TE Vwgh Erkenntnis 1995/5/31 93/01/1040

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Veröffentlicht am 31.05.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §871;
AsylG 1991 §11;
AVG §37;
AVG §39a;
VwGG §33 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in L, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. April 1993, Zl. 4.325.960/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. April 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der "früheren SFRJ", der am 7. August 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 9. August 1991 einen Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 23. August 1991 abgewiesen. Österreich gewähre dem Beschwerdeführer kein Asyl.

Im Rahmen des Vorverfahrens teilte die belangte Behörde mit, daß der Beschwerdeführer am 15. Dezember 1993 bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich niederschriftlich die Beschwerde zurückgezogen habe. In der Niederschrift ist folgendes festgehalten:

"Ich ziehe die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde freiwillig

zurück.

Ich werde wieder nach Slowenien zurückkehren.

Gleichzeitig bestätige ich die Übernahme meines Nationalpasses und des Militärausweises am 15. 12 1993."

Bei dieser niederschriftlichen Einvernahme war kein Dolmetscher anwesend. Die Niederschrift ist vom Beschwerdeführer und dem vernehmenden Organ unterschrieben.

Der Beschwerdevertreter nahm im Namen des Beschwerdeführers zu dieser ihm im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitgeteilten Äußerung der belangten Behörde schriftlich in Anwesenheit eines Dolmetschers wie folgt Stellung:

"Bei der Aufnahme der Niederschrift vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich am 15. Dezember 1993 ging es mir lediglich darum, meinen im Akt erliegenden Nationalpaß und den Militärausweis zurückzubekommen. Es wurde bei diesem Gespräch von der erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde überhaupt nicht gesprochen, ich habe auch nie erklärt, die erhobene Beschwerde zurückzuziehen. Mir wurde lediglich das vom Leiter der Amtshandlung geschriebene kurze Protokoll zur Unterschrift vorgelegt und mir erklärt, ich müsse den Erhalt der Dokumente bestätigen.

Ich spreche nur wenige Brocken deutsch und kann mich auch mit dem mir beigegebenen Anwalt nur über einen Dolmetsch verständigen. Es entsprach nie meinem Willen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde" (wohl richtig: Verwaltungsgerichtshofbeschwerde) "zurückzuziehen.

Ich bin völlig überrascht, nunmehr zu erfahren, daß ich angeblich mit meiner Unterschrift auch die erhobene Beschwerde zurückgezogen hätte. Eine solche Erklärung habe" (wohl zu ergänzen: ich) "dem Leiter der Amtshandlung nie abgegeben.

Der Beschwerdeführer betont nochmals, daß er lediglich einzelne Brocken der deutschen Sprache versteht und sich auch mit seinem Verfahrenshelfer nur über einen Dolmetscher verständigen kann. Es ist vollkommen unverständlich, daß zur Aufnahme eines Protokolls kein Dolmetsch beigezogen wurde."

Diese Stellungnahme wurde der belangten Behörde übermittelt, die dazu nicht weiter Stellung genommen hat. In der Folge übermittelte die belangte Behörde den Verwaltungsakt.

Der Verwaltungsgerichtshof ersuchte in der Folge das Bezirksgericht Linz, den Beschwerdeführer und den einvernehmenden Beamten über die konkreten Umstände der Einvernahme des Beschwerdeführers zu befragen. Der Beamte gab dazu folgendes an:

Ein flüssiger Dialog sei mit dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen. Das Gespräch habe sich auf einzelne Worte bzw. deren Erklärungen beschränkt. Der Beamte habe verstanden, was der Beschwerdeführer wollte, und er hätte den Eindruck gehabt, daß ihn der Beschwerdeführer verstehe. Der Beschwerdeführer sei damals schon zweieinhalb Jahre in Österreich gewesen, woraus naturgemäß auf gewisse Kenntnisse der deutschen Sprache geschlossen werden könne. Auch eine Übernahmsbestätigung mit zwei Aktenvermerken bestätigte, daß der Beschwerdeführer erreichte, was er wollte. Auch aus dieser Übernahmebestätigung gehe hervor, daß der Beschwerdeführer in seine Heimat habe zurückkehren wollen. Anlaß der Vorsprache des Beschwerdeführers am 15. Dezember 1993 sei an sich keine Amtshandlung gewesen. Der Beschwerdeführer sei freiwillig gekommen und habe die Ausfolgung des Militärausweises und des Reisepasses begehrt. Als der Beamte ihm Kopien davon gegeben habe, habe der Beschwerdeführer die Originale verlangt. Dabei habe der Beschwerdeführer erklärt, er wolle nach Slowenien zurückkehren. Der Beschwerdeführer habe ihm sowohl die Übernahme der Dokumente als auch die Angabe, daß er nach Slowenien zurückkehre, bestätigt. Er habe gewußt, daß der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof anwaltlich vertreten sei und daß normalerweise eine Zurückziehung einer Beschwerde durch den Rechtsanwalt erfolge. Im konkreten Fall habe ihm jedoch der Beschwerdeführer erklärt, daß er in seine Heimat zurückkehren wolle. Da sie (im Protokoll "wir", womit offensichtlich die Bundespolizeibehörde gemeint ist) dieses Verfahren noch zu Ende hätten bringen wollen, habe er dem Beschwerdeführer erklärt, daß er die Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof zurückziehen KÖNNE. Darauf habe der Beschwerdeführer erklärt, dies sei ihm egal, er wolle nach Slowenien. Er habe den Beschwerdeführer noch mehrfach darauf aufmerksam gemacht, zu seinem Rechtsbeistand zu gehen. Der Beamte habe dem Beschwerdeführer auch erklärt, daß er die Beschwerde nicht zurückziehen MÜSSE, sondern dies nur tun KÖNNE. Er habe dem Beschwerdeführer die Niederschrift vorgelesen. Der Beschwerdeführer habe sie auch selber gelesen. In bezug auf die Folgenbelehrung über die Zurückziehung habe er den Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß er sich vorher mit seinem Rechtsbeistand in Verbindung setzen könne. Dies habe der Beschwerdeführer nicht gewollt, da er sofort habe zurückkehren wollen. Da der Beschwerdeführer in seine Heimat habe zurückkehren wollen, sei für ihn sichergestellt gewesen, daß der Beschwerdeführer seine Belehrung verstanden habe.

Der Beschwerdeführer ist zu der gerichtlichen Einvernahme nicht erschienen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Zunächst ist die Frage zu klären, ob von einer wirksamen Zurückziehung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde des Beschwerdeführers auszugehen ist. Das Vorliegen einer wirksamen Zurückziehung einer Beschwerde ist streng zu prüfen (vgl. aus der hg. Judikatur zum wirksamen Berufungsverzicht u.a. das Erkenntnis vom 16. März 1994, Zl. 93/01/0143, und die dort zitierte Vorjudikatur). Eine Zurückziehung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde im Rahmen einer Vorsprache bei der Behörde aus einem anderen Anlaß ohne Beiziehung eines Dolmetschers und ohne Anwesenheit des Vertreters des Beschwerdeführers ist nur dann wirksam, wenn feststeht bzw. ausreichend ermittelt wurde, daß der Fremde der deutschen Sprache im Zeitpunkt der Abgabe der Zurückziehung hinlänglich mächtig ist, um sich der Tragweite der Zurückziehung bewußt zu sein, und ein Willensmangel bei seiner Abgabe ausgeschlossen werden kann (vgl. zum Berufungsverzicht das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 1989, Zl. 88/01/0188). Der Beschwerdeführer hat - wie bereits wiedergegeben - allerdings nur schriftlich bestritten, eine Erklärung dahingehend abgegeben zu haben, die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zurückzuziehen. Der Beschwerdeführer spreche nur wenige Brocken Deutsch und es sei eine solche Zurückziehung nie sein Wille gewesen.

Zu den von ihm wahrgenommenen deutschen Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers führt der Beamte in der Einvernahme aus, daß sich diese auf einzelne Worte bzw. deren Erklärungen beschränkten. Weiters schließe der Beamte aus dem Umstand des bereits zweijährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich und aus einer vorliegenden Übernahmebestätigung betreffend bei der Behörde verwahrt gewesene militärische Gegenstände auf gewisse Kenntnisse der deutschen Sprache. Aus diesen Angaben im Zusammenhalt mit der Äußerung des Beschwerdeführers dazu muß von dessen schlechten deutschen Sprachkenntnissen im Zeitpunkt der in Frage stehenden Niederschrift ausgegangen werden. Im Lichte dieser anzunehmenden schlechten Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers ist nicht glaubwürdig, daß der Beschwerdeführer, der aus eigenem nur zur Behörde gekommen war, um seinen Reisepaß und seinen Militärausweis wieder zu erhalten, die dabei erfolgten Ausführungen des Beamten, er könne die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zurückziehen, müsse dies aber nicht tun, wobei er sich vorher auch mit seinem Rechtsbeistand besprechen könne, verstanden hat. Die Belehrung über die Rechtsfolgen einer Zurückziehung hat darin bestanden, daß der Beamte den Beschwerdeführer auf eine Beratung durch seinen Rechtsbeistand verwiesen hat. Es kann daher nicht angenommen werden, daß sich der Beschwerdeführer über die Tragweite der Zurückziehung bewußt gewesen ist. Der Verwaltungsgerichtshof kann daher nicht davon ausgehen, daß eine wirksame Zurückziehung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof im Sinne der zitierten Judikatur vorliegt.

Der vorliegende Beschwerdefall gleicht im übrigen in allen für die Entscheidung relevanten Einzelheiten (siehe die Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, Zl. G 92,93/94) jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0435, zugrundelag. Auf dieses Erkenntnis wird daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen, wobei eine Ausfertigung zur Information angeschlossen ist.

Schon aus den dort dargelegten Erwägungen mußte auch der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden.

Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Parteivorbringen Erforschung des Parteiwillens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1993011040.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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