TE Bvwg Erkenntnis 2024/7/3 W278 2284580-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.07.2024
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Entscheidungsdatum

03.07.2024

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Spruch


W278 2284580-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dominik HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. XXXX , vertreten durch die BBU, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. 1320034003/222559214, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.06.2024 zu Recht: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dominik HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. römisch 40 , vertreten durch die BBU, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. 1320034003/222559214, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.06.2024 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger Syriens, reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 16.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 17.08.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Befragt, warum er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, gab der Beschwerdeführer den ihm drohenden Militärdienst an. Er wolle einen solchen nicht ableisten.

3. Am 10.08.2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, Syrien verlassen zu haben, weil ihm eine Einberufung in den Grundwehrdienst der Syrischen Armee und eine Zwangsrekrutierung durch kurdische Milizen drohe. 2016 hätten kurdische Soldaten den BF mitgenommen, zwei Tage bei sich behalten und versucht, ihn zu überreden sich ihnen anzuschließen. Er sei wieder freigelassen worden. Später hätte es auch Zwangsrekrutierungen durch die Kurden gegeben, er hätte sich aber in seinem Haus versteckt und habe die Stadt nicht verlassen. Wäre der BF nicht geflohen, hätten die Kurden ihn festgenommen und wäre er an die Front gestellt worden. Er werde auch von der syrischen Regierung gesucht, die ihn im Falle einer Rückkehr töten würde, weil er schon seit Jahren auf der Flucht sei. Er lehne es ab, eine Waffe zu tragen.

Im Zuge seiner Einvernahme vor dem BFA legte der Beschwerdeführer sein Militärbuch im Original, zwei Einberufungsbefehle (ein Original von 2013 und eine nicht lesbare Kopie von 2014), eine Bestätigung über die gemeinnützige Beschäftigung in der Gemeinde XXXX , eine Kopie des Personenstandsregisterauszugs seiner zweiten Ehefrau sowie eine Kopie seines Hauptschulzeugnisses vor.Im Zuge seiner Einvernahme vor dem BFA legte der Beschwerdeführer sein Militärbuch im Original, zwei Einberufungsbefehle (ein Original von 2013 und eine nicht lesbare Kopie von 2014), eine Bestätigung über die gemeinnützige Beschäftigung in der Gemeinde römisch 40 , eine Kopie des Personenstandsregisterauszugs seiner zweiten Ehefrau sowie eine Kopie seines Hauptschulzeugnisses vor.

Hinsichtlich des vorgelegten des Militärbuches wurde am 16.08.2023 um Urkundenüberprüfung ersucht.

Am 18.12.2023 langte beim BFA ein Untersuchungsbericht der Landespolizeidirektion Steiermark ein. Laut diesem hätten sich bei der Untersuchung des übermittelten Dokuments keine Hinweise auf das Vorliegen einer Verfälschung ergeben.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom römisch 40 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.). Zugleich wurde ihm gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt römisch III.).

5. Das BFA traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität des Beschwerdeführers nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität aus einem Konventionsgrund glaubhaft zu machen.

Das BFA stellte fest, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aufgrund der Bürgerkriegssituation und der dort herrschenden schlechten wirtschaftlichen Situation verlassen habe. Nicht festgestellt habe werden können, dass er einer Bedrohung oder Verfolgung durch das syrische Regime oder bewaffnete Gruppierungen oder der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch kurdische Kräfte oder andere Milizen ausgesetzt gewesen sei. Er habe zwar in den Jahren 2013 und 2014 Einberufungsbefehle in den Grundwehrdienst (und jeweils zwei Aufschübe der syrischen Armee) erhalten. Die Behörde gehe aber davon aus, dass er keine weiteren Einberufungsbefehle erhalten habe, weil sein Herkunftsort Manbij später unter die Kontrolle der kurdischen Kräfte gefallen sei und der Beschwerdeführer somit nicht für die syrischen Behörden greifbar gewesen sei. Es sei weiters nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer die Möglichkeit eines Freikaufs vom Wehrdienst nicht nutzen würde, wenn er Furcht vor einer Einziehung zum Militär hätte. Hinsichtlich der vorgebrachten Rekrutierung durch kurdische Milizen habe er selbst angegeben, von diesen bloß einmal angehalten und wieder freigelassen worden zu sein. Es habe sich dabei um Überzeugungsversuche für einen Beitritt ohne Zwang gehandelt. Später sei es zu keinen derartigen Vorfällen mehr gekommen. Weiters habe er das dortige Wehrdienstalter bereits überschritten und drohe ihm selbst bei einer Wehrdienstverweigerung vonseiten der kurdischen Autonomiebehörde keine unverhältnismäßigen Strafen. Weiters lägen keine Hinweise dafür vor, dass Rekruten zu menschenrechtswidrigen Handlungen gezwungen würden.

6. Der Beschwerdeführer wurde laut Vermerk der Grundversorgungsstelle vom 02.01.2024 mit 21.12.2023 von der Grundversorgung des Landes Steiermark abgemeldet, weil er (im Inland) privat verzogen sei.

7. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Syrien vom syrischen Regime als auch von kurdischen Streitkräften inhaftiert würde. Sein Herkunftsort Manbij werde von mehreren Streitparteien beherrscht. Auch das syrische Regime sei im dortigen Umfeld aktiv und rekrutiere wehrpflichtige Personen. Dem Beschwerdeführer drohe als Mann im wehrfähigen Alter, zum Militärdienst eingezogen zu werden, und dabei der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu sein. Auch bei einem Freikauf vom Wehrdienst würden wehrfähige syrische Männer um syrischen Militär einberufen werden oder mit Konsequenzen bei Wiedereinreise nach Syrien rechnen müssen. Abgesehen davon würde ihm aufgrund seiner Ausreise und Asylantragstellung in Europa bei Rückkehr nach Syrien eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden und ihm eine staatliche Verfolgung aus politischen Gründen drohen. Er könne nur über vom syrischen Regime kontrollierte Grenzübergänge sicher und legal nach Syrien zurückkehren. Dort bestehe die Gefahr, am Grenzkontrollposten verhaftet und zum Militärdienst eingezogen zu werden.7. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Syrien vom syrischen Regime als auch von kurdischen Streitkräften inhaftiert würde. Sein Herkunftsort Manbij werde von mehreren Streitparteien beherrscht. Auch das syrische Regime sei im dortigen Umfeld aktiv und rekrutiere wehrpflichtige Personen. Dem Beschwerdeführer drohe als Mann im wehrfähigen Alter, zum Militärdienst eingezogen zu werden, und dabei der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu sein. Auch bei einem Freikauf vom Wehrdienst würden wehrfähige syrische Männer um syrischen Militär einberufen werden oder mit Konsequenzen bei Wiedereinreise nach Syrien rechnen müssen. Abgesehen davon würde ihm aufgrund seiner Ausreise und Asylantragstellung in Europa bei Rückkehr nach Syrien eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden und ihm eine staatliche Verfolgung aus politischen Gründen drohen. Er könne nur über vom syrischen Regime kontrollierte Grenzübergänge sicher und legal nach Syrien zurückkehren. Dort bestehe die Gefahr, am Grenzkontrollposten verhaftet und zum Militärdienst eingezogen zu werden.

8. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom BFA vorgelegt und sind am 17.01.2024 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.06.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahm. Das BFA hat im Vorfeld schriftlich mitgeteilt, auf die Teilnahme an der Verhandlung zu verzichten.

Im Zuge der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen befragt und es wurden ihm die im Verfahren herangezogenen Berichte zur Beurteilung der Lage in seinem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer führte zusammengefasst aus, er habe Syrien verlassen, weil er keine Waffe tragen wolle, gegen Gewalt sei und rekrutiert worden wäre, wenn er nicht zuvor ausgereist wäre. Sein Militärbuch habe er 2009 vor Ausbruch der Konflikte erhalten. Das syrische Regime habe bis Anfang 2012 die Kontrolle über seine Herkunftsregion gehabt, dann habe die Opposition für zwei Jahre die Kontrolle gehabt. Später seien der IS und 2016 die kurdischen Milizen gekommen. Einberufungsbefehle habe er 2013 und 2014 erhalten, die über die Ortsvorsteher verschickt worden seien. Er habe zwei Mal Aufschübe für den Militärdienst bekommen, weil er zu der Zeit die Schule (9. Schulstufe) besucht habe. Hätte er seinen Bildungsweg fortsetzen wollen, hätte er in ein Regimegebiet gehen müssen und hätte er Aufschübe für den Militärdienst bekommen, sofern sein Alter der jeweiligen Schulstufe entsprochen hätte. Außerhalb der Regimegebiete hätte er keine Entschuldigung mehr gehabt und einberufen werden können. Der Beschwerdeführer schilderte weiters den Vorfall, bei dem ihn kurdische Soldaten zur Befragung in ihre Zentrale mitgenommen hätten. Dort sei eine Vereinbarung geschlossen worden, dass sich die dort befindlichen Männer der kurdischen Miliz anschließen sollten. Dies würde nach Angaben der kurdischen Militärangehörigen nicht aus Zwang, sondern aus Überzeugung geschehen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den im Erkenntniskopf genannten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Muttersprache ist Arabisch, welche er in Wort und Schrift beherrscht.

Der Beschwerdeführer stammt aus der im Gouvernement Aleppo gelegenen Stadt Manbij, wo er neun Jahre die Hauptschule besuchte und einen Abschluss erlangte. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers steht im Entscheidungszeitpunkt unter Kontrolle der kurdisch geführten SDF (Syrian Democratic Forces – Syrische Demokratische Kräfte der selbsternannten Selbstverwaltungsregion, auch Autonomous Administration of North and East Syria – AANES).

Im AANES Gebiet kann es zwar in den Städten Al Hassakah und Qamishli, in sogenannten „Sicherheitsquadraten“, eine Präsenz der syrischen Regierung geben, doch stammt der Beschwerdeführer aus einem Ort, der sich nicht in der Nähe solcher befindet.

Zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers befinden sich im Libanon, ein Bruder in der Türkei, ein weiterer Bruder ist bereits verstorben. Abseits dieser Geschwister ist die gesamte Familie, bestehend aus Mutter und Vater, vier weiteren Brüdern und drei weiteren Schwestern, weiterhin in Syrien aufhältig. Die Familie des Beschwerdeführers ist allgemein nicht von Repressalien in Syrien betroffen und besitzt einige Schafe und ein Stück Land, auf dem sie Landwirtschaft betreibt.

Der Beschwerdeführer heiratete nach eigenen Angaben XXXX seine erste Ehefrau und hat mit dieser zwei Töchter. Nach eigenen Angaben heiratete er im XXXX seine zweite Ehefrau, bei der seine zwei Töchter leben. Der Beschwerdeführer legte keine Dokumente betreffend die Eheschließungen oder seine Kinder vor. Der Beschwerdeführer heiratete nach eigenen Angaben römisch 40 seine erste Ehefrau und hat mit dieser zwei Töchter. Nach eigenen Angaben heiratete er im römisch 40 seine zweite Ehefrau, bei der seine zwei Töchter leben. Der Beschwerdeführer legte keine Dokumente betreffend die Eheschließungen oder seine Kinder vor.

Im Jahr 2018 reiste der Beschwerdeführer aus Syrien in die Türkei aus. Dort hielt er sich vier Jahre auf, bis er schließlich über mehrere Länder unrechtmäßig nach Österreich einreiste und am 16.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist gesund. Er leidet weder an einer schweren noch an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Er ist in Österreich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren ist die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Der Beschwerdeführer befindet sich mit seinen 30 Jahren damit im wehrpflichtigen Alter hinsichtlich des gesetzlich vorgesehenen Militärdienstes der syrischen Regierung im Gebiet unter deren Kontrolle und es liegt auch kein Ausnahmegrund vor.

Im Jahr 2009 wurde dem Beschwerdeführer zwar ein Militärbuch ausgestellt und erhielt er in den Jahren 2013 und 2014 jeweils einen Einberufungsbefehl. Doch wurden ihm aufgrund seines Schulbesuchs in diesen Jahren zwei Aufschübe gewährt und wurde er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2018 von Sicherheitsbehörden der syrischen Regierung nicht zum Militärdienst zur syrischen Armee eingezogen. Der Beschwerdeführer hat den Wehrdienst daher nicht verweigert, sondern sich einer (weiteren) Einberufung durch seine Ausreise aus dem Einflussgebiet der syrischen Regierung entzogen.

Dem Beschwerdeführer droht in seinem Herkunftsgebiet im Falle seiner Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einberufung zum Militärdienst bei der syrischen Armee und auch keine Bestrafung durch syrische Behörden aufgrund seines Entzugs vom Wehrdienst durch seine Ausreise. Die syrische Regierung ist grundsätzlich nicht in der Lage, in Gebieten, die unter Kontrolle der SDF stehen, zu rekrutieren oder Wehrdienstverweigerer zu verhaften und zu bestrafen.

Der Beschwerdeführer kann nach Syrien über den Grenzübergang Semalka-Faysh Khabur einreisen. Dieser steht unter Kontrolle der kurdischen Sicherheitskräfte, sodass er dort von syrischen Sicherheitskräften nicht eingezogen oder festgenommen werden kann. Der Beschwerdeführer hätte bei einer Rückkehr in seine Heimatregion auch keine Gebiete zu durchqueren, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden. Dem Beschwerdeführer ist es somit möglich, in das kurdische Gebiet und seinen Heimatort zu reisen, ohne in den Einflussbereich der syrischen Regierung zu gelangen.

Selbst im Falle der hypothetischen Einberufung zum Militärdienst der syrischen Armee, würde dem Beschwerdeführer aber aufgrund der Nichtableistung des Wehrdienstes keine oppositionelle politische Gesinnung durch die syrische Regierung unterstellt.

Der Beschwerdeführer war in Syrien nicht politisch tätig, hat in Syrien keine Straftaten begangen und wurde nie verhaftet. Er geriet nie als Gegner des Regimes in das Blickfeld der syrischen Regierung.

Der Beschwerdeführer ist im Fall seiner Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht der realen Gefahr ausgesetzt, durch das syrische Regime aufgrund einer verinnerlichten politischen Überzeugung gegen das syrische Regime oder einer ihm seitens des syrischen Regimes unterstellten oppositionellen Gesinnung mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

In Syrien besteht darüber hinaus in Gebieten unter der Kontrolle der SDF/AANES ein verpflichtender Militärdienst für Männer, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Jede Familie ist verpflichtet, eine männliche Person für die YPG zu stellen. Der Beschwerdeführer stammt zwar aus einem von den SDF/AANES kontrollierten Gebiet, hat aber mit seinen 30 Jahren die Altersgrenze für den Wehrdienst bei den kurdischen Streitkräften bereits überschritten. Zudem sind seit dem 04.09.2021 die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Es ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr eine Zwangsrekrutierung durch die SDF droht.

Der Beschwerdeführer ist von kurdischen SDF Streitkräften nicht bedroht oder tatsächlich rekrutiert worden und hat kein Verhalten gesetzt, aufgrund dessen ihm seitens der kurdischen Kräfte eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde. Der Beschwerdeführer wäre im Fall seiner Rückkehr keiner realen Gefahr ausgesetzt, aus den genannten Gründen von kurdischen Kräften mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Im Falle der Einziehung des Beschwerdeführers zur kurdischen Selbstverteidigungspflicht, trotz Überschreitung der Altersgrenze, würde diesem auch durch kurdische Behörden keine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt und ihm droht im Falle seiner Weigerung keine unverhältnismäßige Strafe. Ein Einsatz im Rahmen dieses Militärdienstes würde nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an der Front erfolgen, sondern normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz. Auch würde dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Arabern keine schlechtere Behandlung drohen.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle seiner Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungsgefahr aufgrund seiner Eigenschaft als sunnitischer Araber.

Ebenso wenig droht dem Beschwerdeführer allein aufgrund seiner Ausreise oder Asylantragstellung oder Lebensführung die Gefahr, im Fall seiner Rückkehr nach Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Auch sonst ist der Beschwerdeführer nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Im Verfahren wurden die folgenden Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11 vom 27.03.2024:

?        EUAA –Leitfaden April 2024

?        Bericht DIS (Danish immigration Service), Syria Treatment upon return vom Mai 2022

?        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation SYRIEN Zugriff des syrischen Regimes auf Deserteure in der AANES April 2024

?        Anfragebeantwortung zu Syrien: Gefälschte Dokumente bzw. echte Dokumente mit wahrheitswidrigem Inhalt (insb. Militär- u. Personalausweise, Strafregister-, Personenstands- und Familienbuchauszüge); Häufigkeit, Erlangung, Vorgehensweise, Preis, Bezahlung, Aushändigung durch Schlepper) [a-12196] 3. August 2023

?        Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen [a-12197] 24.08.2023

?        Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188] 6. September 2023

?        Turkey_Syria_Border_Crossing_Status_Update_20230418 _EN (1).pdf OCHA 18.04.2023

?        Syrien Grenzübergänge COI CMS Version 1, 25.10.2023

Aus dem Länderinformationsblatt Syrien der Staatendokumentation, Stand: 27.03.2024

„Sicherheitslage

[…]

Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten

Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweiseruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023). Für keinen Landesteil Syriens kann insofern von einer nachhaltigen Beruhigung der militärischen Lage ausgegangen werden (AA 2.2.2024).

Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) der VN stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den VN benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Im Mai 2023 begannen zusätzlich dazu die jordanischen Streitkräfte Luftangriffe gegen die Drogenschmuggler zu fliegen (SOHR 8.5.2023). Die USA sind mit mindestens 900 Militärpersonen in Syrien, um Anti-Terror-Operationen durchzuführen (CFR 24.1.2024). Seit Ausbruch des Krieges zwischen der Hamas und Israel begannen die USA mehrere Luftangriffe gegen iranische Milizen in Syrien und dem Irak zu fliegen. Anfang Februar 2024 eskalierten die Spannungen zwischen dem Iran und den USA, nachdem iranische Milizen in Jordanien eine militärische Stellung der USA mit einer Drohne angriffen und dabei mehrere US-amerikanische Soldaten töteten und verletzten. Die USA reagierten mit erhöhten und verstärkten Luftangriffen auf Stellungen der iranischen Milizen in Syrien und dem Irak. In Syrien trafen sie Ziele in den Räumen Deir ez-Zor, Al-Bukamal sowie Al-Mayadeen. Die syrische Armee gab an, dass bei den Luftangriffen auch Zivilisten sowie reguläre Soldaten getötet wurden (CNN 3.2.2024).

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 intensivierte Israel die Luftangriffe gegen iranische und syrische Militärstellungen CFR 24.1.2024). Infolge der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023, wurde israelisch kontrolliertes Gebiet auch von Syrien aus mindestens dreimal mit Raketen beschossen. Israel habe daraufhin Artilleriefeuer auf die Abschussstellungen gerichtet. Beobachter machten iranisch kontrollierte Milizen für den Raketenbeschuss verantwortlich. Israel soll im selben Zeitraum, am 12.10.2023 und 14.10.2023 jeweils zweimal den Flughafen Aleppo sowie am 12.10.2023 den Flughafen Damaskus mit Luftschlägen angegriffen haben; aufgrund von Schäden an den Start- und Landebahnen mussten beide Flughäfen daraufhin den Betrieb einstellen (AA 2.2.2024).

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung hat derzeit die Kontrolle über ca. zwei Drittel des Landes, inklusive größerer Städte, wie Aleppo und Homs. Unter ihrer Kontrolle sind derzeit die Provinzen Suweida, Daraa, Quneitra, Homs sowie ein Großteil der Provinzen Hama, Tartus, Lattakia und Damaskus. Auch in den Provinzen Aleppo, Raqqa und Deir ez-Zor übt die syrische Regierung über weite Teile die Kontrolle aus (Barron 6.10.2023). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 2.2.2024). Die Opposition konnte eingeschränkt die Kontrolle über Idlib und entlang der irakisch-syrischen Grenze behalten. Das Erdbeben 2023 in der Türkei und Nordsyrien machte die tatsächliche Regierung fast unmöglich, weil die Opposition Schwierigkeiten hatte, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen (CFR 24.1.2024).

Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023). Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Iran unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah (AA 2.2.2024). Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).

Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:

Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen ’Operation Claw-Sword’, die nach türkischen Angaben auf Stellungen der SDF und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022; vgl. CFR 24.1.2024). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten ’eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen’ in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022). Die Türkei bombardierte auch im Oktober 2023 kurdische Ziele in Syrien als Reaktion auf einen Bombenangriff in Ankara durch die PKK (Reuters 7.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen ’Operation Claw-Sword’, die nach türkischen Angaben auf Stellungen der SDF und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022; vergleiche CFR 24.1.2024). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten ’eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen’ in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022). Die Türkei bombardierte auch im Oktober 2023 kurdische Ziele in Syrien als Reaktion auf einen Bombenangriff in Ankara durch die PKK (Reuters 7.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).

[…]

Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).

Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021). Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa’at, Manbij und Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa’at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der ’Syrian National Army’ (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen „Selbstverwaltung“ (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet. Auf dieser Karte ist entlang der gesamten Frontlinie zu pro-türkischen Gebieten bzw. der türkisch-syrischen Grenze die Präsenz einer Kooperation zwischen SDF, Regime und russischen Truppen mit Ausnahme entlang des Tigris im äußersten Nordosten verzeichnet:

[…]

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als „Hauptschauplatz für den Aufstand des IS“ (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als „Hauptschauplatz für den Aufstand des IS“ (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022).

Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (AA 2.2.2024).

Der IS führt weiterhin militärische Operationen in der AANES durch. Die SDF reagieren auf die Angriffe mit routinemäßigen Sicherheitskampagnen, unterstützt durch die Internationale Koalition. Bisher konnten diese die Aktivitäten des IS und seiner affiliierten Zellen nicht einschränken. SOHR dokumentierte von Anfang 2023 bis September 2023 121 Operationen durch den IS, wie bewaffnete Angriffe und Explosionen, in den Gebieten der AANES. Dabei kamen 78 Personen zu Tode, darunter 17 ZivilistInnen und 56 Mitglieder der SDF (SOHR 24.9.2023).

[…]

Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vergleiche AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertra

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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