Entscheidungsdatum
24.07.2024Norm
AsylG 2005 §10Spruch
I422 2295058-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX geb. XXXX StA. Syrien, vertreten durch die "BBU GmbH", Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.06.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.07.2024, zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 geb. römisch 40 StA. Syrien, vertreten durch die "BBU GmbH", Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.06.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.07.2024, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I., mit dem der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.römisch eins. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins., mit dem der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, wird gemäß Paragraph 3, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.römisch II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 stattgegeben und römisch 40 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien zuerkannt. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wird römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
III. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.römisch III. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Ein syrischer Staatsangehöriger (im Folgenden: Beschwerdeführer) stellte am 30.04.2024 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Rahmen seiner am selben Tag stattfindenden Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Wesentlichen damit begründete, dass in Syrien Krieg herrsche. Er wolle niemanden töten und von niemanden getötet werden. Das seien alle seine Fluchtgründe. Im Falle seiner Rückkehr habe er Angst vor dem Krieg. Er befürchte eine Haftstrafe zu bekommen und seinen Wehrdienst ableisten zu müssen.
Am 29.05.2024 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) einvernommen. Hierbei gab er hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass er Krieg nicht möge. Das Regime sei verbrecherisch. Er wolle für niemanden Kämpfen und habe Angst vor Blut. Wenn er Blut sehe, müsse er sich übergeben. Sonstige Gründe habe er nicht. Im Falle seiner Rückkehr habe er Angst, dass er zwangsrekrutiert und zum Kämpfen gezwungen werde. Außerdem sei er wegen der Demokratie nach Europa gekommen.
Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid der belangten Behörde vom 03.06.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.). und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nach § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 (Spruchpunkt IV.) ausgesprochen, seine Abschiebung nach Syrien gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 zur zulässig erklärt (Spruchpunkt V.) und ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 eine Frist für seine freiwillige Ausreise im Ausmaß von 14 Tagen ab Rechtskraft seiner Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid der belangten Behörde vom 03.06.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.). und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt römisch II.) abgewiesen. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nach Paragraph 57, AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG 2005 (Spruchpunkt römisch IV.) ausgesprochen, seine Abschiebung nach Syrien gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG 2005 zur zulässig erklärt (Spruchpunkt römisch fünf.) und ihm gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG 2005 eine Frist für seine freiwillige Ausreise im Ausmaß von 14 Tagen ab Rechtskraft seiner Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).
Gegen den Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 01.07.2024 vollinhaltlich aufgrund von inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Es wurde insbesondere unter umfassender Zitierung einschlägiger Länderberichte vorgebracht, dass der Beschwerdeführer befürchte sowohl von den an seinem Herkunftsort herrschenden kurdischen Milizen als auch vom syrischen Regime zum Wehrdienst eingezogen oder verfolgt zu werden. Der Beschwerdeführer lehne es jedoch ab, für jegliche Streitkraft in Syrien zu kämpfen und am Krieg teilzunehmen, da dies mit einer erheblichen Gefahr für sein Leben verbunden und er zur Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen gezwungen wäre. Ein Freikauf vom verpflichtenden syrischen Wehrdienst komme für den Beschwerdeführer ebenfalls nicht in Frage. Zudem befürchte der Beschwerdeführer, dass ihm aufgrund seiner illegalen Ausreise und der Asylantragstellung im Ausland eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und daraus eine Verfolgung resultiere. Außerdem sei seine Herkunftsregion für den Beschwerdeführer nicht sicher erreichbar. Ungeachtet des Status des Asylberechtigten wäre ihm bereits aufgrund der prekären Sicherheitslage zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 23.04.2024 zur Entscheidung vorgelegt.
Am 05.07.2024 wurde durch das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers abgehalten und hierbei die gegenständliche Beschwerdesache erörtert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:Die unter Punkt römisch eins. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben. Er ist gesund und erwerbsfähig. Er ist ledig und ohne Sorgepflichten. Seine Identität steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer stammt aus dem der Stadt ar Raqqa im gleichnamigen Gouvernement, im Norden Syriens, wo er aufgewachsen ist und insgesamt sieben Jahre die Schule besucht hat. Seine Familie besitzt in der Stadt ar Raqqa ein Haus. Eine Erwerbstätigkeit übte der Beschwerdeführer in seinem Heimatland nicht aus.
Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern, von denen einer bereits verstorben ist. Seine Eltern leben, ebenso wie eine der beiden Schwestern, in der Türkei. Die zweite Schwester ist verheiratet und lebt nach wie vor in Syrien, in der Nähe der Stadt ar Raqqa. Der Bruder des Beschwerdeführers ist in Deutschland aufhältig. Darüber hinaus umfasst seine Familie noch jeweils zwei Onkel mütter- und väterlicherseits sowie jeweils eine Tante mütter- und väterlicherseits. Dieser sind nach wie vor in Syrien, in Stadt ar Raqqa als auch in der Umgebung der Stadt wohnhaft.
Anfang des Jahres 2014 verließ der Beschwerdeführer sein Heimatland und reiste er zunächst in die Türkei aus. Er verblieb dort für kurze Zeit und reiste im Anschluss nach Europa weiter, wo er im Jahr 2015 in Deutschland einreiste. Er hielt sich für rund eineinhalb Jahre in Deutschland auf und kehrte von dort aus wieder in die Türkei zurück, wo sich zwischenzeitig ein Teil seiner Familie niedergelassen hatte. Der Beschwerdeführer lebte in weiterer Folge für rund sieben Jahre in der Türkei und arbeitete dort in Fabriken.
Am 25.09.2023 reiste der Beschwerdeführer letztmalig aus der Türkei aus und reiste über Bulgarien, Serbien und Ungarn kommend nach Österreich weiter, wo er zunächst am 20.09.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer entzog sich seinem Asylverfahren in Österreich und reiste nach Deutschland weiter, wo er 14.11.2023 einen Asylantrag stellte. Die Behandlung seines Asylantrages wurde in Deutschland abgelehnt, weshalb der Beschwerdeführer am 29.04.2024 nach Österreich zurückkehrte. In Österreich stellte der Beschwerdeführer letztlich am 30.04.2024 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist seither durchgehend im Bundesgebiet aufhältig.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren. Syrische männliche Staatsangehörige können bis zum Alter von 42 Jahren zum Wehrdienst eingezogen werden. Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst für die syrische Armee bislang nicht abgeleistet. Er befindet sich mit 24 Jahren grundsätzlich im wehrfähigen und reservepflichtigen Alter der syrischen Armee.
Der Herkunftsort des Beschwerdeführers und die umliegende Herkunftsregion im Gebiet der kurdischen Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien [Autonomous Administration of North and East Syria - AANES] stehen unter der Kontrolle der kurdischen Sicherheitskräfte (Syrian Democratic Forces – SDF). Der Beschwerdeführer ist in seinem Herkunftsort nicht der Gefahr ausgesetzt, zum verpflichtenden Wehrdienst in die syrische Armee einberufen zu werden. Er hat keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime oder den Dienst an der Waffe an sich. Der Beschwerdeführer hat keine derartigen, als oppositionell anzusehenden Handlungen gesetzt, die ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ins Blickfeld des syrischen Regimes gebracht haben. Ungeachtet dessen hat das syrische Regime keinen Zugriff auf die von der kurdischen SDF kontrollierte Herkunftsregion des Beschwerdeführers. Infolge dessen droht dem Beschwerdeführer dort auch keine Gefahr einer Verfolgung durch die syrischen Behörden infolge einer ihm unterstellten oppositionellen Gesinnung aufgrund einer Wehrdienstverweigerung.
Der Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsort im Gouvernement ar Raqqa allerdings zum verpflichtenden Wehrdienst bei den kurdisch geführten SDF einberufen werden. Sollte er zum verpflichtenden Wehrdienst bei den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten eingezogen werden, ist er im Falle der Weigerung, dieser "Selbstverteidigungspflicht" nachzukommen, aber nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt, von den kurdischen Autonomiebehörden als der Opposition zugehörig wahrgenommen oder mit unverhältnismäßigen Sanktionen belegt zu werden. Eine systematische und spezifische Diskriminierung der arabischstämmigen Bevölkerung ist im Gebiet der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien ebenfalls nicht gegeben.
Der Beschwerdeführer hat keine Verfolgung seitens des IS zu befürchten.
Dem Beschwerdeführer droht in seinem Herkunftsstaat auch keine maßgebliche Gefahr, aufgrund seiner Ausreise oder der Asylantragstellung in Österreich mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
Seine Herkunftsregion ist für den Beschwerdeführer zudem sicher und legal erreichbar. Dem Beschwerdeführer drohen daher weder beim Grenzübertritt in seinen Herkunftsstaat noch bei der Weiterreise in seinen Herkunftsort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allfällige Verfolgungshandlungen seitens des syrischen Regimes.
1.3. Zur Lage in Syrien:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien aus dem COI-CMS (Version 11, 27.03.2024) auszugsweise soweit entscheidungsrelevant wiedergegeben:
Politische Lage
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Syrische Arabische Republik
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den gr