Entscheidungsdatum
11.07.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W604 2289681-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert PLESCHBERGER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 04.07.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert PLESCHBERGER über die Beschwerde des römisch 40 , geboren am römisch 40 , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 04.07.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 28 Abs. 2 VwGVG und 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraphen 28, Absatz 2, VwGVG und 3 Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 08.08.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 11.08.2023 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes seine niederschriftliche Erstbefragung statt, in welcher er sich antragsbegründend auf den Krieg in Syrien und den abzuleistenden Militärdienst berief. Die Provinz Idlib stehe unter ständigem Beschuss und sei es dort zu gefährlich, er fürchte den Einzug in das Militär.
2. Aus Anlass des Antrages auf internationalen Schutz erfolgte am 17.01.2024 die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Der Beschwerdeführer hielt sein Fluchtvorbringen hinsichtlich des Krieges und seiner Militärdienstpflicht aufrecht, er wolle nicht kämpfen und in Sicherheit leben.
3. Mit Bescheid vom 01.03.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I), erkannte den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II) und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine mit einem Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III). Die mit Spruchpunkt I erfolgte Abweisung der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr aus Gründen der GFK nicht glaubhaft machen habe können. Der Wehrdienst im Herkunftsland oder Maßnahmen zu dessen Durchsetzung könnten nicht als Fluchtgrund festgestellt werden, von gesetzlich verankerten Befreiungsmöglichkeiten habe der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht und lägen keine Gründe für eine Unterstellung eines oppositionellen und/oder regierungsfeindlichen Verhaltens vor.3. Mit Bescheid vom 01.03.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins), erkannte den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 zu (Spruchpunkt römisch II) und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine mit einem Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch III). Die mit Spruchpunkt römisch eins erfolgte Abweisung der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr aus Gründen der GFK nicht glaubhaft machen habe können. Der Wehrdienst im Herkunftsland oder Maßnahmen zu dessen Durchsetzung könnten nicht als Fluchtgrund festgestellt werden, von gesetzlich verankerten Befreiungsmöglichkeiten habe der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht und lägen keine Gründe für eine Unterstellung eines oppositionellen und/oder regierungsfeindlichen Verhaltens vor.
4. Gegen die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten in Spruchpunkt I richtet sich die vorliegende und mit Einlangen bei der belangten Behörde am 02.04.2024 erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers. Das Begehren auf Beschwerdestattgebung stützt sich unter gleichzeitiger Darlegung der allgemeinen Länderberichtslage auf inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafte Beweiswürdigung sowie eine relevante Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer habe Idlib verbotswidrig verlassen und gelte für die HTS daher als Verräter, in Aleppo drohe der Einzug in das syrische Militär und wolle er keinesfalls im Bürgerkrieg kämpfen, „Waffen tragen“ und „unschuldige Menschen“ töten. Die Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg bedeute eine erhebliche Gefahr für sein Leben, im Verweigerungsfall würde er sich als oppositionell bekennen und drohe Inhaftierung, unmenschliche Bestrafung oder Tötung. Der Aufgriff an einem Checkpoint sei nur eine Frage der Zeit, „immer wieder“ würden Menschen an Checkpoints getötet. Aufgrund der Antragstellung auf internationalen Schutz in einem europäischen Land sowie der illegalen Ausreise werde ihm eine feindliche politische Gesinnung unterstellt und drohe aus diesem Grund asylrelevante Verfolgung, zudem stamme er aus einem Rebellengebiet. Eine Einreise sei legal einzig über den Luftweg unter Kontakt zum syrischen Regime möglich, der Beschwerdeführer habe berechtigte Furcht vor Verfolgung aufgrund der unterstellten oder tatsächlichen oppositionellen Gesinnung und/oder vor Verfolgung durch HTS. Die belangte Behörde habe ungenügend ermittelt und sich überhaupt mit Länderberichten unzureichend auseinandergesetzt, der Beschwerdeführer erfülle UNHCR-Risikoprofile als Wehrdienstentzieher sowie als tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner der syrischen Regierung und von HTS.4. Gegen die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten in Spruchpunkt römisch eins richtet sich die vorliegende und mit Einlangen bei der belangten Behörde am 02.04.2024 erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers. Das Begehren auf Beschwerdestattgebung stützt sich unter gleichzeitiger Darlegung der allgemeinen Länderberichtslage auf inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafte Beweiswürdigung sowie eine relevante Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer habe Idlib verbotswidrig verlassen und gelte für die HTS daher als Verräter, in Aleppo drohe der Einzug in das syrische Militär und wolle er keinesfalls im Bürgerkrieg kämpfen, „Waffen tragen“ und „unschuldige Menschen“ töten. Die Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg bedeute eine erhebliche Gefahr für sein Leben, im Verweigerungsfall würde er sich als oppositionell bekennen und drohe Inhaftierung, unmenschliche Bestrafung oder Tötung. Der Aufgriff an einem Checkpoint sei nur eine Frage der Zeit, „immer wieder“ würden Menschen an Checkpoints getötet. Aufgrund der Antragstellung auf internationalen Schutz in einem europäischen Land sowie der illegalen Ausreise werde ihm eine feindliche politische Gesinnung unterstellt und drohe aus diesem Grund asylrelevante Verfolgung, zudem stamme er aus einem Rebellengebiet. Eine Einreise sei legal einzig über den Luftweg unter Kontakt zum syrischen Regime möglich, der Beschwerdeführer habe berechtigte Furcht vor Verfolgung aufgrund der unterstellten oder tatsächlichen oppositionellen Gesinnung und/oder vor Verfolgung durch HTS. Die belangte Behörde habe ungenügend ermittelt und sich überhaupt mit Länderberichten unzureichend auseinandergesetzt, der Beschwerdeführer erfülle UNHCR-Risikoprofile als Wehrdienstentzieher sowie als tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner der syrischen Regierung und von HTS.
5. Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt zugehörigem Verwaltungsakt mit Einlangen im Bundesverwaltungsgericht am 05.04.2024 vor.
6. Mit Schriftsatz vom 26.04.2024 präzisierte der Beschwerdeführer den Wohnsitzwechsel zu seinen Eltern nach Aleppo Stadt im Jahr 2017, er habe dort die Schule besucht und maturiert.
7. Mit weiterer Eingabe ebenfalls vom 26.04.2024 brachte der Beschwerdeführer konkretisierende Informationen über seine Herkunft in das Verfahren ein.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.07.2024 unter Anwesenheit sowohl der rechtlichen Vertretung des Beschwerdeführers als auch eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, von Seiten der belangten Behörde wurde von einer Teilnahme Abstand genommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer, XXXX , geboren am XXXX , ist syrischer Staatsbürger sunnitisch islamischen Glaubens, arabischer Muttersprache und Volksgruppenzugehörigkeit. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder, seine Eltern, zwei seiner drei Brüder sowie vier Schwestern leben in Syrien, der verbleibende Bruder in der Türkei. Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht erwerbstätig, hat Unterstützungsleistungen der Stadt Wien und der Karitas beantragt und EUR 250,00 an monatlichen Wohnkosten aufzuwenden. Er hat keine physischen oder psychischen Beschwerden, strafrechtliche Verurteilungen liegen gegen ihn in Österreich nicht vor.1.1.1. Der Beschwerdeführer, römisch 40 , geboren am römisch 40 , ist syrischer Staatsbürger sunnitisch islamischen Glaubens, arabischer Muttersprache und Volksgruppenzugehörigkeit. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder, seine Eltern, zwei seiner drei Brüder sowie vier Schwestern leben in Syrien, der verbleibende Bruder in der Türkei. Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht erwerbstätig, hat Unterstützungsleistungen der Stadt Wien und der Karitas beantragt und EUR 250,00 an monatlichen Wohnkosten aufzuwenden. Er hat keine physischen oder psychischen Beschwerden, strafrechtliche Verurteilungen liegen gegen ihn in Österreich nicht vor.
1.1.2. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Gouvernement Idlib, wo er in einem Dorf namens XXXX geboren und dort zunächst bei seinen Eltern, Geschwistern und Großeltern im eigenen Haus der Familie aufgewachsen ist. Er besuchte dort über neun Jahre die Schule und blieb hierfür auch zur Unterstützung bei seinen alternden Großeltern, als seine übrige Familie in den Jahren 2014/2015 in die Stadt Aleppo übersiedelte. Im Jahr 2019 folgte der Beschwerdeführer seinen Eltern und Geschwistern schließlich in besagte Stadt, um dort seine abschließende staatlich anerkannte Prüfung zu absolvieren. In weiterer Folge arbeitete er bis zu seiner Ausreise aus Syrien in Aleppo als Schneider, da sein Vater aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht für den Unterhalt der Familie aufkommen konnte. Die Familie bewohnte in der Stadt Aleppo eine Mietwohnung, der Beschwerdeführer hat im Zuge seiner Berufsausübung auch Freunde in Aleppo gewonnen. Die in XXXX verbliebenen Großeltern sind mittlerweile verstorben, nach wie vor leben seine Eltern und die in Syrien aufhältigen Geschwister in Aleppo Stadt.1.1.2. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Gouvernement Idlib, wo er in einem Dorf namens römisch 40 geboren und dort zunächst bei seinen Eltern, Geschwistern und Großeltern im eigenen Haus der Familie aufgewachsen ist. Er besuchte dort über neun Jahre die Schule und blieb hierfür auch zur Unterstützung bei seinen alternden Großeltern, als seine übrige Familie in den Jahren 2014/2015 in die Stadt Aleppo übersiedelte. Im Jahr 2019 folgte der Beschwerdeführer seinen Eltern und Geschwistern schließlich in besagte Stadt, um dort seine abschließende staatlich anerkannte Prüfung zu absolvieren. In weiterer Folge arbeitete er bis zu seiner Ausreise aus Syrien in Aleppo als Schneider, da sein Vater aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht für den Unterhalt der Familie aufkommen konnte. Die Familie bewohnte in der Stadt Aleppo eine Mietwohnung, der Beschwerdeführer hat im Zuge seiner Berufsausübung auch Freunde in Aleppo gewonnen. Die in römisch 40 verbliebenen Großeltern sind mittlerweile verstorben, nach wie vor leben seine Eltern und die in Syrien aufhältigen Geschwister in Aleppo Stadt.
1.1.3. Zu Beginn des Jahres 2022 verließ der Beschwerdeführer den Staat Syrien aufgrund des drohenden Wehrdienstes und der allgemein schlechten Sicherheits- und Wirtschaftslage illegal in die Türkei. Nach einer Aufenthaltsdauer von etwa einem Jahr, während deren er sich als Träger von Gemüse und Obst betätigte, brach er von dort aus am 20.07.2023 schließlich in Richtung Europa auf, um am 08.08.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich zu stellen. Für die Reise nach Europa sind dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von mindestens EUR 6.500 aufgelaufen, die Mittel hat er aus eigenen Ersparnissen und über leihweise Unterstützung durch Freunde aufgebracht.
1.1.4. Der Beschwerdeführer lebt in Österreich als subsidiär Schutzberechtigter.
1.2. Zu den weiteren Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Ort XXXX steht wie auch die angrenzenden Gebiete in unmittelbarer Umgebung unter oppositioneller Kontrolle durch HTS, in der Stadt Aleppo wird die Kontrolle durch das syrische Regime ausgeübt.1.2.1. Der Ort römisch 40 steht wie auch die angrenzenden Gebiete in unmittelbarer Umgebung unter oppositioneller Kontrolle durch HTS, in der Stadt Aleppo wird die Kontrolle durch das syrische Regime ausgeübt.
1.2.2. Der Beschwerdeführer hat seinen Grundwehrdienst in Syrien nicht abgeleistet. Er hat vor seiner Ausreise aus Syrien keine Einberufung zur Ableistung des Wehrdienstes in der syrischen Armee erhalten und besitzt auch kein Militärbuch der syrischen Armee. Er hat keinen Aufschub der Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes veranlasst, eine Befreiung von der Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes in der syrischen Armee liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer lehnt die Ableistung des Wehrdienstes in der syrischen Armee aufgrund des Krieges und der damit einhergehenden Gefahren und Handlungen ab. Er hat keine eigene, gegen das syrische Regime gerichtete politische Überzeugung.
1.3. Zur Situation im Herkunftsland Syrien:
1.3.1. Allgemeine Situation und politische Lage (zuletzt aktualisiert am 08.03.2024):
1.3.1.1. Allgemeines:
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Als die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen.
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden. Das Assad-Regime kontrolliert rund 70% des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen. Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten. Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen.
Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen. Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung. Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen.
Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt. In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar.
1.3.1.2. Das Gebiet unter Kontrolle von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS):
In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte Hochburg der Opposition in Syrien. Das Gebiet wird von dem ehemaligen al-Qaida-Ableger Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [Anm.: übersetzt soviel wie: Komitee zur Befreiung der Levante] beherrscht, der nach Ansicht von Analysten einen Wandel durchläuft, um seine Herrschaft in der Provinz zu festigen. Das Gebiet beherbergt aber auch andere etablierte Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden. HTS hat die stillschweigende Unterstützung der Türkei, die die Gruppe als Quelle der Stabilität in der Provinz und als mäßigenden Einfluss auf die radikaleren, transnationalen dschihadistischen Gruppen in der Region betrachtet. Durch eine Kombination aus militärischen Konfrontationen, Razzien und Festnahmen hat die HTS alle ihre früheren Rivalen wie Hurras ad-Din und Ahrar ash-Scham effektiv neutralisiert. Durch diese Machtkonsolidierung unterscheidet sich das heutige Idlib deutlich von der Situation vor fünf Jahren, als dort eine große Anzahl an dschihadistischen Gruppen um die Macht konkurrierte. HTS hat derzeit keine nennenswerten Rivalen. Die Gruppe hat Institutionen aufgebaut und andere Gruppen davon abgehalten, Angriffe im Nordwesten zu verüben. Diese Tendenz hat sich nach Ansicht von Experten seit dem verheerenden Erdbeben vom 6.2.2023, das Syrien und die Türkei erschütterte, noch beschleunigt. HTS hat neben der militärischen Kontrolle über den Großteil des verbleibenden Oppositionsgebiets in Idlib auch lokale Verwaltungsstrukturen unter dem Namen "Errettungs-Regierung" [auch Heilsregierung, ?uk?mat al-?inq?? as-s?r?yah/Syrian Salvation Government, SSG] aufgebaut.
Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten, ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition geworden. Zehntausende radikal-militanter Kämpfer, insb. der HTS, sind in Idlib präsent. Unter diesen befinden sich auch zahlreiche Foreign Fighters (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken). Auch al-Qaida und der Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten. Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren und sich nun anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front [Jabhat al-Nusra], heute als HTS bekannt, angeschlossen haben. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie. Laut einem Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Februar 2023 sind neben HTS und Hurras ad-Din unter anderem auch die zentralasiatischen Gruppierungen Khatiba at-Tawhid wal-Jihad (KTJ) - im März 2022 in Liwa Abu Ubayda umbenannt - und das Eastern Turkistan Islamic Movement (ETIM) - auch bekannt als Turkistan Islamic Party (TIP) - in Nordwestsyrien präsent.
Im Jahr 2012 stufte Washington Jabhat an-Nusra [Anm.: nach Umorganisationen und Umbenennungen nun HTS] als Terrororganisation ein. Auch die Vereinten Nationen führen die HTS als terroristische Vereinigung. Die Organisation versuchte, dieser Einstufung zu entgehen, indem sie 2016 ihre Loslösung von al-Qaida ankündigte und ihren Namen mehrmals änderte, aber ihre Bemühungen waren nicht erfolgreich und die US-Regierung führt sie weiterhin als "terroristische Vereinigung". HTS geht gegen den IS und al-Qaida vor und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Dschihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für die Einwohner von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. Die HTS versucht so, dem Verdacht entgegenzutreten, dass sie das Verstecken von IS-Führern in ihren Gebieten unterstützt, und signalisiert so ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft bei der Terrorismusbekämpfung. Im Mai 2023 startete die HTS in den Provinzen Idlib und Aleppo beispielsweise eine Verhaftungskampagne gegen Hizb ut-Tahrir (HuT) als Teil der langfristigen Strategie, andere islamistische Gruppen in den von ihr kontrollierten Gebieten zu unterwerfen und die Streichung der HTS von internationalen Terroristenlisten zu erwirken. Das Vorgehen gegen radikalere, konkurrierende Gruppierungen und die Versuche der Führung, der HTS ein gemäßigteres Image zu verpassen, führten allerdings zu Spaltungstendenzen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen (AM 22.12.2021).
1.3.2. Zur allgemeinen Sicherheitslage in Syrien (zuletzt aktualisiert am 08.03.2024):
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen. Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden. Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60% des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens.
Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen. Für keinen Landesteil Syriens kann insofern von einer nachhaltigen Beruhigung der militärischen Lage ausgegangen werden. Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) der VN stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika sowie nichtstaatliche bewaffnete Gruppen und von den VN benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind. Im Mai 2023 begannen zusätzlich dazu die jordanischen Streitkräfte, Luftangriffe gegen die Drogenschmuggler zu fliegen. Die USA sind mit mindestens 900 Militärpersonen in Syrien, um Anti-Terror-Operationen durchzuführen. Seit Ausbruch des Krieges zwischen der Hamas und Israel begannen die USA, mehrere Luftangriffe gegen iranische Milizen in Syrien und dem Irak zu fliegen. Anfang Februar 2024 eskalierten die Spannungen zwischen dem Iran und den USA, nachdem iranische Milizen in Jordanien eine militärische Stellung der USA mit einer Drohne angriffen und dabei mehrere US-amerikanische Soldaten töteten und verletzten. Die USA reagierten mit erhöhten und verstärkten Luftangriffen auf Stellungen der iranischen Milizen in Syrien und dem Irak. In Syrien trafen sie Ziele in den Räumen Deir ez-Zor, Al-Bukamal sowie Al-Mayadeen. Die syrische Armee gab an, dass bei den Luftangriffen auch Zivilisten sowie reguläre Soldaten getötet wurden. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 intensivierte Israel die Luftangriffe gegen iranische und syrische Militärstellungen. Infolge der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 wurde israelisch kontrolliertes Gebiet auch von Syrien aus mindestens dreimal mit Raketen beschossen.
Die syrische Regierung hat derzeit die Kontrolle über ca. zwei Drittel des Landes, inklusive größerer Städte, wie Aleppo und Homs. Unter ihrer Kontrolle sind derzeit die Provinzen Suweida, Daraa, Quneitra, Homs sowie ein Großteil der Provinzen Hama, Tartus, Lattakia und Damaskus. Auch in den Provinzen Aleppo, Raqqa und Deir ez-Zor übt die syrische Regierung über weite Teile die Kontrolle aus. Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Die Opposition konnte eingeschränkt die Kontrolle über Idlib und entlang der irakisch-syrischen Grenze behalten. Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind im Land in den bewaffneten Konflikt involviert. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“. Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden.
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen:
Sicherheitslage in Nordsyrien und Kooperation der kurdischen Autonomie mit dem syrischen Regime (zuletzt aktualisiert am 08.03.2024):
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichteten. Laut der Vereinbarung übernahmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein. Seitdem verblieben die Machtverhältnisse [mit Stand April 2023] weitgehend unverändert. Die syrischen Regierungstruppen üben im Gebiet punktuell Macht aus, etwa mit Übergängen zwischen einzelnen Stadtvierteln (z. B. Stadt Qamischli im Gouvernement Al-Hassakah). Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-?Ayn ein, die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist.
Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u. a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil. Erdo?an hat wiederholt angekündigt, einen 30 Kilometer breiten Streifen an der syrischen Grenze vollständig einzunehmen, um eine sogenannte Sicherheitszone auf der syrischen Seite der Grenze zu errichten, unter anderem, um dort syrische Flüchtlinge und Vertriebene, sowohl sunnitische Araber als auch Turkmenen, anzusiedeln. Dieser Prozess ist in Afrîn, al-Bab und Ra's al-'Ayn bereits im Gange. Zuletzt konzentrierte die türkische Regierung ihre Drohungen auf die Region um Kobanê und Manbij - also die westlichen Selbstverwaltungsgebiete. Damit kann eine Verbindung zwischen dem Gebiet al-Bab-Jarablus und dem Gebiet Tel Abyad-Ra's al-'Ayn hergestellt werden, außerdem ist Kobanê ein Symbol des kurdischen Widerstands gegen den IS.
1.3.3. Allgemeine Menschenrechtslage (zuletzt geändert am 12.03.2024):
Von allen Akteuren agiert das Regime am meisten mit gewaltsamer Repression und die PYD am wenigsten - autoritär sind alle Machthaber nach Einschätzung der Bertelsmann-Stiftung. Die im August 2011 vom UN-Menschenrechtsrat eingerichtete internationale unabhängige Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien (Commission of Inquiry, CoI) benennt in ihrem am 13.9.2023 veröffentlichten Bericht (Berichtszeitraum Januar bis Juni 2023) zum wiederholten Male teils schwerste Menschenrechtsverletzungen, identifiziert Trends und belegt diese durch die Dokumentation von Einzelfällen. Nach Einschätzung der CoI dürfte es im Berichtszeitraum in Syrien weiterhin zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekommen sein. Dazu gehörten u. a. gezielte und wahllose Angriffe auf Zivilisten und zivile Ziele (z. B. durch Artilleriebeschuss und Luftschläge) sowie Folter. Darüber hinaus seien willkürliche und ungesetzliche Inhaftierungen, „Verschwindenlassen“, sexualisierte Gewalt sowie willkürliche Eingriffe in die Eigentumsrechte, unter anderem von Geflüchteten, dokumentiert. Obwohl die UN-Kommission die Verantwortung in absoluten Zahlen betrachtet für die große Mehrzahl der Menschenrechtsverletzungen bei Kräften der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten sieht, wurden erneut für alle Konfliktparteien und alle Regionen des Landes Menschenrechtsverstöße dokumentiert.
1.3.4. Rechtssicherheit in Syrien (zuletzt aktualisiert am 11.03.2024):
In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können. Regelmäßig vom Regime verkündete Amnestien verringern ausgesprochene Todesurteile zum Teil auf lebenslange harte Strafarbeit oder stellen eine Freilassung in Aussicht. In der Rechtspraxis kommen die Amnestien aufgrund großzügig ausgelegter Ausnahmetatbestände und prozeduralen Hindernissen jedoch nur in Einzelfällen zur Anwendung, dabei oftmals infolge der Zahlung hoher Bestechungsgelder an Amtsträger im Justiz- und Sicherheitswesen.
1.3.5. Wehr- und Reservedienst in den syrischen Streitkräften (zuletzt aktualisiert am 11.03.2024):
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierungen anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert. Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen.Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierungen anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert. Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen.
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein. Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt.
Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse.
Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind, bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht. Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien.
Frauen können als Berufssoldatinnen dem syrischen Militär beitreten. Dies kommt in der Praxis tatsächlich vor, doch stoßen die Familien oft auf kulturelle Hindernisse, wenn sie ihren weiblichen Verwandten erlauben, in einem so männlichen Umfeld zu arbeiten. Dem Vernehmen nach ist es in der Praxis häufiger, dass Frauen in niedrigeren Büropositionen arbeiten als in bewaffneten oder leitenden Funktionen. Eine Quelle erklärt dies damit, dass Syrien eine männlich geprägte Gesellschaft ist, in der Männer nicht gerne Befehle von Frauen befolgen.
Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt. Frauen sind auch regierungsfreundlichen Milizen beigetreten. In den Reihen der National Defence Forces (NDF) dienen ca. 1.000 bis 1.500 Frauen, eine vergleichsweise geringe Anzahl. Die Frauen sind an bestimmten Kontrollpunkten der Regierung präsent, insbesondere in konservativen Gebieten, um Durchsuchungen von Frauen durchzuführen.
1.3.5.1. Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen, wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden. Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden.
Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch.
1.3.5.2. Rekrutierungspraxis:
Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden. Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert, wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt. Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden. In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden. Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien.
Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet. Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden. Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen.
Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden, berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Hausdurchsuchungen finden dabei v.a. eher in urbanen Gebieten statt, wo die SAA stärkere Kontrolle hat, als in ruralen Gebieten. Mehrere Quellen berichteten im Jahr 2023 wieder vermehrt, dass Wehr- und Reservedienstpflichtige aus ehemaligen Oppositionsgebieten von der syrischen Regierung zur Wehrpflicht herangezogen wurden, um mehr Kontrolle über diese Gebiete zu erlangen bzw. um potenzielle Oppositionskämpfer aus diesen Gebieten abzuziehen. Eine Quelle des Danish Immigr