Entscheidungsdatum
01.08.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W191 2287586-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2024, Zahl 1294777508-220266938, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.06.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2024, Zahl 1294777508-220266938, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.06.2024 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.römisch eins. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 3, Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. römisch II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr erteilt. römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, Asylgesetz 2005 wird römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellte am 12.02.2022 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Anhaltung einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellte am 12.02.2022 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Anhaltung einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF am 22.12.2021 in Bulgarien erkennungsdienstlich behandelt worden war.
1.2. In seiner Erstbefragung am 12.02.2022 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, gab der BF an, dass er aus der Provinz Laghman (Afghanistan) stamme, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem, ledig und am XXXX geboren sei. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass die Taliban ihn aufgefordert hätten, sie zu unterstützen, und er sich geweigert hätte. Da sein Vater für die Amerikaner gearbeitet hätte, sei auch der BF gefährdet gewesen und hätte aus Afghanistan fliehen müssen.1.2. In seiner Erstbefragung am 12.02.2022 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, gab der BF an, dass er aus der Provinz Laghman (Afghanistan) stamme, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem, ledig und am römisch 40 geboren sei. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass die Taliban ihn aufgefordert hätten, sie zu unterstützen, und er sich geweigert hätte. Da sein Vater für die Amerikaner gearbeitet hätte, sei auch der BF gefährdet gewesen und hätte aus Afghanistan fliehen müssen.
1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) hatte offenbar Zweifel an dem vom BF angegebenen Alter (Aktenvermerk Indikatoren zur Altersfeststellung vom 16.03.2022, Röntgenaufnahme der linken Hand vom 23.03.2022) und veranlasste eine sachverständige medizinische multifaktorielle Altersschätzung.
1.4. Mit Schreiben vom 04.04.2022 leitete das BFA ein Konsultationsverfahren mit Bulgarien im Rahmen des Dublin-Übereinkommens ein. Die bulgarische Behörde teilte mit Schreiben vom 18.04.2022 mit, dass Bulgarien eine Wiederaufnahme des BF nach Bulgarien nicht akzeptieren werde, weil er in Österreich als Minderjähriger registriert sei. In Bulgarien sei er als XXXX , geboren am XXXX (volljährig), registriert.1.4. Mit Schreiben vom 04.04.2022 leitete das BFA ein Konsultationsverfahren mit Bulgarien im Rahmen des Dublin-Übereinkommens ein. Die bulgarische Behörde teilte mit Schreiben vom 18.04.2022 mit, dass Bulgarien eine Wiederaufnahme des BF nach Bulgarien nicht akzeptieren werde, weil er in Österreich als Minderjähriger registriert sei. In Bulgarien sei er als römisch 40 , geboren am römisch 40 (volljährig), registriert.
1.5. Dem medizinischen Gutachten vom 11.04.2022 – Untersuchungsdatum am 05.04.2022 (Anamnese und körperliche Untersuchung, Zahnpanoramaröntgen, CT der Brustbein-Schlüsselbein-Gelenke beidseits) – folgend änderte das BFA im Zentralen Fremdenregister das Geburtsdatum – dem spätestmöglichen fiktiven Geburtsdatum entsprechend – auf den XXXX . Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung und der Untersuchung sei der BF noch minderjährig gewesen. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde am 03.05.2022 zum weiteren Verfahren zugelassen.1.5. Dem medizinischen Gutachten vom 11.04.2022 – Untersuchungsdatum am 05.04.2022 (Anamnese und körperliche Untersuchung, Zahnpanoramaröntgen, CT der Brustbein-Schlüsselbein-Gelenke beidseits) – folgend änderte das BFA im Zentralen Fremdenregister das Geburtsdatum – dem spätestmöglichen fiktiven Geburtsdatum entsprechend – auf den römisch 40 . Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung und der Untersuchung sei der BF noch minderjährig gewesen. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde am 03.05.2022 zum weiteren Verfahren zugelassen.
1.6. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 01.08.2023, im Beisein eines Dolmetsch per Videokonferenz für die Sprache Paschtu, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben zu seiner Person und seinen Lebensumständen.
Er gab an, in XXXX [auch XXXX ], Distrikt Qarghali [auch Qarghai], geboren zu sein. Er sei mit seiner Familie nach Kabul und später nach XXXX umgezogen, weil das Leben des Vaters in Gefahr gewesen sei. Seine Mutter, die psychische Probleme habe, und seine drei Brüder würden noch im Herkunftsland leben. Sein Vater sei geflüchtet, bevor die Taliban an die Macht gekommen seien, und er habe seitdem nichts mehr von ihm gehört. Zu seinem Gesundheitszustand gab er an, früher Nierensteine gehabt zu haben. Seit Unterbringung in der Flüchtlingsunterkunft leide er an Tuberkulose. Er sei deswegen einen Monat stationär im Krankenhaus gewesen und nehme täglich Medikamente. Seine Tazkira (afghanisches Personaldokument) habe er während der Flucht in seinem Rucksack aufbewahrt, der ihm im Iran gestohlen worden sei. Andere Identitätsnachweise besitze er nicht.Er gab an, in römisch 40 [auch römisch 40 ], Distrikt Qarghali [auch Qarghai], geboren zu sein. Er sei mit seiner Familie nach Kabul und später nach römisch 40 umgezogen, weil das Leben des Vaters in Gefahr gewesen sei. Seine Mutter, die psychische Probleme habe, und seine drei Brüder würden noch im Herkunftsland leben. Sein Vater sei geflüchtet, bevor die Taliban an die Macht gekommen seien, und er habe seitdem nichts mehr von ihm gehört. Zu seinem Gesundheitszustand gab er an, früher Nierensteine gehabt zu haben. Seit Unterbringung in der Flüchtlingsunterkunft leide er an Tuberkulose. Er sei deswegen einen Monat stationär im Krankenhaus gewesen und nehme täglich Medikamente. Seine Tazkira (afghanisches Personaldokument) habe er während der Flucht in seinem Rucksack aufbewahrt, der ihm im Iran gestohlen worden sei. Andere Identitätsnachweise besitze er nicht.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF zusammengefasst im Wesentlichen an, dass er geflüchtet sei, weil sein Leben wegen der Taliban in Gefahr gewesen sei. Sie hätten ihn bedroht und aufgefordert, sie über die Tätigkeit und den Aufenthaltsort seines Vaters, der für eine deutsch-afghanische Firma als Sachverständiger für Landwirtschaft tätig gewesen sei, zu informieren; dieser sei ein Ungläubiger, weil er eine ausländische Firma unterstütze. Der BF hätte zwei Drohbriefe vom Moscheevorsitzenden erhalten. Nach einem Besuch in der Moschee sei der Vorsteher zum BF gekommen und hätte ihm gedroht, dass sie (die Taliban) ihn umbringen würden, wenn er keine Informationen über seinen Vater liefere. Dass der BF in der Erstbefragung angegeben habe, sein Vater habe für die Amerikaner gearbeitet, sei auf ein Missverständnis des Dolmetsch zurückzuführen.
1.7. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 29.01.2024 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 12.02.2022 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).1.7. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 29.01.2024 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 12.02.2022 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG ab (Spruchpunkt römisch eins.) und erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus Paragraph 55, FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Zum Fluchtvorbringen führte das BFA (zusammengefasst) beweiswürdigend aus, dass der BF eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppe, Religionszugehörigkeit oder seines politischen Hintergrundes nicht vorgebracht habe. Bei Ausführungen zu seinem Fluchtgrund habe der BF unterschiedliche und vage Angaben gemacht und sich in Widersprüche verwickelt. Er habe versucht, durch Vorlage von Kopien eine Verfolgungs- bzw. Bedrohungssituation zu konstruieren. Er habe keine genauen Angaben über Beruf, Ausreise und Verbleib seines Vaters machen können, aufgrund dessen Tätigkeit er bedroht gewesen wäre. Weiters könne seine restliche Familie nach wie vor unbehelligt in Afghanistan leben, was gegen eine Verfolgung spreche.
Subsidiärer Schutz wurde dem BF nicht zuerkannt, da im gegenwärtigen Zeitpunkt keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass er bei Rückkehr in seine Heimatprovinz bzw. in die Stadt Kabul allein durch seine dortige Anwesenheit befürchten müsste, einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Das Bundesamt verkenne nicht, dass es das UNHCR im August 2021 noch als unangemessen erachtete, internationalen Schutz auf Grundlage einer innerstaatliche Fluchtalternative zu verweigern. Die aufgrund der volatilen Sicherheitslage ergangene Rechtsprechung gelte jedoch als „überholt“. Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Naturkatastrophen etc.) lägen nicht vor. Dem BF sei eine Rückkehr nach Afghanistan möglich und zumutbar. Er habe in Afghanistan Familienangehörige, mit deren finanzieller Unterstützung er rechnen könne und mit denen er noch in Kontakt stehe. Der Ehegatte seiner Tante sei den Angaben des BF zufolge wohlhabend und verfüge über ein Haus. Beim BF handle es sich um einen arbeitsfähigen und gesunden jungen Mann mit Schul- und Berufserfahrung, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Zudem gehöre er der Volksgruppe der Paschtunen an. Aus dem Verhaltenskodex der Paschtunen, dem Pashtunwali, ergäbe sich für diese die Verpflichtung zur Solidarität. Der BF wäre daher bei seiner Rückkehr jedenfalls nicht auf sich alleine gestellt.
1.8. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben seines Vertreters vom 20.02.2024 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.
In der Beschwerdebegründung wurde zusammengefasst vorgebracht, dass der BF aufgrund der Machtübernahme der Taliban intensiven Drohungen gegen sein Leben ausgesetzt sei und er die Taliban aus ideologischen, politischen und religiösen Gründen ablehne. Er befürchte eine Verfolgung aus politischen bzw. religiösen Gründen wegen „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ sowie aufgrund seiner westlichen Lebenseinstellung. Weiters drohe dem BF im Falle einer Rückkehr aufgrund der allgemeinen Sicherheits-, Menschenrechts- und Versorgungslage eine Verletzung der durch Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK geschützten Rechte. Bei einer mängelfreien Beweiswürdigung hätte die belangte Behörde dem BF die Flüchtlingseigenschaft und allenfalls subsidiären Schutz zuerkennen oder einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen müssen, weil sich der BF in sehr beachtlicher Weise in Österreich integriert habe.In der Beschwerdebegründung wurde zusammengefasst vorgebracht, dass der BF aufgrund der Machtübernahme der Taliban intensiven Drohungen gegen sein Leben ausgesetzt sei und er die Taliban aus ideologischen, politischen und religiösen Gründen ablehne. Er befürchte eine Verfolgung aus politischen bzw. religiösen Gründen wegen „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ sowie aufgrund seiner westlichen Lebenseinstellung. Weiters drohe dem BF im Falle einer Rückkehr aufgrund der allgemeinen Sicherheits-, Menschenrechts- und Versorgungslage eine Verletzung der durch Artikel 2, bzw. Artikel 3, EMRK geschützten Rechte. Bei einer mängelfreien Beweiswürdigung hätte die belangte Behörde dem BF die Flüchtlingseigenschaft und allenfalls subsidiären Schutz zuerkennen oder einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen müssen, weil sich der BF in sehr beachtlicher Weise in Österreich integriert habe.
Beantragt wurde unter anderem, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.
1.9. Das BVwG führte am 03.06.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu durch, zu der der BF mit seinem Vertreter persönlich erschien. Das BFA entschuldigte seine Teilnahme und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Der BF machte auf richterliche Befragung Angaben, die im Wesentlichen mit seinen bisher im Verfahren gemachten Angaben über seine Herkunft und seine Lebensverhältnisse übereinstimmten. Seine Tuberkulose-Erkrankung sei mittlerweile geheilt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt bestätigte der BF seine bisher gemachten Angaben. Befragt nach der Tätigkeit seines Vaters gab er an, dass dieser mit ausländischen Organisationen gearbeitet hätte, darunter auch mit deutschen. Eine davon sei die XXXX gewesen. Die Taliban seien gegen Ausländer. Sein Vater habe Projekte im Bereich Landwirtschaft und Bewässerungstechnik geleitet. Es seien Drohbriefe vor das Haus des BF und seiner Familie geworfen worden. Der BF las in der mündlichen Verhandlung die Drohbriefe vor, dann übersetzte die Dolmetscherin mündlich. In den Briefen stehe, dass XXXX , Sohn des XXXX , bestraft werden solle, weil er sein Versprechen, mit den Mujaheddin mitzuarbeiten, nicht gehalten hätte.Zu seinen Fluchtgründen befragt bestätigte der BF seine bisher gemachten Angaben. Befragt nach der Tätigkeit seines Vaters gab er an, dass dieser mit ausländischen Organisationen gearbeitet hätte, darunter auch mit deutschen. Eine davon sei die römisch 40 gewesen. Die Taliban seien gegen Ausländer. Sein Vater habe Projekte im Bereich Landwirtschaft und Bewässerungstechnik geleitet. Es seien Drohbriefe vor das Haus des BF und seiner Familie geworfen worden. Der BF las in der mündlichen Verhandlung die Drohbriefe vor, dann übersetzte die Dolmetscherin mündlich. In den Briefen stehe, dass römisch 40 , Sohn des römisch 40 , bestraft werden solle, weil er sein Versprechen, mit den Mujaheddin mitzuarbeiten, nicht gehalten hätte.
Der BF legte im Rahmen der Beschwerdeverhandlung weitere Integrationsbelege vor (aufgelistet unter Punkt 2.). Er arbeite seit April 2023 mit einer Beschäftigungsbewilligung des AMS in einem Gastronomiebetrieb.
Das erkennende Gericht brachte aktuelle Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).
Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt. Es hat dazu keine Stellungnahme abgegeben.
1.10. Mit Eingabe vom 05.06.2024 übermittelte der BF zwei Schulnachrichten der „Lesa-Ghazi-Abdullah“-Schule in Kabul in Sprache und Schrift Paschtu bzw. Dari.
Auch diese Eingabe wurde dem BFA übermittelt.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
? Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend u. a. die Niederschriften der Erstbefragung am 12.02.2022 und der Einvernahme vor dem BFA am 01.08.2023, die vorgelegten Bescheinigungsmittel des BF zu seinem Fluchtgrund, den angefochtenen Bescheid sowie die gegenständliche Beschwerde
? Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA, Aktenseiten 393 bis 428)
? Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 03.06.2024
? Einsicht in folgende vom BF in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 03.06.2024 vorgelegte Beweis- und Bescheinigungsmittel:
o Kopien von zwei Drohbriefen
o Beschäftigungsbewilligung für die Tätigkeit als Küchengehilfe, Dienstvertrag bei einem Restaurantbetrieb, Kurseilnehmerbestätigung, Schreiben des Dienstgebers
o Teilnahmebestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes bezüglich des Basismoduls des Projektes „Integration“
? Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 03.06.2024 zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
o Feststellungen und Berichte betreffend Afghanistan (Auszüge aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in Kabul-Stadt)
o UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen (Update I - Stand Februar 2023 samt Anmerkungen)o UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen (Update römisch eins - Stand Februar 2023 samt Anmerkungen)
? Einsicht in die vom BF im Beschwerdeverfahren ergänzend vorgelegten Belege (angeführt oben unter Punkt 1.10.)
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:
3.1. Zur Person des BF:
3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Darüber hinaus spricht der BF Dari sowie etwas Englisch und Deutsch. Der BF ist ledig und kinderlos.3.1.1. Der BF führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Darüber hinaus spricht der BF Dari sowie etwas Englisch und Deutsch. Der BF ist ledig und kinderlos.
3.2. Zu den Lebensumständen des BF:
3.2.1. Der BF ist in XXXX , Distrikt Qarghai, Provinz Laghman geboren. Bis zu seiner Ausreise lebte der BF mit seiner Familie in Kabul bzw. in XXXX . Der BF besuchte zwölf Jahre die Schule. Seine Mutter, seine drei Bruder und sowie ein Onkel mütterlicherseits leben in Kabul (Afghanistan). Der Aufenthaltsort des Vaters des BF ist unbekannt. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Mutter und seinen Brüdern.3.2.1. Der BF ist in römisch 40 , Distrikt Qarghai, Provinz Laghman geboren. Bis zu seiner Ausreise lebte der BF mit seiner Familie in Kabul bzw. in römisch 40 . Der BF besuchte zwölf Jahre die Schule. Seine Mutter, seine drei Bruder und sowie ein Onkel mütterlicherseits leben in Kabul (Afghanistan). Der Aufenthaltsort des Vaters des BF ist unbekannt. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Mutter und seinen Brüdern.
3.2.2. Der BF verließ seine Heimat aus angegebenen Gründen und reiste über Pakistan, den Iran und weitere angeführte Länder bis nach Österreich, wo er am 12.02.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
3.2.3. Der BF ist um seine Integration in Österreich bemüht. Er betreibt Sport und hat im Verfahren Belege für seine Integration vorgebracht. Der BF lernt Deutsch und arbeitet seit April 2023 in einem Gastronomiebetrieb. Zuvor half er freiwillig in der Flüchtlingsunterkunft. Er gab an, einen österreichischen Freund und Bekannte in der Arbeit zu haben. Weiters gab er an, in Zukunft eine Ausbildung in der Pflege machen zu wollen.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
3.3. Zu den Fluchtgründen des BF:
3.3.1. Der BF hat sein Vorbringen, dass sein Vater in Afghanistan für ausländische Unternehmen gearbeitet hätte, er selbst sich geweigert hätte, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, und er aus diesen Gründen von den Taliban verfolgt werde, nicht glaubhaft gemacht.
3.4. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
3.4.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
3.4.2. Aufgrund der mit der Machtübernahme der Taliban verbundenen, volatilen allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan und der aktuell schlechten, ungewissen weiteren Versorgungslage kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht und er Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Der BF verfügt in Afghanistan über kein hinreichendes familiäres Netzwerk, mit dessen Unterstützung ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage möglich wäre.
Im Hinblick auf die allgemein schlechte Versorgungslage ist nicht zu erwarten, dass der BF von seiner Mutter, seinem Onkel und seinen Geschwistern, die nach wie vor in Afghanistan leben, ausreichend Unterstützung erhält, um seine Lebensbedürfnisse befriedigen zu können.
Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem ein reales Risiko einer Verletzung der Artikel 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958, (in der Folge EMRK).
3.4.3. Dem BF steht eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung. Die volatile allgemeine Sicherheitslage sowie die aktuell schlechte, ungewisse Versorgungslage sind im ganzen Land gegeben.
3.4.4. Es liegen keine Gründe vor, nach denen der BF von der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auszuschließen wäre.
3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
3.5.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Stand 10.04.2024, Schreibfehler teilweise korrigiert):
„[…] 3 Politische Lage
Letzte Änderung 2024-04-05 15:33
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 01.06.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“ (USIP 17.08.2022; vgl. VOA 01.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem „islamischen Recht und den afghanischen Werten“ regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.08.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.06.2023).Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 01.06.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“ (USIP 17.08.2022; vergleiche VOA 01.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem „islamischen Recht und den afghanischen Werten“ regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.08.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.06.2023).
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.08.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 07.07.2022a; vgl. REU 07.09.2021a, VOA 19.08.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 08.09.2021; vgl. DIP 04.01.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 01.06.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.06.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansäßige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 01.06.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban „Interims“-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.08.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.08.2022; vgl. HRW 04.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge „Sittenpolizei“ berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.08.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.08.2021; vgl. USDOS 12.04.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.09.2021; vgl. Guardian 20.09.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.06.2023).Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.08.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 07.07.2022a; vergleiche REU 07.09.2021a, VOA 19.08.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 08.09.2021; vergleiche DIP 04.01.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 01.06.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.06.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansäßige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 01.06.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban „Interims“-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.08.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.08.2022; vergleiche HRW 04.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge „Sittenpolizei“ berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.08.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.08.2021; vergleiche USDOS 12.04.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.09.2021; vergleiche Guardian 20.09.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.06.2023).
Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.06.2023). [...]
Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 08.09.2021; vgl. REU 07.09.2021b, Afghan Bios 18.07.2023). Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 08.09.2021; vergleiche REU 07.09.2021b, Afghan Bios 18.07.2023).
Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 07.09.2021; vgl. REU 07.09.2021b, Afghan Bios 16.02.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.02.2021 unterzeichnete (AJ 07.09.2021; vgl. VOA 29.02.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 07.07.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 07.07.2022b; vgl. UNSC o. D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vgl. 8am 05.10.2021, UNGA 28.01.2022).Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 07.09.2021; vergleiche REU 07.09.2021b, Afghan Bios 16.02.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.02.2021 unterzeichnete (AJ 07.09.2021; vergleiche VOA 29.02.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 07.09.2021b; vergleiche Afghan Bios 07.07.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 07.07.2022b; vergleiche UNSC o. D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vergleiche 8am 05.10.2021, UNGA 28.01.2022).
Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 04.03.2023; vgl. JF 05.11.2021) als Innenminister (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 04.03.2023) und Amir KhanMattaqi als Außenminister (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist MohammedYaqoob (REU 07.09.2021b; vgl. Afghan Bios 06.09.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 06.09.2023; vgl. RFE/RL 29.08.2020).Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 04.03.2023; vergleiche JF 05.11.2021) als Innenminister (REU 07.09.2021b; vergleiche Afghan Bios 04.03.2023) und Amir KhanMattaqi als Außenminister (REU 07.09.2021b; vergleiche Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vergleiche UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist MohammedYaqoob (REU 07.09.2021b; vergleiche Afghan Bios 06.09.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 06.09.2023; vergleiche RFE/RL 29.08.2020).
Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.08.2022). Diese Dynamik wurde am 23.03.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.08.2022; vgl. RFE/RL 24.03.2022, UNGA 15.06.2022). Seitdem sind die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von „duellierenden Machtzentren“ zwischen den in Kabul und Kandahar ansäßigen Taliban zu sprechen (USIP 17.08.2022), und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 03.06.2022a).Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.08.2022). Diese Dynamik wurde am 23.03.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.08.2022; vergleiche RFE/RL 24.03.2022, UNGA 15.06.2022). Seitdem sind die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von „duellierenden Machtzentren“ zwischen den in Kabul und Kandahar ansäßigen Taliban zu sprechen (USIP 17.08.2022), und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 03.06.2022a).
Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.08.2022).
In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und „die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung“ dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.04.2023; vgl. BAMF 30.06.2023).In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und „die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung“ dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.04.2023; vergleiche BAMF 30.06.2023).
Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wird als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 05.06.2023; vgl. BAMF 30.06.2023).Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wird als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 05.06.2023; vergleiche BAMF 30.06.2023).
Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 05.05.2023; vgl. VOA 06.05.2023).Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 05.05.2023; vergleiche VOA 06.05.2023).
Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vgl. AMU 22.11.2023).Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägi