableisten müsse, zwar keinen schriftlichen Einberufungsbefehl erhalten habe, dies jedoch im Jahr XXXX mündlich durch den Dorfvorsteher in Erfahrung gebracht habe. Er sei zudem bei einem Checkpoint mit der Nummer XXXX (zwischen seinem Dorf und der Stadt Damaskus) von dort ansässigen Soldaten geschlagen und festgebunden worden. Auch legte er Fotos einer Verletzung aus dem Jahr 2013 vor. Nachdem er geschlagen worden sei, habe man ihm gesagt, dass man ihn töten werde, wenn er wieder nach Damaskus zurückkehre. Ein Freikauf vom Reservedienst sei nicht möglich. Auch wenn es möglich gewesen wäre, würde er dennoch vom Sicherheitsapparat gesucht werden. Er habe auch nicht das Geld, den Freikauf zu bezahlen. Er möchte niemanden töten und auch nicht getötet werden. Im Falle einer Rückkehr würde ihm die Todesstrafe drohen.Am 23.05.2023 erfolgte unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde). Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er den Reservedienst ableisten müsse, zwar keinen schriftlichen Einberufungsbefehl erhalten habe, dies jedoch im Jahr römisch 40 mündlich durch den Dorfvorsteher in Erfahrung gebracht habe. Er sei zudem bei einem Checkpoint mit der Nummer römisch 40 (zwischen seinem Dorf und der Stadt Damaskus) von dort ansässigen Soldaten geschlagen und festgebunden worden. Auch legte er Fotos einer Verletzung aus dem Jahr 2013 vor. Nachdem er geschlagen worden sei, habe man ihm gesagt, dass man ihn töten werde, wenn er wieder nach Damaskus zurückkehre. Ein Freikauf vom Reservedienst sei nicht möglich. Auch wenn es möglich gewesen wäre, würde er dennoch vom Sicherheitsapparat gesucht werden. Er habe auch nicht das Geld, den Freikauf zu bezahlen. Er möchte niemanden töten und auch nicht getötet werden. Im Falle einer Rückkehr würde ihm die Todesstrafe drohen.
Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 10.07.2023 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 10.07.2023 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass es nicht nachvollziehbar erscheine, dass der Beschwerdeführer weder einen Einberufungsbefehl noch einen Haftbefehl erhalten habe, obwohl in seinem Wehrbuch folgende Vermerke aufliegen würden: „Seit 2010 für den Reservedienst vorgemerkt und Fahndungsnotiz vom XXXX .“ Zudem sei eine persönliche Bedrohung bzw. Verfolgung durch das syrische Regime auch nicht glaubhaft, zumal der Beschwerdeführer behauptet habe, im Jahr 2013 bei Grenzposten zusammengeschlagen worden sei, jedoch eine Verhaftung und sofortige Zwangsrekrutierung unterblieben sei. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung eine mögliche Zwangsrekrutierung oder die Teilnahme an Demonstrationen nicht angeführt.Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass es nicht nachvollziehbar erscheine, dass der Beschwerdeführer weder einen Einberufungsbefehl noch einen Haftbefehl erhalten habe, obwohl in seinem Wehrbuch folgende Vermerke aufliegen würden: „Seit 2010 für den Reservedienst vorgemerkt und Fahndungsnotiz vom römisch 40 .“ Zudem sei eine persönliche Bedrohung bzw. Verfolgung durch das syrische Regime auch nicht glaubhaft, zumal der Beschwerdeführer behauptet habe, im Jahr 2013 bei Grenzposten zusammengeschlagen worden sei, jedoch eine Verhaftung und sofortige Zwangsrekrutierung unterblieben sei. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung eine mögliche Zwangsrekrutierung oder die Teilnahme an Demonstrationen nicht angeführt.
Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I.) des Bescheides fristgerecht Beschwerde, in der er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholte. Zudem gab er an, dass er die Ableistung des Reservedienstes in der syrischen Armee aus politischen bzw. Gewissensgründen ablehne. Er befürchte, dass ihm von Seiten des syrischen Regimes auch aufgrund seiner Herkunft, nämlich aus dem XXXX und der Ortschaft XXXX , eine oppositionelle politische Einstellung unterstellt werden würde. Zudem habe die Behörde mangelhafte Ermittlungen zur Gefahr des Einzugs zum Militärdienst getätigt und die EUAA Country Guidance Syrien von Februar 2023 nicht berücksichtigt. Aus der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien zum Thema „Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt“, welche nicht von den LIB Version 9 berücksichtigt worden sei, gehe hervor, dass in Syrien die meisten Männer, die die Wehrpflicht abgeleistet hätten, bis zum Alter von 50 Jahren Reservisten seien. Zudem sei der Beschwerdeführer erst später – im Jahr XXXX – zum Reservedienst einberufen worden, sodass es plausibel erscheine, dass er 2013 noch nicht zum Reservedienst eingezogen worden sei.Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt römisch eins.) des Bescheides fristgerecht Beschwerde, in der er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholte. Zudem gab er an, dass er die Ableistung des Reservedienstes in der syrischen Armee aus politischen bzw. Gewissensgründen ablehne. Er befürchte, dass ihm von Seiten des syrischen Regimes auch aufgrund seiner Herkunft, nämlich aus dem römisch 40 und der Ortschaft römisch 40 , eine oppositionelle politische Einstellung unterstellt werden würde. Zudem habe die Behörde mangelhafte Ermittlungen zur Gefahr des Einzugs zum Militärdienst getätigt und die EUAA Country Guidance Syrien von Februar 2023 nicht berücksichtigt. Aus der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien zum Thema „Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt“, welche nicht von den LIB Version 9 berücksichtigt worden sei, gehe hervor, dass in Syrien die meisten Männer, die die Wehrpflicht abgeleistet hätten, bis zum Alter von 50 Jahren Reservisten seien. Zudem sei der Beschwerdeführer erst später – im Jahr römisch 40 – zum Reservedienst einberufen worden, sodass es plausibel erscheine, dass er 2013 noch nicht zum Reservedienst eingezogen worden sei.
Am 07.03.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Lebensumständen in Syrien und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung legte er in Kopie einen Screenshot einer Abfrage auf der Homepage des syrischen Verteidigungsministeriums und zwei Lichtbilder betreffend eine Verletzung vor. Dem Beschwerdeführer wurde in der mündlichen Verhandlung eine Frist von zwei Wochen für die Stellungnahme zu den Länderinformationen, Version 9 vom 17.07.2023 und dem Themenbericht der Staatendokumentation, Syrien Grenzübergänge vom 25.10.2023 eingeräumt.
Mit Stellungnahme und Dokumentenvorlage vom 20.03.2024 führte der Beschwerdeführer aus, dass er ein Dokument vorlege, das von der „Rekrutierungsstelle XXXX “ ausgestellt worden sei und seine persönlichen Daten und seine Militärnummer XXXX beinhalte. Die angeführte Militärnummer habe der Beschwerdeführer bereits bei einer online Abfrage beim Einberufungssystem des Verteidigungsministeriums verwendet und den Ausdruck bereits in der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Der Beschwerdeführer brachte zudem vor, dass er seit seiner Ankunft in Wien politisch aktiv sei, indem er regelmäßig an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilnehme. Im Übrigen legte er mehrere Lichtbilder vor, auf denen er bei den von ihm besuchten Demonstrationen zu sehen sei.Mit Stellungnahme und Dokumentenvorlage vom 20.03.2024 führte der Beschwerdeführer aus, dass er ein Dokument vorlege, das von der „Rekrutierungsstelle römisch 40 “ ausgestellt worden sei und seine persönlichen Daten und seine Militärnummer römisch 40 beinhalte. Die angeführte Militärnummer habe der Beschwerdeführer bereits bei einer online Abfrage beim Einberufungssystem des Verteidigungsministeriums verwendet und den Ausdruck bereits in der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Der Beschwerdeführer brachte zudem vor, dass er seit seiner Ankunft in Wien politisch aktiv sei, indem er regelmäßig an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilnehme. Im Übrigen legte er mehrere Lichtbilder vor, auf denen er bei den von ihm besuchten Demonstrationen zu sehen sei.
Mit Parteiengehör vom 20.03.2024 wurden dem Beschwerdeführer die Länderinformationsblätter, Version 10 vom 14.03.2024 übermittelt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, binnen 14 Tagen eine Stellungnahme zu erstatten.
Mit Parteiengehör vom 18.04.2024 wurden dem Beschwerdeführer die Länderinformationsblätter, Version 11 vom 27.03.2024 übermittelt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, binnen 14 Tagen eine Stellungnahme zu erstatten.
Mit Stellungnahme vom 24.04.2024 gab der Beschwerdeführer an, dass aus den aktuellen Länderinformationsblättern hervorgehe, dass weiterhin Zwangsrekrutierungen von wehrpflichtigen syrischen Männern, sowohl an Checkpoints als auch an Grenzübergängen und auch weiterhin Hausdurchsuchungen stattfinden würden. Ferner stehe der Herkunftsort des Beschwerdeführers, die Ortschaft XXXX , Gouvernement Damaskus aktuell unter der Kontrolle des syrischen Assad-Regimes. Im gegenständlichen Fall würden keine Zweifel bestehen, dass der Beschwerdeführer als Reservist gelte. Er sei 35 Jahre alt und habe seinen Grundwehrdienst abgeleistet. Die Rückkehr nach Syrien würde für den Beschwerdeführer daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das Risiko einer Rekrutierung als Reservist bergen. Der Beschwerdeführer habe in der mündlichen Verhandlung detaillierte Angaben über seine Ausbildung als Panzerfahrer bzw. Artilleriefahrer, die er während seines Grundwehrdienstes absolviert habe, gemacht. Wegen seinem speziellen Wissen im Umgang mit Panzerfahrzeugen hätte das syrische Regime auch großes Interesse, gerade den Beschwerdeführer als Reservist zu rekrutieren.Mit Stellungnahme vom 24.04.2024 gab der Beschwerdeführer an, dass aus den aktuellen Länderinformationsblättern hervorgehe, dass weiterhin Zwangsrekrutierungen von wehrpflichtigen syrischen Männern, sowohl an Checkpoints als auch an Grenzübergängen und auch weiterhin Hausdurchsuchungen stattfinden würden. Ferner stehe der Herkunftsort des Beschwerdeführers, die Ortschaft römisch 40 , Gouvernement Damaskus aktuell unter der Kontrolle des syrischen Assad-Regimes. Im gegenständlichen Fall würden keine Zweifel bestehen, dass der Beschwerdeführer als Reservist gelte. Er sei 35 Jahre alt und habe seinen Grundwehrdienst abgeleistet. Die Rückkehr nach Syrien würde für den Beschwerdeführer daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das Risiko einer Rekrutierung als Reservist bergen. Der Beschwerdeführer habe in der mündlichen Verhandlung detaillierte Angaben über seine Ausbildung als Panzerfahrer bzw. Artilleriefahrer, die er während seines Grundwehrdienstes absolviert habe, gemacht. Wegen seinem speziellen Wissen im Umgang mit Panzerfahrzeugen hätte das syrische Regime auch großes Interesse, gerade den Beschwerdeführer als Reservist zu rekrutieren.
2. Feststellungen:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Arabisch.
Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX (auch XXXX ), Gouvernement XXXX , geboren. Er besuchte in Syrien neun Jahre die Grundschule. Er lebte bis 2017 in seinem Herkunftsort und von 2017 bis zu seiner endgültigen Ausreise aus Syrien im Jahr 2019 in einem Flüchtlingszelt in XXXX , Gouvernement Idlib. Er arbeitete in XXXX als Restaurantmitarbeiter. In Idlib eröffnete er ein kleines Restaurant und war zuletzt als Koch beschäftigt.Der Beschwerdeführer wurde im Dorf römisch 40 (auch römisch 40 ), Gouvernement römisch 40 , geboren. Er besuchte in Syrien neun Jahre die Grundschule. Er lebte bis 2017 in seinem Herkunftsort und von 2017 bis zu seiner endgültigen Ausreise aus Syrien im Jahr 2019 in einem Flüchtlingszelt in römisch 40 , Gouvernement Idlib. Er arbeitete in römisch 40 als Restaurantmitarbeiter. In Idlib eröffnete er ein kleines Restaurant und war zuletzt als Koch beschäftigt.
Das Gouvernement XXXX wird zu einem ganz überwiegenden Teil von der syrischen Regierung kontrolliert und befindet sich in deren Einflussgebiet. Auch befindet sich der Herkunftsort des Beschwerdeführers im Kontroll- und Einflussgebiet der syrischen Regierung.Das Gouvernement römisch 40 wird zu einem ganz überwiegenden Teil von der syrischen Regierung kontrolliert und befindet sich in deren Einflussgebiet. Auch befindet sich der Herkunftsort des Beschwerdeführers im Kontroll- und Einflussgebiet der syrischen Regierung.
Der Beschwerdeführer ist seit 2014 verheiratet und hat zwei Kinder.
Er verließ Syrien im Jahr 2019 endgültig und reiste in die Türkei, wo er bis 2022 lebte. Im Jahr 2022 reiste er aus der Türkei aus und unter Umgehung der Grenzkontrollen über verschiedene Länder nach Österreich ein und stellte am 28.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Ehegattin und die zwei Kinder des Beschwerdeführers leben weiterhin in der Türkei. Die Mutter, die Schwester und der Bruder des Beschwerdeführers leben im Libanon. Eine weitere Schwester lebt in Deutschland. In Syrien leben noch Cousins und Cousinen des Beschwerdeführers. Der Onkel (gleichzeitig auch der Schwiegervater) des Beschwerdeführers lebt in Österreich. Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren oder lebensbedrohlichen Krankheiten und ist strafrechtlich unbescholten.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer hat im Zeitraum 2008 bis 2010 seinen verpflichtenden Wehrdienst bei der syrischen Armee als einfacher Soldat abgeleistet und verließ den Dienst im Rang eines „Rekruten“. Er war während seines Wehrdienstes in Syrien stationiert. Der Beschwerdeführer hat keine militärische Spezialausbildung als Panzerfahrer absolviert.
Dem Beschwerdeführer droht nicht die Gefahr, zum Reservedienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Er läuft bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, aufgrund einer Verweigerung der Ableistung des Reservedienstes in der syrischen Armee relevanten Repressalien ausgesetzt zu sein.
Auch aufgrund seiner Ausreise und seiner Asylantragstellung in Österreich droht dem Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Inhaftierung und Folterung aufgrund der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung.
Zudem droht dem Beschwerdeführer aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen gegen die syrische Regierung keine Verfolgung durch das syrische Regime.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer hypothetischen Rückkehr am Grenzübergang oder bei Checkpoints zwangsrekrutiert werden würde.
Dem Beschwerdeführer droht in seinem Herkunftsort auch keine Verfolgung durch die Freie Syrische Armee (FSA) oder die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS).
Auch sonst ist der Beschwerdeführer nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationen der Staatendokumentation, Version 11 vom 27.03.2024, wiedergegeben:
„[…]
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-03-08 11:17
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 2.2.2024). United Nations Geospatial veröffentlichte eine Karte mit Stand Juni 2023, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind (UNGeo 1.7.2023):
UNGeo 1.7.2023 (Stand: 6.2023)
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen [Anm.: zu den Gebieten mit IS-Präsenz siehe Unterkapitel zu den Regionen]:
CC 13.12.2023 (Stand: 30.9.2023)
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023). Für keinen Landesteil Syriens kann insofern von einer nachhaltigen Beruhigung der militärischen Lage ausgegangen werden (AA 2.2.2024).
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) der VN stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den VN benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Im Mai 2023 begannen zusätzlich dazu die jordanischen Streitkräfte Luftangriffe gegen die Drogenschmuggler zu fliegen (SOHR 8.5.2023). Die USA sind mit mindestens 900 Militärpersonen in Syrien, um Anti-Terror-Operationen durchzuführen (CFR 24.1.2024). Seit Ausbruch des Krieges zwischen der Hamas und Israel begannen die USA mehrere Luftangriffe gegen iranische Milizen in Syrien und dem Irak zu fliegen. Anfang Februar 2024 eskalierten die Spannungen zwischen dem Iran und den USA, nachdem iranische Milizen in Jordanien eine militärische Stellung der USA mit einer Drohne angriffen und dabei mehrere US-amerikanische Soldaten töteten und verletzten. Die USA reagierten mit erhöhten und verstärkten Luftangriffen auf Stellungen der iranischen Milizen in Syrien und dem Irak. In Syrien trafen sie Ziele in den Räumen Deir ez-Zor, Al-Bukamal sowie Al-Mayadeen. Die syrische Armee gab an, dass bei den Luftangriffen auch Zivilisten sowie reguläre Soldaten getötet wurden (CNN 3.2.2024).
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 intensivierte Israel die Luftangriffe gegen iranische und syrische Militärstellungen CFR 24.1.2024). Infolge der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023, wurde israelisch kontrolliertes Gebiet auch von Syrien aus mindestens dreimal mit Raketen beschossen. Israel habe daraufhin Artilleriefeuer auf die Abschussstellungen gerichtet. Beobachter machten iranisch kontrollierte Milizen für den Raketenbeschuss verantwortlich. Israel soll im selben Zeitraum, am 12.10.2023 und 14.10.2023 jeweils zweimal den Flughafen Aleppo sowie am 12.10.2023 den Flughafen Damaskus mit Luftschlägen angegriffen haben; aufgrund von Schäden an den Start- und Landebahnen mussten beide Flughäfen daraufhin den Betrieb einstellen (AA 2.2.2024).
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung hat derzeit die Kontrolle über ca. zwei Drittel des Landes, inklusive größerer Städte, wie Aleppo und Homs. Unter ihrer Kontrolle sind derzeit die Provinzen Suweida, Daraa, Quneitra, Homs sowie ein Großteil der Provinzen Hama, Tartus, Lattakia und Damaskus. Auch in den Provinzen Aleppo, Raqqa und Deir ez-Zor übt die syrische Regierung über weite Teile die Kontrolle aus (Barron 6.10.2023). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 2.2.2024). Die Opposition konnte eingeschränkt die Kontrolle über Idlib und entlang der irakisch-syrischen Grenze behalten. Das Erdbeben 2023 in der Türkei und Nordsyrien machte die tatsächliche Regierung fast unmöglich, weil die Opposition Schwierigkeiten hatte, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen (CFR 24.1.2024).
Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien]. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Iran unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah (AA 2.2.2024). Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).
Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:
Jusoor 30.7.2023
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der SDF und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022; vgl. CFR 24.1.2024). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022). Die Türkei bombardierte auch im Oktober 2023 kurdische Ziele in Syrien als Reaktion auf einen Bombenangriff in Ankara durch die PKK (Reuters 7.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der SDF und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022; vergleiche CFR 24.1.2024). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022). Die Türkei bombardierte auch im Oktober 2023 kurdische Ziele in Syrien als Reaktion auf einen Bombenangriff in Ankara durch die PKK (Reuters 7.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).
Im Gouvernement Dara'a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten 'Versöhnungsabkommens'. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 9.3.2023). In Suweida kam es 2020 und 2022 ebenfalls zu Aufständen, immer wieder auch zu Sicherheitsvorfällen mit Milizen, kriminellen Banden und Drogenhändlern. Dies führte immer wieder zu Militäroperationen und schließlich im August 2023 zu größeren Protesten (CC 13.12.2023). Die Proteste weiteten sich nach Daraa aus. Die Demonstranten in beiden Provinzen forderten bessere Lebensbedingungen und den Sturz Assads (Enab 20.8.2023).
Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle