Entscheidungsdatum
19.07.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W260 2271130-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.08.2023, ZI. 1307095701-221521642, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.04.2024, zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 alias römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.08.2023, ZI. 1307095701-221521642, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.04.2024, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Syrien, stellte am 09.05.2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er zusammengefasst an, dass er syrischer Staatsangehöriger, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und islamischen Glaubens sei. Seine Muttersprache sei Arabisch. Er stamme aus Qamishli, Syrien, wo er auch geboren sei. Der Beschwerdeführer habe die Grundschule besucht und sei zuletzt als Tischler berufstätig gewesen. Befragt nach Familienangehörigen in Syrien, gab er seine Mutter, zwei Schwestern, einen Bruder, seine Ehefrau, zwei Töchter und einen Sohn an. Sein Vater sei verstorben. In Österreich habe er weiters einen Bruder und in Deutschland einen Halbbruder. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er aus, er habe Militärdienst geleistet und sei Reservist. Der Beschwerdeführer habe Angst noch einmal zum Militärdienst zu müssen. Er habe keinen Beruf, sein Haus sei zerbombt und er habe keine Zukunft dort. Hinsichtlich seiner Befürchtungen bei einer Rückkehr nach Syrien führte der Beschwerdeführer aus, dass er Angst um sein Leben und das seiner Familie habe. Die Frage nach konkreten Hinweisen, dass ihm bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe und ob er im Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, beantwortete der Beschwerdeführer mit „Keine“.
3. Mit Schriftsatz vom 08.02.2023 brachte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Säumnisbeschwerde ein.
4. Mit Schriftsatz vom 10.07.2023 wurde die Säumnisbeschwerde zurückgezogen, die Vollmachtsauflösung bekanntgegeben und in der Folge das anhängige Beschwerdeverfahren mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, GZ: W200 2271130-1/7E, eingestellt.
5. Am 02.08.2023 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: BFA oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer führte aus am XXXX in Qamishli, XXXX , Syrien geboren worden zu sein. Syrien habe er Ende 2019 zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern verlassen. Der Beschwerdeführer habe neun Jahre lang die Schule besucht und sei in Syrien als Zimmermann und Elektriker berufstätig gewesen. In der Türkei habe er als Zimmermann auf Baustellen gearbeitet. Die Ehefrau lebe mit den drei gemeinsamen Kindern in der Türkei. Der Beschwerdeführer habe drei Schwestern, zwei Brüder und fünf Halbbrüder. Vier Halbbrüder befänden sich im Irak, ein Bruder in Schweden, ein weiterer lebe in der Türkei. Zwei Schwestern seien in der Türkei aufhältig, die dritte lebe im Irak. Sein Vater sei 2003 oder 2004 an einem Herzinfarkt verstorben, seine Mutter lebe in Qamishli in Syrien. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er aus, dass er eine Zukunft für seine Kinder haben hat wollte. Die Lebensumstände seien in Syrien schlecht. Der Beschwerdeführer wolle auch nicht dazu gezwungen werden Reservemilitärdienst zu leisten. Er wolle im Krieg niemanden töten und nicht im Krieg leben. Der Krieg habe ihr Land zerstört. 5. Am 02.08.2023 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: BFA oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer führte aus am römisch 40 in Qamishli, römisch 40 , Syrien geboren worden zu sein. Syrien habe er Ende 2019 zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern verlassen. Der Beschwerdeführer habe neun Jahre lang die Schule besucht und sei in Syrien als Zimmermann und Elektriker berufstätig gewesen. In der Türkei habe er als Zimmermann auf Baustellen gearbeitet. Die Ehefrau lebe mit den drei gemeinsamen Kindern in der Türkei. Der Beschwerdeführer habe drei Schwestern, zwei Brüder und fünf Halbbrüder. Vier Halbbrüder befänden sich im Irak, ein Bruder in Schweden, ein weiterer lebe in der Türkei. Zwei Schwestern seien in der Türkei aufhältig, die dritte lebe im Irak. Sein Vater sei 2003 oder 2004 an einem Herzinfarkt verstorben, seine Mutter lebe in Qamishli in Syrien. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er aus, dass er eine Zukunft für seine Kinder haben hat wollte. Die Lebensumstände seien in Syrien schlecht. Der Beschwerdeführer wolle auch nicht dazu gezwungen werden Reservemilitärdienst zu leisten. Er wolle im Krieg niemanden töten und nicht im Krieg leben. Der Krieg habe ihr Land zerstört.
Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer einen Familienregisterauszug, einen Einberufungsbefehl, eine Heiratsurkunde und diverse Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor. Die vorgelegten Dokumente wurden in Kopie zum Akt genommen. Bereits am 22.12.2022 stellte die belangte Behörde, jeweils im Original, sein Militärbuch, ein Schreiben des syrischen Militärs sowie den syrischen Reisepass des Beschwerdeführers sicher.
6. Mit Bescheid vom 18.08.2023 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). 6. Mit Bescheid vom 18.08.2023 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.).
Die belangte Behörde traf Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates, zur Situation im Falle seiner Rückkehr sowie zur Lage in Syrien.
Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde fest, dass nicht festgestellt werden habe können, dass dem Beschwerdeführer in Syrien asylrelevante individuelle, ihn persönlich betreffende Verfolgung drohe. Er sei in seinem Heimatstaat weder vorbestraft noch würden gegen ihn Fahndungsmaßnahmen bestehen. Der Beschwerdeführer sei weder inhaftiert, politisch tätig noch Mitglied einer politischen Partei gewesen. Er habe den Grundwehrdienst für das syrische Militär bereits von 2008 bis 2011 als einfacher Soldat im Postbereich beendet. Bis zu seiner Ausreise aus Syrien hätten keine konkreten Rekrutierungsversuche seine Person betreffend stattgefunden. Auch aus den sonstigen Umständen habe eine Bedrohung oder Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Volksgruppenzugehörigkeit, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, oder der politischen Gesinnung nicht festgestellt werden können. Es habe zudem nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch Privatpersonen oder den syrischen Staat ausgesetzt wäre. Er habe den Grundwehrdienst bereits 2011, vor Kriegsbeginn, als einfacher Soldat ohne Spezialausbildung beendet. Der Beschwerdeführer habe erst nach seiner Ausreise von seinem Cousin vom Dorfvorsteher seines Heimatdorfes einen schriftlichen Einberufungsbefehl erhalten. Aufgrund seines Alters drohe keine Gefahr einer Rekrutierung durch die Kurden. Eine Generalmobilmachung zum Reservemilitärdienst bestehe nicht. Es bestünden jedoch Gründe für die Annahme, dass für den Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung aufgrund der derzeitigen Lage in Syrien eine nicht ausreichende Lebenssicherheit besteht.
Beweiswürdigend legte die belangte Behörde zusammengefasst dar, dass der Beschwerdeführer, trotz Annahme der Echtheit des vorgelegten Einberufungsbefehls, aus einem bis dato von den Kurden kontrollierten Gebiet Syriens stammt, wodurch die syrischen Behörden in seiner Herkunftsregion weiterhin keinen direkten Zugriff auf seine Person hätten. Bei einer Rückkehr würde er auch nicht von kurdischen Kräften rekrutiert werden. Der Beschwerdeführer sei am XXXX geboren worden und falle somit nicht in die einschlägige Altersklasse. Beweiswürdigend legte die belangte Behörde zusammengefasst dar, dass der Beschwerdeführer, trotz Annahme der Echtheit des vorgelegten Einberufungsbefehls, aus einem bis dato von den Kurden kontrollierten Gebiet Syriens stammt, wodurch die syrischen Behörden in seiner Herkunftsregion weiterhin keinen direkten Zugriff auf seine Person hätten. Bei einer Rückkehr würde er auch nicht von kurdischen Kräften rekrutiert werden. Der Beschwerdeführer sei am römisch 40 geboren worden und falle somit nicht in die einschlägige Altersklasse.
Im Anschluss unterzog die belangte Behörde den von ihr festgestellten Sachverhalt unter Bezugnahme auf die einzelnen Spruchpunkte des Bescheides einer rechtlichen Beurteilung.
7. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in der das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers im Wesentlichen wiederholt wurde. Abweichend davon wurde jedoch ausgeführt, dass der Beschwerdeführer von XXXX seinen Grundwehrdienst bei der XXXX Division (Spezialkräfteausbildung) in Damaskus-Land geleistet habe, wobei er als Schreiber eingesetzt worden sei. Er sei vor seiner Flucht Ende 2019 vom Dorfvorsteher darauf hingewiesen worden, dass ein offizieller Einberufungsbefehl zum Reservedienst gegen ihn bestünde, weshalb er sich zur Flucht entschieden habe. Nach der Flucht habe der Cousin des Beschwerdeführers vom Dorfvorsteher den schriftlichen Einberufungsbefehl (Anm.: den Beschwerdeführer betreffend) erhalten. Der Beschwerdeführer verweigere aus politischen und Gewissensgründen den Reservedienst in der syrischen Armee. Er stehe dem syrischen Regime politisch zutiefst ablehnend gegenüber und würde niemals für dieses Regime oder für die anderen Akteure kämpfen. Ein Freikauf komme nicht in Frage, da er ein verbrecherisches Regime nicht unterstützen werde. Der Beschwerdeführer würde im Zuge der Wehrpflicht als Rekrut gezwungen werden sich an Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, das Völkerstrafrecht und/oder internationale Menschenrechte zu beteiligen, andernfalls mit drakonischen Strafen bis hin zur Hinrichtung rechnen müsse. Im regimekontrollierten Gebiet gäbe es ein engmaschiges Netz an Checkpoints. Der Beschwerdeführer würde bereits bei einer Rückkehr über einen Flughafen unter Kontrolle der syrischen Regierung (Damaskus, Aleppo, Qamishli) gefasst werden. Aus einem Bericht der ICG vom 25.11.2020 folge, dass die SDF während des Krieges dem syrischen Regime eine symbolische Präsenz auf Teilen des von ihnen kontrollierten Gebietes, wie in einigen Vierteln Qamishlis, gestatte, ebenso wie die volle Kontrolle über den Flughafen von Qamishli. Als Konsequenz auf die türkische Militärinvasion in den kurdischen Gebieten Nordsyriens hätten die SDF ein Verteidigungsübereinkommen mit dem syrischen Regime getroffen, das zur Rückkehr von Regierungstruppen in das Gebiet geführt habe. Es sei dem Beschwerdeführer unmöglich bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion die Kontrolle des syrischen Regimes zu umgehen. Die Grenzübergänge von der Türkei in die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien seien geschlossen. Der einzige geöffnete Grenzübergang Semalka – Faysh Khabur sei wegen der unsicheren Lage häufig geschlossen und eine Einreise über diesen könne dem Beschwerdeführer mangels Sicherheit nicht zugemutet werden. Auch die illegale Ausreise aus Syrien, die Flucht nach Europa und Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz im Bundesgebiet führe zur Unterstellung einer feindlichen politischen Gesinnung seitens der syrischen Regierung. Dem Beschwerdeführer drohe bei einer Rückkehr die Einziehung zum Reservedienst. Er sei im wehrfähigen Alter, es lägen keine Befreiungsgründe vor, es gäbe einen Einberufungsbefehl und er hätte den Reservedienst auch noch nicht abgeleistet. Staatliche Verfolgung aus politischen Gründen drohe bereits vor Erreichung des Herkunftsortes. 7. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in der das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers im Wesentlichen wiederholt wurde. Abweichend davon wurde jedoch ausgeführt, dass der Beschwerdeführer von römisch 40 seinen Grundwehrdienst bei der römisch 40 Division (Spezialkräfteausbildung) in Damaskus-Land geleistet habe, wobei er als Schreiber eingesetzt worden sei. Er sei vor seiner Flucht Ende 2019 vom Dorfvorsteher darauf hingewiesen worden, dass ein offizieller Einberufungsbefehl zum Reservedienst gegen ihn bestünde, weshalb er sich zur Flucht entschieden habe. Nach der Flucht habe der Cousin des Beschwerdeführers vom Dorfvorsteher den schriftlichen Einberufungsbefehl Anmerkung, den Beschwerdeführer betreffend) erhalten. Der Beschwerdeführer verweigere aus politischen und Gewissensgründen den Reservedienst in der syrischen Armee. Er stehe dem syrischen Regime politisch zutiefst ablehnend gegenüber und würde niemals für dieses Regime oder für die anderen Akteure kämpfen. Ein Freikauf komme nicht in Frage, da er ein verbrecherisches Regime nicht unterstützen werde. Der Beschwerdeführer würde im Zuge der Wehrpflicht als Rekrut gezwungen werden sich an Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, das Völkerstrafrecht und/oder internationale Menschenrechte zu beteiligen, andernfalls mit drakonischen Strafen bis hin zur Hinrichtung rechnen müsse. Im regimekontrollierten Gebiet gäbe es ein engmaschiges Netz an Checkpoints. Der Beschwerdeführer würde bereits bei einer Rückkehr über einen Flughafen unter Kontrolle der syrischen Regierung (Damaskus, Aleppo, Qamishli) gefasst werden. Aus einem Bericht der ICG vom 25.11.2020 folge, dass die SDF während des Krieges dem syrischen Regime eine symbolische Präsenz auf Teilen des von ihnen kontrollierten Gebietes, wie in einigen Vierteln Qamishlis, gestatte, ebenso wie die volle Kontrolle über den Flughafen von Qamishli. Als Konsequenz auf die türkische Militärinvasion in den kurdischen Gebieten Nordsyriens hätten die SDF ein Verteidigungsübereinkommen mit dem syrischen Regime getroffen, das zur Rückkehr von Regierungstruppen in das Gebiet geführt habe. Es sei dem Beschwerdeführer unmöglich bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion die Kontrolle des syrischen Regimes zu umgehen. Die Grenzübergänge von der Türkei in die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien seien geschlossen. Der einzige geöffnete Grenzübergang Semalka – Faysh Khabur sei wegen der unsicheren Lage häufig geschlossen und eine Einreise über diesen könne dem Beschwerdeführer mangels Sicherheit nicht zugemutet werden. Auch die illegale Ausreise aus Syrien, die Flucht nach Europa und Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz im Bundesgebiet führe zur Unterstellung einer feindlichen politischen Gesinnung seitens der syrischen Regierung. Dem Beschwerdeführer drohe bei einer Rückkehr die Einziehung zum Reservedienst. Er sei im wehrfähigen Alter, es lägen keine Befreiungsgründe vor, es gäbe einen Einberufungsbefehl und er hätte den Reservedienst auch noch nicht abgeleistet. Staatliche Verfolgung aus politischen Gründen drohe bereits vor Erreichung des Herkunftsortes.
8. Mit ergänzender Stellungnahme vom 26.09.2023 legte der Beschwerdeführer einen Screenshot über eine Abfrage auf der Website des syrischen Verteidigungsministeriums vor, welche ergeben haben soll, dass er als Reservediener gesucht werde.
9. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 17.10.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
10. Mit Parteiengehör vom 18.03.2024 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, SYRIEN aus dem COI-CMS, Version 10, Datum der Veröffentlichung: 14.03.2024“ seiner Entscheidung zu Grunde zu legen und wurde auf die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung oder einer allfälligen Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 24.04.2024 hingewiesen.
11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 24.04.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines bevollmächtigten Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die kurdische Sprache zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt. Ein Vertreter der belangten Behörde ist entschuldigt nicht erschienen.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren vom Bundesverwaltungsgericht eingebracht:
- Kartenausschnitt hinsichtlich Herkunftsort unter https://syria.liveuamap.com/de (Beilage ./1)
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Syrien in der Fassung vom 27.03.2024, Version 11 (Beilage ./2)
- EUAA Country Guidance Syria, April 2024 (Beilage ./3)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 22.04.2024: Syrien, Sicherheitsquadrate in Qamishli (Beilage ./4)
12. Der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers wurde in der mündlichen Verhandlung die Einbringung einer schriftlichen Stellungnahme, einlangend beim Bundesverwaltungsgericht binnen Frist von drei Wochen, freigestellt.
13. Die Verhandlungsschrift vom 24.04.2024 samt Stellungnahme vom selben Tag und der Beilagen wurden der belangten Behörde zur Kenntnisnahme übermittelt.
14. Mit Stellungnahme, einlangend am selben Tag (24.04.2024), brachte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers im Wesentlichen ergänzend vor, dass hinsichtlich des mit Stellungnahme vom 26.09.2023 vorgelegten Abfrageergebnisses über die Einberufung zum Reservedienst auf der Website des syrischen Verteidigungsministeriums auf die Anfragebeantwortung der BFA-Staatendokumentation zu Syrien, Website des syrischen Verteidigungsministeriums – Einberufung, 28.05.2022 verwiesen werde.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 24.04.2024 habe der Beschwerdeführer deutlich gemacht, dass er den Reservedienst aus politischen und Gewissensgründen verweigere und der syrischen Regierung ablehnend gegenüberstehe. Die syrische Regierung unterstelle Verweigerern des Militärdienstes auch eine oppositionelle politische Gesinnung. Als Heimatregion könne nicht nur ein Dorf oder ein Bezirk einer Stadt bezeichnet werden, etwa der Heimatbezirk des Beschwerdeführers in Qamishli. Vielmehr sei die gesamte Stadt mit dem naheliegenden Umland als Heimatregion anzusehen. Der Beschwerdeführer habe glaubhaft angegeben, dass er sich in seiner Heimatregion Qamishli nicht frei von Verfolgung bewegen hat können, sondern die Gebiete unter Regimekontrolle meiden hat müssen. Es bestehe kein entsprechender Schutz durch die Autonome Administration gegen Verfolgungshandlungen und Zwangsrekrutierungen durch die syrische Regierung. Darüber hinaus sei angesichts der häufigen Verschiebungen der Machtverhältnisse in Qamishli der Schutz nicht von Dauer, sondern von vorübergehender Art. Es komme auf eine Verfolgung bei einer hypothetischen Rückkehr in das Herkunftsland zum Entscheidungszeitpunkt an. Der Beschwerdeführer habe sich im Entscheidungszeitpunkt noch nicht freigekauft. Ein solcher sei nur vom Ausland möglich, sodass die Möglichkeit des Freikaufs im Entscheidungszeitpunkt nicht offenstehe. Auch aufgrund der Dauer und Komplexität des Prozesses zum Freikauf könne sich der Beschwerdeführer nicht freikaufen. Außerdem verfüge er nicht über die notwendigen finanziellen Mittel. Auch könne nicht von einer verlässlichen Umsetzung der Befreiungstatbestände in der Praxis ausgegangen werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und wurde am XXXX geboren. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Kurden an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Muttersprache ist Kurdisch. Der Beschwerdeführer führt den Namen römisch 40 und wurde am römisch 40 geboren. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Kurden an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Muttersprache ist Kurdisch.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Qamishli (auch Qamischli), Gouvernement XXXX wo er geboren wurde, aufgewachsen ist und – lediglich unterbrochen durch die etwa zweijährige Ableistung seines Militärdienstes - auch bis zu seiner Ausreise lebte. Qamishli steht als Teil der kurdischen Selbstverwaltungsregion unter weitgehender Kontrolle kurdischer Kräfte. Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Qamishli (auch Qamischli), Gouvernement römisch 40 wo er geboren wurde, aufgewachsen ist und – lediglich unterbrochen durch die etwa zweijährige Ableistung seines Militärdienstes - auch bis zu seiner Ausreise lebte. Qamishli steht als Teil der kurdischen Selbstverwaltungsregion unter weitgehender Kontrolle kurdischer Kräfte.
Der Beschwerdeführer besuchte in Syrien neun Jahre lang die Schule und war als Tischler, Zimmermann und Elektriker tätig. Während seines Aufenthalts in der Türkei arbeitete er als Zimmermann auf Baustellen.
Der Beschwerdeführer verließ Syrien Ende des Jahres 2019 und reiste über den Irak in die Türkei, wo er sich für einen längeren Zeitraum aufhielt. Über Bulgarien, Serbien und Ungarn gelangte er schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 09.05.2022 im Alter von 32 Jahren den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Söhne und eine Tochter, welche zusammen mit seiner Ehefrau in der Türkei leben. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt in Qamishli, sein Vater ist im Jahr 2003 oder 2004 verstorben. Weiters hat der Beschwerdeführer drei Schwestern, zwei Brüder und fünf Halbbrüder. Zwei Schwestern leben in der Türkei, die dritte im Irak. Ein Bruder befindet sich in Schweden, der andere in der Türkei. Ein Halbbruder ist in Deutschland aufhältig, die anderen vier Halbbrüder befinden sich im Irak. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Mutter in regelmäßigem Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.
In Österreich geht er derzeit keiner Beschäftigung nach.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
1.2.1. Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Die Behörden berufen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können.
Der Beschwerdeführer befindet sich mit seinen aktuell 34 Jahren innerhalb der Altersgrenzen für den Reservedienst der syrischen Armee.
Er verfügt über keine militärische Spezialausbildung sowie über keine zivilen Fertigkeiten oder Kenntnisse, die für die syrischen Streitkräfte von besonderem Interesse wären.
Während seines Militärdienstes, den er vollständig ableistete, hatte er den Rang eines einfachen Soldaten inne.
Zudem verfügt das Regime in der AANES nur über stark eingeschränkte Rekrutierungsmöglichkeiten, die sich grundsätzlich auf Regimeenklaven und Sicherheitsquadrate beschränken. Solche befinden sich zwar im nördlichen und südöstlichen Teil der Stadt Qamishli sowie südwestlich im Bereich des Flughafens, doch nicht im Stadtviertel des Beschwerdeführers ( XXXX ), sodass eine Rekrutierung zum Reservedienst nicht als maßgeblich wahrscheinlich anzusehen ist.Zudem verfügt das Regime in der AANES nur über stark eingeschränkte Rekrutierungsmöglichkeiten, die sich grundsätzlich auf Regimeenklaven und Sicherheitsquadrate beschränken. Solche befinden sich zwar im nördlichen und südöstlichen Teil der Stadt Qamishli sowie südwestlich im Bereich des Flughafens, doch nicht im Stadtviertel des Beschwerdeführers ( römisch 40 ), sodass eine Rekrutierung zum Reservedienst nicht als maßgeblich wahrscheinlich anzusehen ist.
1.2.2. Am 4.9.2021 wurde für das Gebiet der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Der Beschwerdeführer gehört dem Geburtsjahrgang 1989 an und unterliegt sohin nicht mehr der „Selbstverteidigungspflicht“ in der kurdischen Autonomieregion. Eine Rekrutierung durch kurdische Kräfte ist nicht maßgeblich wahrscheinlich.
1.2.3. Ebenso wenig droht dem Beschwerdeführer auf Grund seiner illegalen Ausreise aus Syrien, seinem Aufenthalt in Österreich sowie seiner Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich, die Gefahr der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen durch das syrische Regime.
1.2.4. Dem Beschwerdeführer droht auch nicht maßgeblich wahrscheinlich Reflexverfolgung aufgrund einer (behaupteten) Desertion seines Bruders durch das syrische Regime.
1.2.5. Der Beschwerdeführer kann seinen Herkunftsort über den irakisch-syrischen Grenzübergang Semalka-Faysh Khabur gefahrlos, insbesondere ohne Kontakt zum syrischen Regime, erreichen.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
1.3.1. Betreffend die Lage in Syrien werden der Entscheidung insbesondere die in den folgenden Berichten enthaltenen Informationen zugrunde gelegt:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien Version 11, veröffentlicht am 27.03.2024 (LIB)
- EUAA Country Guidance Syria, April 2024
- Live Universal Awareness Map Syrien, Stand 24.04.2024, https://syria.liveuamap.com/ (Liveuamap)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 22.04.2024: Syrien, Sicherheitsquadrate in Qamishli
1.3.2. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 27.03.2024 (Version 11):
„Politische Lage
Letzte Änderung 08.03.2024
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung 08.03.2024
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 2.2.2024).
Institutionen und Wahlen
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Art. 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Artikel 113, der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).
Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entz