TE Vwgh Erkenntnis 1995/5/24 95/09/0007

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.05.1995
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §67f Abs3;
AVG §8;
VStG §31 Abs1;
VStG §31 Abs3;
VStG §32 Abs2;
VStG §51 Abs7;
VStG §51d;
VStG §51f Abs2;
VwGG §13 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers

Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 8. November 1994, Zl. UVS-07/01/00323/92, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit und Soziales), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. November 1994 hat die belangte Behörde über die Strafberufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien (Mag.) vom 30. April 1992 entschieden; die vom Mag. verhängten Geldstrafen wurden von je S 20.000,-- auf je S 10.000,-- herabgesetzt. Die dem Beschwerdeführer vorgeworfene unberechtigte Beschäftigung von insgesamt vier Ausländern hat nach dem Inhalt des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides am 14. November 1991 stattgefunden.

Der angefochtene Bescheid wurde nach dem Inhalt der vorgelegten Akten am 10. November 1994 der Behörde erster Instanz zugestellt; die Zustellung an den Beschwerdeführer erfolgte hierauf durch den Mag. am 29. November 1994.

In seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer ausschließlich geltend, in seinen Rechten dadurch verletzt zu sein, "daß ein Straferkenntnis ... nicht mehr gefällt werden kann, wenn seit der Begehung der Tat mehr als drei Jahre verstrichen sind (§ 31 Abs. 3 VStG)".

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Sie machte gegen die Beschwerde geltend, daß der Eintritt der Verjährung gemäß § 31 Abs. 3 VStG durch die Zustellung an den Mag. als Partei des Verfahrens (§ 51d VStG) bereits am 10. November 1994 verhindert worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 31 VStG lautet:

"(1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist.

(2) Die Verjährungsfrist beträgt bei den Verwaltungsübertretungen der Gefährdung, Verkürzung oder Hinterziehung von Landes- und Gemeindeabgaben ein Jahr, bei allen anderen Verwaltungsübertretungen sechs Monate. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.

(3) Sind seit dem in Abs. 2 bezeichneten Zeitpunkt drei Jahre vergangen, so darf ein Straferkenntnis nicht mehr gefällt werden. Eine Strafe darf nicht mehr vollstreckt werden, wenn seit ihrer rechtskräftigen Verhängung drei Jahre vergangen sind. Die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Verwaltungsgerichtshof sowie Zeiten während deren die Strafvollstreckung unzulässig, ausgesetzt, aufgeschoben oder unterbrochen war, sind nicht einzurechnen."

Nach § 32 Abs. 1 VStG ist Beschuldigter die im Verdacht einer Verwaltungsübertretung stehende Person von dem Zeitpunkt der ersten von der Behörde gegen sie gerichteten Verfolgungshandlung bis zum Abschluß der Strafsache. Der Beschuldigte ist Partei im Sinne des AVG.

Verfolgungshandlung ist jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u.dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat (§ 32 Abs. 2 VStG).

Im Beschwerdefall endete das dem Beschwerdeführer vorgeworfene strafbare Verhalten am 14. November 1991; die dreijährige Frist nach § 31 Abs. 3 VStG ist somit am 14. November 1994 abgelaufen. Nach diesem Zeitpunkt durfte ein Straferkenntnis - also auch ein Bescheid, mit dem die über den Beschuldigten verhängte Strafe in letzter Instanz festgesetzt wurde - nicht mehr gefällt werden. Der hier angefochtene Bescheid wurde mit 8. November 1994 datiert und dem Beschwerdeführer am 29. November 1994 zugestellt. Die belangte Behörde hat jedoch dem auf Strafbarkeitsverjährung gestützten Vorbringen des Beschwerdeführers in der Gegenschrift entgegengehalten, daß der angefochtene Bescheid einer anderen Partei des Verwaltungsverfahrens - nämlich der erstinstanzlichen Behörde, die im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat gemäß § 51d VStG Parteistellung hat - bereits am 10. November 1994 zugestellt worden ist.

Gemäß § 51d VStG ist im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat neben dem Beschuldigten und der Verwaltungsbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, Partei, wer nach diesem Bundesgesetz oder nach den Verwaltungsvorschriften ein Recht auf Berufung hat.

Der belangten Behörde ist einzuräumen, daß das Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat ein Mehrparteienverfahren ist (vgl. dazu bereits das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Dezember 1993, Zl. 93/02/0085) und nach Lehre und Rechtsprechung ein Bescheid im Mehrparteienverfahren bereits mit der Erlassung gegenüber (bloß) einer Partei rechtliche Existenz (siehe dazu Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 5. Auflage, Rz 431, und die dort angeführte weitere Literatur und Rechtsprechung) erlangt. Die umfassende Klärung der Frage, welche Rechtswirkungen die Erlassung eines Bescheides an nur eine Partei im Mehrparteienverfahren für die Behörde und die übrigen Parteien dieses Verfahrens nach sich zieht, kann dahingestellt bleiben:

im Beschwerdefall ist nur zu prüfen, ob die rechtzeitige (d.h. innerhalb des in § 31 Abs. 3 Satz 1 VStG vorgesehenen Zeitraumes erfolgte) Fällung (d.h. Erlassung) eines Straferkenntnisses an eine (beliebige) Partei des Verwaltungsstrafverfahrens ausreicht, den Eintritt der Strafbarkeitsverjährung auszuschließen.

Dabei handelt es sich um eine spezielle auf den Anwendungsbereich des VStG beschränkte Rechtsfolge, die nicht mit der Erlassung jedes Bescheides verbunden ist. Da es dem Gesetzgeber nicht verwehrt ist, den Eintritt einer (speziellen) Rechtsfolge im Mehrparteienverfahren nur mit der Zustellung an eine bestimmte Verfahrenspartei eintreten zu lassen (vgl. dazu die mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. September 1988, Zl. 88/09/0064 beginnende Judikatur zu § 94 Abs. 1 Z. 1 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 - BDG 1979, BGBl. Nr. 333/1979, die den Ausschluß der Verfolgungsverjährung von der Erlassung des Einleitungsbeschlusses gegenüber dem Beschuldigten abhängig macht, obwohl das Disziplinarverfahren im engeren Sinn wegen der Parteistellung des Disziplinaranwaltes nach § 106 BDG 1979 ein Mehrparteienverfahren ist), ist im Beschwerdefall § 31 Abs. 3 VStG in dieser Richtung zu prüfen.

Es trifft zu, daß § 31 Abs. 3 Satz 1 VStG keine ausdrückliche Regelung dieser Frage enthält. Daraus allein kann jedoch ohne umfassende Auslegung dieser Bestimmung unter Berücksichtigung ihrer Systematik und ihres Zweckes noch nicht abgeleitet werden, daß die (fristgerechte) Erlassung gegenüber irgendeiner (beliebigen) Partei des Verwaltungsstrafverfahrens (hier: gegenüber der Behörde erster Instanz, die den vor dem unabhängigen Verwaltungssenat bekämpften Bescheid erlassen hat) ausreicht, die Strafbarkeitsverjährung auszuschließen.

Die Strafbarkeitsverjährung ist eine von drei Formen der Verjährung, die in § 31 VStG geregelt ist. Auch die VERFOLGUNGSVERJÄHRUNG nach § 31 Abs. 1 VStG stellt (ähnlich wie § 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979) darauf ab, daß die Behörde gegen eine (bestimmte) Person eine Verfolgungshandlung innerhalb der Verjährungsfrist bei sonstiger Unzulässigkeit der (weiteren) Verfolgung setzen muß. Durch die (erste taugliche) Verfolgungshandlung wird die Rechtsstellung des Beschuldigten als Verfahrenspartei begründet (§ 32 Abs. 1 VStG). Erst aus § 32 Abs. 2 VStG (und zwar sowohl aus den demonstrativ aufgezählten Beispielen einer tauglichen Verfolgungshandlung, aber auch aus dem letzten Halbsatz) ergibt sich, daß die Wirksamkeit der Verfolgungshandlung nicht davon abhängt, daß sie ihr Ziel erreicht oder dem Beschuldigten zur Kenntnis gelangt. Der Gesetzgeber hat hier offenbar im Hinblick auf die Verjährungsfrist - ungeachtet der zentralen Bedeutung, die die Verfolgungshandlung für die Begründung der Parteistellung des Beschuldigten hat - die Kenntnis des Beschuldigten ausdrücklich für rechtlich unerheblich erklärt, auf diese Weise jedoch seine Rolle als Hauptbetroffener unterstrichen. Gäbe es diese ausdrückliche Regelung des § 32 Abs. 2 VStG (einschließlich des Verweises in § 31 Abs. 1 VStG) nicht, wäre die Kenntnis des Betroffenen von der gegen ihn gesetzten Verfolgungshandlung Voraussetzung für die Begründung seiner Parteistellung und damit auch für die Beurteilung, ob Verfolgungsverjährung eingetreten ist oder nicht. Die vom Gesetzgeber in § 31 Abs. 1 und § 32 VStG getroffene Regelung stellt daher einen Kompromiß zwischen einer vergleichsweise kurzen objektiven Verjährungsfrist, die sowohl der Behörde als auch dem Beschuldigten den Zugang zur Wahrheitsfindung bzw. Rechtsverteidigung sichern soll, und dem Strafanspruch des Staates dar, der in dieser Phase des Verfahrens nicht durch übertriebene Formalismen behindert werden soll.

Bei der VOLLSTRECKBARKEITSVERJÄHRUNG (§ 31 Abs. 3 Satz 2 VStG) stellt der Gesetzgeber den Beginn der Frist auf die rechtskräftige Verhängung der Strafe ab. Da der Eintritt der Rechtskraft gegenüber einer Partei auch im Mehrparteienverfahren die Erlassung eines Bescheides voraussetzt, beginnt diese Frist ab dem Zeitpunkt zu laufen, in dem das Straferkenntnis nach Erlassung dem Beschuldigten gegenüber rechtskräftig geworden ist.

Die Systematik des § 31 VStG zeigt also nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung, daß es entscheidend auf den Beschuldigten ankommt; wo der Gesetzgeber dessen Bedeutung zurückdrängen wollte, hat er dies ausdrücklich angeordnet (vgl. § 32 Abs. 2 VStG).

Eine derartige Bestimmung wie sie § 32 Abs. 2 VStG getroffen hat, fehlt jedoch für den Bereich der STRAFBARKEITSVERJÄHRUNG nach § 31 Abs. 3 Satz 1 VStG. Dazu kommt, daß der Gesetzgeber offenbar die vergleichsweise lange Frist von drei Jahren (die außerdem im Falle einer Beschwerde bei Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts gehemmt ist) als ausreichend für die Wahrung des Strafbedürfnisses des Staates angesehen hat, das in der Regel (jedenfalls bei Offizialdelikten) von der verfahrensleitenden Behörde wahrzunehmen ist. Die Auffassung, die Zustellung an irgendeine andere Verfahrenspartei des Strafverfahrens innerhalb der Dreijahresfrist reiche zur Wahrung der Strafbarkeitsverjährung aus, nimmt dementgegen in Kauf, daß auch noch wesentlich später (im Extremfall bis zum Tod des Beschuldigten) das materielle Strafbedürfnis des Staates gegenüber der Beschuldigten geltend gemacht werden kann. Im übrigen ist der Umstand und der Zeitpunkt der Zustellung an eine andere Verfahrenspartei des Strafverfahrens dem Beschuldigten regelmäßig nicht bekannt.

Aus diesen aus den §§ 31 und 32 VStG abgeleiteten Gründen ist daher nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes die Frist nach § 31 Abs. 3 Satz 1 VStG nur dann gewahrt, wenn das Straferkenntnis innerhalb der dort genannten Frist GEGENÜBER DEM BESCHULDIGTEN erlassen wurde. Die Erlassung des Straferkenntnisses an eine andere Verfahrenspartei ist hingegen nicht geeignet, diese Wirkung herbeizuführen. Diese Auslegung schaltet auch die Bedeutung des Zufallmomentes, in welchem Stadium sich das Verwaltungsstrafverfahren gerade befindet, für die Strafbarkeitsverjährung aus: denn in der Regel ist dasselbe Verwaltungsstrafverfahren im Verfahren vor der Behörde erster Instanz ein Einparteienverfahren und wird erst im Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat im Hinblick auf § 51d VStG ein Mehrparteienverfahren.

Ein Widerspruch zu dem zu § 51 Abs. 7 VStG ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Dezember 1993, Zl. 93/02/0085, liegt schon deshalb nicht vor, weil § 31 VStG als Schlüssel für die Lösung der hier zu behandelnden Frage entscheidende Unterschiede gegenüber § 51 Abs. 7 VStG aufweist (siehe zu sämtlichen Erwägungen bereits das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. April 1995, Zl. 94/09/0374).

Da die Zustellung des angefochtenen Bescheides an den Beschwerdeführer als Beschuldigten des Verwaltungsstrafverfahrens erst nach Ablauf der in § 31 Abs. 3 Satz 1 VStG geregelten Frist und damit nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung erfolgte, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995090007.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten