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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung der VerbotsG-Nov 1992 in ihrer Gesamtheit mangels zureichender Darlegung der unmittelbaren rechtlichen Betroffenheit. Auch einer Anfechtung lediglich des §3h VerbotsG (= Z4 der VerbotsG-Nov 1992) wäre infolge Anhängigkeit eines Strafverfahrens gegen den Erstantragsteller kein Erfolg beschieden gewesen. Keine Betroffenheit der Zweitantragstellerin. Zurückweisung der Beschwerde gegen die über den Erstbeschwerdeführer gemäß §9 FremdenpolizeiG durch Beschluß des Bundesministeriums für Inneres verhängte Einreisesperre wegen Verspätung. Erst in dem - in Entsprechung des Mängelbehebungsauftrages zu G203/92 - eingebrachten Schriftsatz wurde erstmals begehrt, den in Rede stehenden Beschluß aufzuheben. Zu diesem Zeitpunkt war die sechswöchige Beschwerdefrist aber bereits abgelaufen.Spruch
Begründung
Begründung:
I. a) Die Einschreiter brachten zunächst einen mit 1. Oktober 1992 datierten, von ihnen selbst verfaßten Schriftsatz ein. Sie erklären, "hiermit im Sinne eines Individualantrages gestützt auf Art140 (Abs1 letzter Satz) B-VG ... Verfassungsbeschwerde gegen §3 h VerbG" zu erheben. Der Schriftsatz enthält folgendes "Rechtsbegehren":
"1) Es sei die Verfassungswidrigkeit der vom österreichischen Nationalrat am 26.2.1992 und vom Bundesrat am 5.3.1992 verabschiedeten NS-Verbots-Gesetzesnovelle festzustellen.
2) Es sei der Beschwerde eine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3) Es seien die o/e Kosten des Verfahrens dem österreichischen Staat zu überbinden und die Einsprecher für ihre Umtriebe entsprechend zu entschädigen.
4) Es seien überdies sämtliche mit §3 h verbundenen Rechtssprechungsakte wie -verfahren zu annullieren bzw. einzustellen und den hierdurch Geschädigten volle Genugtuung im Sinne von Art23 B-VG zuzugestehen.
5) Es sei bei dieser Gelegenheit gleichzeitig zu überprüfen, ob nicht der ganze §3 bzw. das 'Verbotsgesetz' als solches der übrigen Verfassung widerspricht bzw. die übernommenen 'deklarierten Menschenrechte' verletzt."
Der Schriftsatz wurde nicht unmittelbar von den Einschreitern, sondern von einem Grazer Rechtsanwalt dem Verfassungsgerichtshof übermittelt und langte bei diesem am 21. Oktober 1992 ein. Angeschlossen waren (neben einer Reihe diverser Beilagen) eine vom betreffenden Rechtsanwalt unterfertigte Rubrik. Diese trägt die Bezeichnung:
"Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der vom Österr. Nationalrat am 26.2.1992 und vom Bundesrat am 5.3.1992 verabschiedeten NS-Verbots-Gesetzesnovelle, verbunden mit Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe."
b) In der Folge wurde der Rechtsanwalt vom Verfassungsgerichtshof darauf hingewiesen, daß gemäß §17 Abs2 VerfGG Anträge nach §62 VerfGG (Art140 B-VG) grundsätzlich durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt einzubringen sind. Diesem Erfordernis sei nicht entsprochen, wenn sich der Rechtsanwalt darauf beschränkt, einem von den Parteien selbst verfaßten Schriftsatz eine Rubrik beizulegen. Vielmehr sei es Aufgabe des Anwaltes, die betreffende Eingabe erforderlichenfalls auch selbst zu formulieren, um deren geschäftsordnungsmäßige Behandlung zu ermöglichen und zu sichern, daß die Eingabe dem VerfGG entspricht.
Der Rechtsanwalt wurde deshalb gemäß §18 VerfGG aufgefordert, in der gegenständlichen Rechtssache eine diesen Zielen entsprechende Eingabe vorzulegen. Weiters wurde er aufgefordert, eine Vollmacht vorzulegen, aus der zweifelsfrei hervorgeht, daß er zur Vertretung der beiden Einschreiter in dieser Rechtssache ermächtigt ist.
c) In Entsprechung dieses Mängelbehebungsauftrages legte der Rechtsanwalt namens der beiden Einschreiter einen neuen Schriftsatz sowie eine von ihnen erteilte Vollmacht vor. Der mit 16. Dezember 1992 datierte (und am 21. Dezember 1992 beim Verfassungsgerichtshof eingelangte) Schriftsatz trägt dieselbe Bezeichnung wie die seinerzeit vorgelegte Rubrik (s.o. Pkt. a) und enthält im einzelnen folgende Anträge:
"... der Verfassungsgerichtshof in Wien möge
a) die vom österreichischen Nationalrat am 26.2.1992 und vom Bundesrat vom 5.3.1992 verabschiedete und durch den Bundespräsidenten beurkundete NS-Verbots-Gesetzesnovelle 1992 wegen als verfassungswidrig aufheben
b) das Verbotsgesetz einschließlich sämtlicher ergangener Gesetzes- oder Verfassungsbestimmungen als verfassungswidrig aufheben,
c) die über den Erstbeschwerdeführer gem. §9 Fremdenpolizeigesetz durch Beschluß des Bundesministerium für Inneres verhängte Einreisesperre, dem Beschwerdeführer kundgetan am 15.9.1992, aufheben
d) den Antragstellern Verfahrenshilfe im vollen Umfange gewähren,
e) die Republik Österreich zum Kostenersatz verfällen, wobei im Sinne des §27 VFGG Kostenzuspruch für alle regelmäßig anfallenden Kosten zuzüglich Umsatzsteuer begehrt wird,
f) dieser Bescherde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, welcher Antrag durch den Vertreter der Beschwerdeführer, jedoch insoferne bedingt gestellt wird, als die über den Erstbeschwerdeführer verhängte Einreisesperre auch zu seinem Schutze zur Hintanhaltung einer politischen Verfolgung in Österreich und einer möglicherweise damit verbundenen Inhaftierung verstanden werden kann."
Weiters wird in der Einleitung des Schriftsatzes darauf hingewiesen, daß der Rechtsanwalt den Inhalt der von den Einschreitern selbst verfaßten Eingabe vom 1. Oktober 1992 (s.o. Pkt. a) "mit nachfolgenden Erweiterungen auch zu seinen Ausführungen erhebt".
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Eingabe erwogen:
1.a) Zum einen bezwecken die Einschreiter offenkundig die Erhebung eines Individualantrages gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG.
Bei der von ihnen beanstandeten Rechtsvorschrift handelt es sich um das Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Verbotsgesetz geändert wird (Verbotsgesetz-Novelle 1992), BGBl. 148, (im folgenden kurz: VerbotsG-Nov. 1992).
b) Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 10353/1985).
c) Der Antrag der Einschreiter vom 16. Dezember 1992 versucht - mit näherer Begründung - darzulegen, daß die VerbotsG-Nov. 1992 nicht in verfassungskonformer Weise beschlossen worden sei und durch sie eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirkt werde.
Bekämpft wird mit dem eben genannten Antrag - und nur dieser, nicht etwa (auch) der selbst verfaßte Schriftsatz der Einschreiter vom 1. Oktober 1992, ist hinsichtlich der Frage des Anfechtungsumfanges des Individualantrages maßgebend - die VerbotsG-Nov. 1992 in ihrer Gesamtheit (s. oben, Pkt. I.c, wo die Antragsbegehren wörtlich wiedergegeben werden). Diese Gesetzesnovelle besteht aus sechs Ziffern: Die Ziffern 1 bis 3 und 5 enthalten Regelungen, durch die bereits bestehende Bestimmungen des VerbotsG abgeändert werden; mit Ziffer 4 wird ein neuer §3 h und mit Ziffer 6 ein neuer §3 j in das VerbotsG aufgenommen.
d) Aus dem Antrag vom 16. Dezember 1992 geht nicht hervor, worin die unmittelbare rechtliche Betroffenheit der Einschreiter durch die angefochtene Gesetzesnovelle in ihrer Gesamtheit besteht.
Der Individualantrag (G203/92) war somit schon allein aus diesem Grund zurückzuweisen.
e) Die Einschreiter werden darauf aufmerksam gemacht, daß auch einer Anfechtung lediglich des §3 h VerbotsG (also der Z4 der VerbotsG-Nov. 1992) - eine solche Anfechtung war von den Einschreitern mit ihrem selbst verfaßten Schriftsatz vom 1. Oktober 1992 angestrebt worden - auf der Grundlage der in ihren bisherigen Eingaben vorgebrachten Argumente kein Erfolg beschieden gewesen wäre:
Sie verweisen auf eine angeblich über den Ersteinschreiter "gemäß Beschluß des Bundesministerium für Inneres nach §9 Fremdenpolizeigesetz zufolge Flugblattverteilens verhängte Einreisesperre, mündlich kundgetan am 15.9.1992" sowie auf eine gleichfalls gegen den Ersteinschreiter mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 28. August 1992 eingeleitete Voruntersuchung wegen Verdachtes der Begehung des Verbrechens nach §3 h VerbotsG. Sie schließen daraus, daß "zweifelsfrei der erforderliche unmittelbare Eingriff in die Rechtssphäre" gegeben sei.
Diese Auffassung trifft nicht zu:
aa) Einerseits beziehen sich die beiden genannten Maßnahmen lediglich auf den Erstantragsteller; die Zweitantragstellerin ist von ihnen nicht betroffen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß durch die "Einreise- bzw. Aufenthaltssperre" die "private Lebensgemeinschaft wie auch die berufliche Zusammenarbeit beider empfindlichst gestört" worden sein soll.
bb) Dem Erstantragsteller ist entgegenzuhalten, daß ein unmittelbarer Eingriff des §3 h VerbotsG nach seinen Ausführungen gerade eben nicht vorliegt. Es steht ihm nämlich ein anderer zumutbarer Weg als die Erhebung eines Individualantrages offen, um die durch die behauptete Verfassungswidrigkeit angeblich bewirkte Rechtsverletzung abzuwehren:
Aufgrund der vom Landesgericht Salzburg am 28. August 1992 beschlossenen Einleitung einer Voruntersuchung war zum Zeitpunkt der Einbringung des Individualantrages ein strafgerichtliches Verfahren gegen den Erstantragsteller anhängig. Im Zuge dieses Verfahrens besteht für den Antragsteller Gelegenheit, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die betreffende Gesetzesstelle vorzutragen und bei dem in dieser Strafsache in zweiter Instanz zuständigen Gerichtshof die Stellung eines Antrages auf Gesetzesprüfung nach Art140 B-VG anzuregen. Gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG wäre dieses (Rechtsmittel-)Gericht, sofern es - gleich dem Einschreiter - Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des anzuwendenden Gesetzes hegen sollte, zur entsprechenden Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet (s. zB VfSlg. 8890/1980, 10251/1984, 11344/1987; VfGH 30.9.1991, G111/90; zur vergleichbaren Situation in Zusammenhang mit Verwaltungsstrafverfahren s. zB VfSlg. 11481/1987, 11726/1988, S 584 f.). An der Zumutbarkeit dieser Vorgangsweise ändert nichts, daß der Betroffene seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein Gesetz im Gerichtsverfahren erst in zweiter Instanz vortragen kann (s. VfSlg. 8312/1978; VfGH 30.9.1991, G111/90).
2.a) Im Schriftsatz vom 16. Dezember 1992 wird weiters beantragt, "die über den Erstbeschwerdeführer gem. §9 Fremdenpolizeigesetz durch Beschluß des Bundesministerium für Inneres verhängte Einreisesperre, dem Beschwerdeführer kundgetan am 15.9.1992" aufzuheben.
b) Dieses Vorbringen ist offenkundig als Erhebung einer Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG zu verstehen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem im Schriftsatz angeführten Verwaltungshandeln überhaupt um einen Bescheid - und damit um einen (grundsätzlich) tauglichen Beschwerdegegenstand nach Art144 B-VG - handelt (vgl. die Entscheidung des VwGH 12.11.1992, Zl. 92/18/0432, mit der die Bescheidqualität verneint wurde). Die Beschwerde gegen den erwähnten "Beschluß" vom 15. September 1992 ist nämlich verspätet:
Gemäß §82 Abs1 VerfGG kann eine Beschwerde nach Art144 B-VG nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen (nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides) erhoben werden.
Mit dem von den Einschreitern zunächst eingebrachten, selbst verfaßten Schriftsatz vom 1. Oktober 1992 war nach dessen Wortlaut ausschließlich die Erhebung eines Individualantrages iS des Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG beabsichtigt. Der "Beschluß des Bundesministeriums für Inneres" vom 15. September 1992 wurde hingegen nicht angefochten (vgl. die Bezeichnung des Schriftsatzes und den Wortlaut des in ihm enthaltenen "Rechtsbegehrens" (s. oben Pkt. I.a)). Dementsprechend hat sich auch der vom Verfassungsgerichtshof erteilte Mängelbehebungsauftrag (s. oben Pkt. I.b) unmißverständlich nur auf die (verbesserte) Einbringung eines Individualantrages iS des Art140 B-VG (§62 VerfGG) bezogen. Erst in dem - in Entsprechung des Mängelbehebungsauftrages - eingebrachten Schriftsatz vom 16. Dezember 1992 (s. oben Pkt. I.c) wurde erstmals begehrt, den in Rede stehenden "Beschluß des Bundesministeriums für Inneres" vom 15. September 1992 aufzuheben. Zu diesem Zeitpunkt war die sechswöchige Beschwerdefrist bereits abgelaufen.
c) Die (zu B59/93) erhobene Beschwerde war daher wegen Verspätung zurückzuweisen, ohne daß das etwaige Fehlen weiterer Prozeßvoraussetzungen untersucht zu werden brauchte.
3. Da sich die von den Einschreitern beabsichtigte Rechtsverfolgung somit mangels zureichender Darlegung der unmittelbaren rechtlichen Betroffenheit (hinsichtlich des Individualantrages zu G203/92; s.o. Pkt. 1) und aufgrund der Versäumung einer gesetzlichen Frist (hinsichtlich der Beschwerde zu B59/93; s.o. Pkt. 2) als offenbar aussichtslos erweist, war der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe als unbegründet abzuweisen (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VerfGG).
4. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf den Antrag, "dieser Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen", sowie auf die mit 30. Dezember 1992 datierte, von den Einschreitern selbst verfaßte "ergänzende Nachreichung" einzugehen.
5. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 VerfGG sowie §19 Abs3 Z2 litb und e VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Fristen, Fremdenpolizei, EinreisesperreEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:G203.1992Dokumentnummer
JFT_10069683_92G00203_00