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63 Allgemeines Dienst- und BesoldungsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Gleichheitswidrigkeit des Ausschlusses der Versorgungsleistung an ehemalige Bundesbedienstete nach dem ÜberbrückungshilfenG bei Anspruch auf jede noch so geringe Leistung aus der Arbeitslosenversicherung; Schließen der infolge Aufhebung einer Wortfolge herbeigeführten planwidrigen Lücke (mögliches Nebeneinander von Arbeitslosengeld und Überbrückungshilfe) im Sinne einer ergänzenden Funktion der ÜberbrückungshilfeSpruch
In §1 Abs1 des Bundesgesetzes vom 4. Juli 1963 über die Gewährung von Überbrückungshilfen an ehemalige Bundesbedienstete, BGBl. Nr. 174, wird die Wortfolge "oder auf Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1958" als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1993 in Kraft.
Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Nach §1 Abs1 des Bundesgesetzes vom 4. Juli 1963, BGBl. 174, über die Gewährung von Überbrückungshilfen an ehemalige Bundesbedienstete (kurz ÜberbrückungshilfenG) ist einem Bundesbediensteten, der von der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß §1 Abs2 lita oder b des Arbeitslosenversicherungsgesetzes ausgenommen ist, wenn er aus dem Dienststand ausscheidet, ohne daß ein Anspruch auf einen laufenden Ruhe- oder Versorgungsbezug oder auf Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz besteht, auf Antrag für die Zeit, während der er das Arbeitslosengeld erhalten würde, wenn er während der Dauer des Bundesdienstverhältnisses arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen wäre, Überbrückungshilfe zu gewähren. Auf die Überbrückungshilfe finden die Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes mit gewissen Ausnahmen sinngemäß Anwendung (§2 Abs1). Erfüllt der ehemalige Bundesbedienstete zufolge der zu geringen Dauer des letzten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses die Anwartschaft nicht, so ist bei Ermittlung der Anwartschaftszeit für die Überbrückungshilfe die Dauer von vorangegangenen arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungen der öffentlich-rechtlichen Dienstzeit zuzurechnen (§2 Abs2). Bei Ermittlung der Bezugsdauer der Überbrückungshilfe sind arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungen, die dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis vorangegangen sind, diesem zuzurechnen (§2 Abs3).
1. Der Beschwerdeführer zu B312/92 war vom 2. Mai 1983 bis 31. August 1984 an der Technischen Universität Wien als Studienassistent teilzeitbeschäftigt und unterlag mit dieser Beschäftigung der Arbeitslosenversicherungspflicht. Nach Abschluß seines Studiums wechselte er am 1. April 1985 auf die Planstelle eines Hochschulassistenten und war seither gemäß §1 Abs2 litb Arbeitslosenversicherungsgesetz von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommen. Das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis endete mit 30. September 1990 durch Zeitablauf.
Sein Antrag vom 19. Oktober 1990 auf Zuerkennung der Überbrückungshilfe wurde mit dem Hinweis auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld aus dem ersten Dienstverhältnis abgewiesen. Seine Berufung, in der er bemängelt, daß er solcherart gleichsam für den Eifer während seines Studiums bestraft werde, und die Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion des Gesetzeswortlautes dahin behauptet, daß die Überbrückungshilfe nur dann gegenüber dem Arbeitslosengeld zurückzustehen habe, wenn sich die Leistungen aus demselben Zeitraum ergeben, blieb erfolglos. Nach Aufhebung des Berufungsbescheides infolge Aufhebung des §56 Abs3 Arbeitslosenversicherungsgesetz durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs G295/90 u.a. vom 28. Juni 1991 (Erkenntnis B280/91 vom 14. Dezember 1991) wurde der Bescheid des Arbeitsamtes neuerlich bestätigt. Das Gesetz sichere eben den Lebensstandard nicht unter allen Umständen. Auch wer neben einer Vollbeschäftigung eine Teilzeitbeschäftigung ausübe, werde durch den Wegfall der Vollbeschäftigung nicht arbeitslos. Außerdem gäbe es keine Anrechnungsregeln, welche aufgrund der unterschiedlichen Kostenträger notwendig wären, um Doppelbezüge zu vermeiden. Die vorgeschlagene "verfassungskonforme Auslegung" sei in Wahrheit eine Umgehung des geltenden Rechts.
Die dagegen erhobene Beschwerde rügt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz. Die Behörde lege das Gesetz gleichheitswidrig aus. Arbeitslose, die noch keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge entrichtet hätten, würden bei dieser Auslegung besser gestellt als solche, die einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen seien. Es handle sich nicht - wie die Behörde meine - um einen Härtefall, sondern um "ein dem §1/1 ÜHG immanentes, generelles Strukturproblem". Das Ziel des Gesetzes, ehemalige Bundesbedienstete gleichwertig gegen Arbeitslosigkeit abzusichern, werde damit verfehlt. Es gäbe keinen sachlichen Grund, die Höhe der Leistung gerade in solchen Fällen nicht an der Höhe des Einkommens zu orientieren. Lasse sich das Gesetz nicht als verfassungskonform auslegen - wie die Beschwerde im einzelnen darzulegen sucht -, so sei es selbst verfassungswidrig.
Die belangte Behörde verteidigt ihre Vorgangsweise als gesetzmäßig und hält den verfassungsrechtlichen Überlegungen der Beschwerde entgegen, daß die Überbrückungshilfe nur ein letztes Netz der Existenzsicherung darstelle und keine Versicherungs-, sondern eine Versorgungsleistung sei, die Bemessung des Arbeitslosengeldes nach dem letzten versicherungspflichtigen Entgelt aber dem Versicherungsprinzip entspreche.
2. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §1 Abs1 ÜberbrückungshilfenG beschlossen und dies wie folgt begründet:
"Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß die Beschwerde zulässig ist und er bei ihrer Erledigung §1 Abs1 ÜberbrückungshilfenG - der aus einem einzigen Satz besteht - zur Gänze anzuwenden hätte.
Er nimmt ferner an, daß an die Stelle des darin genannten Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1958 das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 getreten ist.
Er hat gegen diese Bestimmung aber das Bedenken, daß sie gegen den Gleichheitssatz verstößt, indem sie den nach dem Vorbild der Arbeitslosenversicherung bemessenen und daher am zuletzt bezogenen Entgelt orientierten Anspruch nur dann gewährt, wenn keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gebühren, obwohl doch solche Leistungen der Arbeitslosenversicherung erheblich geringer sein können, als die gebührende Überbrückungshilfe wäre. Es scheint keinen sachlichen Grund dafür zu geben, eine am letzten Entgelt orientierte Versorgungsleistung wegen jeder auch noch so geringen Leistung aus der Arbeitslosenversicherung gänzlich zu verweigern. Insbesondere scheint der Ausschluß verhältnismäßig hoher Überbrückungshilfen durch ein eher zufällig gebührendes, vergleichsweise niedriges Arbeitslosengeld sowohl wegen des Aufeinanderfolgens verschiedener Beschäftigungen wie auch wegen Vorliegens mehrerer gleichzeitiger Beschäftigungen - gemessen am kleinen Kreis der Betroffenen und im Verhältnis zu den für eine bloße Anrechnung zu treffenden Vorkehrungen - kein seltener Härtefall, sondern für gewisse Beschäftigungen geradezu die Regel zu sein.
Die Behörde scheint allerdings mit ihrer Annahme, daß das Gesetz die vom Beschwerdeführer gewünschte, die Bedenken zerstreuende Auslegung nicht zulasse, im Recht zu sein. Auch der von A. Stifter (Entscheidungsbesprechung ZAS 1986/20) angedeutete Weg, die Anspruchsvoraussetzung durch einen Verzicht auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung herbeizuführen, dürfte nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht gangbar sein.
Bei Zutreffen der Bedenken wird allerdings zu prüfen sein, ob durch Beseitigung von Teilen des §1 Abs1 ÜberbrückungshilfenG (wie etwa der Wortfolgen "oder auf Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz ..." und "für die Zeit ... gewesen wäre") die Verfassungswidrigkeit derart beseitigt werden kann, daß eine vollziehbare und vom Willen des Gesetzgebers nicht stärker als die gänzliche Aufhebung abweichende (aber doch im Anlaßfall den Anspruch gewährende) Rechtslage übrig bleibt."
3. Die Bundesregierung hat im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung zu Art7 B-VG von einer Äußerung in der Sache Abstand genommen, ist allerdings der Meinung, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung als ganze aufzuheben sei. Andernfalls würde zum Anspruch auf Arbeitslosengeld noch ein zusätzlicher Anspruch nach dem ÜberbrückungshilfenG treten, was niemals Intention des Gesetzgebers gewesen sei. Bei der im Prüfungsbeschluß erwogenen Teilaufhebung würde der verbleibende Gesetzesteil einen völlig veränderten Inhalt bekommen.
II. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßfallbeschwerde und gegen die Annahme sprechen würde, daß der Gerichtshof bei Erledigung dieser Beschwerde die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden hätte.
III. Die Bedenken des Gerichtshofs sind auch begründet. Die in Prüfung gezogene Bestimmung widerspricht dem Gleichheitssatz.
Das Verfahren hat nichts ergeben, was die Bedenken zerstreut hätte. Es ist ihnen auch nichts hinzuzufügen.
Zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit ist es jedoch entgegen der Auffassung der Bundesregierung möglich, den Umfang der Aufhebung auf einen Teil der geprüften Bestimmung zu beschränken. Sie lautet im hier wesentlichen Teil wörtlich (aufzuhebender Teil hervorgehoben):
"Scheidet ein Bundesbediensteter ..., der von der Arbeitslosenversicherungspflicht ... ausgenommen ist, .... aus dem Bundesdienstverhältnis aus, ohne daß ein Anspruch auf einen laufenden Ruhe- oder Versorgungsbezug oder auf Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1958 besteht, so ist ihm auf Antrag für die Zeit, während der er das Arbeitslosengeld erhalten würde, wenn er während der Dauer des Bundesdienstverhältnisses arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen wäre, eine Überbrückungshilfe zu gewähren."
Es ist offenkundig, daß die vom Verfassungsgerichtshof erhobenen - zutreffenden - Bedenken durch die Aufhebung der bezeichneten Wortfolge beseitigt werden. Strittig ist geblieben, ob eine Aufhebung dieser Wortfolge ausreicht oder ein weiterer Teil, wenn nicht die ganze Bestimmung aufgehoben werden muß, um nicht dem Gesetz einen völlig veränderten, vom Gesetzgeber keinesfalls beabsichtigten Inhalt zu geben. Der Verfassungsgerichtshof pflichtet der Bundesregierung darin bei, daß ein gleichzeitiger voller Bezug von Arbeitslosengeld und Überbrückungshilfe nach dem in Rede stehenden Gesetz keinesfalls in der Absicht des Gesetzgebers gelegen war. Denn aus der offenkundigen Zielsetzung des ÜberbrückungshilfenG ergibt sich die Subsidiarität der Überbrückungshilfe gegenüber der Arbeitslosenversicherung. Die Überbrückungshilfe soll an die Stelle der fehlenden Arbeitslosenversicherung treten. In der Richtung dieses Gesetzeszweckes liegt es aber auch, wenn die Überbrückungshilfe eine unzureichende Leistung aus der Arbeitslosenversicherung derart ergänzt, daß der Bundesbedienstete so gestellt wird, als wäre er während des Dienststandes arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen.
Die Anrechnung anderer Einkommen auf das Arbeitslosengeld ist in den sowohl für die Arbeitslosenversicherung wie für die Überbrückungshilfe geltenden Vorschriften des Arbeitslosenversicherungsgesetzes nicht vorgesehen. Die planwidrige Lücke wird erst durch das mögliche Nebeneinander von Arbeitslosengeld und Überbrückungshilfe infolge Aufhebung der Wortfolge herbeigeführt, die den Anspruch auf Überbrückungshilfe vom Fehlen jedes Anspruches auf Arbeitslosengeld abhängig macht. Die Lücke ist aber im Sinne der bloß ergänzenden Funktion der Überbrückungshilfe ganz offenkundig dahin zu schließen, daß der Anspruch auf die volle Überbrückungshilfe das Fehlen eines Anspruches auf das Arbeitslosengeld voraussetzt und bei Vorliegen eines Anspruches auf Arbeitslosengeld die Überbrückungshilfe nur als Ergänzung, also mit dem Betrag gebührt, um den das Arbeitslosengeld hinter jenem Betrag zurückbleibt, der dem Beamten gebührt hätte, wenn er auch im Dienststand arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen wäre.
Da der Gesetzgeber jedoch die Möglichkeit haben soll, vor Eintritt der Änderung der Rechtslage eine Klarstellung vorzusehen oder eine andere verfassungsmäßige Lösung zu treffen, ist das Inkrafttreten der Aufhebung gleichwohl gemäß Art140 Abs5 B-VG um ein als ausreichend anzusehendes halbes Jahr hinauszuschieben. Auf diese Bestimmung gründet sich auch die Kundmachungsverpflichtung.
Von einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof abgesehen, da davon eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war (§19 Abs4 VerfGG).
Schlagworte
Dienstrecht, Überbrückungshilfe, Arbeitslosenversicherung, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Aufhebung Wirkung, AuslegungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:G224.1992Dokumentnummer
JFT_10069683_92G00224_00