TE Vfgh Erkenntnis 1993/3/16 B552/90

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Veröffentlicht am 16.03.1993
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
ASVG §311

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Aufhebung des §311 Abs3 litb sublitaa und sublitbb ASVG idF des BG BGBl 656/1983 mit E v 16.03.93, G273/92. Die belangte Behörde wird wegen ihrer aus der Rückwirkung der Aufhebung auf den Anlaßfall resultierenden Verpflichtung, bei der Erlassung des Ersatzbescheides so vorzugehen, als ob die aufgehobenen Bestimmungen nicht (mehr) dem Rechtsbestand angehörten, vom Bestehen der aus §311 Abs1 ASVG folgenden Verpflichtung ihres (ehemaligen) Dienstgebers zur Leistung eines Überweisungsbetrages auszugehen haben, weil der durch die Aufhebung bewirkte Entfall der Ausnahmebestimmungen die Anwendbarkeit der Regel, also des §311 Abs1 ASVG auf die Beschwerdeführerin zur Folge hat.

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres bevollmächtigten Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin war im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen und somit nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz - ASVG, BGBl. 189/1955, pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnisses zum Bund an der Universität Wien beschäftigt. Nachdem sie aus diesem Dienstverhältnis mit Ablauf des 28. Februar 1988 innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Eheschließung und der Geburt einer Tochter ausgetreten war, ohne daß ihr ein Anspruch auf einen laufenden Ruhe(Versorgungs)genuß erwachsen und ohne daß ihr ein außerordentlicher Ruhe(Versorgungs)genuß gewährt worden wäre, stellte sie an die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag auf bescheidmäßige Feststellung, daß der Bund verpflichtet ist, an die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten gemäß §311 Abs1 ASVG einen Überweisungsbetrag im gesetzlichen Ausmaß zu leisten und daß durch die der Beschwerdeführerin gewährte Abfertigung iS des §26 des Gehaltsgesetzes 1956, BGBl. 54 (im folgenden: GG 1956), keine Versicherungszeiten abgegolten wurden.

Die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten wies diesen Antrag unter Berufung auf §311 Abs3 litb ASVG der Sache nach mit der Begründung ab, daß nach dieser Vorschrift im Falle der Beschwerdeführerin eine Verpflichtung des Dienstgebers zur Leistung eines Überweisungsbetrages nach §311 ASVG nicht bestehe, weil der Beschwerdeführerin aus Anlaß ihres freiwilligen Austrittes aus dem Dienstverhältnis eine Abfertigung gewährt worden sei, die um mehr als 20 vH höher gewesen sei als die Summe der vom Dienstgeber an die Pensionsversicherunganstalt der Angestellten zu leistenden Überweisungsbeträge.

Dem Einspruch der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid gab der gemäß §73 Abs2 AVG zuständig gewordene Bundesminister für Arbeit und Soziales keine Folge, und zwar im wesentlichen mit der Begründung, daß der bekämpfte Bescheid dem Gesetz entsprochen habe, die mit dem Einspruch (ausschließlich) geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der dem Bescheid zugrundeliegenden gesetzlichen Vorschrift aber von der zur Entscheidung über den Einspruch berufenen Behörde nicht wahrgenommen werden könne.

2. Gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, mit der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines infolge Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

4.a) Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieser Beschwerde mit Beschluß vom 5. Dezember 1992, B552/90-11, gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §311 Abs3 litb sublit. aa und sublit. bb ASVG idF des Bundesgesetzes BGBl. 656/1983 eingeleitet.

b) Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G273/92, wurden in §311 Abs3 litb ASVG die sublit. aa und die sublit. bb als verfassungswidrig aufgehoben. Außerdem wurde verfügt, daß die Aufhebung mit Ablauf des 31. Dezember 1993 in Kraft tritt. Ferner wurde angeordnet, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten.

5. Gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG sind die als verfassungswidrig aufgehobenen Bestimmungen des §311 Abs3 litb sublit. aa und sublit. bb ASVG nicht mehr anzuwenden. Es ist aber nach Lage des Falles offenkundig, daß die Anwendung dieser Bestimmungen im Administrativverfahren für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Demgemäß hatte der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, daß die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt wurde.

Der Bescheid ist somit aufzuheben.

Die belangte Behörde wird wegen ihrer aus der Rückwirkung der Aufhebung auf den Anlaßfall (Art140 Abs7 B-VG) resultierenden Verpflichtung, bei der Erlassung des Ersatzbescheides so vorzugehen, als ob die aufgehobenen Bestimmungen nicht (mehr) dem Rechtsbestand angehörten, vom Bestehen der von der Beschwerdeführerin behaupteten, aus §311 Abs1 ASVG folgenden Verpflichtung ihres (ehemaligen) Dienstgebers zur Leistung eines Überweisungsbetrages auszugehen haben, weil der durch die Aufhebung bewirkte Entfall der - auf die Beschwerdeführerin anwendbar gewesenen - Ausnahmebestimmungen die Anwendbarkeit der Regel, also des §311 Abs1 ASVG auf die Beschwerdeführerin zur Folge hat.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall, VfGH / Aufhebung Wirkung, Sozialversicherung, Überweisung (Sozialversicherung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B552.1990

Dokumentnummer

JFT_10069684_90B00552_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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