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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
StVO 1960 §4 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Gall als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des W in E, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 11. Mai 1993, Zl. 13/190-9/1992, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 11. Mai 1993 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 13. März 1992 um 13.45 Uhr einen den Kennzeichen nach bestimmten Lkw-Zug auf der B 312 an einer näher bezeichneten Örtlichkeit gelenkt und 1) sei dabei an einem Verkehrsunfall mit fremdem Sachschaden zwischen sich und der Zeugin H ursächlich beteiligt gewesen und habe es unterlassen, diesen Unfall ohne unnötigen Aufschub beim nächsten Gendarmerieposten anzuzeigen, obwohl ein Identitätsnachweis unterblieben sei; 2) habe entgegen den Bestimmungen des § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 sein Fahrzeug am Unfallsort nicht sofort angehalten, obwohl er mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und habe hiedurch Verwaltungsübertretungen nach zu 1) § 4 Abs. 5 StVO 1960 und zu 2) § 4 Abs. 1 lit. a leg. cit. begangen, weshalb über ihn Geldstrafen von jeweils S 2.000,-- (und Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt wurden.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten. Als Verkehrsunfall ist jedes plötzliche, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis anzusehen, das sich auf Straßen mit öffentlichem Verkehr ereignet und einen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat. Das sofortige Anhalten hat den Zweck, daß der Lenker, nachdem er sich von dem Ausmaß des Verkehrsunfalles überzeugt hat, die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen, so insbesondere die nach § 4 Abs. 1 lit. b und c, Abs. 2 und 5 leg. cit. trifft (vgl. hiezu u.a. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1992, Zl. 91/03/0286, mit weiterem Judikaturhinweis).
Gemäß § 4 Abs. 5 StVO 1960 haben die im Abs. 1 genannten Personen, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs. 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Die belangte Behörde ging nach der Begründung der angefochtenen Entscheidung davon aus, daß der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt am Tatort einen Lkw-Zug gelenkt und angesetzt habe, einen vor ihm fahrenden langsamen Lkw zu überholen. Der Beschwerdeführer sei mit seinem Zugfahrzeug bereits zur Hälfte auf der linken Fahrbahnhälfte gewesen, als er plötzlich einen Pkw wahrgenommen habe, der seinen Lkw-Zug überholt habe. Der Beschwerdeführer habe den Lkw daraufhin sofort auf seine Fahrbahnhälfte zurückgelenkt, worauf der Pkw den Überholvorgang habe beenden können. Die belangte Behörde stellte weiters fest:
"Im Zuge dieses Fahrmanövers kam es zu einer Berührung zwischen der Zugmaschine und dem überholenden Pkw, der von der Zeugin H gelenkt wurde, wobei an diesem Pkw am hinteren rechten Kotflügel eine Eindellung und ein Kratzer entstanden. Die Berufungswerberin (gemeint offensichtlich: die Zeugin H) fuhr bis zur nächsten Bushaltestelle und hielt dann ihren Pkw an und wartete auf den Lkw-Fahrer, der jedoch an ihr vorbeifuhr ... Der Berufungswerber unterließ eine ... Meldung. Nicht festgestellt werden kann, ob der Berufungswerber die Kollision der beiden Fahrzeuge bemerkt hat. Am Lkw ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Sachschaden nicht entstanden."
Der Beschwerdeführer wendet demgegenüber im wesentlichen ein, daß es zu einer Berührung zwischen dem Lkw-Zug des Beschwerdeführers und dem überholenden Pkw, gelenkt von der Zeugin H, nicht gekommen sei und daß im Ermittlungsverfahren ein Kontakt zwischen den beiden Fahrzeugen auch nicht objektiviert worden sei. Die belangte Behörde habe sich nicht hinreichend mit der widersprüchlichen Aussage der Zeugin H auseinandergesetzt; auch auf Grund des Gutachtens des Kfz-Sachverständigen, der den Lkw des Beschwerdeführers nie einem Augenschein unterzogen habe, könne nicht einwandfrei davon ausgegangen werden, daß es zu einem Kontakt zwischen den beiden Fahrzeugen gekommen sei.
Diese Einwände des Beschwerdeführers sind berechtigt:
Ausgehend von den zitierten Bestimmungen des § 4 StVO 1960 trafen den Beschwerdeführer die in Abs. 1 lit. a und Abs. 5 genannten Pflichten, wenn er mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang stand. Die belangte Behörde führte in der Beweiswürdigung aus: "Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich im wesentlichen aus den übereinstimmenden Aussagen des Berufungswerbers sowie der Zeugen." Sie geht weiters von einem "Sachschadenunfall" aus, ohne zu begründen, auf Grund welcher Erwägungen sie zu der Annahme gelangte, daß tatsächlich ein Verkehrsunfall mit Sachschaden entstanden sei. Von einer "übereinstimmenden Aussage" des Beschwerdeführers mit der Aussage der Zeugen H und O kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Beschwerdeführer einen Kontakt der beiden Fahrzeuge und den Eintritt eines Sachschadens am Pkw der Zeugin H von Anfang an bestritten hat. Welche Gründe die belangte Behörde leiteten, dennoch der Aussage der Zeugin H mehr Glauben zu schenken, erwähnte die belangte Behörde nicht.
Auch das eingeholte Kfz-Sachverständigengutachten läßt den Eintritt eines Sachschadens nicht eindeutig nachvollziehen und die belangte Behörde hat es in der Begründung des angefochtenen Bescheides unterlassen, das Sachverständigengutachten in diesem Zusammenhang einer Beweiswürdigung zu unterziehen: Der Kfz-Sachverständige geht in seinem Gutachten vom 5. April 1993 von einem Schaden am von der Zeugin H gelenkten Pkw aus, ohne ihn näher zu beschreiben und führt weiters aus: "Vom technischen Standpunkt her läßt sich mit größter Wahrscheinlichkeit sagen, daß diese Beschädigung nicht durch die vordere Stoßstange des Lkws, sondern durch dessen linken Aufstieg zum Führerhaus verursacht worden ist, da auf Grund von einer Vermessung an typengleichen Fahrzeugen höhenmäßig eine Übereinstimmung der Anstoßstellen gegeben wäre, jedoch kann dies NICHT eindeutig festgestellt werden, da von der Gendarmerie keine Unfallspuren (z.B. Farbabrieb) am Lkw erhoben wurden bzw. auch sonst von den Unfallbeteiligten keine konkreten Angaben über den genauen Anstoßpunkt am Lkw vorliegen." Warum die belangte Behörde trotz dieses Beweisergebnisses die Verantwortung des Beschwerdeführers für widerlegt hielt, führte sie nicht an.
Schließlich begründete die belangte Behörde auch nicht, warum sie das vom Beschwerdeführer in der Verhandlung vom 11. Mai 1993 erstattete Vorbringen, wonach ein Schaden am Pkw auch nicht durch das "Trittbrett" des Lkw entstanden sein konnte, weil es nicht der am weitesten hervorspringende Teil des Fahrzeuges ist, offensichtlich als unerheblich abtat.
Die Beweiswürdigung der belangten Behörde erweist sich somit insofern als mangelhaft, als es die belangte Behörde unterließ, sich mit allen Beweisergebnissen eingehend auseinanderzusetzen und darzulegen, warum sie zur Annahme gelangte, daß ein Verkehrsunfall mit Sachschaden vorgelegen hat, um dem Verwaltungsgerichtshof die ihm obliegende Schlüssigkeitsprüfung zu ermöglichen.
Die belangte Behörde belastete solcherart den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, im Rahmen des gestellten Begehrens.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993030187.X00Im RIS seit
12.06.2001