Entscheidungsdatum
22.07.2024Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W280 2277420-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 1992, StA. Russische Föderation, vertreten durch Mag. Andreas LEPSCHI, Rechtsanwalt in 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 07.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX 06.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 1992, StA. Russische Föderation, vertreten durch Mag. Andreas LEPSCHI, Rechtsanwalt in 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 07.2023, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch 40 06.2024 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.römisch eins. Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.römisch II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste am XXXX 11.2022 per Flugzeug nach Österreich und stellte am selben Tag im internationalen Transitbereich des Flughafens Wien-Schwechat einen Antrag auf internationalen Schutz. 1. Der Beschwerdeführer (in der Folge als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste am römisch 40 11.2022 per Flugzeug nach Österreich und stellte am selben Tag im internationalen Transitbereich des Flughafens Wien-Schwechat einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am XXXX 11.2022 wurde der BF vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei insbesondere an, am XXXX 11.2022 einen Einberufungsbefehl bekommen zu haben. Er wolle jedoch nicht am Krieg teilnehmen und im Auftrag von Russland unschuldige Menschen töten. Es würden vor allem Leute einen Einberufungsbefehl bekommen, die den Behörden bekannt oder unerwünscht seien. Er habe auch Probleme mit den Behörden gehabt, weil er eine Wohnung in der Nähe einer (Anm.: neu errichteten) Moschee gemietet habe und ihm vorgeworfen worden sei, dass er am Eröffnungstag etwas anstellen könnte. Er sei zwei Tage eingesperrt, verhört, geschlagen und gequält worden.Am römisch 40 11.2022 wurde der BF vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei insbesondere an, am römisch 40 11.2022 einen Einberufungsbefehl bekommen zu haben. Er wolle jedoch nicht am Krieg teilnehmen und im Auftrag von Russland unschuldige Menschen töten. Es würden vor allem Leute einen Einberufungsbefehl bekommen, die den Behörden bekannt oder unerwünscht seien. Er habe auch Probleme mit den Behörden gehabt, weil er eine Wohnung in der Nähe einer Anmerkung, neu errichteten) Moschee gemietet habe und ihm vorgeworfen worden sei, dass er am Eröffnungstag etwas anstellen könnte. Er sei zwei Tage eingesperrt, verhört, geschlagen und gequält worden.
2. Am XXXX 11.2022 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF im Zulassungsverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA oder belangte Behörde) statt. Dabei gab der BF ergänzend zu seinen Angaben im Rahmen der Erstbefragung an, dass die Regierung weiterhin Einberufungsbefehle verschicke, obwohl die Mobilisierung eingestellt sei. Zudem führte er erneut aus, sein Heimatland verlassen zu haben, weil er einen Einberufungsbefehl bekommen habe und nicht in den Krieg ziehen wolle sowie, dass er bereits einmal von der Polizei mitgenommen worden sei. Weiters legte der BF seinen russischen Auslandsreisepass sowie den Einberufungsbefehl in Kopie vor.2. Am römisch 40 11.2022 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF im Zulassungsverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA oder belangte Behörde) statt. Dabei gab der BF ergänzend zu seinen Angaben im Rahmen der Erstbefragung an, dass die Regierung weiterhin Einberufungsbefehle verschicke, obwohl die Mobilisierung eingestellt sei. Zudem führte er erneut aus, sein Heimatland verlassen zu haben, weil er einen Einberufungsbefehl bekommen habe und nicht in den Krieg ziehen wolle sowie, dass er bereits einmal von der Polizei mitgenommen worden sei. Weiters legte der BF seinen russischen Auslandsreisepass sowie den Einberufungsbefehl in Kopie vor.
3. Am XXXX 03.2023 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA statt. In dieser gab der BF im Wesentlichen an, am XXXX 11.2022 eine Ladung erhalten zu haben und er hätte in den Krieg ziehen müssen. Dies habe er jedoch nicht gewollt, da er niemanden umbringen und auch sein eigenes Leben nicht habe riskieren wollen. Die Mobilisierung in Russland sei zwar eingestellt, dauere jedoch in Tschetschenien weiter an. Leute, die bereits zuvor Probleme hatten, seien mitgenommen und gezwungen worden, zu unterschreiben, dass sie freiwillig in den Krieg ziehen. Auch er gehöre zu den Personen, die bereits Probleme gehabt hätten. Im September 2020 habe er eine Wohnung in der Nähe einer neuen Moschee gemietet. Er sei von Mitarbeitern einer Behörde mitgenommen worden und zwei Tage lang gefoltert worden, da man ihn dazu bringen habe wollen, ein Geständnis abzulegen, dass er bei der Moschee eine Sprengung oder Ähnliches habe machen wollen.3. Am römisch 40 03.2023 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA statt. In dieser gab der BF im Wesentlichen an, am römisch 40 11.2022 eine Ladung erhalten zu haben und er hätte in den Krieg ziehen müssen. Dies habe er jedoch nicht gewollt, da er niemanden umbringen und auch sein eigenes Leben nicht habe riskieren wollen. Die Mobilisierung in Russland sei zwar eingestellt, dauere jedoch in Tschetschenien weiter an. Leute, die bereits zuvor Probleme hatten, seien mitgenommen und gezwungen worden, zu unterschreiben, dass sie freiwillig in den Krieg ziehen. Auch er gehöre zu den Personen, die bereits Probleme gehabt hätten. Im September 2020 habe er eine Wohnung in der Nähe einer neuen Moschee gemietet. Er sei von Mitarbeitern einer Behörde mitgenommen worden und zwei Tage lang gefoltert worden, da man ihn dazu bringen habe wollen, ein Geständnis abzulegen, dass er bei der Moschee eine Sprengung oder Ähnliches habe machen wollen.
4. Mit dem oben angeführten, nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX 07.2023 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). 4. Mit dem oben angeführten, nunmehr angefochtenen Bescheid vom römisch 40 07.2023 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) sowie gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Russische Föderation gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die vom BF angegebenen Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes nicht maßgeblich asylrelevant seien. Dass der BF in der Russischen Föderation asylrelevante Verfolgung oder Gefährdung ausgesetzt (gewesen) sei oder ihm dies in der Zukunft drohe, habe nicht festgestellt werden können. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der BF dort Gefahr liefe unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Der gesunde, volljährige, gebildete und arbeitsfähige BF habe sich bereits zuvor als XXXX seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation finanziert sowie den Großteil seines Lebens dort verbracht und sei mit den Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut. Auch würden seine Mutter und Geschwister nach wie vor in seinem Heimatort leben, sodass er auch von diesen unterstützt werden könne und über ein soziales Netzwerk in der Russischen Föderation verfüge. Dem BF sei es sohin bei einer Rückkehr zumutbar, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern und würde er nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten. Auch verfüge der BF weder über ein intensives Familienleben noch über ein schützenswertes Privatleben in Österreich.Der gesunde, volljährige, gebildete und arbeitsfähige BF habe sich bereits zuvor als römisch 40 seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation finanziert sowie den Großteil seines Lebens dort verbracht und sei mit den Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut. Auch würden seine Mutter und Geschwister nach wie vor in seinem Heimatort leben, sodass er auch von diesen unterstützt werden könne und über ein soziales Netzwerk in der Russischen Föderation verfüge. Dem BF sei es sohin bei einer Rückkehr zumutbar, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern und würde er nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten. Auch verfüge der BF weder über ein intensives Familienleben noch über ein schützenswertes Privatleben in Österreich.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und sei ihr zudem eine mangelhafte Begründung anzulasten. Der BF habe den Vorfall mit der Polizei im Jahr 2020 detailreich geschildert und sei ein Zusammenhang mit einer Rekrutierung vorstellbar. Zudem habe sich der BF einer Rekrutierung entzogen und hätte er auch deshalb mit brutalen Konsequenzen zu rechnen. Darüber hinaus pflege der BF eine sehr enge familiäre Bindung zu seiner im Bundesgebiet lebenden Schwester.
6. Am XXXX 08.2023 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (nachfolgend mit BVwG abgekürzt) ein. Mit der Beschwerdevorlage wurde vom BFA gleichzeitig beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.6. Am römisch 40 08.2023 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (nachfolgend mit BVwG abgekürzt) ein. Mit der Beschwerdevorlage wurde vom BFA gleichzeitig beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
7. Mit Schreiben vom XXXX 06.2024 gab der BF im Wege seiner Rechtsvertretung bekannt, dass er beabsichtige, sich in der mündlichen Verhandlung erstmals zu seiner sexuellen Orientierung und der daraus befürchteten Verfolgung zu äußern. Gleichzeitig wurde das Gericht ersucht zur mündlichen Verhandlung einen Dolmetscher beizuziehen, der nicht der Volksgruppe der Tschetschenen angehörig sei. Zudem wurde das Wehrdienstbuch des BF samt Übersetzung in Kopie vorgelegt.7. Mit Schreiben vom römisch 40 06.2024 gab der BF im Wege seiner Rechtsvertretung bekannt, dass er beabsichtige, sich in der mündlichen Verhandlung erstmals zu seiner sexuellen Orientierung und der daraus befürchteten Verfolgung zu äußern. Gleichzeitig wurde das Gericht ersucht zur mündlichen Verhandlung einen Dolmetscher beizuziehen, der nicht der Volksgruppe der Tschetschenen angehörig sei. Zudem wurde das Wehrdienstbuch des BF samt Übersetzung in Kopie vorgelegt.
8. Am XXXX 06.2024 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache, dem BF und seiner rechtsfreundlichen Vertretung statt, in welcher der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen und seinem Aufenthalt in Österreich befragt wurden. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.8. Am römisch 40 06.2024 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache, dem BF und seiner rechtsfreundlichen Vertretung statt, in welcher der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen und seinem Aufenthalt in Österreich befragt wurden. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.
9. Mit Schreiben seiner Rechtsvertretung vom XXXX 06.2024 nahm der BF zu den in der mündlichen Verhandlung durch den erkennenden Richter in das Verfahren eingebrachten Anfragenbeantwortungen Stellung. Zudem wurde der russische Inlandsreisepass des BF in Kopie vorgelegt, welcher schließlich am XXXX 06.2024 im Original beim BVwG einlangte.9. Mit Schreiben seiner Rechtsvertretung vom römisch 40 06.2024 nahm der BF zu den in der mündlichen Verhandlung durch den erkennenden Richter in das Verfahren eingebrachten Anfragenbeantwortungen Stellung. Zudem wurde der russische Inlandsreisepass des BF in Kopie vorgelegt, welcher schließlich am römisch 40 06.2024 im Original beim BVwG einlangte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der BF führt die im Spruch genannte Identität (Namen und Geburtsdatum); seine Identität steht fest. Er ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams. Seine Erstsprache ist Tschetschenisch, zudem spricht er Russisch und ein wenig Deutsch. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
1.1.2. Der BF stammt aus dem Dorf XXXX in der Teilrepublik Tschetschenien der Russischen Föderation. Dort lebte er im Wesentlichen bis zu seiner Ausreise aus der Russischen Föderation im November 2022 durchgehend im Haus der Familie, welches im Eigentum seiner Mutter steht. Der BF besuchte elf Jahre die Schule und begann anschließend ein Studium an einer islamischen Universität, welches er jedoch nicht abschloss. In weiterer Folge stellte er XXXX her und machte Ausbildungen zum XXXX sowie zum XXXX . Das letzte Jahr vor seiner Ausreise aus der Russischen Föderation war der BF als XXXX tätig.1.1.2. Der BF stammt aus dem Dorf römisch 40 in der Teilrepublik Tschetschenien der Russischen Föderation. Dort lebte er im Wesentlichen bis zu seiner Ausreise aus der Russischen Föderation im November 2022 durchgehend im Haus der Familie, welches im Eigentum seiner Mutter steht. Der BF besuchte elf Jahre die Schule und begann anschließend ein Studium an einer islamischen Universität, welches er jedoch nicht abschloss. In weiterer Folge stellte er römisch 40 her und machte Ausbildungen zum römisch 40 sowie zum römisch 40 . Das letzte Jahr vor seiner Ausreise aus der Russischen Föderation war der BF als römisch 40 tätig.
1.1.3. Die Mutter, die zwei Brüder sowie eine Schwester des BF leben nach wie im Haus der Familie im Heimatdorf des BF in der Teilrepublik in Tschetschenien, während eine Schwester in XXXX und eine Weitere in XXXX lebt. Der BF steht regelmäßig in Kontakt mit diesen. Der Vater des BF ist verstorben. Zudem verfügt der BF über zahlreiche weitere Verwandte in der Teilrepublik Tschetschenien.1.1.3. Die Mutter, die zwei Brüder sowie eine Schwester des BF leben nach wie im Haus der Familie im Heimatdorf des BF in der Teilrepublik in Tschetschenien, während eine Schwester in römisch 40 und eine Weitere in römisch 40 lebt. Der BF steht regelmäßig in Kontakt mit diesen. Der Vater des BF ist verstorben. Zudem verfügt der BF über zahlreiche weitere Verwandte in der Teilrepublik Tschetschenien.
Am XXXX 11.2022 reiste der BF unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz und ist seither durchgehend in Österreich aufhältig.Am römisch 40 11.2022 reiste der BF unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz und ist seither durchgehend in Österreich aufhältig.
Eine Schwester des BF lebt mit ihrer Familie in Österreich. Der BF wird von dieser unterstützt und lebt im gemeinsamen Haushalt mit ihr und ihrer Familie.
1.1.4. Der BF ist gesund und arbeitsfähig sowie in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der BF ist homosexuell und ist dies den Behörden in der Russischen Föderation bekannt. Aufgrund dessen ist der BF in seinem Herkunftsland, der Russischen Föderation, Verfolgung ausgesetzt.
1.3. Zur maßgeblichen, entscheidungsrelevanten Situation in der Russischen Föderation:
1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom BVwG herangezogenen Länderinformationen zur Russischen Föderation (Version 14 vom 12.06.2024) wiedergegeben:
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung 2023-06-29 09:39
Gemäß der Verfassung ist die Russische Föderation ein Rechtsstaat, Richter sind unabhängig, und Gerichtsverhandlungen sind mit Ausnahme gesetzlich geregelter Fälle öffentlich (Verfassungsartikel 1, 120 und 123). Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes werden vom Föderationsrat auf Vorschlag des russischen Präsidenten ernannt. Mitglieder der anderen Gerichtshöfe auf föderaler Ebene werden vom russischen Präsidenten ernannt (Art. 128). Der Präsident der Russischen Föderation initiiert die Entlassung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes (Art. 83). Der Generalstaatsanwalt und sein Stellvertreter sowie die Staatsanwälte der Subjekte der Russischen Föderation werden nach Beratungen mit dem Föderationsrat vom russischen Präsidenten ernannt und von diesem entlassen (Art. 129). Föderale Gesetze gelten für das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Gesetze und andere rechtliche Bestimmungen der Subjekte der Russischen Föderation dürfen föderalen Gesetzen nicht widersprechen. Im Falle eines Widerspruchs gilt das föderale Gesetz. Republiken haben ihre eigene Rechtsordnung, solange dadurch die Kompetenzen der Russischen Föderation unberührt bleiben (Verfassungsartikel 76) (Duma 6.10.2022). Gemäß dem Verfassungsartikel 79 werden Entscheidungen internationaler Institutionen, welche der Verfassung der Russischen Föderation widersprechen, in der Russischen Föderation nicht vollstreckt (Duma 6.10.2022; vgl. BPB 2.7.2020, KAS 7.2020).Gemäß der Verfassung ist die Russische Föderation ein Rechtsstaat, Richter sind unabhängig, und Gerichtsverhandlungen sind mit Ausnahme gesetzlich geregelter Fälle öffentlich (Verfassungsartikel 1, 120 und 123). Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes werden vom Föderationsrat auf Vorschlag des russischen Präsidenten ernannt. Mitglieder der anderen Gerichtshöfe auf föderaler Ebene werden vom russischen Präsidenten ernannt (Artikel 128,). Der Präsident der Russischen Föderation initiiert die Entlassung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes (Artikel 83,). Der Generalstaatsanwalt und sein Stellvertreter sowie die Staatsanwälte der Subjekte der Russischen Föderation werden nach Beratungen mit dem Föderationsrat vom russischen Präsidenten ernannt und von diesem entlassen (Artikel 129,). Föderale Gesetze gelten für das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Gesetze und andere rechtliche Bestimmungen der Subjekte der Russischen Föderation dürfen föderalen Gesetzen nicht widersprechen. Im Falle eines Widerspruchs gilt das föderale Gesetz. Republiken haben ihre eigene Rechtsordnung, solange dadurch die Kompetenzen der Russischen Föderation unberührt bleiben (Verfassungsartikel 76) (Duma 6.10.2022). Gemäß dem Verfassungsartikel 79 werden Entscheidungen internationaler Institutionen, welche der Verfassung der Russischen Föderation widersprechen, in der Russischen Föderation nicht vollstreckt (Duma 6.10.2022; vergleiche BPB 2.7.2020, KAS 7.2020).
Die Rechtsstaatlichkeit wird von Russlands politischer Führung oft untergraben, um die Stabilität des politischen Systems aufrechtzuerhalten (BS 2022). Gemäß dem Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project nimmt Russland aktuell den 107. Rang von insgesamt 140 Ländern ein und befindet sich zwischen den Ländern Libanon und Côte d'Ivoire (WJP o.D.). Das Justizwesen in Russland ist nicht unabhängig (SWP 19.4.2022; vgl. UN-HRC 1.12.2022, FH 2023). In der Praxis wird die Justiz von der Exekutive kontrolliert (BS 2022; vgl. FH 19.4.2022). Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genügend Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB 30.6.2022). Richter des Verfassungsgerichtshofes dürfen ihre abweichenden Meinungen nicht öffentlich machen (UN-HRC 1.12.2022).Die Rechtsstaatlichkeit wird von Russlands politischer Führung oft untergraben, um die Stabilität des politischen Systems aufrechtzuerhalten (BS 2022). Gemäß dem Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project nimmt Russland aktuell den 107. Rang von insgesamt 140 Ländern ein und befindet sich zwischen den Ländern Libanon und Côte d'Ivoire (WJP o.D.). Das Justizwesen in Russland ist nicht unabhängig (SWP 19.4.2022; vergleiche UN-HRC 1.12.2022, FH 2023). In der Praxis wird die Justiz von der Exekutive kontrolliert (BS 2022; vergleiche FH 19.4.2022). Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genügend Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB 30.6.2022). Richter des Verfassungsgerichtshofes dürfen ihre abweichenden Meinungen nicht öffentlich machen (UN-HRC 1.12.2022).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet grundsätzlich nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 28.9.2022). Das Justizwesen ist von Korruption befallen (BS 2022). Gemäß Berichten geraten seit Russlands Ukraine-Invasion Rechtsanwälte immer mehr ins Visier. Beispielsweise wird ihnen der Zugang zu Mandanten auf Polizeistationen und die Vertretung ihrer Mandanten bei Gerichtsverhandlungen verwehrt (EUAA 16.12.2022b). Es kommt vor, dass Rechtsanwälte ungerechtfertigten Disziplinarverfahren und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind, insbesondere, wenn sie Teilnehmer an Anti-Kriegsprotesten verteidigen (UN-HRC 1.12.2022). Es gibt Berichte über Anwälte, welche verhaftet wurden, weil sie Opfer politischer Repressionen unterstützt haben (EUAA 16.12.2022b).
Schutzmaßnahmen gegen willkürliche Verhaftung und andere Garantien zur Durchführung ordnungsgemäßer Verfahren werden regelmäßig verletzt (FH 2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen Inhaftierte die Gesetzmäßigkeit ihrer Inhaftierung gerichtlich überprüfen lassen. Wegen der mangelnden Unabhängigkeit des Justizsystems schließen sich Richter für gewöhnlich der Ansicht des Ermittlers an und weisen Beschwerden Angeklagter ab. Angeklagte und ihre Rechtsvertreter müssen bei Gerichtsverhandlungen persönlich oder über Video anwesend sein. Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung sowie das Recht auf ein faires und öffentliches Gerichtsverfahren. Diese Rechte werden nicht immer respektiert (USDOS 20.3.2023). Vertreter der Opposition und der kritischen Zivilgesellschaft können in Ermittlungsverfahren und vor Gericht nicht auf eine faire Behandlung bzw. einen fairen Prozess vertrauen (AA 28.9.2022). Gerichtsverfahren enden sehr selten mit Freisprüchen (USDOS 20.3.2023). Das öffentliche Vertrauen in die Justiz ist gering (UN-HRC 1.12.2022; vgl. LZ 20.9.2022).Schutzmaßnahmen gegen willkürliche Verhaftung und andere Garantien zur Durchführung ordnungsgemäßer Verfahren werden regelmäßig verletzt (FH 2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen Inhaftierte die Gesetzmäßigkeit ihrer Inhaftierung gerichtlich überprüfen lassen. Wegen der mangelnden Unabhängigkeit des Justizsystems schließen sich Richter für gewöhnlich der Ansicht des Ermittlers an und weisen Beschwerden Angeklagter ab. Angeklagte und ihre Rechtsvertreter müssen bei Gerichtsverhandlungen persönlich oder über Video anwesend sein. Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung sowie das Recht auf ein faires und öffentliches Gerichtsverfahren. Diese Rechte werden nicht immer respektiert (USDOS 20.3.2023). Vertreter der Opposition und der kritischen Zivilgesellschaft können in Ermittlungsverfahren und vor Gericht nicht auf eine faire Behandlung bzw. einen fairen Prozess vertrauen (AA 28.9.2022). Gerichtsverfahren enden sehr selten mit Freisprüchen (USDOS 20.3.2023). Das öffentliche Vertrauen in die Justiz ist gering (UN-HRC 1.12.2022; vergleiche LZ 20.9.2022).
Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Personen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen klagen können. Jedoch sind diese Mechanismen oft nicht effektiv (USDOS 20.3.2023). Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (Europarat 16.3.2022). Zunächst hatte der Europarat wegen des bewaffneten russischen Angriffs auf die Ukraine die Mitgliedschaftsrechte Russlands im Europarat suspendiert (Europarat 25.2.2022). Russland war dem Europarat 1996 beigetreten (Europarat 16.3.2022). Seit 16.9.2022 ist Russland keine Vertragspartei der vom Europarat geschaffenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mehr (Europarat 16.9.2022; vgl. Europarat o.D.b). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt die Einhaltung der EMRK sicher. Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden (Europarat o.D.). Seit 16.9.2022 haben russische Bürger kein Recht mehr, den EGMR anzurufen (SWP 19.4.2022). Der EGMR ist weiterhin für die Bearbeitung von Beschwerden gegen Russland zuständig, welche bis 16.9.2022 eingereicht wurden. Das Ministerkomitee des Europarats überwacht weiterhin die Umsetzung der Urteile (Europarat 16.9.2022). Gemäß einer von der Russischen Föderation verabschiedeten Gesetzesänderung vom Juni 2022 unterliegen Beschlüsse des EGMR, welche nach dem 15.3.2022 in Kraft traten, aber nicht mehr der Vollstreckung in der Russischen Föderation (RF 11.6.2022). Vor dem EGMR waren mit Stand 30.4.2023 15.700 Beschwerden gegen Russland anhängig (ECHR 30.4.2023).Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Personen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen klagen können. Jedoch sind diese Mechanismen oft nicht effektiv (USDOS 20.3.2023). Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (Europarat 16.3.2022). Zunächst hatte der Europarat wegen des bewaffneten russischen Angriffs auf die Ukraine die Mitgliedschaftsrechte Russlands im Europarat suspendiert (Europarat 25.2.2022). Russland war dem Europarat 1996 beigetreten (Europarat 16.3.2022). Seit 16.9.2022 ist Russland keine Vertragspartei der vom Europarat geschaffenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mehr (Europarat 16.9.2022; vergleiche Europarat o.D.b). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt die Einhaltung der EMRK sicher. Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden (Europarat o.D.). Seit 16.9.2022 haben russische Bürger kein Recht mehr, den EGMR anzurufen (SWP 19.4.2022). Der EGMR ist weiterhin für die Bearbeitung von Beschwerden gegen Russland zuständig, welche bis 16.9.2022 eingereicht wurden. Das Ministerkomitee des Europarats überwacht weiterhin die Umsetzung der Urteile (Europarat 16.9.2022). Gemäß einer von der Russischen Föderation verabschiedeten Gesetzesänderung vom Juni 2022 unterliegen Beschlüsse des EGMR, welche nach dem 15.3.2022 in Kraft traten, aber nicht mehr der Vollstreckung in der Russischen Föderation (RF 11.6.2022). Vor dem EGMR waren mit Stand 30.4.2023 15.700 Beschwerden gegen Russland anhängig (ECHR 30.4.2023).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023
? BPB – Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (2.7.2020): Verfassungsreferendum in Russland, https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/312075/verfassungsreferendum-in-russland/, Zugriff 5.6.2023
? BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023
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Tschetschenien und Dagestan
Letzte Änderung 2023-06-29 09:45
Föderale Gesetze gelten für das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Republiken haben ihre eigene Rechtsordnung, solange dadurch die Kompetenzen der Russischen Föderation unberührt bleiben (Verfassungsartikel 76) (Duma 6.10.2022). Die Situation in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in Tschetschenien und Dagestan ist problematisch. Vor allem bleiben schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, begangen von Vertretern der föderalen und regionalen Behörden, straffrei. Es kommt vor, dass Rechtsanwälte, welche ihre Mandanten verteidigen, Angriffen durch Strafverfolgungsbehörden im Nordkaukasus ausgesetzt sind (COE 3.6.2022).
Tschetschenien
Tschetschenien verwaltet sich im Rechtsbereich weitgehend selbst (KAS 12.12.2022). Gemäß Artikel 96 der tschetschenischen Verfassung gibt es in Tschetschenien föderale Gerichte, den Verfassungsgerichtshof und Friedensrichter. Friedensrichter sind als Gericht erster Instanz für die Überprüfung von Zivil-, Verwaltungs- und strafrechtlichen Fällen zuständig (Artikel 101 der tschetschenischen Verfassung) (RT 23.3.2003). Behörden verletzen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Das Justizsystem dient als Vergeltungsmaßnahme gegen Personen, welche Fehlverhalten des tschetschenischen Republikoberhaupts Kadyrow aufdecken (USDOS 20.3.2023). Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (Adat; einschließlich der Tradition der Blutrache) und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 28.9.2022). Gemäß Aussage von Einwohnern Tschetscheniens lautet das grundlegende Gesetz in Tschetschenien 'Ramsan sagte'. Dies bedeutet, Kadyrows mündliche Aussagen sind einflussreicher als die Rechtssysteme und widersprechen diesen möglicherweise (CSIS 24.1.2020).
Das Gewohnheitsrecht (Adat) umfasst zwischenmenschliche Beziehungen wie beispielsweise Vermögensverhältnisse, persönliche und verwandtschaftliche Beziehungen. Es variiert regional und von Sippe zu Sippe und beruht auf dem Prinzip der Wiedergutmachung von Unrecht anstatt Bestrafung (Gumppenberg/Steinbach 2018). Im Gegensatz zum islamischen Recht liegt dem Gewohnheitsrecht (Adat) die kollektive Verantwortung für Rechtsverletzungen zugrunde (RAPSI 4.4.2022). Da es im Rahmen des Gewohnheitsrechts keine individuelle Verantwortung gibt, steht nicht der Täter im Mittelpunkt, sondern dessen Familienclan. Dieser trägt die Verantwortung. Um Stammeskriege und die Ausrottung ganzer Gemeinschaften zu vermeiden, sieht das Gewohnheitsrecht bestimmte Verfahren vor, um die Sippe des Opfers zu versöhnen und Verletzung sowie Verlust auszugleichen (Gumppenberg/Steinbach 2018). In Tschetschenien ist die Praxis der kollektiven Verantwortung weitverbreitet (KR 2.3.2023). Zum Adat gehört beispielsweise der alte Brauch der Blutrache (RAPSI 4.4.2022; vgl. Gumppenberg/Steinbach 2018). Die Blutrache entstand zum Schutz der Ehre und des Vermögens im Rahmen der Sippenstruktur und verpflichtet die Angehörigen eines Ermordeten, sich an dem Mörder oder dessen Angehörigen zu rächen. Blutrache hat keine Verjährungsfrist. Es gab Fälle, in welchen die Blutrache nach 50 oder 100 Jahren vollzogen wurde, als der Mörder und dessen nahe Verwandte bereits verstorben waren. Aus Gründen der Selbsterhaltung wurde eine Reihe von Methoden ausgearbeitet, um dem Morden ein Ende zu setzen und stattdessen Geldstrafen einzuführen. 2010 gründete Kadyrow die 'Kommission für nationale Versöhnung', welche darauf abzielte, Blutfehdekonflikte zu lösen. In Tschetschenien existieren Versöhnungskommissionen zur Lösung von Konflikten (KU 1.2.2023). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 28.9.2022; vgl. KU 1.2.2023). Die Einstellung der tschetschenischen Führung zur Blutrache ist oft situationsabhängig (KR 27.2.2023). Gemäß § 105 des russischen Strafgesetzbuches zieht Mord mit dem Motiv der Blutrache eine Freiheitsstrafe von 8-20 Jahren, eine lebenslange Freiheitsstrafe oder die Todesstrafe nach sich (RF 28.4.2023). Seit 1996, als Russland Mitglied des Europarats wurde, ist die Todesstrafe aufgrund eines Moratoriums ausgesetzt (AI 5.2023; vgl. CCDPW 27.3.2012, OSCE 7.10.2022). Das Gewohnheitsrecht (Adat) umfasst zwischenmenschliche Beziehungen wie beispielsweise Vermögensverhältnisse, persönliche und verwandtschaftliche Beziehungen. Es variiert regional und von Sippe zu Sippe und beruht auf dem Prinzip der Wiedergutmachung von Unrecht anstatt Bestrafung (Gumppenberg/Steinbach 2018). Im Gegensatz zum islamischen Recht liegt dem Gewohnheitsrecht (Adat) die kollektive Verantwortung für Rechtsverletzungen zugrunde (RAPSI 4.4.2022). Da es im Rahmen des Gewohnheitsrechts keine individuelle Verantwortung gibt, steht nicht der Täter im Mittelpunkt, sondern dessen Familienclan. Dieser trägt die Verantwortung. Um Stammeskriege und die Ausrottung ganzer Gemeinschaften zu vermeiden, sieht das Gewohnheitsrecht bestimmte Verfahren vor, um die Sippe des Opfers zu versöhnen und Verletzung sowie Verlust auszugleichen (Gumppenberg/Steinbach 2018). In Tschetschenien ist die Praxis der kollektiven Verantwortung weitverbreitet (KR 2.3.2023). Zum Adat gehört beispielsweise der alte Brauch der Blutrache (RAPSI 4.4.2022; vergleiche Gumppenberg/Steinbach 2018). Die Blutrache entstand zum Schutz der Ehre und des Vermögens im Rahmen der Sippenstruktur und verpflichtet die Angehörigen eines Ermordeten, sich an dem Mörder oder dessen Angehörigen zu rächen. Blutrache hat keine Verjährungsfrist. Es gab Fälle, in welchen die Blutrache nach 50 oder 100 Jahren vollzogen wurde, als der Mörder und dessen nahe Verwandte bereits verstorben waren. Aus Gründen der Selbsterhaltung wurde eine Reihe von Methoden ausgearbeitet, um dem Morden ein Ende zu setzen und stattdessen Geldstrafen einzuführen. 2010 gründete Kadyrow die 'Kommission für nationale Versöhnung', welche darauf abzielte, Blutfehdekonflikte zu lösen. In Tschetschenien existieren Versöhnungskommissionen zur Lösung von Konflikten (KU 1.2.2023). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 28.9.2022; vergleiche KU 1.2.2023). Die Einstellung der tschetschenischen Führung zur Blutrache ist oft situationsabhängig (KR 27.2.2023). Gemäß Paragraph 105, des russischen Strafgesetzbuches zieht Mord mit dem Motiv der Blutrache eine Freiheitsstrafe von 8-20 Jahren, eine lebenslange Freiheitsstrafe oder die Todesstrafe nach sich (RF 28.4.2023). Seit 1996, als Russland Mitglied des Europarats wurde, ist die Todesstrafe aufgrund eines Moratoriums ausgesetzt (AI 5.2023; vergleiche CCDPW 27.3.2012, OSCE 7.10.2022).
Im islamischen Rechtssystem (Scharia) trägt nur der Einzelne die Schuld für begangene Taten. Traditionelle Hauptanwendungsgebiete für die Scharia sind Familien-, Erbrecht und teilweise Vermögensrecht (Gumppenberg/Steinbach 2018).
Bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz. Hierzu gehören Menschenrechtsaktivisten, sexuelle Minderheiten, Oppositionelle, Regimekritiker, Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, sowie Personen, die sich gegen Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. dessen Clan aufgelehnt haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen auf Instagram veröffentlicht. Teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie angeblich Feinde des tschetschenischen Volkes sind, oder er ruft offen dazu auf, sie umzubringen (AA 28.9.2022).
Dagestan
Gemäß Artikel 92 der Verfassung Dagestans liegt das Rechtswesen der Republik Dagestan in den Händen von föderalen Gerichten sowie Gerichten der Republik Dagestan. Letztere sind der Verfassungsgerichtshof Dagestans und Friedensrichter. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes Dagestans werden laut Verfassungsartikel 94 von der Volksversammlung der Republik Dagestan auf Vorschlag des Republikoberhaupts ernannt. Friedensrichter werden von der Volksversammlung Dagestans ernannt (RD 10.7.2003). In Dagestan hat sich der traditionelle Rechtspluralismus – das Nebeneinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht – bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 1990er-Jahren nahm auch die Einrichtung von Scharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weitverbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts ist unter anderem das unzweckmäßige und korrupte staatliche Justizwesen, welches in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern die verschiedenen Rechtssphären nehmen aufeinander Bezug. Zu den Sitten und Gebräuchen des Adat, die im von traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan befolgt werden, gehört auch die Blutrache. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Blutrache zu verzichten (AA 28.9.2022).
Quellen:
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