Entscheidungsdatum
04.07.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W211 2279096-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Barbara SIMMA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: Syrien, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Barbara SIMMA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geboren am römisch 40 , StA: Syrien, gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, idF BF, eine syrische Staatsangehörige, stellte am XXXX .2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. 1. Die Beschwerdeführerin, in der Fassung BF, eine syrische Staatsangehörige, stellte am römisch 40 .2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei ihrer Erstbefragung am XXXX .2023 gab die BF zusammengefasst und soweit wesentlich an, dass sie Syrien 2023 illegal zu Fuß in die Türkei verlassen habe. Befragt zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass Krieg in Syrien herrsche. Dort zu leben sei sehr schwer. Es gebe keinen Frieden. Im Falle der Rückkehr in ihren Heimatstaat habe sie Angst um ihre Zukunft. Sie habe alle Gründe ihrer Asylantragsstellung angegeben. 2. Bei ihrer Erstbefragung am römisch 40 .2023 gab die BF zusammengefasst und soweit wesentlich an, dass sie Syrien 2023 illegal zu Fuß in die Türkei verlassen habe. Befragt zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass Krieg in Syrien herrsche. Dort zu leben sei sehr schwer. Es gebe keinen Frieden. Im Falle der Rückkehr in ihren Heimatstaat habe sie Angst um ihre Zukunft. Sie habe alle Gründe ihrer Asylantragsstellung angegeben.
3. Im Rahmen ihrer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (idF BFA) am XXXX 2023 führte die BF zusammengefasst und soweit wesentlich aus, dass sie aus XXXX stamme. Befragt nach ihren Fluchtgründen gab die BF an, dass sie Syrien wegen des Kriegs verlassen habe. Außerdem habe sie dort keine Zukunft. Sie habe wegen des Kriegs aus finanziellen Gründen und auch aus Sicherheitsgründen die Schule nicht beenden können. Nachgefragt, ob die allgemeine Bürgerkriegssituation in Syrien ihr Fluchtgrund sei, gab die BF an: „Ja, so ist es.“ Befragt, ob sie noch weitere Fluchtgründe habe, gab sie an: „Nein, nur der Krieg und die unsichere Lage in Syrien.“ Im Falle der Rückkehr nach Syrien habe sie Angst vor dem Krieg und es gebe in Syrien keine Zukunft. 3. Im Rahmen ihrer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Fassung BFA) am römisch 40 2023 führte die BF zusammengefasst und soweit wesentlich aus, dass sie aus römisch 40 stamme. Befragt nach ihren Fluchtgründen gab die BF an, dass sie Syrien wegen des Kriegs verlassen habe. Außerdem habe sie dort keine Zukunft. Sie habe wegen des Kriegs aus finanziellen Gründen und auch aus Sicherheitsgründen die Schule nicht beenden können. Nachgefragt, ob die allgemeine Bürgerkriegssituation in Syrien ihr Fluchtgrund sei, gab die BF an: „Ja, so ist es.“ Befragt, ob sie noch weitere Fluchtgründe habe, gab sie an: „Nein, nur der Krieg und die unsichere Lage in Syrien.“ Im Falle der Rückkehr nach Syrien habe sie Angst vor dem Krieg und es gebe in Syrien keine Zukunft.
4. Mit Bescheid vom XXXX wies das BFA den Antrag der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr (Spruchpunkt III). 4. Mit Bescheid vom römisch 40 wies das BFA den Antrag der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihr gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III).
5. In der gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die BF Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund ihrer zumindest unterstellten oppositionellen Gesinnung und ihrer Familienzugehörigkeit zu ihren Geschwistern fürchte. Drei Brüder hätten in Österreich den Asylstatus aufgrund von Wehrdienstverweigerung zuerkannt bekommen. Der BF drohe diesbezüglich eine Reflexverfolgung. Zudem werde sie als alleinstehende Frau von allen Konfliktparteien schweren geschlechterspezifischen Verfolgungen und Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt, die der Verfolgung einer sozialen Gruppe gleichkämen.5. In der gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die BF Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund ihrer zumindest unterstellten oppositionellen Gesinnung und ihrer Familienzugehörigkeit zu ihren Geschwistern fürchte. Drei Brüder hätten in Österreich den Asylstatus aufgrund von Wehrdienstverweigerung zuerkannt bekommen. Der BF drohe diesbezüglich eine Reflexverfolgung. Zudem werde sie als alleinstehende Frau von allen Konfliktparteien schweren geschlechterspezifischen Verfolgungen und Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt, die der Verfolgung einer sozialen Gruppe gleichkämen.
Das BFA habe darüber hinaus wesentliche Verfahrensvorschriften verkannt, sich nicht ausreichend mit den Länderinformationen auseinandergesetzt, eine mangelhafte Beweiswürdigung durchgeführt und den Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
6. Mit Schreiben vom XXXX 2023 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.6. Mit Schreiben vom römisch 40 2023 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.
7. Am XXXX 2024 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und in Anwesenheit der BF und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die BF Gelegenheit hatte, zu ihren Fluchtgründen im Detail Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde hatte sich mit Schreiben vom XXXX .2023 für die Teilnahme an der Verhandlung entschuldigt.7. Am römisch 40 2024 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und in Anwesenheit der BF und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die BF Gelegenheit hatte, zu ihren Fluchtgründen im Detail Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde hatte sich mit Schreiben vom römisch 40 .2023 für die Teilnahme an der Verhandlung entschuldigt.
Die BF gab soweit hier wesentlich zusammengefasst und ergänzend an, dass sie im 8. Monat schwanger sei. Mit dem Kindesvater sei sie in einer Partnerschaft, lebe mit ihm aber nicht zusammen. Sie könne nicht nach Syrien zurückkehren, da sie unverheiratet und schwanger sei, was eine große Schande und ein Grund sei, getötet zu werden. Sie habe Angst um ihr Leben und um ihr noch ungeborenes Kind. Nachgefragt, wer die BF töten würde, gab sie an, dass das beliebige Leute in ihrem Herkunftsort seien. Es würde keine unverheiratete schwangere Frau toleriert werden. Jemand würde ihr das Kind wegnehmen. Die Eltern der BF wüssten über das Kind Bescheid. Sie seien nicht sehr erfreut, dass sie ledig schwanger geworden sei, aber sie hätten es akzeptiert, weil sie in einem Land sei, welches gesetzlich offener sei. Befragt danach, ob es eine theoretische Option sei, dass die Eltern sie und ihr Kind bei sich aufnehmen würden, und alle sich gemeinsam um das Kind sorgen könnten, gab die BF an, dass das keine Option sei. Die Eltern seien nicht erfreut über ihre Situation. Sie hätten es nur akzeptiert, weil sie in einem anderen Land sei. Sie sei sich sicher, dass, wenn sie in Syrien wäre, ihre Familienmitglieder ihr nichts antun würden. Aber sollten andere Leute kommen, die sie aufforderten, das Kind „aufzugeben“, würden sie das tun, weil es eine Schande für die Familie wäre, wenn die BF dort mit ihrem ledigen Kind sei. Die Geschwister in Österreich seien hinsichtlich ihrer Schwangerschaft im Wesentlichen derselben Meinung wie ihre Eltern. Sie glaube nicht, dass diese ihr Kind herzlich willkommen heißen würden, aber sie sei sich sicher, dass sie sie im Endeffekt sie unterstützen würden, weil sie eben ihre Schwester sei. Schließlich gab die BF auch an, dass sie nicht glaube, dass sie Probleme mit den Kurd:innen haben würde im Falle einer Rückkehr. Da sie illegal geflohen sei, sei sie sich sicher, dass man aber ein spezielles Auge auf sie werden würde.
8. Zum aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien aus dem Frühjahr 2024 wurde am XXXX .2024 ein Parteiengehör eingeräumt; Stellungnahmen der Parteien dazu langten keine mehr ein. 8. Zum aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien aus dem Frühjahr 2024 wurde am römisch 40 .2024 ein Parteiengehör eingeräumt; Stellungnahmen der Parteien dazu langten keine mehr ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF ist syrische Staatsangehörige, stammt aus XXXX Gouvernement al-Hasaka, Syrien, wurde am XXXX geboren und stellte am XXXX .2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sie bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber:innen an.1.1. Die BF ist syrische Staatsangehörige, stammt aus römisch 40 Gouvernement al-Hasaka, Syrien, wurde am römisch 40 geboren und stellte am römisch 40 .2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sie bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber:innen an.
2023 verließ die BF Syrien illegal über die Grenze zur Türkei und reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in weiterer Folge in das Bundesgebiet ein.
Ihre Eltern, ein Bruder, zwei Schwestern und mehrere Tanten und Onkel leben im Herkunftsort der BF in Syrien. In Österreich sind zwei Schwestern und drei Brüder aufhältig.
Die BF hat in Syrien 8 Jahre die Schule besucht, ist ledig und hat ein minderjähriges Kind. Sie ist strafgerichtlich unbescholten und gesund.
1.2. Relevante Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Syrien:
1.2.1. Aus dem Länderinformationsblatt vom 14.03.2024 bzw. 27.03.2024
Politische Situation: Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ost Syrien:
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).
Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).
Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023).
In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).
Sicherheitssituation:
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022).
Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa'at, Manbij und Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime- und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa'at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:
Newlines 7.3.2023
Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021).
Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 2.2.2024), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleich behandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (ACCORD 6.9.2023). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022).
Zur Situation von Frauen:
Allgemeine Informationen
Syrien ist eine patriarchalische Gesellschaft, aber je nach sozialer Schicht, Bildungsniveau, Geschlecht, städtischer oder ländlicher Lage, Region, Religion und ethnischer Zugehörigkeit gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf Rollenverteilung, Sexualität sowie Bildungs- und Berufschancen von Frauen. Der anhaltende Konflikt und seine sozialen Folgen sowie die Verschiebung der de-facto-Kontrolle durch bewaffnete Gruppen über Teile Syriens haben ebenfalls weitreichende Auswirkungen auf die Situation der Frauen (NMFA 6.2021). Mehr als ein Jahrzehnt des Konflikts hat ein Klima geschaffen, das der Gewalt gegen Frauen und Mädchen zuträglich ist, besonders angesichts der sich verfestigenden patriarchalischen Gesellschaftsformen, und Fortschritte bei den Frauenrechten zunichtemachte. Diese Risiken steigen unvermeidlicherweise angesichts von mehr als 15 Millionen Menschen in Syrien, die im Jahr 2023 humanitäre Hilfe benötigen. Gleichzeitig gibt es einen Anstieg an Selbstmorden unter Frauen und Mädchen, was laut ExpertInnen auf den fehlenden Zugang von Heranwachsenden zu Möglichkeiten und entsprechenden Hilfsleistungen liegt (UNFPA 28.3.2023).
Offizielle Mechanismen, welche die Rechte von Frauen sicherstellen sollen, funktionieren Berichten zufolge nicht mehr, und zusammen mit dem generellen Niedergang von Recht und Ordnung sind Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen besonders durch extremistische Gruppen ausgesetzt, die ihre eigenen Interpretationen von Religionsgesetzen durchsetzen. Die persönliche gesellschaftliche Freiheit von Frauen variiert je Gebiet außerhalb der Regierungskontrolle und reicht von schwerwiegenden Kleidungs- und Verhaltensvorschriften in Gebieten extremistischer Gruppen bis hin zu formaler Gleichheit im Selbstverwaltungsgebiet der Partiya Yekîtiya Demokrat (PYD). Durch die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) und dem Zurückgehen der Kampfhandlungen im Lauf der Zeit ist die Bevölkerung in geringerem Ausmaß den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheiten ausgesetzt (FH 9.3.2023). Gleichwohl haben verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufgrund der Pandemie und der Bewegungseinschränkungen zugenommen, welche auch zur ökonomischen Ausbeutung von Frauen beitragen (UNFPA 28.3.2023).
Frühe Heiraten nehmen zu (UNFPA 28.3.2023): In Syrien lässt sich in den letzten Jahren ein sinkendes Heiratsalter von Mädchen beobachten, weil erst eine Heirat ihnen die verloren gegangene, aber notwendige rechtliche Legitimität und einen sozialen Status, d. h. den 'Schutz' eines Mannes, zurückgibt (ÖB Damaskus 1.10.2021), denn die Angst vor sexueller Gewalt und ihr Stigma könnte die Mädchen zu Ausgestoßenen machen. Überdies müssen die Eltern durch eine möglichst frühe Verheiratung ihrer Töchter nicht mehr für deren Unterhalt aufkommen. Die Verheiratung von Minderjährigen gilt als die häufigste Form von Gewalt gegen heranwachsende Mädchen. Einige Frauen und Mädchen werden auch gezwungen, die Täter, welche ihnen sexuelle Gewalt angetan haben, zu heiraten. Bei Weigerung droht Isolation, weil sie nicht zu ihren Familien zurückkehren können, bzw. kann ein 'Ehrenmord' drohen. Hintergrund ist, dass rechtliche Mittel gegen den Täter zuweilen nicht leistbar sind, und so mangels eines justiziellen Wegs die Familien keine andere Möglichkeit als eine Zwangsehe sehen (UNFPA 28.3.2023). Dieses Phänomen ist insbesondere bei IDPs (FH 9.3.2023) (und Flüchtlingen in Nachbarländern) zu verzeichnen. Das gesunkene Heiratsalter wiederum führt zu einem Kreislauf von verhinderten Bildungsmöglichkeiten, zu frühen und mit Komplikationen verbundenen Schwangerschaften und in vielen Fällen zu häuslicher und sexueller Gewalt (ÖB Damaskus 1.10.2021). Auch geschiedene oder verwitwete Frauen gelten als vulnerabel, denn sie können Druck zur Wiederverheiratung ausgesetzt sein (UNFPA 28.3.2023). Im Allgemeinen ist eine von fünf Frauen in Syrien heutzutage von sexueller Gewalt betroffen (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Bereits vor 2011 waren Frauen aufgrund des autoritären politischen Systems und der patriarchalischen Werte in der syrischen Gesellschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Häuser geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Es wird angenommen, dass konservative Bräuche, die Frauen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zuweisen, für viele Syrer maßgeblicher waren als das formale Recht (FH 3.3.2010). Doch selbst die formellen Gesetze legen für Frauen nicht denselben Rechtsstatus und dieselben Rechte fest wie für Männer, obwohl die Verfassung die Gleichstellung von Männern und Frauen vorsieht (USDOS 20.3.2023). Frauen werden vor allem durch das Personenstandsgesetz bezüglich Heirat, Scheidung, Sorgerecht und Erbschaft weiterhin diskriminiert (HRW 11.1.2024).
Per legem haben Männer und Frauen dieselben politische Rechte. Der Frauenanteil im syrischen Parlament liegt je nach herangezogener Quelle zwischen 11,2 und 13,2 %. Auch manche der höheren Regierungspositionen werden derzeit von Frauen besetzt. Allerdings sind sie im Allgemeinen von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und haben wenig Möglichkeiten, sich inmitten der Repression durch Staat und Milizen unabhängig zu organisieren. Im kurdisch-geprägten Selbstverwaltungsgebiet werden alle Führungspositionen von einem Mann und einer Frau geteilt, während außerhalb der PYD-Strukturen die politische Autonomie für die Bevölkerung eingeschränkt ist (FH 9.3.2023).
Die Gewalt zusammen mit bedeutendem kulturellem Druck schränkt stark die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten ein. Zusätzlich erlaubt das Gesetz, bestimmten männlichen Verwandten Frauen ein Reiseverbot aufzuerlegen. Bewegungseinschränkungen wurden einem UN-Bericht von Februar 2022 zufolge in 51 % der untersuchten Orte ermittelt (USDOS 20.3.2023). Obwohl erwachsene Frauen keine offizielle Genehmigung brauchen, um das Land zu verlassen, reisen viele Frauen in der Praxis nur dann ins Ausland, wenn der Ehemann oder die Familie dem zugestimmt hat (NMFA 5.2022).
Die (selbstproklamierte) Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES - Autonomous Administration of North and East Syria)
Nachdem sich die Regierungstruppen 2012 aus dem Nordosten zurückgezogen und die Partei der Demokratischen Union (PYD) die Kontrolle übernommen hatte, wurde die Geschlechterfrage zu einem zentralen Thema der Politik der Partei der Demokratischen Union (PYD), und in jeder autonomen Gemeinde und auf jeder Ebene des Systems wurden Frauenverbände gegründet (Allsop, van Wilgenburg 2019). Per Gesetz werden alle Regierungseinrichtungen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet, und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, abgesehen von Einrichtungen, die nur für Frauen sind und von Frauen geleitet werden. Mit den YPJ-Einheiten (Women’s Protection Units, Y.P.J.) gibt es eigene Milizen aus Frauen (TNYT 24.2.2018), und bei der Rückeroberung Raqqas hatte ein Mitglied dieser Einheit das übergeordnete Kommando. Gesetze und Regulierungen sollen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen abschaffen. Kinderheiraten und häusliche Gewalt stehen unter Strafe (NMFA 6.2021) (Anm.: für Beispiele in Manbij siehe TNYT 24.2.2018). Die Verwaltungscharta des Gesellschaftsvertrags räumt den Frauen das Recht auf Teilhabe an politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten ein und legt den Frauenanteil in allen Leitungsgremien, Institutionen und Ausschüssen auf 40 Prozent fest. Dies ist jedoch nur auf Bereiche beschränkt, die unter der Kontrolle der Syrian Democratic Forces (SDF) stehen, und es wird in diesem Zusammenhang betont, dass Partizipation nicht gleichbedeutend mit tatsächlicher Ermächtigung ist (AC 13.8.2019), zumal außerhalb der PYD-Strukturen die politische Autonomie für die Bevölkerung eingeschränkt ist (FH 9.3.2023).Nachdem sich die Regierungstruppen 2012 aus dem Nordosten zurückgezogen und die Partei der Demokratischen Union (PYD) die Kontrolle übernommen hatte, wurde die Geschlechterfrage zu einem zentralen Thema der Politik der Partei der Demokratischen Union (PYD), und in jeder autonomen Gemeinde und auf jeder Ebene des Systems wurden Frauenverbände gegründet (Allsop, van Wilgenburg 2019). Per Gesetz werden alle Regierungseinrichtungen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet, und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, abgesehen von Einrichtungen, die nur für Frauen sind und von Frauen geleitet werden. Mit den YPJ-Einheiten (Women’s Protection Units, Y.P.J.) gibt es eigene Milizen aus Frauen (TNYT 24.2.2018), und bei der Rückeroberung Raqqas hatte ein Mitglied dieser Einheit das übergeordnete Kommando. Gesetze und Regulierungen sollen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen abschaffen. Kinderheiraten und häusliche Gewalt stehen unter Strafe (NMFA 6.2021) Anmerkung, für Beispiele in Manbij siehe TNYT 24.2.2018). Die Verwaltungscharta des Gesellschaftsvertrags räumt den Frauen das Recht auf Teilhabe an politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten ein und legt den Frauenanteil in allen Leitungsgremien, Institutionen und Ausschüssen auf 40 Prozent fest. Dies ist jedoch nur auf Bereiche beschränkt, die unter der Kontrolle der Syrian Democratic Forces (SDF) stehen, und es wird in diesem Zusammenhang betont, dass Partizipation nicht gleichbedeutend mit tatsächlicher Ermächtigung ist (AC 13.8.2019), zumal außerhalb der PYD-Strukturen die politische Autonomie für die Bevölkerung eingeschränkt ist (FH 9.3.2023).
Kurdische Frauen erleben liberalere kulturelle Normen in den kurdischen Gemeinschaften, was durch die politischen Parteien gefördert wird. Die Partizipation von Frauen an traditionell männlichen Aktivitäten ist in vielen Fällen weniger restriktiv. Allerdings ist die jeweilige Lage der Frauen großteils von ihren Familien und deren Einstellungen abhängig, sodass in religiöseren oder traditionelleren kurdischen Gemeinschaften auch mehr traditionelle gesellschaftliche Normen gelten (Allsop & van Wilgenburg 2019). Diese Aspekte gelten jedoch nur für kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, nicht für arabische Frauen in den kurdischen Gebieten oder für kurdische Frauen im Rest Syriens. Beispiele für vulnerable Frauen wären z. B. kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, die gegen die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) eingestellt sind (STDOK 8.2017).
Obwohl die Reformen definitiv Frauen zugutekommen, fühlen sich einige syrisch-kurdische Frauen Berichten zufolge mit der Ideologisierung der Frauenrechte, den impliziten Assoziationen von Befreiung mit Militarisierung und der Art der Umsetzung der Gleichberechtigung unwohl (Allsopp & van Wilgenburg 2019) (Anm.: zu der im AANES eingeführten, aber nicht staatlich anerkannten Zivilehe siehe Kapitel Religionsfreiheit.). Obwohl die Reformen definitiv Frauen zugutekommen, fühlen sich einige syrisch-kurdische Frauen Berichten zufolge mit der Ideologisierung der Frauenrechte, den impliziten Assoziationen von Befreiung mit Militarisierung und der Art der Umsetzung der Gleichberechtigung unwohl (Allsopp & van Wilgenburg 2019) Anmerkung, zu der im AANES eingeführten, aber nicht staatlich anerkannten Zivilehe siehe Kapitel Religionsfreiheit.).
Der Nordosten Syriens wird im Allgemeinen immer noch als ländliche und stammesgebundene Gesellschaft angesehen, in der die Rolle der Frauen auf die Arbeit im Haus oder innerhalb von Verwaltungseinrichtungen beschränkt ist (Atlanctic Council 12.3.2019). In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die als konservativer gelten und wo Stammesstrukturen noch stark verwurzelt sind, ist es für die kurdischen Behörden schwerer, Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen. So wurde beispielsweise in Kobanê Polygamie verboten, von der lokalen Bevölkerung in Manbij gab es jedoch Widerstand durch lokale Stammesführer, was zu einer Ausnahme für Manbij von dieser Regelung führte (TNYT 24.2.2018).
Generell wurde geschlechtsspezifische Gewalt, wie sexuelle Gewalt, häusliche und familiäre Gewalt, Kinderehen und Ehrenmorde, aus allen Teilen Syriens gemeldet, auch aus den von den SDF kontrollierten Regionen (UNPFA 28.3.2023).
1.2.2. Auszüge aus dem Themenbericht der Staatendokumentation zu den Grenzübergängen vom 25.10.2023:
Die Präsenz von Regierungskräften im Selbstverwaltungsgebiet
’Rojava’ (AANES) erhält nach dem Wissensstand von Hisham Arafat vom September 2021 eine gewisse De facto-Autonomie in Nord- und Ost-Syrien aufrecht, während das syrische Regime in einigen Gebieten und besonders entlang der Highways vertreten ist. Verhandlungen haben dann und wann zwischen den beiden Seiten stattgefunden, aber eine politische Einigung bleibt außer Reichweite (van Wilgenburg 9.10.2023).
Innerhalb der Städte Qamishli und al-Hassakah gibt es Gebiete unter Regimekontrolle. In Qamishli gibt es einen ’Sicherheitsabschnitt’ (’security square’), der unter der Kontrolle der syrischen Armee steht, während der Rest der Stadt von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (KR: Yekîneyên Parastina Gel, YPG) kontrolliert wird. In al-Hassaka ist die Regierungskontrolle auf einen sehr kleinen Abschnitt beschränkt, der weniger als einen Quadratkilometer umfasst (ACCORD 14.6.2023). In beiden Städten können die syrischen Sicherheitskräfte beim Betreten der ’Sicherheitsabschnitte’ Kontrollen durchführen. Ein Checkpoint des Regimes befindet sich auch nach der Grenze, und der Flughafen [Anm.: von Qamishli] wird von syrischen Regierungskräften kontrolliert (van Wilgenburg 2.9.2023).
Überdies gibt es syrische Armee-Positionen in den Gebieten, die an Regionen unter Kontrolle pro-türkischer Gruppen grenzen - nahe Ain Issa/Tal Tamr - sowie an der Grenze zur Türkei. Dort werden jedoch keine Personenkontrollen durchgeführt. Dazu gibt es ein Abkommen zwischen den SDF (Syrian Democratic Forces) und dem Regime vom Oktober 2019, das Russland vermittelt hat. Es sind auch Regierungstruppen an der Grenze der Provinz Manbij stationiert. Die Armee-Checkpoints sind nicht in der Lage, Personenkontrollen in den Städten durchzuführen, sie dienen vielmehr zur Abschreckung der Türkei (van Wilgenburg 2.9.2023). In Tal Rifaat ist die Situation laut van Wilgenburg eine andere als in den übrigen Gebieten. Er kann aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden gestatten es allgemein nicht, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einzieht (ACCORD 24.3.2023).
Laut einem im August 2023 von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden sich die Gebiete in und um Manbij zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF haben der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. In der Region sei die SDF zurzeit der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften. Der Syrienexperte bestätigte auf Nachfrage im September 2023, dass die syrische Regierung seines Wissens nach keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst in Manbij einberufen könne, was auch van Wilgenburg bekräftigte. Die Menschenrechtsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) gab in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD im August 2023 dagegen an, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei, was bedeute, dass junge Menschen, die einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, zur Wehrpflicht eskortiert würden (ACCORD 7.9.2023).
Fishkhabour/Semalka als einziger für Personen offener Grenzübergang zum Irak ohne direkten Regimekontakt:
Der Fluss Tigris trennt die beiden Seiten des Grenzübergangs Fishkhabour/Semalka [Anm.: verschiedene Umschriften möglich, z. B. auch Faysh Khabour, Peshkhabour]. Es gibt zwei Flussübergänge - einen für private bzw. zivile Reisebewegungen und einen für kommerzielle und humanitäre Güter. Auf der syrischen Seite kontrolliert die PYD (Partei der Demokratischen Union) den Semalka-Übergang, und laut Journalist Hisham Arafat sind zwei Organe der [Anm.: selbst ernannten] Selbstverwaltungsregion AANES (Autonomous Administration of North and East Syria) vor Ort: 1.) die Asayish (Sicherheitspolizei) in Form von Wachen (Polizei oder interne Sicherheitskräfte der AANES) und 2.) die zivile Grenzverwaltung, deren Personal für die Dokumente der Reisenden bei Ein- und Ausreise zuständig ist. Am Grenzübergang Semalka sind keine Beamten des syrischen Staates präsent (van Wilgenburg 9.10.2023).
Auf der irakischen Seite betreibt das Kurdistan Regional Government (KRG) der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter der Leitung von Direktor Shawkat Barbuhari (Berbihary) den Grenzübergang Fishkhabour. Sein Stellvertreter ist Nazim Hamid Abdullah. Hamid Darbandi ist nicht nur Leiter der Abteilung für Public Relations der Präsidentschaft der KRG, sondern auch für die Beziehungen zu Syrien, bzw. den syrischen Kurd:innen. Er spielt eine Rolle bei Genehmigungen, besonders für Ausländer:innen, welche die Grenze überqueren wollen. Einer zweiten syrisch-kurdischen Quelle zufolge werden beide Seiten des Grenzübergangs von den jeweiligen Innenministerien der kurdischen Regionalverwaltungen KRG und AANES betrieben.
So sind es auch auf der irakischen Seite Asayish der KRI (Kurdistan Region Irak) bzw. der KDP, welche in manchen Fällen Personen bei der Einreise aus Syrien oder ihrer Rückkehr befragen, insbesondere, wenn es sich um Ausländer:innen handelt, die nach Syrien reisen (van Wilgenburg 9.10.2023).
Der Grenzübergang Semalka gilt politisch, humanitär und wirtschaftlich als Lebensader der AANES. Nur hier können laut Thomas Schmidinger auch politische Delegationen, NGOs und andere humanitäre Organisationen den Norden und Osten Syriens erreichen (Al-Monitor 21.5.2023).
Semalka ist für viele Leute im Nordosten Syriens der bevorzugte Grenzübergang, weil er nicht von der syrischen Regierung anerkannt oder verwaltet wird. Der fehlende Eintrag im Reisepass ist auch für diejenigen Syrer:innen wichtig, die Angst haben, ihre Aufenthaltsgenehmigung im Ausland als Flüchtlinge zu verlieren, wenn ihre Reise nach Syrien aufscheinen würde (Al-Monitor 21.5.2023).
Einreisebedingungen nach Syrien
1.) Syrische Staatsbürger:innen, die in der KRI leben, und die nach einer illegalen Einreise einen Aufenthaltstitel für Flüchtlinge in der KRI haben, benötigen für die Einreise nach Syrien via Fishkhabour folgende Dokumente:
- Einwohner:innen der Provinz al-Hassakah und des Gebiets von Kobane:
• die KRI-Aufenthaltskarte für Flüchtlinge
• einen syrischen Personalauweis
• eine Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour (via https://peshabour.krd/outapplication/), wofür Fragen zur Familie und anderen persönlichen Informationen zu beantworten sind (van Wilgenburg 9.10.2023).
Somit ist die Genehmigung des KRI-Grenzübergangs Fishkhabur vonnöten, damit Syrer:innen in die KRI reisen dürfen, oder Syrer:innen, die in der KRI leben, nach Syrien gelangen dürfen (van Wilgenburg 9.10.2023).
- Einwohner:innen von anderen Provinzen Syriens benötigen folgende Unterlagen:
• die KRI-Aufenthaltskarte für Flüchtlinge
• einen syrischen Personalauweis
• eine Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour (via https://peshabour.krd/outapplication/)
• eine Genehmigung der AANES, welche einen Sponsor in Syrien bedingt [Anm.: zur Genehmigung - auch ’Expat-Karte’ genannt - siehe eigener Abschnitt weiter unten] (van Wilgenburg 9.10.2023).
Wenn Syrer:innen, die illegal in die KRI eingereist sind und dort eine Aufenthaltskarte für Flüchtlinge erhalten haben, wieder aus der KRI ins AANES-Gebiet reisen möchten, benötigen sie keine vorhergehende Genehmigung des Grenzübergangs Fishkhabour oder der AANES-Behörden. Sie können sich direkt zum Grenzübergang begeben und müssen dort allerdings ihre KRI-Aufenthaltskarte für Flüchtlinge und das UNHCR-Dokument für Asylsuchende vorlegen. Sollte die Aufenthaltskarte abgelaufen sein, ist eine Strafe von 20.000 Dinar zu bezahlen. UNHCR weist die Rückkehrenden außerdem darauf hin, dass mit der freiwilligen Rückkehrentscheidung ihr temporärer Schutzstatus im Irak endet. UNHCR rät in dem Zusammenhang, sich zwecks Beratung an das Derabon Return Centre nahe des Fishkhabour-Grenzübergangs zu wenden (van Wilgenburg 9.10.2023).
2.) Syrische Bürger:innen, die in der KRI leben, dafür Aufenthaltsvisa haben und legal in die KRI kamen, benötigen folgende Papiere für die Einreise via Semalka nach Nordost-Syrien:
- Syrische Einwohner:innen der Provinz al-Hassakah und des Gebiets von Kobane:
• die KRI-Visa-Aufenthaltskarte
• den syrischen Reisepass
• die Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour (viahttps://peshabour.krd/outapplication/)
Somit benötigen Syrer:innen die Genehmigung der KRI-Behörde für den Grenzübergang Fishkhabour, egal ob sie in die KRI einreisen möchten oder als Syrer:innen, die in der KRI wohnen, nach Syrien reisen möchten (van Wilgenburg 9.10.2023).
- Syrer:innen, welche in anderen Provinzen Syriens wohnen:
• die KRI-Visa-Aufenthaltskarte
• den syrischen Reisepass
• die Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour (via https://peshabour.krd/outapplication/)
• die Genehmigung der AANES, wofür ein Sponsor in Syrien nötig ist [Anm.: zur Genehmigung - auch ’Expat-Karte’ genannt - siehe eigener Abschnitt weiter unten](van Wilgenburg 9.10.2023).
Diese Kategorie von Syrer:innen mit KRI-Visa-Aufenthaltskarte, die legal durch den Flughafen in die KRI einreiste, kann die KRI nicht via Fishkhabour verlassen. Im Fall einer gerade erfolgten legalen Einreise durch den Flughafen und bei Vorliegen eines KRI-Visums, und ohne noch eine KRI-Visa-Aufenthaltskarte erhalten zu haben, ist eine Rückkehr nach Syrien via Fishkhabour möglich, indem eine Kopie des KRI-Visums beim Grenzübergang eingereicht wird. Van Wilgenburg hat selbst gesehen, dass Syrer:innen aus den Golfstaaten mit einem KRI-Visum so die Regimegebiete umgehen, und in die AANES-Region zurückkehren konnten (van Wilgenburg 9.10.2023).
Öffnungen und Schließungen des Grenzübergangs
Der Grenzübergang ist aktuell [Stand 9.10.2023] offen (van Wilgenburg 9.10.2023).
Semalka und Yaroubiya [Anm.: für Güter - siehe Unterkapitel ’Grenzübergänge’, auch Yaarubiyah] können von Schließungen betroffen sein. Semalka wird gelegentlich aus politischen Gründen von der KRG geschlossen, besonders wenn sich Spannungen zwischen der im Nordirak dominanten KDP und der PYD, welche die AANES dominiert, zuspitzen. Allerdings dauern diese Blockaden nicht lange, weil der Handel für beide Seiten sehr profitabel ist. Zwischen den beiden Autonomieverwaltungen gibt es ’diplomatische’ Beziehungen. Seit der Militäroffensive ’Claw Eagle Operations’ der Türkei im Jahr 2019 erhöht diese den Druck auf die KRG und den Irak, die Grenze zur AANES zu schließen, um diese zu isolieren (Jasim/STDOK 10.10.2023).
Laut van Wilgenburg sorgten die Spannungen zwischen der KRG und der AANES und den mit ihr verbundenen Streitkräften besonders im Zeitraum 2013 bis 2018 für Schließungen von Semalka. Seither wurden die Schließungen weniger und die letzte war im Mai 2023, als die PYD bzw. AANES KNC-Funktionär:innen nicht erlaubte, zu einer Museumseröffnung in die KRI zu reisen. Im Dezember 2021 kam es zu einer Schließung aufgrund von Spannungen zwischen der KDP und PYD nach einem Protest oder Angriff einer PKK-Jugendgruppe an der Grenze. Im Jahr 2020 war die Grenze wegen der COVID-19-Pandemie geschlossen (van Wilgenburg 9.10.2023). Im Dezember 2021 kam es zu einer Schließung, die 40 Tage andauerte. Während der Schließung im Juni 2021 zum Höhepunkt neuerlicher inner-kurdischer Spannungen war der Grenzübergang für Reisende gesperrt, aber nicht für den humanitären Bereich (Al-Monitor 21.5.2023).
Gelegentlich zeigt auch die irakische Zentralregierung ihren Unmut über die Existenz der inoffiziellen Grenzübergänge der KRG, was dann dazu führt, dass diese für einige Tage geschlossen werden, bis die Aufmerksamkeit der Regierung geschwunden ist (Jasim/STDOK 10.10.2023).
Im Fall von Schließungen ist Nordost-Syrien dann nur über das Regierungsgebiet erreichbar (Al-Monitor 21.5.2023). Die KDP hat bisher auch im Fall von Schließungen immer Nahrungsmittel und Medikamente passieren lassen (CAP 26.5.2021).
Die Selbstverwaltung AANES ist (auch) an der irakischen Grenze an den essenziellen Grenzübergängen Fishkhabour und Yaroubiya mit Gefahren konfrontiert. Das Grenzgebiet ist politisch zwischen PKK, irakischen Sicherheitskräften, schiitischen Milizen und mit Barzani verbündeten KDP-Kräften umstritten. Die Türkei hat überdies gedroht, im nahe gelegenen Sinjar zu intervenieren, was die Lage völlig verändern würde. Vor dem Hintergrund des Eigeninteresses der US-Truppen an einer offenen Grenze und der Abhängigkeit der KDP von US-Unterstützung sollten die USA jedoch in der Lage sein, das Thema Fishkhabour zu regeln (CAP 26.5.2021).
Informierung der syrischen Regierung über das Passieren des Grenzübergangs Semalka
Sowohl Hisham Arafat wie auch Bassam al-Ahmad sagten gegenüber van Wilgenburg aus, dass die syrische Regierung nicht am Grenzübergang präsent ist und keine Kontrollmöglichkeit hat (van Wilgenburg 9.10.2023). Bei einer Einreise in die AANES über den Grenzübergang Fishkhabour aus dem Irak erfährt die syrische Regierung offiziell nichts von der Einreise nach Syrien. Daran bestehen jedoch laut Balanche Zweifel, da eine informelle Vereinbarung zwischen der AANES und der syrischen Regierung zu bestehen scheint. Die syrische Regierung weiß seines Erachtens, wer über Fishkhabour nach Syrien einreist (ACCORD 14.6.2023). Laut dem kurdischen Journalist Hisham Arafat gibt es nur Gerüchte über einen Informationsaustausch zwischen AANES und der syrischen Regierung (van Wilgenburg 9.10.2023). Es könnte laut Balanche jedoch auch sein, dass sich Spitzel der syrischen Regierung in der Region befinden, da die syrische Regierung genau überwache, wer über Fishkhabour nach Syrien einreise (ACCORD 14.6.2023).
1.2.3. Ergänzende Informationen aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 06.05.2022 (a-11859-1, Einreise Nordostsyrien)
Ein Syrienexperte, der im Auftrag von ACCORD mit lokalen Quellen vor Ort, inklusive Beamten der Provinz Al-Hasaka und der Autonomen Region Kurdistan Irak, sowie Fahrern, die am Grenzübergang Semalka - Faysh Khabur arbeiten, gesprochen hat, gibt an, dass es nur Syrer·innen, die aus Gebieten unter Kontrolle der SDF/YPG stammen, gestattet sei, von außerhalb in die Region Nordostsyrien einzureisen. Dies bedeute, dass eine Person innerhalb der von den SDF kontrollierten Gebiete registriert sein müsse, um von außerhalb einreisen zu können. Selbst wenn eine Person zum Beispiel 50 Jahre in Al-Hasaka gelebt habe, jedoch ihr Personenstandsregister in Deir Ezzor registriert sei, gelte die Person nicht als aus Al-Hasaka stammend (Syrienexperte, 25. April 2022).
ANHA (Hawar News Agency)