Entscheidungsdatum
01.07.2024Index
41/02 StaatsbürgerschaftNorm
StbG §10 Abs1 Z6Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Sinai über die Beschwerde des A. B., vertreten durch, Rechtsanwältin in Wien, C.-ring, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 24.01.2024, Zl. ..., betreffend eine Angelegenheit nach dem Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.06.2024,
zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
1 Die Ehefrau des Beschwerdeführers D. E. stellte am 18.07.2023 einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer (und dessen drei minderjährige Kinder) beantragten gleichzeitig die Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
2 Mit dem angefochtenen Bescheid der Wiener Landesregierung (belangte Behörde) vom 24.01.2024 wurde der Antrag auf Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers vom 18.07.2023 gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG abgewiesen.
3 Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, bereits am 05.06.2020 habe der Beschwerdeführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 12 km/h und erneut am 15.10.2022 von 50 km/h um 11 km/h im Ortsgebiet überschritten. Er habe dadurch sich selbst und andere Verkehrsteilnehmer einer potentiellen Gefährdung im Straßenverkehr ausgesetzt und die Verkehrssicherheit erheblich reduziert. Zudem habe er am 03.04.2020 das Rotlicht einer Verkehrssignalanlage nicht beachtet, weshalb ein gravierender Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung vorliege. Auch der vom Beschwerdeführer am 25.02.2019 verursachte Verkehrsunfall mit Sachschaden stelle ein gravierendes Fehlverhalten dar. In Zusammenschau mit diesen Handlungen seien auch die Übertretungen betreffend das Befahren des Fahrstreifens für Omnibusse (am 12.11.2018) und das Halten des Fahrzeuges im Bereich „Halten und Parken verboten“ ausgenommen „Ladetätigkeit“ (am 22.02.2019) als Indiz für mangelnde Vertrauenswürdigkeit heranzuziehen, mögen sie auch für sich genommen kein Verleihungshindernis darstellen. Dass die vom Beschwerdeführer ebenso begangenen Verwaltungsübertretungen nach dem Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG) vom 03.06.2021 und 20.06.2021 eine vergleichbare Strafdrohung wie die in § 10 Abs. 2 Z 2 StbG angeführten Verwaltungsübertretungen enthielten, verdeutliche auch die Schwere dieser Übertretungen nach dem BMStG.
4 Der Beschwerdeführer halte sich seit dem Jahr 2013 in Österreich auf und habe im Beobachtungszeitraum von ungefähr fünf Jahren und somit in der letzten Phase seines Aufenthalts wiederholt gravierende Verstöße gegen Normen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienten, begangen. Die letzte schwerwiegende Übertretung liege erst ca. ein Jahr und drei Monate zurück. Aktuell sei daher davon auszugehen, dass er auch in Zukunft wesentliche, die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs betreffende Rechtsbrüche begehen werde. Somit liege, gemessen an der Schwere und Häufigkeit der vom Beschwerdeführer begangenen Übertretungen, noch „kein der Schwere der Taten angemessener Wohlverhaltenszeitraum“ und damit das Einbürgerungshindernis gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vor.
5 Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe sich nicht mit seinem Gesamtverhalten, insbesondere den von ihm vorgelegten Stellungnahmen, wonach er ein verantwortungsbewusster und integrationsbemühter Mann sei, auseinandergesetzt. Die Nichtbeachtung des Rotlichts liege fast vier Jahre, das Halten im Bereich des Vorschriftszeichens „Halten und Parken verboten“ fünf Jahre zurück. Den Verkehrsunfall habe der Beschwerdeführer nicht bemerkt. Bei den Geschwindigkeitsübertretungen handle es sich bloß um geringfügige Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in einem Abstand von mehr als zwei Jahren. Die Mautgebühr nach dem BMStG habe der Beschwerdeführer deshalb nicht entrichtet, weil das Fahrzeug auf seinen autistischen Sohn angemeldet und dieser daher von der Entrichtung der Mautgebühr befreit sei. Dies sei dem Beschwerdeführer von seiner Versicherung bestätigt worden, auf deren Versehen bei der Anmeldung des Fahrzeugs die Verwaltungsübertretungen nach dem BMStG letztlich zurückzuführen seien. Bis auf die Geschwindigkeitsüberschreitungen habe der Beschwerdeführer keine Verwaltungsübertretungen wiederholt und in den letzten rund sechszehn Monaten überhaupt keine Verwaltungsübertretung begangen.
6 Es erscheine auch verfassungswidrig, dass in Bezug auf das Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG keine tatsächliche Interessenabwägung normiert sei (unter Hinweis auf VfGH 9.3.2021, G355/2020). Die Nichtvornahme einer Interessenabwägung sei problematisch, sodass die genannte Bestimmung gegen Art. 8 EMRK, dessen Schutzbereich auch die einzigartige Persönlichkeit sowie die Identität des Menschen, zu der auch die Staatsangehörigkeit gehöre, umfasse, bzw. allenfalls gegen das Sachlichkeitsgebot des BVG-Rassendiskriminierung verstoßen könnte. Bei der Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit seien die Grundsätze des Unionsrechts (insbesondere Art. 7 GRC) zu beachten, wonach bei das Privatleben betreffenden Entscheidungen eine Interessenabwägung zu erfolgen haben.
7 Der Beschwerdeführer beantragte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und die „Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft“, in eventu, die Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde.
8 Mit Schreiben vom 22.02.2024 legte die belangte Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der bezughabenden Akten zur Entscheidung vor. Sie erließ keine Beschwerdevorentscheidung. Die Beschwerde samt Akten langte noch am selben Tag beim Verwaltungsgericht ein.
9 Das Verwaltungsgericht führte am 18.06.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung über die Beschwerde durch, an der der Beschwerdeführer sowie seine rechtfreundliche Vertreterin teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete bereits mit Schreiben vom 04.04.2024 auf eine Teilnahme. Im Anschluss an die Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen verkündet und dem Beschwerdeführer eine Kopie des Verhandlungsprotokolls sogleich ausgehändigt.
10 Der Beschwerdeführer brachte daraufhin mit Schriftsatz vom 26.06.2024 einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses ein, welches hiermit ergeht.
Feststellungen
11 Der am ...1982 in Damaskus geborene Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger.
12 Er reiste am 18.10.2013 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Sein Verfahren wurde am 19.10.2013 zugelassen. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2014 wurde dem Antrag stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Unter einem wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
13 Hinsichtlich des Beschwerdeführers scheinen keine strafrechtlichen, finanzstrafrechtlichen und fremdenrechtlichen Vormerkungen auf.
14 Jedoch liegen folgende verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen vor:
15 Mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Wien (LPD Wien) vom 28.11.2018, …, wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 53 Abs. 1 Z 25 StVO zur Last gelegt und gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO über ihn eine Geldstrafe von EUR 76,00 verhängt, weil er als Lenker des KFZ mit dem Kennzeichen W-1 am 12.11.2018 um 17:17 Uhr in 1220 Wien, Breitenleer Straße 102, in Fahrtrichtung A23, den durch Hinweiszeichen „Fahrstreifen für Omnibusse“ mit Zusatz „Gilt nicht für einspurige Fahrzeuge“ und durch Bodenmarkierungen deutlich gekennzeichneten Fahrstreifen mit einem nicht im Kraftfahrlinienverkehr eingesetzten und nicht in die Ausnahme fallenden Fahrzeug in die Längsrichtung befahren hat.
16 Mit Strafverfügung des Magistrats der Stadt Wien vom 23.04.2019, …, wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. a StVO zur Last gelegt und über ihn nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe von EUR 78,00 verhängt, weil er am 22.02.2019 um 14:35 Uhr in 1220 Wien, Rennbahnweg 46, das oben genannte KFZ im Bereich des Vorschriftszeichens „HALTEN UND PARKEN VERBOTEN“ ausgenommen „Ladetätigkeit“ gehalten hat, obwohl zur angeführten Zeit keine Ladetätigkeit durchgeführt wurde.
17 Mit Straferkenntnis der LPD Wien vom 16.05.2019, …, wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 4 Abs. 5 StVO und des § 4 Abs. 1 lit. a StVO zur Last gelegt und über ihn eine Geldstrafe von EUR 150,00 (nach § 99 Abs. 3 lit. b StVO) und EUR 180,00 (nach § 99 Abs. 2 lit. a StVO) verhängt, weil er als Lenker des genannten KFZ am 25.02.2019 um 17:45 Uhr in 1220 Wien, Eipeldauer Straße 21-25, einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht, nach diesem nicht sofort angehalten und auch nicht die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall verständigt hat.
18 Der dagegen erhobenen Strafhöhenbeschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 22.07.2019, Zl. VGW-031/032/9087/2019, insofern Folge, als es die zur Übertretung nach § 4 Abs. 5 StVO verhängte Geldstrafe auf EUR 100,00 herabsetzte.
19 Mit Straferkenntnis der LPD Wien vom 01.07.2021, …, wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 38 Abs. 5 StVO iVm. § 38 Abs. 1 lit. a StVO zur Last gelegt und nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO über ihn eine Geldstrafe von EUR 140,00 verhängt, weil er als Lenker des genannten KFZ am 03.04.2020 um 12:21 Uhr in 1220 Wien, Wagramer Straße 125A, trotz Rotlichts der Verkehrssignalanlage nicht an der Haltelinie angehalten hat, sondern weitergefahren ist.
20 Mit Strafverfügung der LPD Wien vom 17.08.2020, …, wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 52 lit. a Z 10a StVO zur Last gelegt und über ihn nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe von EUR 76,00 Euro verhängt, weil er als Lenker des genannten KFZ am 05.06.2020 um 20:29 Uhr in 1110 Wien außerhalb des Ortsgebietes auf der A23 bei Kilometer 8,0, Fahrtrichtung Norden, die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 12 km/h überschritten hat. Die in Betracht kommende Messtoleranz wurde bereits zu seinen Gunsten abgezogen.
21 Mit Strafverfügung des Magistrats der Stadt Wien vom 15.09.2021, …, wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 20 Abs. 1 iVm. §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 BStMG zur Last gelegt und nach § 20 Abs. 1 BStMG über ihn eine Geldstrafe von EUR 550,00 verhängt, weil er am 03.06.2021 um 14:30 Uhr in Wien auf der Schnellstraße S2 bei Kilometer 0,662 das KFZ mit dem Kennzeichen W-2 auf dem mautpflichtigen Straßennetz gelenkt hat, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, obwohl die Benützung von Mautstrecken mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, der zeitabhängigen Maut unterliegt. Zum Zeitpunkt der Benützung des mautpflichtigen Straßennetzes war am Kraftfahrzeug weder eine gültige Klebevignette angebracht noch war für das Kennzeichen des Fahrzeuges eine zum Zeitpunkt der Benützung gültige Digitale Vignette registriert, wodurch die zeitabhängige Maut nicht ordnungsgemäß entrichtet wurde.
22 Mit Strafverfügung des Magistrats der Stadt Wien vom 28.10.2021, …, wurde dem Beschwerdeführer abermals eine Übertretung des § 20 Abs. 1 iVm. §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 BStMG zur Last gelegt und nach § 20 Abs. 1 BStMG über ihn eine Geldstrafe von EUR 550,00 verhängt, weil er am 20.06.2021 um 09:10 Uhr in Wien auf der Autobahn A22 bei Kilometer 8,802 das eben genannte KFZ auf dem mautpflichtigen Straßennetz gelenkt hat, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, obwohl die Benützung von Mautstrecken mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, der zeitabhängigen Maut unterliegt. Zum Zeitpunkt der Benützung des mautpflichtigen Straßennetzes war am Kraftfahrzeug weder eine gültige Klebevignette angebracht noch war für das Kennzeichen des Fahrzeuges eine zum Zeitpunkt der Benützung gültige Digitale Vignette registriert, wodurch die zeitabhängige Maut nicht ordnungsgemäß entrichtet wurde.
23 Mit Straferkenntnis der LPD Wien vom 11.10.2023, …, wurde dem Beschwerdeführer schließlich eine Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO zur Last gelegt und nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO über ihn eine Geldstrafe von EUR 70,00 verhängt, weil er als Lenker des zuletzt genannten KFZ am 15.10.2022 um 14:56 Uhr in 1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20, Fahrtrichtung Nußdorfer Straße, die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 11 km/h überschritten hat. Die in Betracht kommende Messtoleranz wurde bereits zu seinen Gunsten abgezogen, wobei die gemessene Geschwindigkeit 64 km/h betrug.
Beweiswürdigung
24 Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den bezughabenden Akt der belangten Behörde, Würdigung des Beschwerdevorbringens, Einholung eines Fremden- und Strafregisterauszugs hinsichtlich des Beschwerdeführers, Anfragen beim Magistrat der Stadt Wien, beim Verkehrsamt, bei der LPD Wien, beim BFA und beim Finanzamt Wien, jeweils über verwaltungsstraf-, fremden- und finanzstrafrechtliche Vormerkungen hinsichtlich des Beschwerdeführers und beim Magistrat der Stadt Wien hinsichtlich eines allfälligen Mindestsicherungsbezugs des Beschwerdeführers ab Jänner 2017 sowie Durchführung der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.06.2024.
25 Die unstrittigen Feststellungen unter Rn. 11 bis 13 ergeben sich aus der Geburtskunde des Beschwerdeführers (ELAK-Zl. …-2023-56), der Kopie seines Reisepasses (ELAK-Zl. …-2023-57) und seinem Asylbescheid (ELAK-Zl. …-2023-58) in Zusammenschau mit dem im Gerichtsakt einliegenden Fremdenregisterauszug vom 01.03.2024 sowie aus den Abfragen des Verwaltungsgerichts (Fremden- und Strafregisterauszug vom 01.03.2024, Vermerk des Amtes für Betrugsbekämpfung vom 14.03.2024 [OZ 15 und 16]).
26 Die ebenso nicht bestrittenen Strafbescheide finden sich überwiegend im Akt der belangten Behörde (ELAK-Zl. …-2023-62 und 143, 145 und 147). Das Straferkenntnis der LPD Wien vom 11.10.2023, …, wurde vom Verwaltungsgericht eingeholt (vgl. OZ 17, Gerichtsakt), weil im Akt der belangten Behörde zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung lediglich die dem Straferkenntnis vorgegangene Aufforderung zur Rechtfertigung einlag (vgl. ELAK-Zl. …-2023-144). Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer auf dessen Verlangen in der Verhandlung vorgehalten. Dass diese Strafbescheide rechtskräftig sind, wurde ebenso nicht in Zweifel gezogen.
Rechtliche Beurteilung
27 Nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.
28 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist bei der Prüfung des Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG eine Prognose über das zukünftige Wohlverhalten des Verleihungswerbers zu treffen. Es ist zu beachten, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft den Abschluss einer (erfolgreichen) Integration des Fremden in Österreich darstellt. Ein längeres Wohlverhalten des Fremden seit einem nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevanten Fehlverhalten kann für eine Prognose nach dieser Bestimmung von Bedeutung sein. So hat der VwGH eine negative Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG als rechtmäßig beurteilt, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht von längerem Wohlverhalten des Antragstellers seit dem zuletzt von ihm begangenen und für die negative Prognose als tragend angesehenen Fehlverhalten ausgegangen werden konnte (vgl. VwGH 2.4.2021, Ro 2021/01/0010, mwN).
29 Es ist demnach auf das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers, insbesondere auf von ihm begangene Straftaten, Bedacht zu nehmen. Maßgebend ist, ob es sich dabei um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung – oder anderer in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Rechtsgüter – erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die – allenfalls negative – Einstellung des Betreffenden gegen die zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetze zum Ausdruck (vgl. etwa VwGH 21.11.2013, 2012/01/0096; 13.2.2020, Fe 2019/01/0001; jeweils mwN).
30 Der Beschwerdeführer hat in einem Zeitraum von knapp vier Jahren (November 2018 bis Oktober 2022) insgesamt acht Verwaltungsübertretungen begangen. Am Beginn dieses Zeitraums hat er mit seinem KFZ im November 2018 rechtswidrig einen Fahrstreifen für Omnibusse befahren und dieses im Februar 2019 im Halte- und Parkverbot abgestellt. Diese beiden länger zurückliegenden Verwaltungsübertretungen lassen isoliert betrachtet zwar noch nicht den Schluss zu, dass sich der Beschwerdeführer auch in Zukunft nicht wohlverhalten werde. Jedoch hat er auch im Februar 2019 einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht und der aufgrund dessen bestehenden Anhalte- und Meldepflicht nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO und § 4 Abs. 5 StVO nicht entsprochen. Bereits mehr als ein Jahr später im April 2020 hat er sodann nach § 38 Abs. 5 iVm. § 38 Abs. 1 lit. a StVO das Rotlicht einer Verkehrssignalanlage nicht beachtet. Bei diesen beiden Übertretungen handelt es sich um gravierende Verstöße gegen Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Verkehrs dienen (vgl. zur Fahrerflucht etwa VwGH 27.07.2007, 2004/01/0046; zur Missachtung des Rotlichts VwGH 23.12.2019, Ra 2019/01/0475). Dazu tritt, dass der Beschwerdeführer schon im Juni 2020 neuerlich eine Schutznorm des Straßenverkehrs missachtet hat, indem er die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb des Ortsgebiets von 60 km/h um 12 km/h, somit nicht unwesentlich um 20 %, überschritten hat.
31 Zwar liegen diese Verstöße bereits mehr als fünf bzw. vier Jahre zurück, sie konnten den Beschwerdeführer aber dennoch nicht davon abhalten, im Juni 2021 und Oktober 2022 weitere Verwaltungsübertretungen zu begehen. Dabei kann es nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, dass die beiden Übertretungen des BStMG im Juni 2021 ebenso isoliert betrachtet keine negative Zukunftsprognose im Sinn des § 10 Abs. 1 Z 6 rechtfertigen, weil er schließlich im Oktober 2022 abermals die zulässige Höchstgeschwindigkeit, diesmal jedoch im Ortsgebiet, von 50 km/h um 11 km/h, also ebenso nicht bloß unwesentlich um 22 %, überschritten hat. Damit hat der Beschwerdeführer in den letzten vier Jahren auch wiederholt Geschwindigkeitsübertretungen begangen, die einer positiven Prognose im Hinblick auf dessen Verbundenheit mit den die öffentliche Ordnung und Sicherheit regelnden Bestimmungen entgegenstehen.
32 Dem Beschwerdevorbringen, wonach die Verwaltungsübertretungen nach dem BStMG nicht vorsätzlich verwirklicht worden seien, weil der Sohn des Beschwerdeführers aufgrund seiner Erkrankung eine Ausnahmegenehmigung für die Entrichtung der Autobahnmaut habe und es das Versicherungsunternehmen verabsäumt habe, das betreffende KFZ auch für diese Befreiung anzumelden, weshalb von einem sehr niedrigen Grad des Verschuldens auszugehen sei, ist zu entgegnen, dass das Verfahren zur (Erstreckung der) Verleihung der Staatsbürgerschaft keinen Raum bietet, ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren neu aufzurollen (vgl. etwa VwGH 19.5.2021, Ra 2021/01/0058, mwN). Die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht sind an eine rechtskräftige Bestrafung daher jedenfalls in Ansehung des Umstands, dass der Betreffende die im Strafbescheid genannte Tat begangen hat, gebunden (vgl. VwGH 24.9.2015, Ra 2015/02/0132; 30.10.2018, Ra 2018/11/0213; 13.6.2019, Ra 2019/02/0015, jeweils mwN). Die Beurteilung, ob der Beschwerdeführer einen verwaltungsstrafrechtlichen Tatbestand verwirklicht hat und ihm auch das erforderliche Verschulden anzulasten ist, kam somit allein der Strafbehörde zu (vgl. VwGH 19.3.2013, 2009/02/0257, mwN).
33 Angesichts der wiederholten verkehrsstrafrechtlichen Delinquenz des Beschwerdeführers innerhalb eines Zeitraums von knapp vier Jahren, wobei die letzte Übertretung einer Schutznorm des Straßenverkehrs erst rund 20 Monate zurückliegt, kann nicht von einem längeren Zeitraum des Wohlverhaltens seit dem zuletzt von ihm begangenen und für die negative Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG als tragend angesehenen Fehlverhalten ausgegangen werden.
34 Sofern der Beschwerdeführer sein Verantwortungsbewusstsein und seine Integrationsbemühungen ins Treffen führt, ist ihm zu entgegen, dass ein einer positiven Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG entgegenstehendes Fehlverhalten durch eine Integration des Verleihungswerbers in anderen Bereichen nicht ausgeglichen werden kann (vgl. VwGH 18.3.2022, Ra 2022/01/0056, mwN). Daher wäre die Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer dazu vorgelegten Stellungnahmen nicht relevant, weshalb dazu keine Feststellungen zu treffen waren.
35 Dem Beschwerdevorbringen, wonach es verfassungswidrig sei, dass in Bezug auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG keine „Interessenabwägung“ normiert sei und dies zu einem Verstoß gegen Art. 8 EMRK (und Art. 7 GRC) bzw. „allenfalls“ gegen das Sachlichkeitsgebot des BVG-Rassendiskriminierung führe, ist zu entgegen, dass § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ohnehin eine einzelfallbezogene Beurteilung der Persönlichkeit eines Verleihungswerbers anhand der konkret gesetzten Verhalten vorsieht und es sich demnach – anders als im Fall der in der Beschwerde angesprochenen Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z 1 StbG (alt), welche vom VfGH als verfassungswidrig aufgehoben wurde (G355/2020) – um keinen „starren“ Versagungsgrund handelt. Wie bereits oben dargelegt, soll die Verleihung der Staatsbürgerschaft den Abschluss einer erfolgreichen Integration darstellen, die durch ein nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevantes Fehlverhalten aber gerade beeinträchtigt wird. Die behaupteten verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken sind damit schon deshalb nicht zu sehen.
36 Sofern der Beschwerdeführer erkennbar meint, seine Lebensumstände seien keiner ausreichenden Beurteilung zugeführt worden, ist ihm abermals zu entgegnen, dass seine letzte gravierende Verwaltungsübertretung erst 20 Monate zurückliegt, weshalb eine allenfalls seither eingetretene wesentliche Änderung seiner Lebensumstände keiner näherer Beurteilung zu unterziehen war (vgl. zum gegenteiligen Fall eines langen Zeitraums des Wohlverhaltens VwGH 30.8.2005, 2003/01/0227). Auch hat er eine derartige Änderung seiner Lebensumstände nicht behauptet. Vielmehr indiziert die Begehung der festgestellten Verwaltungsübertretungen gegen Ende des Aufenthaltes in Österreich nach langjährigem davor gelegenem Wohlverhalten, dass sich die Persönlichkeit des Beschwerdeführers gegen Ende seines Aufenthaltes zum Schlechteren entwickelt hat (vgl. VwGH 24.6.2010, 2008/01/0230, mwN).
37 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
38 Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die vorliegende Entscheidung von der zitierten (einheitlichen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den hier maßgeblichen Rechtsfragen. Bei der vorliegenden Beurteilung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG handelt es sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, die vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen ist, wenn das Verwaltungsgericht seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 21.2.2024, Ra 2024/01/0032 bis 0034, mwN). Darüber hinaus kommt der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. VwGH 19.1.2024, Ra 2023/01/0369, mwN).
Schlagworte
Staatsbürgerschaft, Antrag auf Verleihung, Antrag auf Erstreckung der Verleihung, Verwaltungsübertretung, Verleihungshindernis, Gesamtverhalten, PrognoseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2024:VGW.152.005.2691.2024Zuletzt aktualisiert am
13.08.2024