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L80 RaumordnungNorm
B-VG Art139 Abs1 Z1Leitsatz
Aufhebung von Teilen eines Flächenwidmungsplans der Landeshauptstadt Graz, soweit damit die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung für ein bestimmtes Grundstück vorgeschrieben wird; Verletzung der Verpflichtung zur Erlassung eines Bebauungsplans binnen 18 Monaten durch den Gemeinderat gemäß dem Flächenwidmungsplan; Beendigung eines Verfahrens zur Erstellung oder Änderung von Bebauungsplänen nur durch Erlassung – nicht durch Verweigerung – eines Bebauungsplanes; langjährige Nichterlassung des Bebauungsplans stellt effektives Bauverbot und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung darRechtssatz
Aufhebung des §4 iVm Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz, Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz 04/2018, soweit damit für das Grundstück 974/17, EZ1359, KG 63104 Lend, die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung vorgesehen wird.Aufhebung des §4 in Verbindung mit Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz, Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz 04/2018, soweit damit für das Grundstück 974/17, EZ1359, KG 63104 Lend, die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung vorgesehen wird.
Die in VfSlg 17.604/2005 angestellten Überlegungen lassen sich auf das Verhältnis von Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan übertragen. Sieht der Verordnungsgeber im Flächenwidmungsplan die Erlassung eines Bebauungsplanes verpflichtend vor, so bewirkt er damit, solange er keinen Bebauungsplan erlässt, ein effektives Bauverbot auf dem betreffenden Grundstück.
§40 Abs8 StROG und §4 Abs1 des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz bestimmen, dass Baubewilligungen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden dürfen. Der Landesgesetzgeber sieht daher vor, dass die jeweilige Gemeinde spätestens im "Anlassfall", insbesondere im Falle eines "Ansuchens um Erstellung des Bebauungsplanes nach erfolgter Abklärung aller Vorfragen", Bebauungspläne zu erstellen, Verfahren zur Erstellung oder Änderung der Bebauungspläne unverzüglich nach Eintreten des Anlassfalles einzuleiten und spätestens innerhalb von 18 Monaten abzuschließen hat (§40 Abs8 StROG). Das Gesetz verpflichtet somit dazu, dass ein solches Verfahren mit der Erlassung eines Bebauungsplanes – nicht mit deren Verweigerung – zu enden hat: Das "Abschließen" des Verfahrens zur Bebauungsplanerstellung besteht in der Kundmachung des Bebauungsplanes. Aus §40 Abs1 und 8 StROG ergibt sich demnach, dass die Erstellung eines Bebauungsplanes nicht im Ermessen der verordnungserlassenden Behörde liegt, sondern sie dazu verpflichtet ist, die Bebauungsplanung innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmen. Aus §40 Abs2 StROG ergibt sich ferner, dass die "den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Entwicklung der Struktur und Gestaltung des im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Baulandes und des Freilandes (Sondernutzungen)" mit der Bebauungsplanung und nicht durch ihre tatsächliche Verweigerung anzustreben ist. Ein Bebauungsplan ist daher jedenfalls zu erlassen, wenn der Flächenwidmungsplan dies vorsieht; die Planungsziele sind durch den Bebauungsplan anzustreben und die Erlassung des Bebauungsplanes kann nicht mit Verweis auf die Raumordnungsgrundsätze verweigert werden. Lassen diese nämlich im Einzelfall keine Bebauung zu, so dürfte das betreffende Grundstück überhaupt nicht als Bauland gewidmet sein. Zu alldem kommt hinzu, dass die Festlegung der Bebauungsgrundlagen im Bauland für den Einzelfall gemäß §18 Abs1 Stmk BauG wie im vorliegenden Fall nur in Betracht kommt, "sofern Bebauungspläne nicht erforderlich sind".
Die beteiligte Partei hat am 31.05.2017 einen Antrag auf Erlassung eines Bebauungsplanes für das Grundstück gestellt. Dem LVwG ist dabei insoweit beizupflichten, als es ausführt, dass es sich bei dem im Zuge der am 20.01.2023 abgehaltenen Besprechung erstatteten Vorbringen des Stadtplanungsamtes der Landeshauptstadt Graz, wonach die zukünftige Bebauung auf dem Grundstück in einem grundstücksübergreifenden Gesamtkontext gesehen werden müsse, sodass ein "moderiertes städtebauliches Dialogverfahren" mit Vertretern des Stadtplanungsamtes, externen Experten und den von der beteiligten Partei bestimmten Planern geführt werden müsse, welches seinerseits die Grundlage für die Erlassung eines Bebauungsplanes bilde, um keine Vorfrage iSd §40 Abs8 StROG handle. Auch sonst sind keine ungeklärten Vorfragen iSd §40 Abs8 StROG ersichtlich, welche den Eintritt des Anlassfalles hintangehalten hätten bzw hintanhalten würden.
Folglich besteht für die beteiligte Partei seit mehr als sechs Jahren ein effektives Bauverbot, das die verordnungserlassende Behörde durch Erlassung eines Bebauungsplanes hätte beseitigen müssen. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz hat bisher jedoch keinen Bebauungsplan erlassen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass sich die Bebauungsplanpflicht im 4.0 Flächenwidmungsplan in Bezug auf das Grundstück der beteiligten Partei im Einzelfall als Eigentumsbeschränkung darstellt, die nicht mehr von einem fairen Gleichgewicht der öffentlichen und privaten Interessen getragen ist. Sie ist damit gesetzwidrig.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Bauverbot, Baubewilligung, Baurecht, Raumordnung, Verordnungserlassung, Eigentumsbeschränkung, VfGH / Gerichtsantrag, EntscheidungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2024:V26.2024Zuletzt aktualisiert am
28.08.2024