TE Vwgh Erkenntnis 1995/5/30 94/05/0250

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Veröffentlicht am 30.05.1995
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;

Norm

BauO Wr §129 Abs10;
BauO Wr §60 Abs1;
BauO Wr §62 Abs4;
BauO Wr §62;
BauO Wr §70;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des D in Wien, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 21. Juli 1994, Zl. MD-VfR - B XIX - 24, 27, 28, 23 und 31/94, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist zu 162/1093 Anteilen Miteigentümer der Liegenschaft EZ 728 KG O mit dem Grundstück Nr. 329/3 Baufläche, S-Straße 207, mit welchem das Wohnungseigentum an der Wohnung Stiege II Top Nr. 3 untrennbar verbunden ist. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom 2. Februar 1978 wurde für den Bau, in welchem sich die Wohnung des Beschwerdeführers befindet, gemäß §§ 70 und 73 der Bauordnung für Wien nach den mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Plänen die Bewilligung erteilt. In Abweichung von dieser Bewilligung errichtete der Beschwerdeführer zwischen der gedeckten Terrasse und dem Dachgarten seiner Wohnung eine Glaswand, vor welche ein ca. 60 cm breites Vordach in den Dachgarten vorgezogen wurde. Die gedeckte Terrasse ist mit einer Sitzgruppe mit vier Sesseln, einer Buchregalwand und einer Bar eingerichtet. Auf der Nordseite des Dachgartens wurde in der Dachschräge ein Abstellraum durch Errichtung einer Wand hergestellt. Diese vom Konsens abweichenden baulichen Maßnahmen erfolgten ohne Baubewilligung bzw. Bauanzeige.

Mit Bescheid vom 15. März 1994 erteilte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, dem Beschwerdeführer "gemäß § 129 Abs. 1 und 10 der Bauordnung für Wien" den Auftrag, binnen einer Frist von 12 Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides die ohne Baubewilligung hergestellten Wände im Bereich der gedeckten Dachterrasse im Dachgeschoß zwischen der gedeckten Dachterrasse und dem Dachgarten abzutragen und die Raumeinteilung entsprechend dem bewilligten Plan, der einen Bestandteil des Bescheides vom 2. Februar 1978 bildet, als gedeckte Terrasse mit dem vorliegenden Dachgarten herzustellen und den Abstellraum unter der Dachschräge durch Abtragen der Wand im Dachgarten zu entfernen. Die gedeckte Terrasse ist auftragsgemäß in Hinkunft bewilligungsgemäß zu nutzen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung insofern Folge, "als der Auftrag gemäß § 129 Abs. 1 der Bauordnung für Wien (BO) zu entfallen und der Spruch des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat:

"Gemäß § 129 Abs. 10 der BO für Wien wird

4.

dem Eigentümer der Wohnung Top Nr. 3 der Stiege 2 des obgenannten Hauses aufgetragen, die auf der zu dieser Wohnung gehörenden gedeckten Terrasse und dem Dachgarten errichteten Wände abzutragen und so diese Gebäudeteile entsprechend dem Konsensplan vom 2.2.1978, Zl. MA 37/19 - S-Straße 207/6/77, wieder herzustellen;

...

Diesen Aufträgen ist binnen 12 Monaten nach Rechtskraft

dieses Bescheides zu entsprechen." "

(Die übrigen Spruchpunkte dieses Bescheides sind nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.)

In der Begründung führte die belangte Behörde hiezu aus, auf Grund der mit der Bauordnungs-Novelle LGBl. Nr. 34/1992 eingetretenen Änderung der Rechtslage müsse in analoger Anwendung des zur Rechtslage vor Inkrafttreten dieser Novelle ergangenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1977, Slg. Nr. 9441/A, davon ausgegangen werden, daß ein Auftrag nach § 129 Abs. 10 BO nur hinsichtlich solcher Bauten (Änderungen) erlassen werden dürfe, deren Bewilligungs- bzw. Anzeigepflicht sowohl nach der Rechtslage zur Zeit der Errichtung (Änderung) als auch nach der Rechtslage zur Zeit der Erlassung des Auftrages gegeben sei. Da das gegenständliche Gebäude erst im Jahre 1975 bewilligt worden sei, sei davon auszugehen, daß bis zum Inkrafttreten der vorgenannten Novelle die vorgenommenen baulichen Änderungen gemäß § 60 Abs. 1 lit. c leg. cit. bewilligungspflichtig gewesen seien. Die Herstellung der im Spruch genannten Wände, mit welchen zusätzliche Räume geschaffen, eine Änderung der Raumeinteilung bzw. eine Änderung der bewilligten Raumwidmung bewirkt worden sei, sei auch nach heutiger Rechtslage noch als konsenswidrig anzusehen. Dies ergebe sich aus der Tatsache, daß gemäß § 62 Abs. 4 BO in der geltenden Fassung mit den Baumaßnahmen erst nach Erlassung des Bescheides, mit dem eine Bauanzeige zur Kenntnis genommen werde, begonnen werden dürfe. Ein solcher Bescheid sei aber bisher nicht erlassen worden. Aus dem Umstand, daß die durch die konsenslos errichteten Wände geschaffenen Räume von Menschen betreten werden könnten und daher schon aus Sicherheitsgründen ein öfffentliches Interesse an deren Beseitigung bestehe, sei der Abtragungsauftrag berechtigt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer ficht den Bescheid insoweit an, als ihm nunmehr aufgetragen wurde, "die auf der zur Wohnung Top Nr. 3 der Stiege 2 gehörenden gedeckten Terrasse und dem Dachgarten errichteten Wände abzutragen und so diese Gebäudeteile entsprechend dem Konsensplan vom 2.2.1978 wieder herzustellen". Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid "in seinen Rechten insoferne verletzt, als es die belangte Behörde entgegen den Bestimmungen der BO außer acht ließ, daß es sich im gegenständlichen Fall um eine bloße geringfügige Planabweichung handelt, hinsichtlich welcher im Wege eines Behebungsverfahrens vorzugehen gewesen wäre. Des weiteren geht die angefochtene Entscheidung der Bauoberbehörde in ihrem Spruch über die von der Baubehörde erster Instanz erteilten Aufträge hinaus."

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 129 Abs. 10 Bauordnung für Wien (BO), in der im Hinblick auf die Erlassung des Bescheides anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 49/1992, sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen ... Lassen sich Art und Umfang von vermuteten Abweichungen von den Bauvorschriften nicht durch bloßen Augenschein feststellen, ist der Eigentümer (jeder Miteigentümer) eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage verpflichtet, über das Vorliegen der vermuteten Abweichungen und gegebenfalls über deren Art und Umfang den Befund eines Sachverständigen vorzulegen. Der dem Befund zugrundegelegte Sachverhalt muß durch die Behörde überprüfbar sein.

Gemäß § 60 Abs. 1 leg. cit. ist bei folgenden Bauführungen, soweit nicht § 62 zur Anwendung kommt, vor Beginn die Bewilligung der Behörde zu erwirken:

....

c)

Änderungen oder Instandsetzungen von Gebäuden und baulichen Anlagen, wenn diese von Einfluß auf die Festigkeit, die gesundheitlichen Verhältnisse, die Feuersicherheit oder auf die subjektiv-öffentlichen Rechte der Nachbarn sind oder durch sie das äußere Ansehen oder die Raumeinteilung geändert wird, sowie jede Änderung der bewilligten Raumwidmungen oder des bewilligten Fassungsraumes eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage; im Falle einer Änderung der Verwendung von Aufenthaltsräumen in Wohnzonen die rechtmäßig bestehende Benützung der Aufenthaltsräume als Wohnungen oder Betriebseinheiten im gesamten Gebäude, sofern diese unter Berücksichtigung der beantragten Änderung nicht ausdrücklich als Wohnungen oder Betriebseinheiten bereits gewidmet sind.

Gemäß § 62 Abs. 1 leg. cit. ist bei Bauführungen innerhalb von Wohnungen oder Betriebseinheiten, die nicht von Einfluß auf die statischen Verhältnisse des Hauses oder der baulichen Anlage sind, weder eine Änderung der äußeren Gestaltung des Gebäudes oder der baulichen Anlage bewirken noch gemeinsame Teile des Hauses, der baulichen Anlage oder der Liegenschaft in Anspruch nehmen noch die Umwidmung von Wohnungen auf Arbeitsräume, Büroräume, Verkaufsräume, Versammlungsräume, Gaststätten und Räume mit ähnlicher Funktion sowie Lagerräume betreffen, vor Beginn die Kenntnisnahme einer Bauanzeige zu erwirken. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen sind der Bauanzeige Baupläne in dreifacher Ausfertigung anzuschließen; sie sind vom Bauwerber, vom Planverfasser und vom Bauführer oder deren bevollmächtigten Vertretern zu unterfertigen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat die Kenntnisnahme einer Bauanzeige innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Einlangen bei der Behörde mit schriftlichem Bescheid zu erfolgen oder ist mit schriftlichem Bescheid zu verweigern, wenn die zur Anzeige gebrachten Baumaßnahmen nicht den gesetzlichen Erfordernissen entsprechen oder Gründe dafür sprechen, daß die Baumaßnahmen einer Baubewilligung bedürfen. Gemäß Abs. 4 dieser Gesetzesstelle darf nach der Erlassung des Bescheides, mit dem eine Bauanzeige zur Kenntnis genommen wird, mit den Baumaßnahmen begonnen werden.

Die belangte Behörde begründet die Erlassung des gegenständlichen Auftrages nach § 129 Abs. 10 BO in rechtlicher Hinsicht damit, daß die festgestellten, vom Konsens abweichenden baulichen Maßnahmen des Beschwerdeführers vor Inkrafttreten der Novelle LGBl. Nr. 34/1992 gemäß § 60 Abs. 1 lit. c BO bewilligungspflichtig gewesen seien, nunmehr gemäß § 62 Abs. 4 BO in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 34/1992 hingegen anzeigepflichtige Baumaßnahmen darstellten.

Die Anwendung des § 129 Abs. 10 BO setzt einen bewilligungspflichtigen Bau voraus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1985, Zl. 85/05/0144, BauSlg. Nr. 591). Eine bauliche Änderung ist nur dann als konsenswidrig zu qualifizieren, wenn für sie nach der jeweils geltenden Bauordnung eine baubehördliche Bewilligung erforderlich war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. April 1960, Slg. Nr. 5257/A). Für Bauführungen, die der Baubehörde gemäß § 62 BO lediglich anzuzeigen sind, kann - entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde - ein Beseitigungsauftrag gemäß § 129 Abs. 10 BO trotz der im § 62 Abs. 4 leg. cit. enthaltenen Anordnung, daß erst nach Erlassung des Bescheides, mit dem eine Bauanzeige zur Kenntnis genommen wird, mit den Baumaßnahmen begonnen werden darf, nicht erlassen werden, da ein "vorschriftswidriger" Bau im Sinne des § 129 Abs. 10 BO nur ein solcher ist, für den eine Baubewilligung erforderlich ist (arg. "für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist" im § 129 Abs. 10 BO.

Ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht belastete die belangte Behörde daher den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. In dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ist die Umsatzsteuer bereits enthalten. Das über den Betrag von S 12.500,-- hinausgehende Begehren auf Zuerkennung eines Schriftsatzaufwandes war deshalb abzuweisen.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994050250.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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