Entscheidungsdatum
01.08.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L502 2284192-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2023, FZ. XXXX , zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 alias römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Türkei, vertreten durch römisch 40 , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2023, FZ. römisch 40 , zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise nach Österreich am 23.10.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 24.10.2021 erfolgte seine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Im Zuge der Erstbefragung wurde sein türkischer Personalausweis behördlich sichergestellt. In der Folge wurde das Verfahren zugelassen.
3. Mit Schreiben vom 04.11.2022 teilte das Arbeitsmarktservice dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit, dass zu seinen Gunsten eine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde.
4. Am 31.01.2023 kam es zu einer urkundentechnischen Überprüfung seines Personalausweises durch die Landespolizeidirektion Tirol.
5. Am 13.02.2023 wurde er vor dem BFA zu seinem Antrag niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde ihm das Länderinformationsblatt des BFA zum Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum 28.02.2023 eingeräumt. Er wurde auch aufgefordert, einen Einberufungsbefehl den Wehrdienst in der Türkei betreffend bis zum 28.02.2023 in Vorlage zu bringen.
6. Mit Schreiben vom 13.02.2023 verständigte das BFA die Grundversorgungsstelle über die erfolgte Änderung seines Vornamens.
7. Mit E-Mail vom 13.02.2023 legte er Beweismittel vor.
8. Am 10.03.2023 langte eine weitere Beweismittelvorlage von ihm beim BFA ein.
9. Mit Schreiben vom 07.04.2023 teilte das Arbeitsmarktservice dem BFA mit, dass ihm eine weitere Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde.
10. Am 12.09.2023 langte eine Anfrage seines Arbeitgebers beim BFA ein.
11. Am 20.11.2023 wurde er erneut vor dem BFA niederschriftlich einvernommen, dabei legte er weitere Integrationsnachweise vor und wurde in das türkische e-Devlet Einsicht genommen. Ihm wurde auch erneut das Länderinformationsblatt des BFA zum Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme dazu eingeräumt, worauf er verzichtete.
12. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 12.12.2023 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI). 12. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 12.12.2023 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt römisch II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt römisch VI).
13. Mit Information des BFA vom 21.12.2023 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.13. Mit Information des BFA vom 21.12.2023 wurde ihm von Amts wegen gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
14. Gegen den ihm am 29.12.2023 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 09.01.2024 binnen offener Frist Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
15. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 12.01.2024 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das Beschwerdeverfahren der nun zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.
16. Mit Schreiben vom 26.06.2024 legte das BFA ein Rückkehrberatungsprotokoll vom 26.06.2024 vor.
17. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister, dem Betreuungsinformationssystem, dem AJ-Web sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Identität des BF steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der kurdischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft des Islam an. Er ist ledig und kinderlos.
Er wurde in der südostanatolischen Provinz XXXX geboren und wuchs dort auf. Er wurde in der südostanatolischen Provinz römisch 40 geboren und wuchs dort auf.
Er hat in der Türkei zwölf Jahre lang die Schule besucht. Nach Abschluss einer Ausbildung an einem Gymnasium mit Schwerpunkt Metalltechnik zog er nach Istanbul. Von 2020 bis zur Ausreise im Jahr 2021 lebte er gemeinsam mit seinen Eltern und Brüdern in einer Mietwohnung in Istanbul. In Istanbul hat er bis zu seiner Ausreise in einem Textilladen gearbeitet.
In der Provinz XXXX leben aktuell seine Eltern, ein Bruder und zwei verheiratete Schwestern. Sein Vater besitzt in XXXX ein Grundstück mit einer Fläche von etwa 23 Hektar. Seine Familie besitzt dort auch ein Haus, ein Auto und einen Traktor. Sein Vater geht in der Türkei einer Erwerbstätigkeit nach. Er steht mit seinen Familienangehörigen regelmäßig in Kontakt.In der Provinz römisch 40 leben aktuell seine Eltern, ein Bruder und zwei verheiratete Schwestern. Sein Vater besitzt in römisch 40 ein Grundstück mit einer Fläche von etwa 23 Hektar. Seine Familie besitzt dort auch ein Haus, ein Auto und einen Traktor. Sein Vater geht in der Türkei einer Erwerbstätigkeit nach. Er steht mit seinen Familienangehörigen regelmäßig in Kontakt.
Er verließ die Türkei am 07.10.2021 gemeinsam mit einem Cousin auf legale Weise, unter Verwendung seines türkischen Reisepasses, auf dem Luftweg nach Serbien. Von dort ausgehend setzten die beiden ihre Weiterreise mit Hilfe eines Schleppers auf dem Landweg über Ungarn bis nach Österreich fort, wo er am 23.10.2021 im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.
Er spricht Kurdisch als Muttersprache und Türkisch. Er verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Er hat im Jahr 2022 einen Deutschkurs auf dem Sprachniveau A0 besucht. Von 17.04.2023 bis 25.05.2023 hat er an einer 80-stündigen Bildungsveranstaltung „A1.1 Deutsch Grundstufe“, von 30.05.2023 bis 07.07.2023 an einer 80-stündigen Bildungsveranstaltung „A1.2 Deutsch Grundstufe“ und von 02.10.2023 bis 09.11.2023 an einer 80-stündigen Bildungsveranstaltung „A2.1 Deutsch Grundstufe“ teilgenommen. Er hat bislang keine Sprachprüfungen abgelegt.
Er bezog von 24.10.2021 bis 12.02.2024 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 27.07.2022 wurde zu seinen Gunsten eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Küchengehilfe für die Zeit vom 28.07.2022 bis 31.01.2023 für eine Ganztagsbeschäftigung im Ausmaß von 40 Stunden pro Woche und mit einem monatlichen Entgelt von EUR XXXX brutto erteilt. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 30.01.2023 wurde die Beschäftigungsbewilligung bis 31.01.2024 verlängert. Seit 01.08.2022 geht er im Rahmen dieser Beschäftigungsbewilligung einer Erwerbstätigkeit in einer Pizzeria nach. Er bezog von 24.10.2021 bis 12.02.2024 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 27.07.2022 wurde zu seinen Gunsten eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Küchengehilfe für die Zeit vom 28.07.2022 bis 31.01.2023 für eine Ganztagsbeschäftigung im Ausmaß von 40 Stunden pro Woche und mit einem monatlichen Entgelt von EUR römisch 40 brutto erteilt. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 30.01.2023 wurde die Beschäftigungsbewilligung bis 31.01.2024 verlängert. Seit 01.08.2022 geht er im Rahmen dieser Beschäftigungsbewilligung einer Erwerbstätigkeit in einer Pizzeria nach.
Er ist Mitglied in einem Fitnessclub. Er ist in Österreich bislang keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen.
Im Bundesgebiet halten sich sein mit ihm mitgereister Cousin und seit 2023 auch zwei Brüder, eine Schwester, ein Neffe und eine Schwägerin von ihm als Asylwerber auf. Ein weiterer Bruder befindet sich als Asylwerber in Belgien. In Belgien leben darüber hinaus mehrere Onkel und Cousins. In Deutschland leben ebenfalls mehrere Onkel, Tanten und Cousins väterlicherseits. Im Verfahren kam nicht hervor, dass er mit seinen in Europa aufhältigen Familienangehörigen ein außergewöhnliches Naheverhältnis pflegt oder zwischen ihnen ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis besteht.
Er verfügt im Bundesgebiet über soziale Anknüpfungspunkte.
Er leidet an keiner gravierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung und ist voll erwerbsfähig.
Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Er hat seinen Herkunftsstaat nicht aufgrund individueller Verfolgung durch staatliche Organe oder durch Dritte verlassen und ist auch bei einer Rückkehr in die Türkei nicht der Gefahr einer solchen ausgesetzt.
Er hat bislang den verpflichtenden Wehrdienst in der türkischen Armee noch nicht abgeleistet.
1.3. Er ist bei einer Rückkehr in die Türkei auch aus sonstigen individuellen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort keiner maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt und findet dort eine hinreichende Existenzgrundlage vor. Er leidet unter keinen gravierenden Erkrankungen.
1.4. Zur aktuellen Lage in der Türkei wird, den länderkundlichen Feststellungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid entsprechend, festgestellt:
Politische Lage
Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Unter der Bevölkerung nimmt die Unzufriedenheit mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) zu, insbesondere als Folge der Teuerung und des damit verbundenen Kaufkraftverlustes und der einhergehenden, zunehmenden Verarmung von Teilen der Bevölkerung. Die Opposition versucht, die Regierung in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen, und fördert eine migrantenfeindliche Stimmung. Die einst gegenüber Flüchtlingen mehrheitlich freundlich eingestellte Bevölkerung ist mittlerweile nicht mehr bereit, weitere Menschen aufzunehmen (ÖB 30.11.2022, S. 4). Die Gesellschaft bleibt stark polarisiert (WZ 7.5.2023; vgl. ÖB 30.11.2022, S. 4, EC 12.10.2022, S. 11) zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022, S. 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagierten ein "stolzes Türkentum", islamischen Wertvorstellungen wurde zusehends mehr Gewicht verliehen, Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpften um ihr Dasein (WZ 7.5.2023).Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Unter der Bevölkerung nimmt die Unzufriedenheit mit Präsident Erdo?an und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) zu, insbesondere als Folge der Teuerung und des damit verbundenen Kaufkraftverlustes und der einhergehenden, zunehmenden Verarmung von Teilen der Bevölkerung. Die Opposition versucht, die Regierung in der Migrationsfrage mit scharfen Tönen in Bedrängnis zu bringen, und fördert eine migrantenfeindliche Stimmung. Die einst gegenüber Flüchtlingen mehrheitlich freundlich eingestellte Bevölkerung ist mittlerweile nicht mehr bereit, weitere Menschen aufzunehmen (ÖB 30.11.2022, Sitzung 4). Die Gesellschaft bleibt stark polarisiert (WZ 7.5.2023; vergleiche ÖB 30.11.2022, Sitzung 4, EC 12.10.2022, Sitzung 11) zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022, Sitzung 43). Das hat u. a. mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagierten ein "stolzes Türkentum", islamischen Wertvorstellungen wurde zusehends mehr Gewicht verliehen, Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpften um ihr Dasein (WZ 7.5.2023).
Präsident Recep Tayyip Erdo?an und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die die Türkei seit 2002 regieren, sind in den letzten Jahren zunehmend autoritär geworden und haben ihre Macht durch Verfassungsänderungen und die Inhaftierung von Gegnern und Kritikern gefestigt. Eine sich verschärfende Wirtschaftskrise und die Wahlen im Jahr 2023 haben der Regierung neue Anreize gegeben, abweichende Meinungen zu unterdrücken und den öffentlichen Diskurs einzuschränken. Freedom House fügt die Türkei mittlerweile in die Kategorie "nicht frei" ein (FH 10.3.2023). Das Funktionieren der demokratischen Institutionen ist weiterhin stark beeinträchtigt. Der Demokratieabbau hat sich fortgesetzt (EC 12.10.2022, S. 3, 11; vgl. WZ 7.5.2023).Präsident Recep Tayyip Erdo?an und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die die Türkei seit 2002 regieren, sind in den letzten Jahren zunehmend autoritär geworden und haben ihre Macht durch Verfassungsänderungen und die Inhaftierung von Gegnern und Kritikern gefestigt. Eine sich verschärfende Wirtschaftskrise und die Wahlen im Jahr 2023 haben der Regierung neue Anreize gegeben, abweichende Meinungen zu unterdrücken und den öffentlichen Diskurs einzuschränken. Freedom House fügt die Türkei mittlerweile in die Kategorie "nicht frei" ein (FH 10.3.2023). Das Funktionieren der demokratischen Institutionen ist weiterhin stark beeinträchtigt. Der Demokratieabbau hat sich fortgesetzt (EC 12.10.2022, Sitzung 3, 11; vergleiche WZ 7.5.2023).
Die Türkei wird heute als "kompetitives autoritäres" Regime eingestuft (MEI 10.2022, S. 6; vgl. DE 31.12.2023, Günay 2016, Esen/Gumuscu 19.2.2016), in dem zwar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, der Wettbewerb zwischen den politischen Parteien aber nicht frei und fair ist. Solche Regime, zu denen die Türkei gezählt wird, weisen vordergründig demokratische Elemente auf: Oppositionsparteien gewinnen gelegentlich Wahlen oder stehen kurz davor; es herrscht ein harter politischer Wettbewerb; die Presse kann verschiedene Meinungen und Erklärungen von Oppositionsparteien veröffentlichen; und die Bürger können Proteste organisieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch ehedem Risse in der demokratischen Fassade: Regierungsgegner werden mit legalen oder illegalen Mitteln unterdrückt, unabhängige Justizorgane werden von regierungsnahen Beamten kontrolliert und die Presse- und Meinungsfreiheit gerät unter Druck. Wenn diese Maßnahmen nicht zu einem für die Regierungspartei zufriedenstellenden Ergebnis führen, müssen Oppositionsmitglieder mit gezielter Gewalt oder Inhaftierung rechnen - eine Realität, die für die türkische Opposition immer häufiger anzutreffen ist (MEI 10.2022, S. 6; vgl. Esen/Gumuscu 19.2.2016).Die Türkei wird heute als "kompetitives autoritäres" Regime eingestuft (MEI 10.2022, Sitzung 6; vergleiche DE 31.12.2023, Günay 2016, Esen/Gumuscu 19.2.2016), in dem zwar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, der Wettbewerb zwischen den politischen Parteien aber nicht frei und fair ist. Solche Regime, zu denen die Türkei gezählt wird, weisen vordergründig demokratische Elemente auf: Oppositionsparteien gewinnen gelegentlich Wahlen oder stehen kurz davor; es herrscht ein harter politischer Wettbewerb; die Presse kann verschiedene Meinungen und Erklärungen von Oppositionsparteien veröffentlichen; und die Bürger können Proteste organisieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch ehedem Risse in der demokratischen Fassade: Regierungsgegner werden mit legalen oder illegalen Mitteln unterdrückt, unabhängige Justizorgane werden von regierungsnahen Beamten kontrolliert und die Presse- und Meinungsfreiheit gerät unter Druck. Wenn diese Maßnahmen nicht zu einem für die Regierungspartei zufriedenstellenden Ergebnis führen, müssen Oppositionsmitglieder mit gezielter Gewalt oder Inhaftierung rechnen - eine Realität, die für die türkische Opposition immer häufiger anzutreffen ist (MEI 10.2022, Sitzung 6; vergleiche Esen/Gumuscu 19.2.2016).
Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser negativ auf Demokratie und Grundrechte aus. Einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumen, und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert (EC 12.10.2022, S. 11f.). Das Parlament verlängerte im Juli 2021 die Gültigkeit dieser restriktiven Elemente des Notstandsrechtes um weitere drei Jahre (DW 18.7.2021). Das diesbezügliche Gesetz ermöglicht es u. a., Staatsbedienstete, einschließlich Richter und Staatsanwälte, wegen mutmaßlicher Verbindungen zu "terroristischen" Organisationen ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung zu entlassen (AI 29.3.2022). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 hatte das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet war, verabschiedet (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung, insbesondere die Bestimmungen zur nationalen Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung, verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen andere internationale Standards bzw. gegen die Rechtsprechung des EGMR (EC 12.10.2022, S. 6).Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser negativ auf Demokratie und Grundrechte aus. Einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumen, und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert (EC 12.10.2022, Sitzung 11f.). Das Parlament verlängerte im Juli 2021 die Gültigkeit dieser restriktiven Elemente des Notstandsrechtes um weitere drei Jahre (DW 18.7.2021). Das diesbezügliche Gesetz ermöglicht es u. a., Staatsbedienstete, einschließlich Richter und Staatsanwälte, wegen mutmaßlicher Verbindungen zu "terroristischen" Organisationen ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung zu entlassen (AI 29.3.2022). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 hatte das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet war, verabschiedet (NZZ 18.7.2018; vergleiche ZO 25.7.2018). Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung, insbesondere die Bestimmungen zur nationalen Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung, verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen andere internationale Standards bzw. gegen die Rechtsprechung des EGMR (EC 12.10.2022, Sitzung 6).
Das Präsidialsystem
Die Türkei ist eine konstitutionelle Präsidialrepublik und laut Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidentiellen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident. Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 28.7.2022, S. 5; vgl. DFAT 10.9.2020, S. 14).Die Türkei ist eine konstitutionelle Präsidialrepublik und laut Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidentiellen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident. Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 28.7.2022, Sitzung 5; vergleiche DFAT 10.9.2020, Sitzung 14).
Am 16.4.2017 stimmten 51,4 % der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE/OSCE) und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef, setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).Am 16.4.2017 stimmten 51,4 % der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vergleiche HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE/OSCE) und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef, setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Entgegen den Behauptungen der Regierungspartei AKP zugunsten des neuen präsidentiellen Regierungssystems ist nach dessen Einführung das Parlament geschwächt, die Gewaltenteilung ausgehöhlt, die Justiz politisiert und sind die Institutionen verkrüppelt. Zudem herrschen autoritäre Praktiken (SWP 4.2021, S. 2). Der Abschied der Türkei von der parlamentarischen Demokratie und der Übergang zu einem Präsidialsystem im Jahr 2018 haben den Autokratisierungsprozess des Landes beschleunigt. - Die Exekutive ist der größte antidemokratische Akteur. Die wenigen verbliebenen liberal-demokratischen Akteure und Reformer in der Türkei haben nicht genügend Macht, um die derzeitig