Entscheidungsdatum
07.08.2024Norm
AsylG 2005 §9 Abs2Spruch
L523 2250567-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Tanja DANNINGER-SIMADER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX ; geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch das Magistrat der Stadt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.03.2024, Zl. XXXX betreffend die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Tanja DANNINGER-SIMADER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 ; geb. römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch das Magistrat der Stadt römisch 40 , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.03.2024, Zl. römisch 40 betreffend die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrenshergang:römisch eins. Verfahrenshergang:
1. Der Beschwerdeführer stellte infolge illegaler Einreise am 19.08.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für die Dauer von einem Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).2. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) abgewiesen. In Spruchpunkt römisch II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 für die Dauer von einem Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.07.2022 (W298 2250567-1) wurde die gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
3. Mit Aktenvermerk vom 27.09.2022 wurde ein Aberkennungsverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet.
4. Am 11.11.2022 stellte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers einen Verlängerungsantrag für die befristete Aufenthaltsberechtigung.
5. Am 22.05.2023 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Verständigung der Landespolizeidirektion XXXX ein, der zufolge der Beschwerdeführer verdächtigt werden würde, 81 Straftaten (darunter Raub, Körperverletzung, Sexualdelikte, Einbruchsdiebstähle, Brandstiftung, etc.) begangen zu haben.5. Am 22.05.2023 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Verständigung der Landespolizeidirektion römisch 40 ein, der zufolge der Beschwerdeführer verdächtigt werden würde, 81 Straftaten (darunter Raub, Körperverletzung, Sexualdelikte, Einbruchsdiebstähle, Brandstiftung, etc.) begangen zu haben.
6. Am 16.06.2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Aberkennungsverfahren einvernommen.
7. Mit Bescheid vom 26.03.2024 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 10.12.2021 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Absatz 2 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Absatz 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.) und festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien gemäß § 9 Abs. 2 AsylG unzulässig sei.7. Mit Bescheid vom 26.03.2024 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 10.12.2021 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 9, Absatz 2 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt römisch eins.), die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß Paragraph 9, Absatz 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt römisch II.) und festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien gemäß Paragraph 9, Absatz 2, AsylG unzulässig sei.
Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Beschwerdeführer seit der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten konsequent mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Zwar würde aufgrund der damals vorgelegenen Strafunmündigkeit des Beschwerdeführers kein Eintrag im Strafregister aufscheinen, sei dieser jedoch bereits mehrmals wegen Straftaten beamtshandelt worden. Nach Erreichung des 14. Lebensjahrs sei der Beschwerdeführer festgenommen worden und hätte sich wegen Verdachts der Tatbegehung gemäß § 142 StGB in Untersuchungshaft befunden. Es würden 71 Vormerkungen in der Personeninformationsauskunft betreffend den Beschwerdeführer aufscheinen. Aufgrund des seitens des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gesetzten Verhaltens, insbesondere seiner Gewaltbereitschaft, sei davon auszugehen, dass dieser nach Haftentlassung erneut straffällig werde. Durch sein Verhalten seien zahlreiche Rechtsgüter verletzt worden. Zudem hätte auch die strenge Sozialbetreuung des Beschwerdeführers zu keiner Verhaltensbesserung geführt. Diese ergebnislosen Bemühungen würden sich in der aktuell gegen ihn verhängten Untersuchungshaft wiederspiegeln. Es sei auch in Zukunft davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer weiterhin strafbare Handlungen setzen werde. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Beschwerdeführer seit der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten konsequent mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Zwar würde aufgrund der damals vorgelegenen Strafunmündigkeit des Beschwerdeführers kein Eintrag im Strafregister aufscheinen, sei dieser jedoch bereits mehrmals wegen Straftaten beamtshandelt worden. Nach Erreichung des 14. Lebensjahrs sei der Beschwerdeführer festgenommen worden und hätte sich wegen Verdachts der Tatbegehung gemäß Paragraph 142, StGB in Untersuchungshaft befunden. Es würden 71 Vormerkungen in der Personeninformationsauskunft betreffend den Beschwerdeführer aufscheinen. Aufgrund des seitens des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gesetzten Verhaltens, insbesondere seiner Gewaltbereitschaft, sei davon auszugehen, dass dieser nach Haftentlassung erneut straffällig werde. Durch sein Verhalten seien zahlreiche Rechtsgüter verletzt worden. Zudem hätte auch die strenge Sozialbetreuung des Beschwerdeführers zu keiner Verhaltensbesserung geführt. Diese ergebnislosen Bemühungen würden sich in der aktuell gegen ihn verhängten Untersuchungshaft wiederspiegeln. Es sei auch in Zukunft davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer weiterhin strafbare Handlungen setzen werde.
8. Am 16.04.2024 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Verständigung des Landesgerichts XXXX von der Verhängung der Untersuchungshaft und der Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer ein.8. Am 16.04.2024 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Verständigung des Landesgerichts römisch 40 von der Verhängung der Untersuchungshaft und der Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer ein.
9. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26.03.2024, erhob die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers am 23.04.2024 Beschwerde, in der sie im Wesentlichen vorbrachte, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle, weil er weder besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße iSd Art 17 Abs.1 lit d der Statusrichtlinie (2004/83/EG) begangen habe, noch die Existenz oder territoriale Integrität Österreichs gefährden würde. Es sei fragwürdig, ob die bisher gegen ihn erhobenen polizeilichen Anzeigen schwerwiegende Gründe rechtfertigen würden, nachdem die gegen ihn eingeleiteten Verfahren schließlich aufgrund seiner Strafunmündigkeit eingestellt worden seien. Es sei nie mit hinreichender Sicherheit festgestellt worden, dass er die ihm zur Last gelegten objektiven Tatbilder, tatsächlich verwirklicht habe. In der Beschwerde wurde zudem vorgebracht, dass zu prüfen gewesen wäre, ob die Gefahr, die der minderjährige Beschwerdeführer für die Allgemeinheit darstellen würde im Verhältnis zu dem Verlust seiner Rechte nach der Statusrichtlinie stehen würden, sodass eine Aberkennung des Schutzstatus gerechtfertigt wäre. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Rechte des unbegleiteten Minderjährigen Bedacht zu nehmen gewesen. 9. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26.03.2024, erhob die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers am 23.04.2024 Beschwerde, in der sie im Wesentlichen vorbrachte, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle, weil er weder besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße iSd Artikel 17, Absatz , Litera d, der Statusrichtlinie (2004/83/EG) begangen habe, noch die Existenz oder territoriale Integrität Österreichs gefährden würde. Es sei fragwürdig, ob die bisher gegen ihn erhobenen polizeilichen Anzeigen schwerwiegende Gründe rechtfertigen würden, nachdem die gegen ihn eingeleiteten Verfahren schließlich aufgrund seiner Strafunmündigkeit eingestellt worden seien. Es sei nie mit hinreichender Sicherheit festgestellt worden, dass er die ihm zur Last gelegten objektiven Tatbilder, tatsächlich verwirklicht habe. In der Beschwerde wurde zudem vorgebracht, dass zu prüfen gewesen wäre, ob die Gefahr, die der minderjährige Beschwerdeführer für die Allgemeinheit darstellen würde im Verhältnis zu dem Verlust seiner Rechte nach der Statusrichtlinie stehen würden, sodass eine Aberkennung des Schutzstatus gerechtfertigt wäre. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Rechte des unbegleiteten Minderjährigen Bedacht zu nehmen gewesen.
Das Verhalten des minderjährigen Beschwerdeführers sei vor dem Hintergrund zu betrachten gewesen, als dieser von seinen Eltern unbegleitet aus der Republik Libanon nach Europa geschickt worden sei. Der Beschwerdeführer sei im Libanon nicht zur Schule gegangen, sondern habe bereits für den Familienunterhalt mitsorgen müssen. Beim Beschwerdeführer sei es aufgrund der entstandenen Spannungsverhältnisse, zu Rückschlägen trotz der intensiven Betreuung gekommen. Eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würde einer positiven sozialen Entwicklung zuwiderlaufen und eine Duldung eine unsichere Rechtsstellung für den Beschwerdeführer herbeiführen, die dem Kindeswohl widersprechen würde.
Abschließend wurde in der Beschwerde ausgeführt, dass auch eine Aberkennung iSd § 9 Abs.1 Z 3 AsylG unter Mitberücksichtigung der EuGH Rechtsprechung nicht möglich sei. Die gegen den Beschwerdeführer rechtskräftig gewordene Verurteilung würde lediglich das Rechtsgut Vermögen betreffen und würde sich die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens (aufgrund seiner Minderjährigkeit) befinden. Unter Mitberücksichtigung des Alters des Beschwerdeführers (14 Jahre) sei die Schwelle der schweren Straftat iSd. Art 17 Abs. 2 lit b StatusRL nicht erreicht worden und hätte sohin der Status des subsidären Schutzberechtigten nicht aberkannt werden dürfen. Abschließend wurde in der Beschwerde ausgeführt, dass auch eine Aberkennung iSd Paragraph 9, Absatz , Ziffer 3, AsylG unter Mitberücksichtigung der EuGH Rechtsprechung nicht möglich sei. Die gegen den Beschwerdeführer rechtskräftig gewordene Verurteilung würde lediglich das Rechtsgut Vermögen betreffen und würde sich die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens (aufgrund seiner Minderjährigkeit) befinden. Unter Mitberücksichtigung des Alters des Beschwerdeführers (14 Jahre) sei die Schwelle der schweren Straftat iSd. Artikel 17, Absatz 2, Litera b, StatusRL nicht erreicht worden und hätte sohin der Status des subsidären Schutzberechtigten nicht aberkannt werden dürfen.
10. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 04.04.2024, AZ: XXXX , nach Jugendstrafrecht gem. § 15 StGB, § 142 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten mit dreijähriger Probezeit verurteilt.10. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen römisch 40 vom 04.04.2024, AZ: römisch 40 , nach Jugendstrafrecht gem. Paragraph 15, StGB, Paragraph 142, Absatz eins, StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten mit dreijähriger Probezeit verurteilt.
11. Am 21.06.2024 wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX , AZ: XXXX , zu den Verbrechen gem. §§ 142 Abs. 1 und 143 Abs. 1 StGB sowie gem. §§ 15, 105 Abs. 1 und 106 Abs. 1 Z 1 StGB sowie gem. §§ 127 und 131 StGB und zu dem Vergehen nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 22 Monaten verurteilt. Die mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 04.04.2024 gewährte bedingte Strafnachsicht wurde widerrufen. 11. Am 21.06.2024 wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen römisch 40 , AZ: römisch 40 , zu den Verbrechen gem. Paragraphen 142, Absatz eins und 143 Absatz eins, StGB sowie gem. Paragraphen 15,, 105 Absatz eins und 106 Absatz eins, Ziffer eins, StGB sowie gem. Paragraphen 127 und 131 StGB und zu dem Vergehen nach Paragraph 50, Absatz eins, Ziffer 3, WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 22 Monaten verurteilt. Die mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen römisch 40 vom 04.04.2024 gewährte bedingte Strafnachsicht wurde widerrufen.
12. Am 15.07.2024 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Verständigung der Landespolizeidirektion XXXX ein, der zufolge gegenüber dem Beschwerdeführer ein neuerlicher Tatverdacht (§ 15 StGB §§ 105 Abs. 1 StGB, 106 Abs. 1 Z 1 StGB §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 Fall 2 StGB §§ 127, 131 1 Fall StGB) aufgekommen sei. 12. Am 15.07.2024 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Verständigung der Landespolizeidirektion römisch 40 ein, der zufolge gegenüber dem Beschwerdeführer ein neuerlicher Tatverdacht (Paragraph 15, StGB Paragraphen 105, Absatz eins, StGB, 106 Absatz eins, Ziffer eins, StGB Paragraphen 142, Absatz eins,, 143 Absatz eins, Fall 2 StGB Paragraphen 127,, 131 1 Fall StGB) aufgekommen sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen: römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1. Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch genannten Namen und ist ein 14-jähriger syrischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Araber angehört und sich zum muslimischen Glauben mit sunnitischer Ausrichtung bekennt. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer ist als Kleinkind mit seiner Familie in den Libanon gereist und dort aufgewachsen. Mit 11 Jahren ist er alleine nach Österreich gekommen, wo er im August 2021 illegal einreiste. Seine Eltern und Geschwister befinden sich nach wie vor im Libanon und steht der Beschwerdeführer auch nach wie vor in regelmäßigem Kontakt zu diesen. Die Großeltern des Beschwerdeführers befinden sich in Syrien. Vor seiner Ausreise aus Syrien hat der Beschwerdeführer mit seiner Familie in XXXX , im Nordosten Syriens, gelebt. Der Wohnort des Beschwerdeführers steht aktuell unter kurdischer Kontrolle.Der Beschwerdeführer ist als Kleinkind mit seiner Familie in den Libanon gereist und dort aufgewachsen. Mit 11 Jahren ist er alleine nach Österreich gekommen, wo er im August 2021 illegal einreiste. Seine Eltern und Geschwister befinden sich nach wie vor im Libanon und steht der Beschwerdeführer auch nach wie vor in regelmäßigem Kontakt zu diesen. Die Großeltern des Beschwerdeführers befinden sich in Syrien. Vor seiner Ausreise aus Syrien hat der Beschwerdeführer mit seiner Familie in römisch 40 , im Nordosten Syriens, gelebt. Der Wohnort des Beschwerdeführers steht aktuell unter kurdischer Kontrolle.
Der Beschwerdeführer lebt derzeit in Österreich als subsidiär Schutzberechtigter. Die Obsorge des minderjährigen Beschwerdeführers obliegt der Magistratsabteilung XXXX (Amt für Jugend und Familie) und befand sich der Beschwerdeführer zuletzt auch unter Sozialbetreuung des durch die Magistratsabteilung XXXX geleiteten Krisenzentrums. Die mit der Betreuung des Beschwerdeführers beauftragte Einheit des Krisenzentrums XXXX beschäftigt sich speziell mit der Betreuung und Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bzw. Minderjährige mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer bezog bis zu seinem Haftantritt in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist strafmündig. Der Beschwerdeführer lebt derzeit in Österreich als subsidiär Schutzberechtigter. Die Obsorge des minderjährigen Beschwerdeführers obliegt der Magistratsabteilung römisch 40 (Amt für Jugend und Familie) und befand sich der Beschwerdeführer zuletzt auch unter Sozialbetreuung des durch die Magistratsabteilung römisch 40 geleiteten Krisenzentrums. Die mit der Betreuung des Beschwerdeführers beauftragte Einheit des Krisenzentrums römisch 40 beschäftigt sich speziell mit der Betreuung und Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bzw. Minderjährige mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer bezog bis zu seinem Haftantritt in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist strafmündig.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine Schulausbildung und hat im Libanon als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seine Muttersprache ist Arabisch, er kann aber weder lesen noch schreiben.
1.2. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist gesund und leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen.
1.3. Zum bisherigen Verfahren:
Mit Bescheid vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr erteilt (Spruchpunkt III.). Für die Zuerkennung des Schutzstatus war die vorherrschende schlechte Sicherheitslage in Syrien auschlaggebend.Mit Bescheid vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Für die Zuerkennung des Schutzstatus war die vorherrschende schlechte Sicherheitslage in Syrien auschlaggebend.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.07.2022 (W298 2250567-1) als unbegründet abgewiesen.
Die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers wurde zuletzt am 11.11.2022 von der Rechtsvertretung beantragt. Eine dies betreffende Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ist weiterhin offen.
1.4. Zum strafrechtlichen Fehlverhalten des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wird verdächtigt als strafunmündiger Minderjähriger 71 Straftaten, während seines Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiet, begangen zu haben. Die ihm vorgeworfenen Straftaten betreffen die Rechtsgüter Vermögen, Freiheit und körperliche Unversehrtheit. Da es den Opfern in einigen der Verdachtsfällen möglich war zu fliehen, verblieben einige der seitens des Beschwerdeführers gesetzten Straftaten auf der Ebene des Versuches. In einer Vielzahl der Verdachtsfälle hat der Beschwerdeführer (versucht) sich fremdes Vermögen (oft auch in Zusammenwirkung mit einem Mittäter) unter Androhung bzw. Setzung von Gewalt (oft auch mit einem bei sich geführten Messer) fremdes Vermögen anzueignen. Der Beschwerdeführer zeigte sich in den ihm vorgeworfenen Verdachtsfällen vorwiegend als nicht geständig, bekannte sich aber innerhalb einer am 04.05.2022 stattgefundenen polizeilichen Einvernahme betreffend den Tatvorwurf – schwerer Raub – als schuldig. Aufgrund seiner im damaligen Zeitpunkt vorgelegenen Strafunmündigkeit wurde der Beschwerdeführer nicht strafgerichtlich belangt und wurden sämtliche gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren gerichtlich eingestellt.
Nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 04.04.2024 (rechtskräftig seit 09.04.2024), AZ: XXXX , wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach § 142 und 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten, unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.Nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen römisch 40 vom 04.04.2024 (rechtskräftig seit 09.04.2024), AZ: römisch 40 , wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach Paragraph 142 und 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten, unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit (rechtskräftigen) Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 21.06.2024, AZ: XXXX , wegen des Verbrechens des Raubes nach
§ 143 Abs. 1, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 22 Monaten Jahren verurteilt. Diesem Urteil lagen folgende Straftaten zugrunde:Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit (rechtskräftigen) Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen römisch 40 vom 21.06.2024, AZ: römisch 40 , wegen des Verbrechens des Raubes nach
§ 143 Absatz eins,, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 22 Monaten Jahren verurteilt. Diesem Urteil lagen folgende Straftaten zugrunde:
Der Beschwerdeführer hat am XXXX .2024Der Beschwerdeführer hat am römisch 40 .2024
I. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer strafunmündigen Person als Mittäter (§ 12 StGB), mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB), unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Butterfly-Messers, zwei Personen fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Mobiltelefon, Kopfhörer und Bargeld mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, abgenötigt bzw. weggenommen, indem der Mittäter ein Opfer nach Bargeld und Wertgegenständen durchsuchte und ihm Kopfhörer wegnahm, der Beschwerdeführer ein Messer hervorholte und er und sein Mittäter dieses abwechselnd gegen die beiden Opfer richteten, und der Mittäter ihnen Schläge versetzte und sie Wertgegenstände forderten und ihnen diese wegnahmen;römisch eins. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer strafunmündigen Person als Mittäter (Paragraph 12, StGB), mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (Paragraph 89, StGB), unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Butterfly-Messers, zwei Personen fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Mobiltelefon, Kopfhörer und Bargeld mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, abgenötigt bzw. weggenommen, indem der Mittäter ein Opfer nach Bargeld und Wertgegenständen durchsuchte und ihm Kopfhörer wegnahm, der Beschwerdeführer ein Messer hervorholte und er und sein Mittäter dieses abwechselnd gegen die beiden Opfer richteten, und der Mittäter ihnen Schläge versetzte und sie Wertgegenstände forderten und ihnen diese wegnahmen;
II. eines der beiden Opfer durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme den einschreitenden Polizeibeamten seine Tatbeteiligung mitzuteilen, zu nötigen versucht (§ 15 StGB), indem er im Anschluss an die unter I./ angeführte Handlung beim Eintreffen der Polizei äußerte „Wenn du mich verratest, dann steche ich dich ab“;römisch II. eines der beiden Opfer durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme den einschreitenden Polizeibeamten seine Tatbeteiligung mitzuteilen, zu nötigen versucht (Paragraph 15, StGB), indem er im Anschluss an die unter römisch eins./ angeführte Handlung beim Eintreffen der Polizei äußerte „Wenn du mich verratest, dann steche ich dich ab“;
III. wenn auch nur fahrlässig, trotz Waffenverbot (§ 12 WaffG) eine Waffe, nämlich ein Butterfly-Messer, besessen;römisch III. wenn auch nur fahrlässig, trotz Waffenverbot (Paragraph 12, WaffG) eine Waffe, nämlich ein Butterfly-Messer, besessen;
IV. ein drittes Opfer mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung zu nötigen versucht (§15 StGB) indem er ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, ihm ein Butterfly-Messer vor dessen nackten Bauch hielt und ihn zum Boxkampf aufforderte, wobei es beim Versuch blieb, weil zwei Passanten einschritten und er daraufhin vom Opfer abließ;römisch IV. ein drittes Opfer mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung zu nötigen versucht (§15 StGB) indem er ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, ihm ein Butterfly-Messer vor dessen nackten Bauch hielt und ihn zum Boxkampf aufforderte, wobei es beim Versuch blieb, weil zwei Passanten einschritten und er daraufhin vom Opfer abließ;
V. Dem dritten Opfer fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, wobei er bei seiner Betretung auf frischer Tat dadurch, dass er dem Opfer ein Butterfly-Messer vorhielt und äußerte, dass er mit dem Flehen um Rückgabe aufhören solle, mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) bedroht, um sich die weggenommene Sache zu erhalten;römisch fünf. Dem dritten Opfer fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, wobei er bei seiner Betretung auf frischer Tat dadurch, dass er dem Opfer ein Butterfly-Messer vorhielt und äußerte, dass er mit dem Flehen um Rückgabe aufhören solle, mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (Paragraph 89, StGB) bedroht, um sich die weggenommene Sache zu erhalten;
VI. mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) ein viertes Opfer fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, unter Verwendung einer Waffe weggenommen, indem er der Begleitperson des vierten Opfers, der die Bauchtasche des vierten Opfers verwahrte, ein Butterfly-Messer vorhielt, die Herausgabe der Bauchtasche forderte und nachdem die Begleitperson des vierten Opfers dem Opfer die Bauchtasche zurückgegeben hatte und das vierte Opfer sein Mobiltelefon aus der Bauchtasche nahm, er ihm die Bauchtasche gewaltsam entriss und sofort die Verfolgung des von ihm flüchtenden vierten Opfers aufnahm, ihn zu Boden streckte, ihn mehrerer Faustschläge ins Gesicht versetze und das Mobiltelefon an sich nahm.römisch VI. mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (Paragraph 89, StGB) ein viertes Opfer fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, unter Verwendung einer Waffe weggenommen, indem er der Begleitperson des vierten Opfers, der die Bauchtasche des vierten Opfers verwahrte, ein Butterfly-Messer vorhielt, die Herausgabe der Bauchtasche forderte und nachdem die Begleitperson des vierten Opfers dem Opfer die Bauchtasche zurückgegeben hatte und das vierte Opfer sein Mobiltelefon aus der Bauchtasche nahm, er ihm die Bauchtasche gewaltsam entriss und sofort die Verfolgung des von ihm flüchtenden vierten Opfers aufnahm, ihn zu Boden streckte, ihn mehrerer Faustschläge ins Gesicht versetze und das Mobiltelefon an sich nahm.
Im Zuge der Strafbemessung wurden erschwerend die einschlägige Vorstrafe, der sofortige Rückfall, das Zusammentreffen von 5 Verbrechen und 1 Vergehen gewertet. Als mildernd wurde berücksichtigt, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und die teilweise Schadensgutmachung durch Ausfolgung der sichergestellten Beute.
Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit in Strafhaft.
Am 10.07.2024 wurde neuerlich ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet. Demzufolge wird gegen den Beschwerdeführer wegen versuchten Raubes in Mittäterschaft ermittelt.
1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Lage in Syrien hat sich seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus aktueller Sicht nicht nachhaltig und wesentlich gebessert. Im Hinblick auf die Aktualität der Länderfeststellungen bestehen keine Bedenken, da sich aus der aktuellen Version keine verfahrensrelevanten Neuerungen ergeben haben. Nachdem die Länderfeststellungen bereits Bestandteil der behördlichen Entscheidung darstellten, wurde auch das Parteiengehör des Beschwerdeführers gewahrt.
Auszugsweise werden aus den herangezogenen Länderfeststellungen insbesondere folgende Feststellungen explizit angeführt:
„Sicherheitslage
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 70 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 29.3.2023). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) veröffentlichte eine Karte mit Stand Dezember 2022, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind. Es gibt Gebiete, in denen mehr als Akteur präsent ist (UNCOI 1.2023) [Anm.: die ausländischen Verbündeten des Regimes wie Iran, Russland und libanesische Hizbollah fehlen - siehe Karten weiter unten]:
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen [Anm.: zu den Gebieten IS-Präsenz siehe Unterkapitel zu den Regionen]:
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023). Die CoI stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Mitte des Jahres 2016 hatte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der ’wichtigsten’ Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, kontrolliert (Reuters 13.4.2016). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.3.2023). Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind während des Jahres im Land in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien]. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022). Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:
Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und der ihr nahestehenden bewaffneten Gruppierungen und in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes (AA 29.11.2021).
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen ’Operation Claw-Sword’, die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten ’eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen’ in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022).
Im Gouvernement Dara’a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten ’Versöhnungsabkommens’. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 9.3.2023). Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nichtidentifzierte Akteure (SNHR 1.5.2023).
Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS)
Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vgl. DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vgl. CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vgl. BAMF 6.12.2022).Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vergleiche DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vergleiche CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vergleiche BAMF 6.12.2022).
Der UN-Sicherheitsrat schätzt die Stärke der Gruppe auf 6.000 bis 10.000 Kämpfer in ganz Syrien und im Irak, wobei die operativen Führer der Gruppe hauptsächlich in Syrien stationiert sind (EUAA 9.2022). Die Terrororganisation IS kann in Syrien selbst in ihren Rückzugsgebieten im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien weiterhin keine territoriale Kontrolle mehr ausüben. Mit mehreren Tausend Kämpfern sowie deren Angehörigen, die sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF befinden, sowie einer vermutlich dreistelligen Zahl von im Untergrund aktiven Kämpfern bleibt IS jedoch ein relevanter asymmetrischer Akteur (AA 29.3.2023). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle und Attentate (DIS 29.6.2020). Der IS verübte immer wieder Angriffe und Anschläge, insbesondere auf Einheiten der SDF im Nordosten sowie auf Truppen des Regimes in Zentralsyrien, und zeigte bei zwei Anschlägen im Jahr 2022 seine anhaltende Fähigkeit zu komplexen Operationen (AA 29.3.2023). Trotz der starken Präsenz syrischer und russischer Streitkräfte in Südsyrien sind mit dem IS verbundene Kämpfer in der Region aktiv und das syrische Regime ist derzeit nicht in der Lage, IS-Aktivisten in Gebieten zurückzudrängen, die vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (VOA 24.10.2022). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF (Zenith 11.2.2022). Nach Angaben der International Crisis Group verübten IS-Zellen Ende 2021 durchschnittlich zehn bis 15 Angriffe auf die Regierungsstreitkräfte pro Monat, die meisten davon im Osten von Homs und im ländlichen westlichen Deir Ez-Zour. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2022 fort (EUAA 9.2022). Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte auch von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021). Zum IS-Angriff vom 20.1.2022 in al-Hassakah siehe das Unterkapitel Nordost- Syrien im Kapitel Sicherheitslage.
Zivile Todesopfer landesweit
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von ’Massakern’, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021). Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von ’Massakern’, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vergleiche SNHR 1.1.2021).
Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) dokumentierte im Zeitraum 1.1.2021 bis 30.6.2023 in den syrischen Gouvernements die folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer sowie Todesopfern. Demnach kamen im Jahr 2022 5.949 Menschen ums Leben und im ersten Halbjahr 2023 2.796 Personen (Darstellung der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED):
Im Monatsverlauf dokumentierte ACLED im Zeitraum 1.1.2020-30.6.2023 die folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer (Darstellung der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED):
Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).
Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien
Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.3.2017 sowie Chlorgas am 25.3.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1.3.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7.4.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.5.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 1.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (1.8.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte die OPCW angesichts der vorliegenden Informationslage ni