TE Vwgh Erkenntnis 1995/5/31 94/01/0769

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Veröffentlicht am 31.05.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §17 Abs1;
AsylG 1991 §17 Abs4 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2 idF 1994/610;
AsylG 1991 §3;
AVG §45 Abs1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in T, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. September 1994, Zl. 4.344.953/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. September 1994 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. August 1994 der vom Beschwerdeführer - einem Staatsangehörigen "der Jugosl. Föderation" aus dem Kosovo mit albanischer Nationalität, der am 12. Dezember 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist - gestellte Asylantrag vom 3. Juni 1994 abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

In seinem schriftlichen Asylantrag hat der Beschwerdeführer erklärt, diesen anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme "persönlich näher zu begründen". "Zur Rechtzeitigkeit des Antrages" - worunter zu verstehen ist, zur Begründung, warum nicht innerhalb der Frist des § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 bzw. überhaupt schon zu einem früheren Zeitpunkt ein solcher Antrag gestellt worden sei - hat der Beschwerdeführer jedoch ausgeführt, daß ihm "erst jetzt" Umstände zur Kenntnis gelangt seien, die die Gefahr einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr oder Abschiebung nach Jugoslawien begründen würden. Zum einen hätten sich die politischen Verhältnisse im Kosovo hinsichtlich der Verfolgung und Unterdrückung der ethnischen Volksgruppe der Albaner seit seiner Einreise in Österreich drastisch verschärft. Zum anderen wäre er bei seiner Rückkehr in sein Heimatland schon deshalb besonders gefährdet, weil er zu jenen Kosovo-Albanern gehöre, welche vom Beschwerdevertreter vertreten würden und an deren Schicksal in der Öffentlichkeit die zutiefst menschenrechtswidrige Repressions- und Unterdrückungspolitik der serbischen Regierung gegenüber den ethnischen Albanern des Kosovo auch in der Öffentlichkeit aufgezeigt und einer breiten Diskussion, welche auch die internationale Presse interessiert habe, zugänglich gemacht worden sei. Der Beschwerdeführer würde daher bei einer Rückkehr (z.B. infolge einer Abschiebung) nach Jugoslawien verstärkt in das Blickfeld der Behörden geraten und dort allein schon deshalb besonderen Verfolgungsgefahren ausgesetzt sein. Dies begründe eine besondere individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers. Dieses Vorbringen müsse dabei vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Situation im Kosovo sowie überhaupt in seinem Heimatland gesehen werden.

Bei seiner niederschriftlichen Erstvernehmung am 26. August 1994 hat dann der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen folgendes angegeben: Im Jahre 1944 sei ein Onkel von ihm von der damaligen jugoslawischen kommunistischen Armee getötet worden. Im Jahre 1961 sei sein Vater sowie ein weiterer Onkel von ihm von der damaligen jugoslawischen kommunistischen Polizei verhaftet worden, da sie mehr Rechte für die Kosovo-Albaner sowie eine eigene Staatsflagge gefordert hätten. Im Jahre 1981, nach dem Tode Titos, sei seine Schwester bei Demonstrationen für einen unabhängigen Kosovo von der jugoslawischen Polizei verhaftet, eine Nacht lang festgehalten und "von den dortigen Polizisten" geschlagen worden. Im Jahre 1982 sei sein Elternhaus von der jugoslawischen Polizei umstellt worden, und es habe eine Hausdurchsuchung stattgefunden, wobei beim Beschwerdeführer ein von ihm verfaßter Schriftsatz gefunden worden sei, in dem er sich mit einer Nacht im Kosovo auseinandergesetzt habe, "in der von den Kosovo-Albanern Parolen und Flugblätter gerufen und geklebt" worden seien. Es habe sich dabei wieder um Parolen für eine eigene Republik Kosovo gehandelt. Er sei auf die Polizeidienststelle mitgenommen und "eine Nacht" über seine politischen Aktivitäten gegen das damalige Jugoslawien befragt worden. Ihm sei vorgeworfen worden, Nationalist wie sein Vater zu sein, was er jedoch nicht zugegeben habe, weshalb er bewußtlos geschlagen worden sei. Da er anschließend keinerlei weiteren Aussagen getätigt habe und kein geeignetes Beweismaterial gegen ihn gefunden worden sei, sei er nach drei Tagen wieder freigelassen worden. Am 17., 18. und 19. November 1989 hätten Demonstrationen gegen die Serben in Vucitrne stattgefunden, an denen auch der Beschwerdeführer teilgenommen habe. Der Grund der Demonstrationen sei gewesen, daß wiederum eine eigene Republik Kosovo gefordert worden sei und in diesem Zusammenhang die dortigen serbischen Politiker von albanischen Politikern ersetzt würden. Am zweiten Tag der Demonstration sei der Beschwerdeführer mit zwei anderen Studenten von der Polizei festgenommen und bis 22.00 Uhr auf der dortigen Polizeidienststelle verhört worden, wobei ihnen vorgeworfen worden sei, Organisatoren dieser Demonstration zu sein, was jedoch nicht richtig gewesen sei. Am nächsten Tag hätte bei ihm zu Hause wiederum eine Hausdurchsuchung stattgefunden, und es sei nach belastendem Material, das gegen ihn verwendet werden könnte, gesucht, jedoch nichts gefunden worden. Weiters sei ihm aufgetragen worden, sein Haus nicht zu verlassen. Nach zehn Tagen sei offiziell von den Serben bekanntgegeben worden, daß die Kosovo-Albaner als Aggressor gegen die Serben auftreten würden, und er sei vom Studium an der Universität in Pristina ausgeschlossen worden. Es hätten zum genannten Zeitpunkt im ganzen Kosovo große Demonstrationen stattgefunden, weshalb die Maßnahmen der Serben gegen die Kosovo-Albaner gesetzt worden seien. Er sei zu diesem Zeitpunkt auch mit einem Bewegungsverbot außerhalb seines Hauses belegt worden und habe sich nicht mehr frei in seiner Heimatstadt bewegen dürfen. Diese Beschränkung sei mündlich von der Polizei ausgesprochen worden und habe auch das Verbot enthalten, die Universität zu betreten. Ein Ausschluß aus der Universität durch die dortige Verwaltung sei nicht erfolgt. Ihm sei von den dortigen Polizeibeamten gedroht worden, daß er, falls er wieder zur Universität gehen sollte, umgehend verhaftet und eingesperrt werde. Im März 1990 sei dem Kosovo offiziell die Autonomie entzogen worden, und der Beschwerdeführer habe somit auch keine Möglichkeit gehabt, sich an eine Stelle zu wenden, wo er "gegen das Verbot des Betretens der Universität durch die Polizei" hätte protestieren können, weshalb er sich daran gehalten habe. Am 25. Juni 1992 sei seine damalige Freundin und jetzige Gattin, die als Englischlehrerin in einer Schule unterrichtet habe, vor die Direktion der Schule zitiert und von ihr unter Beisein serbischer Polizisten verlangt worden, eine Erklärung mit dem Inhalt zu unterschreiben, daß sie den serbischen Lehrplan akzeptiere und nach diesem auch unterrichte. Weiters sei ihr hiebei "schriftlich aufgetragen" worden, die Beziehung zum Beschwerdeführer zu beenden, da dieser ein Nationalist und gegen die Serben eingestellt sei. Das "Formular zur Akzeptierung des serbischen Lehrplans" habe sie zerrissen und es den dort anwesenden Personen ins Gesicht geworfen, worauf sie vom Dienst suspendiert worden sei und am 26. Juni 1992 auf Anraten des Beschwerdeführers "die jug. Föderation" verlassen habe, da eine weitere Lebensgrundlage in keiner Weise mehr für sie ersichtlich gewesen sei. Seit ihrer Ausreise nach Österreich habe sich der Beschwerdeführer "zu 99 %" nicht mehr bei sich zu Hause, sondern bei verschiedenen Verwandten im Kosovo aufgehalten. Seine Gattin habe während seines weiteren Aufenthaltes im Kosovo mit einem Teil ihres Einkommens sowohl ihn mit seiner Familie als auch ihre Familie, insgesamt 17 Erwachsene, die im Kosovo keine Arbeit erhalten hätten, unterstützt. Am 30. Oktober 1993, als der Beschwerdeführer gerade bei sich zu Hause gewesen sei, sei die Polizei erschienen, was er jedoch rechtzeitig bemerkt habe, und er habe aus dem Fenster des Hauses entkommen können. Er habe erst deshalb am 12. Dezember 1993 seine Heimat verlassen können, weil er erst zu diesem Zeitpunkt einen Touristensichtvermerk für Österreich erhalten habe.

Nach den Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid, denen sich die belangte Behörde vollinhaltlich angeschlossen hat, seien die Äußerungen des Beschwerdeführers über die Probleme seiner Familienangehörigen, einschließlich derer seiner jetzigen Gattin, für die Entscheidungsfindung über seinen Asylantrag irrelevant und stellten allesamt keinerlei konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung aus den Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Die von ihm behaupteten erduldeten Verfolgungen "durch die vormals jugoslawische und jetzige Polizei der jugoslawischen Föderation" seien keinesfalls geeignet, ihm Asyl im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewähren. Dies deshalb, da einerseits die in der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. im Asylgesetz 1991 geforderte Intensität einer Verfolgung nicht ersichtlich sei und andererseits von einer Aktualität der von ihm behaupteten Verfolgungen nicht mehr gesprochen werden könne, da diese bereits zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus dem Kosovo einige Jahre zurücklägen und somit nicht mehr als asylrelevant zu betrachten seien. Der Beschwerdeführer habe daher in seinem Heimatstaat keine Verfolgung im Sinne der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention zu befürchten.

In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer ausgeführt, daß bei Bedachtnahme auf die tatsächlichen derzeit herrschenden politischen Verhältnisse für ethnische Albaner im Kosovo sowie im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes die Erstbehörde sein als glaubhaft angesehenes Vorbringen über die ihn betreffenden Verfolgungen rechtlich dahingehend hätte würdigen müssen, daß er tatsächlich nicht in sein Heimatland zurückkehren könnte, weil er dort wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Albaner sowie wegen seiner Abstammung aus einer Familie, die im Verdacht stehe, eine nationalistisch-separatistische Gesinnung zu haben, Gefahr laufen würde, festgenommen, gefoltert, mißhandelt und unmenschlich behandelt zu werden. Dabei hätte auch bedacht werden müssen, daß die Volksgruppe der ethnischen Albaner im Kosovo derzeit generell unter unerträglichen Lebensbedingungen ihr Dasein fristen müsse und diese Situation jeden Angehörigen der Volksgruppe betreffe, wobei schwere Übergriffe in asylrelevante, geschützte Rechtsgüter, nämlich Leben, Gesundheit und Freiheit, durch polizeiliche und staatliche Willkürakte zum Lebensalltag im Kosovo gehörten. Die Erstbehörde habe auf die tatsächlichen politischen Verhältnisse im Kosovo nicht hinreichend Bedacht genommen und diese Verhältnisse auch nicht untersucht, weshalb sie zwangsläufig auch zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung habe gelangen müssen. Ausdrücklich werde auf die Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte hingewiesen, wonach auf Grund der euphemistischen, nationalistischen serbischen Politik, welche auf eine Zerstörung und Vertreibung der ethnischen Albaner aus dem Kosovo abziele, der objektiven Lebensverhältnisse und der politischen Gegebenheiten im Kosovo derzeit jeder ethnische Albaner in seinem Heimatland Gefahr laufe, Opfer von Übergriffen staatlicher Organe in asylrelevant geschützte Rechtsgüter zu werden. Schließlich sei wesentlich, daß das asylrechtlich geschützte Rechtsgut "Leben" auch die Menschenwürde umfasse. Asylrelevante staatliche Verfolgung liege daher auch dann vor, wenn eine ganze Volksgruppe auf Grund der von einem Staat betriebenen Politik unter menschenunwürdigen, unerträglichen äußeren sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen ihr Dasein fristen müsse. Genau diese Voraussetzungen würden jedoch auf die Volksgruppe der ethnischen Albaner im Kosovo sowie in seinem gesamten Heimatland zutreffen.

Die belangte Behörde hat an sich richtig erkannt, daß schon im Hinblick auf die Ausführungen des Beschwerdeführers in seinem Asylantrag hinsichtlich der allgemeinen Lage der im Kosovo lebenden Angehörigen der albanischen Nationalität - ungeachtet dessen, daß sie nur im Zusammenhang mit der "Rechtzeitigkeit" dieses Antrages gemacht worden sind - ein Verweis auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides nicht genügte. Das erstinstanzliche Verfahren war insoweit mangelhaft im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 (in der bereinigten Fassung nach Aufhebung des Wortes "offenkundig" durch den Verfassungsgerichtshof laut Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994), als jegliche Auseinandersetzung durch die Erstbehörde mit diesem Vorbringen im Asylantrag unterblieben ist. Die belangte Behörde hat daher zutreffend ihrer Entscheidung auch nicht bloß gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde gelegt, sondern überdies auf die Berufungsausführungen, in denen neuerlich die politischen Verhältnisse im Kosovo angesprochen wurden, Bedacht genommen.

Wenn die belangte Behörde allerdings gemeint hat, daß den Ausführungen des Beschwerdeführers im Asylantrag, daß ihm erst jetzt Umstände zur Kenntnis gelangt seien, die die Gefahr seiner Verfolgung im Falle einer Rückkehr oder Abschiebung in sein Heimatland begründen würden, nicht gefolgt werden könne, da er im Rahmen seiner niederschriftlichen, im Beisein des Beschwerdevertreters erfolgten Vernehmung mit keinem Wort diese behaupteten Umstände entsprechend konkretisiert habe, so ist ihr entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer dazu überhaupt nicht befragt wurde und daraus, daß er hiebei nicht von sich aus darauf Bezug genommen hat, keineswegs schlüssig abgeleitet werden kann, daß sie nicht den Tatsachen entsprechen. Diese Begründung ist aber auch von vornherein verfehlt, soweit sie die vom Beschwerdeführer behauptete "besondere Gefährdung" betrifft, deren Ursache darin gelegen sei, daß nach seiner Einreise in Österreich auch auf Grund seines persönlichen Schicksals die herrschenden politischen Verhältnisse im Kosovo einer breiten Öffentlichkeit bekanntgemacht worden seien, kann doch dieser Umstand erst nachträglich eingetreten sein. Auf diesen Umstand braucht aber, obwohl ihn die belangte Behörde in ihre Erwägungen nicht einbezogen hat, vom Gerichtshof nicht eingegangen zu werden, weil der Beschwerdeführer in der Beschwerde darüber völlig hinweggeht und damit konkludent zum Ausdruck bringt, daß ihm selbst dieser Umstand nicht mehr wesentlich erscheint. Im übrigen hat die belangte Behörde daraus, daß der Beschwerdeführer erst etwa sechs Monate nach seiner Einreise in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, bei ihrer Beweiswürdigung keine für ihn nachteiligen Schlüsse gezogen (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0849). Sie ist vielmehr von den niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers ausgegangen und hat - in der richtigen Erkenntnis, daß bei Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers auf die Sachlage im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides abzustellen war (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. April 1993, Zlen. 92/01/0919 bis 0922) - zusätzliche Feststellungen über die in diesem Zeitpunkt bestehenden politischen Verhältnisse im Kosovo getroffen.

Diesbezüglich hat sie - in Erwiderung auf das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers - ausgeführt, daß die im Kosovo aus vielen Gründen desolater werdenden Lebensbedingungen stark mit der Situation in "Ex-Jugoslawien" zusammenhingen. Die politische Entwicklung im Kosovo sei nur einer von mehreren Einflußfaktoren. Eine isolierte Betrachtung des Kosovo führe aber zu einer offensichtlichen Verzerrung des Bildes. Die Massenarbeitslosigkeit, die medizinische Versorgungslage und die Schulsituation müßten in einem über den reinen Menschenrechtskontext hinausgehenden Gesamtrahmen gewürdigt werden. Demnach ließen sich "einige allgemeinpflichtige Aussagen machen", die trotz sich ändernden Trends weiterhin die Situation im Kosovo bestimmten. Der Kosovo sei nicht unmittelbar von der Kriegssituation in Kroatien und Bosnien-Herzegowina betroffen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Kroatien und die traumatischen Vorkommnisse auf bosnisch-herzegowinischen Kriegsschauplätzen führten im Kosovo zu einer verstärkten Ungewißheit über mögliche weitere Entwicklungen. Solche allgemeinen Lebensbedingungen seien jedoch nicht "kosovo-spezifisch" und in vielen Krisenregionen in allen Teilen der Welt anzutreffen. Die Trennung, die Ab- und Ausgrenzung, das Nebeneinander von albanischer Mehrheitsbevölkerung und serbischer Minderheit stellten für sich allein genommen noch keine Verletzung der Menschenrechte dar. Weite Teile der Bevölkerung hätten sich "mit einer Art Parallelgesellschaft abgefunden". Albanische "Parallelstrukturen" funktionierten in vielen Bereichen besser als die ursprüngliche serbisch-albanische Verwaltung. Trotz wirtschaftlich-sozialer, kultureller und verwaltungstechnischer Eingriffe seitens der mehrheitlich serbischen behördlich-polizeilichen Organe drohe den Kosovo-Albanern wegen ihrer Volkszugehörigkeit bei unauffälligem, nicht qualifiziert politischem Verhalten noch keine Gruppenverfolgung. Verfolgungsmaßnahmen durch die Polizei seien anlaßgeprägt. Die ehemals omnipräsenten Sicherheitskräfte, insbesondere die Sondereinheiten des Belgrader Innenministeriums, seien aus dem Straßenbild des Kosovo verschwunden. Deswegen seien auch die Übergriffe der Sicherheitsorgane auf die albanische Bevölkerung zurückgegangen. Ein guter Teil der Menschenrechtsverletzungen in den Kriegs- und Spannungsgebieten "Ex-Jugoslawiens" gehe auf paramilitärische Einheiten wie die Arkani zurück. Vor allem die Gruppe Arkan sei im Kosovo präsent. Ihr Führer Arkan vertrete den Kosovo als Abgeordneter. Diese Gruppen zeichneten sich durch hohe Mobilität und punktuelle Interventionen aus. Sie handelten und intervenierten "in einem diffusen gesamtserbischen Interesse und Kontext". Ein Unsicherheitsfaktor sei die ""administrative" Durchmischung verschiedener militärischer und behördlich-polizeilicher Dienststellen" und eine fehlende klare Abgrenzung von Kompetenzen und Zuständigkeiten. Allgemein könne gesagt werden, daß die Menschenrechte auf dem ganzen Gebiet "des ehemaligen Jugoslawien" eine geringe historische Tradition hätten und gehabt hätten. "Die Jugoslawische Föderation" kenne - wie "die frühere SFRJ" - keine Spezialgesetzgebung für Menschenrechte, und die Bundesregierung verfüge über keine diesbezüglichen Kompetenzen. Der Menschenrechtsbereich sei "vollumfänglich" dem Gutdünken der einzelnen Republiken überlassen. Serbischer Willkür im Kosovo könne somit mit keinem übergeordneten Korrektiv begegnet werden. Wenn der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die allgemeine Situation der Kosovo-Albaner die Auffassung vertrete, daß Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo schlechthin wegen der ihnen drohenden Verfolgung Asyl zu gewähren sei, so sei darauf zu erwidern, daß seinen Ausführungen nicht zu entnehmen sei, daß generell gegen die albanische Volksgruppe im Kosovo zielende Maßnahmen von erheblicher Intensität gesetzt worden oder bevorgestanden wären bzw. bevorstünden, die als systematische Verfolgung dieser Volksgruppe aus Gründen ihrer Nationalität, von der auch der Beschwerdeführer direkt betroffen gewesen wäre bzw. sein würde, angesehen werden müßten, und dies auch nicht als notorisch im Sinne des § 45 Abs. 1 AVG in Verbindung mit § 17 Abs. 4 Z. 1 Asylgesetz 1991 bezeichnet werden könne. Da das durchgeführte Ermittlungsverfahren keine Anhaltspunkte für eine konkrete Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Asylgesetzes 1991 durch die Behörden seines Heimatstaates ergeben habe, sei die Gewährung von Asyl "nicht statthaft".

Die belangte Behörde hat zu Recht auch auf § 17 Abs. 4 Z. 1 Asylgesetz 1991 Bezug genommen, wonach ein Asylantrag insbesondere, sofern sich aus der Erstvernehmung nicht anderes ergibt, als gemäß Abs. 1 offensichtlich begründet anzusehen ist, wenn der Asylwerber Staatsangehöriger eines Staates ist, oder, sofern er staatenlos ist - in einem Staat seinen bisherigen Wohnsitz hatte, von dem auf Grund der allgemeinen Erfahrung, seiner Rechtslage und Rechtsanwendung anzunehmen ist, daß in diesem Staat in der Regel die begründete Gefahr einer Verfolgung aus den im § 1 Z. 1 genannten Gründen besteht. Läge nämlich ein derartiger Fall vor und wäre demnach über den Asylantrag des Beschwerdeführers bereits gemäß § 17 Abs. 1 leg. cit. ohne weiteres Ermittlungsverfahren zu entscheiden gewesen, so könnte der Umstand, daß von dieser Bestimmung nicht formell Gebrauch gemacht worden ist, nicht zu Lasten des Beschwerdeführers gehen. Vielmehr handelt es sich hiebei um einen "Prima-facie-Beweis" (siehe RV 270 BlgNr. 18. GP), der im Asylverfahren allgemein Geltung hat, ist doch auf diese Weise von vornherein grundsätzlich im Sinne des § 3 Asylgesetz 1991 glaubhaft, daß der Asylwerber Flüchtling ist. Den Standpunkt, daß es im vorliegenden Beschwerdefall nicht eines weiteren Ermittlungsverfahrens bedurft hätte, nimmt aber selbst der Beschwerdeführer nicht ein, und es ist auch keineswegs evident, daß die Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 Z. 1 Asylgesetz 1991 gegeben wären (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 1993, Zlen. 92/01/0912 u.a.).

Für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers ist gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) maßgebend, ob er sich aus wohlbegründeter Furcht, aus einem der darin taxativ angeführten Gründe verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Annahme einer derartigen Befürchtung nicht voraus, daß die betreffende Person vor ihrer Ausreise eine individuell gegen sie gerichtete Verfolgung erlitten hätte oder ihr zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre. Eine solche Befürchtung wäre nämlich schon dann gerechtfertigt, wenn auf Grund der Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers davon gesprochen werden müßte, daß systematisch eine Verfolgung der Angehörigen der albanischen Volksgruppe aus Gründen ihrer Nationalität erfolgt, weil er dadurch der Gefahr ausgesetzt wäre, davon unmittelbar betroffen zu sein. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn es sich um ein gegen die Gesamtheit der albanischen Volksgruppe, die bekanntermaßen im Kosovo einen Großteil der Bevölkerung darstellt, zielgerichtetes Vorgehen von erheblicher Intensität handeln würde, das nicht bloß in Beeinträchtigungen allgemeiner Natur, die von allen hingenommen werden müßten, besteht, sondern die Existenz dieser Volksgruppe an sich betrifft (vgl. u. a. die Erkenntnisse vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/0291, und vom 20. Mai 1994, Zl. 93/01/0210). Das - wie gesagt, zu beachtende - Berufungsvorbringen enthielt zwar deutliche Hinweise auf das Vorliegen einer derartigen ethnischen Gruppenverfolgung durch die staatlichen Behörden des Heimatlandes des Beschwerdeführers, und auch das Beschwerdevorbringen geht verstärkt in diese Richtung. Ob sie nun aber tatsächlich stattfindet, kann auf sich beruhen, genügt es doch unabhängig davon im gegebenen Zusammenhang, daß sich der Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren jedenfalls auch darauf gestützt hat, daß er in der Vergangenheit wegen seiner politischen Aktivitäten bereits konkreter Verfolgung ausgesetzt gewesen und in Verbindung damit eine Verfolgungsgefahr für ihn auf Grund der im Kosovo herrschenden politischen Lage weiterhin gegeben sei.

Damit hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt. Sie hat lediglich einerseits die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides hinsichtlich der in der Vergangenheit liegenden Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer und seine Familie übernommen, ohne jedoch hiebei auch auf die derzeitige allgemeine Situation im Kosovo Bedacht zu nehmen, und andererseits, davon völlig isoliert, zur Frage der Gruppenverfolgung Stellung bezogen. Sie hat offenbar übersehen, daß auch dann, wenn keine ethnische Gruppenverfolgung im dargestellten Sinne vorläge, dem Beschwerdeführer als den staatlichen Behörden seines Heimatlandes bekanntem "Nationalisten", mit denen er deswegen schon mehrmals unmittelbar in Konflikt geraten ist, auf Grund der herrschenden Lage im Kosovo allenfalls wohlbegründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner (auf seine Nationalität zurückzuführenden) politischen Gesinnung zuzubilligen wäre. Der Beschwerdeführer rügt zwar mit Recht, daß nicht ersichtlich ist, auf welchen Erkenntnisquellen die von der belangten Behörde (zur Frage der Gruppenverfolgung) ergänzend getroffenen Feststellungen beruhen, und ihm dazu auch kein Parteiengehör gewährt worden ist. Aber selbst daraus geht eindeutig hervor, daß die maßgebliche Lage im Kosovo noch keineswegs entspannt ist und dort die Menschenrechte mißachtet werden, wobei auch von "serbischer Willkür" die Rede ist. Mag es dessen ungeachtet auch zutreffen, daß den Kosovo-Albanern wegen ihrer Volkszugehörigkeit "bei unauffälligem, nicht qualifiziert politischem Verhalten noch keine Gruppenverfolgung droht" und "Verfolgungsmaßnahmen durch die Polizei anlaßgeprägt sind", so ist der belangten Behörde doch entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer bereits durch sein "qualifiziert politisches Verhalten" im besonderen Maße "auffällig" geworden ist und deshalb nicht nur die von ihm im einzelnen angeführten Schwierigkeiten hatte. Geht man von seinen niederschriftlichen Angaben, die wohl nur dahingehend verstanden werden können, aus, so wurde er aus diesem wegen des geschilderten Verhaltens seiner jetzigen Gattin auch ihm gegenüber wieder aktuell gewordenen Grunde im zeitlichen Konnex zu seiner Ausreise neuerlich von der Polizei gesucht, weshalb nicht ohne weiteres gesagt werden kann, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatland nicht mehr mit einer asylrechtlich relevanten Verfolgung zu rechnen habe.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994010769.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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