Entscheidungsdatum
11.07.2024Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W239 2261289-2/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Gambia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2022, Zl. XXXX , zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Gambia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2022, Zl. römisch 40 , zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 21 Abs. 5 erster Satz BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 5, AsylG 2005 und Paragraph 61, FPG als unbegründet abgewiesen. Gemäß Paragraph 21, Absatz 5, erster Satz BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Gambia, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 16.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Laut Ergebnis der VIS-Abfrage verfügte die Beschwerdeführerin über ein von 26.04.2022 bis 14.07.2022 gültiges Schengen-Visum Typ C, ausgestellt von der deutschen Botschaft in Dakar/Senegal.
2. Im Rahmen der Erstbefragung am nächsten Tag (17.08.2022) führte die Beschwerdeführerin zu Beginn aus, sie könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Gleich nach ihrer Einreise nach Österreich habe sie Selbstmord begehen wollen. Die Polizei habe sie in die Psychiatrie gebracht und sie sei nach neun Tagen Krankenhausaufenthalt in ein Polizeianhaltezentrum gebracht worden.
Zu den familiären Umständen gab sie an, sie sei von ihrem Ehemann, den sie nach islamischem Recht geheiratet habe, geschieden. Ihr Vater sei verstorben; ihre Mutter und ihre Schwester würden in Gambia leben.
Den Entschluss zur Ausreise habe die Beschwerdeführerin vor etwa zwei Jahren gefasst. Vor zwei bis drei Monaten sei sie mit dem Flugzeug unter Verwendung ihres gambischen Reisepasses in den Senegal geflogen. In Dakar habe sie von der deutschen Botschaft ein Visum erhalten. Bis wann es gültig gewesen sei, wisse sie nicht mehr. Die Ausreise habe sie mit Hilfe ihres Ex-Ehemannes organisiert; er habe auch alles finanziert. Sie habe sich etwa einen Monat lang in Deutschland aufgehalten. Nunmehr sei Österreich ihr Zielland, weil sie denke, dass es hier sicher sei.
Als Fluchtgrund gab sie zusammengefasst an, dass ihre Familie kurz vor ihrer Ausreise ein zweites Mal eine Genitalverstümmelung bei ihr hätte durchführen wollen. Sie sei dann aus ihrem Dorf geflohen und ihr Ex-Ehemann habe die Flucht aus Gambia organisiert. Ihr Ex-Ehemann sei aber Alkoholiker und habe sie immer wieder geschlagen. Bis Deutschland seien sie zusammengereist, dann sei sie vor ihm geflohen.
3. Im Akt findet sich ein vorläufiger Entlassungsbefund eines näher bezeichneten Klinikums vom 16.08.2022 mit den Diagnosen „F 43.2 Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, Z.n. MedIntox in suizidaler Absicht ca. 05/22, Hyperprolaktinämie (131.0 Labor 09.08.22)“. Als Therapieempfehlung wurde festgehalten: „Keine Dauermedikation.“ Zu weiteren empfohlenen Maßnahmen wurde festgehalten: „Die Entlassung erfolgt nach einem Krisenaufenthalt, zum Entlassungszeitpunkt keine unmittelbare Selbst- oder Fremdgefährdung explorierbar, keine UBG Kriterien vorliegend.“
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 24.09.2022 ein auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Deutschland.4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 24.09.2022 ein auf Artikel 12, Absatz 4, der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Deutschland.
Mit Schreiben vom 27.09.2022 stimmte Deutschland der Aufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO ausdrücklich zu.Mit Schreiben vom 27.09.2022 stimmte Deutschland der Aufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 12, Absatz 4, Dublin-III-VO ausdrücklich zu.
5. Am 05.10.2022 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem BFA statt; sowohl Einvernahmeleiter als auch Dolmetscher waren männlichen Geschlechts.
Die Beschwerdeführerin gab zu Beginn an, sie fühle sich geistig und körperlich dazu in der Lage, die Einvernahme durchzuführen. Es sei richtig, dass sie Staatsangehörige von Gambia sei, Englisch als Muttersprache habe, geschieden sei und keine Kinder habe. Identitätsbezeugende Dokumente besitze sie nicht. Die Angaben, die sie bei der Erstbefragung gemacht habe, insbesondere jene zur Ausreise und zum deutschen Visum, seien richtig. Sie habe in Deutschland deshalb keinen Asylantrag gestellt, weil sie Angst vor ihrem Ex-Mann gehabt habe, der sie bedroht habe.
Der Beschwerdeführerin wurde zur Kenntnis gebracht, dass sie aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes das Recht habe, von einer weiblichen Person einvernommen zu werden, doch verlangte sie die Fortführung der Einvernahme.
Weiter nachgefragt gab die Beschwerdeführerin an, dass sie vor ihrem geschiedenen Mann Angst gehabt habe. Sie habe ihn in Deutschland nicht angezeigt, denn er habe sie bedroht. Er habe gesagt, wenn sie zur Polizei gehe, werde er sie finden. Sie habe Angst gehabt, dass er sie finden werde. Der Ex-Mann sei deutscher Staatsbürger und lebe in Berlin; er habe einen deutschen Reisepass. Vorgehalten, dass sie selbst nicht unbedingt in Berlin leben müsse und ihm so entgehen könne, meinte sie, er habe ihr ein Handy gekauft und so könne er sie überall finden. Sie habe nur mittels dieses Handys überhaupt einen Weg finden können, um Deutschland zu verlassen. Sie sei das erste Mal in Europa und habe unter Zuhilfenahme von Google.Maps Deutschland verlassen. In Österreich sei sie zu einer Hilfsorganisation gegangen, die ihr geraten habe, das Handy neu einzustellen, um nicht gefunden zu werden. Das habe sie auch gemacht. Angehörige oder sonstige Verwandte habe die Beschwerdeführerin in Österreich nicht.
Der Beschwerdeführerin wurde sodann zur Kenntnis gebracht, dass seitens des BFA geplant sei, sie aufgrund der Zuständigkeit Deutschlands dorthin auszuweisen. Dem hielt sie entgegen, dass sie nicht nach Deutschland zurückkönne. Sie müsse in einem Land leben, in dem sie sich sicher fühle. Deswegen sei sie in Österreich zu einer Hilfsorganisation gegangen, die sie beschützen könne. Zu den aktuellen Berichten zu Deutschland gab die Beschwerdeführerin keine Stellungnahme ab.
5. Mit Bescheid des BFA vom 05.10.2022 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die Beschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt II.).5. Mit Bescheid des BFA vom 05.10.2022 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß Paragraph 5, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Artikel 12, Absatz 4, Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt römisch eins.). Zudem wurde gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Ziffer eins, FPG gegen die Beschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß Paragraph 61, Absatz 2, FPG ihre Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt römisch II.).
6. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Vertretung, die BBU GmbH, das Rechtsmittel der Beschwerde.
Geltend gemacht wurde unter anderem, dass die BBU Rechtsberatung am 18.08.2022 per E-Mail ausdrücklich um die Zuteilung einer weiblichen Dolmetscherin und Referentin ersucht habe. Dieses Ersuchen sei gänzlich missachtet worden und die Beschwerdeführerin habe sich während der Einvernahme nicht getraut, den Umstand zu bemängeln. Das BFA sei seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, habe die Identität des Ehemannes nicht ermittelt und habe auch sonst die besondere Vulnerabilität der Beschwerdeführerin außer Acht gelassen.
7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.10.2022, Zl. W232 2261289-1/5E, wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.10.2022, Zl. W232 2261289-1/5E, wurde der Beschwerde gemäß Paragraph 21, Absatz 3, zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
Begründet wurde ausgeführt, dass das BFA die Intention des § 20 AsylG 2005 - nämlich allfällige Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung abzubauen - vereitelt habe. Im fortgesetzten Verfahren habe das BFA die Beschwerdeführerin nochmals durch eine weibliche Referentin unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin einzuvernehmen.Begründet wurde ausgeführt, dass das BFA die Intention des Paragraph 20, AsylG 2005 - nämlich allfällige Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung abzubauen - vereitelt habe. Im fortgesetzten Verfahren habe das BFA die Beschwerdeführerin nochmals durch eine weibliche Referentin unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin einzuvernehmen.
8. Am 07.11.2022 fand vor dem BFA eine weitere Einvernahme der Beschwerdeführerin statt; sowohl Einvernahmeleiterin als auch Dolmetscherin waren weiblichen Geschlechts.
Die Beschwerdeführerin bestätigte, sich geistig und körperlich dazu in der Lage zu sehen, die Einvernahme durchzuführen. Zu ihrer Identität und ihrem Familienstand führte sie aus: „Ich heiße XXXX , ich bin am XXXX in Gambia in Banjul geboren und ich bin Staatsangehörige von Gambia. Es kann sein, dass ich noch verheiratet bin. Ich habe [sowohl] traditionell in Gambia geheiratet, als auch standesamtlich. Ich habe keine Scheidungsunterlagen, deshalb kann es sein, dass ich noch verheiratet bin. Ich habe ihn am XXXX 2020 geheiratet. (…) Ich war der Meinung, geschieden zu sein, weil die Ehe im islamischen Recht als annulliert gilt, wenn die Ehepartner für die Dauer von drei Monaten weder miteinander sprechen oder sonst irgendwelchen Kontakt haben. Mein Rechtsberater hat mir dann erklärt, dass ich wahrscheinlich noch verheiratet bin, weil ich keinerlei Scheidungspapiere unterschrieben habe. Ich werde Ihnen meine Heiratsurkunde per Mail schicken.“Die Beschwerdeführerin bestätigte, sich geistig und körperlich dazu in der Lage zu sehen, die Einvernahme durchzuführen. Zu ihrer Identität und ihrem Familienstand führte sie aus: „Ich heiße römisch 40 , ich bin am römisch 40 in Gambia in Banjul geboren und ich bin Staatsangehörige von Gambia. Es kann sein, dass ich noch verheiratet bin. Ich habe [sowohl] traditionell in Gambia geheiratet, als auch standesamtlich. Ich habe keine Scheidungsunterlagen, deshalb kann es sein, dass ich noch verheiratet bin. Ich habe ihn am römisch 40 2020 geheiratet. (…) Ich war der Meinung, geschieden zu sein, weil die Ehe im islamischen Recht als annulliert gilt, wenn die Ehepartner für die Dauer von drei Monaten weder miteinander sprechen oder sonst irgendwelchen Kontakt haben. Mein Rechtsberater hat mir dann erklärt, dass ich wahrscheinlich noch verheiratet bin, weil ich keinerlei Scheidungspapiere unterschrieben habe. Ich werde Ihnen meine Heiratsurkunde per Mail schicken.“
Die Beschwerdeführerin habe keine Kinder. Die Angaben, die sie bisher im Verfahren gemacht habe, seien richtig. Im Rahmen der Erstbefragung habe sie aber ein falsches Alter angegeben. Sie habe an Depressionen gelitten und sei verwirrt gewesen. Betreffend etwaiger Erkrankungen wiederholte die Beschwerdeführerin, dass sie Depressionen habe. Zwei Tage bevor sie nach Österreich gekommen sei, habe das angefangen. Befragt, ob sie Medikamente einnehme, erklärte sie: „Ich war im Krankenhaus vom 08.08.2022 bis 16.08.2022, während meines Aufenthaltes dort habe ich Medikamente bekommen. Seit meiner Entlassung nehme ich keine Medikamente mehr. Ich fühlte mich die ersten zwei Wochen nach der Entlassung besser, deshalb hörte ich mit der Einnahme der Medikamente auf. Dann hat es aber wieder begonnen mit anderen Symptomen.“ Derzeit nehme sie keine Medikamente ein. Welche Medikamente sie zuvor eingenommen habe, wisse sie nicht mehr. Derzeit stehe sie auch nicht in ärztlicher Behandlung. In der ersten Unterkunft, in der sie hier untergebracht gewesen sei, habe es einen Psychologen gegeben. Dort, wo sie jetzt untergebracht sei, gebe es keinen. Sie hätte aber einen benötigt. Bisher habe sie nicht nach einem Psychologen gefragt. Sie habe nicht gewusst, dass dies möglich sei. Abschließend erteilte die Beschwerdeführerin dem BFA die Zustimmung dazu, in medizinische Befunde Einsicht zu nehmen.
Nachgefragt, ob sie ergänzend zur letzten Einvernahme noch etwas vorbringen wolle, antwortete die Beschwerdeführerin: „In Deutschland hat mich mein Mann, XXXX , mit dem Tod bedroht, wenn ich ihn verlasse. Er war Alkoholiker. Als ich das letzte Mal weggelaufen bin von ihm, hat er mich gemeinsam mit einem Freund von ihm vergewaltigt. Er meinte zu mir, dass er mich jedes Mal finden würde, wenn ich versuche wegzulaufen. Deswegen habe ich Deutschland verlassen und bin nach Österreich gekommen, wo ich sofort zur Polizei gegangen bin. Ich wollte ihn in Deutschland anzeigen, aber er drohte mir und sagte, dass er mich überall finden würde. Deutschland wäre sein Land und er würde mich finden.“Nachgefragt, ob sie ergänzend zur letzten Einvernahme noch etwas vorbringen wolle, antwortete die Beschwerdeführerin: „In Deutschland hat mich mein Mann, römisch 40 , mit dem Tod bedroht, wenn ich ihn verlasse. Er war Alkoholiker. Als ich das letzte Mal weggelaufen bin von ihm, hat er mich gemeinsam mit einem Freund von ihm vergewaltigt. Er meinte zu mir, dass er mich jedes Mal finden würde, wenn ich versuche wegzulaufen. Deswegen habe ich Deutschland verlassen und bin nach Österreich gekommen, wo ich sofort zur Polizei gegangen bin. Ich wollte ihn in Deutschland anzeigen, aber er drohte mir und sagte, dass er mich überall finden würde. Deutschland wäre sein Land und er würde mich finden.“
Die Beschwerdeführerin sei im Mai 2022 nach Deutschland gekommen. Sie sei einmal in Deutschland und zwei Mal in Gambia von ihrem Mann weggelaufen. Er sei Alkoholiker, habe immer herumgebrüllt und sie manchmal auch geschlagen. Dann habe er sich wieder bei ihr entschuldigt. Sie sei mit ihm nach Deutschland gekommen, weil er ihr geholfen habe, vor ihrer eigenen Familie und der dort drohenden Beschneidung davon zu kommen. In Deutschland sei sie dann von ihm und einem Freund vergewaltigt worden. Sie habe sich aber nicht an die Polizei gewandt und auch keine Anzeige erstattet, weil er sie bedroht habe.
Weiter nachgefragt schilderte die Beschwerdeführerin, dass sie vermutlich im August vergewaltigt worden sei. Als sie nach Deutschland gekommen sei, habe ihr Mann ihr den Reisepass abgenommen und gesagt, dass sie nicht versuchen solle, sich Hilfe zu holen. Er habe ihr einmal das Bein gebrochen und sie auch sonst verletzt, sowohl in Gambia als auch in Deutschland. Sie habe versucht, die Verletzungen selbst zu kurieren; es gebe keine ärztliche Dokumentation dazu.
Abschließend führte sie zu einer möglichen Überstellung nach Deutschland aus: „Mein Ex wird mich finden. Er kann sich mit Geld alles beschaffen, er könnte sich selbst eine Polizeiuniform kaufen. Außerdem kennt er sehr viele Schwarze, die er auf mich hetzen könnte. (…) Ich möchte noch sagen, auch wenn ich nach Deutschland zurückkehre, dass man mich bitte an einen sicheren Ort unterbringt. Hier zum Beispiel in Österreich, wo ich gerade bin, ist es auch nicht 100%ig sicher. Ständig gehen Leute ein und aus.“ Zu den aktuellen Berichten zu Deutschland gab die Beschwerdeführerin keine Stellungnahme ab.
Im Anschluss an die Einvernahme wurden von der Beschwerdeführerin ein Foto sowie ein Video von erlittenen Verletzungen und die Kopie einer Heiratsurkunde aus Gambia vorgelegt.
9. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 09.11.2022 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die Beschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt II.).9. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 09.11.2022 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß Paragraph 5, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Artikel 12, Absatz 4, Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt römisch eins.). Zudem wurde gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Ziffer eins, FPG gegen die Beschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß Paragraph 61, Absatz 2, FPG ihre Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt römisch II.).
Zur Lage in Deutschland traf das BFA umfassende Feststellungen (Stand: 15.05.2022), die mittlerweile jedoch in einer aktualisierten Version vorliegen (Stand: 07.03.2024).
Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO Deutschland für die inhaltliche Prüfung des gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, da die Beschwerdeführerin in Besitz eines von 26.04.2022 bis 14.07.2022 gültigen deutschen Sengen-Visums gewesen sei. Deutschland habe der Aufnahme der Beschwerdeführerin gemäß dieser Bestimmung auch ausdrücklich zugestimmt.Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass gemäß Artikel 12, Absatz 4, Dublin-III-VO Deutschland für die inhaltliche Prüfung des gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, da die Beschwerdeführerin in Besitz eines von 26.04.2022 bis 14.07.2022 gültigen deutschen Sengen-Visums gewesen sei. Deutschland habe der Aufnahme der Beschwerdeführerin gemäß dieser Bestimmung auch ausdrücklich zugestimmt.
Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben.Die Regelvermutung des Paragraph 5, Absatz 3, AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17, Absatz eins, Dublin-III-VO ergeben.
Die Beschwerdeführerin leide an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten und sei nicht immungeschwächt. Dies ergebe sich aus den im Akt aufliegenden Unterlagen in Zusammenschau mit den Aussagen der Beschwerdeführerin, wonach sie derzeit nicht in ärztlichen Behandlung stehe und keine Medikamente benötige.
Hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerdeführerin betreffend ihren Ex-Mann wurde im Wesentlichen festgehalten, dass im Falle von Übergriffen Dritter von einer ausreichenden Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der Sicherheitskräfte in Deutschland auszugehen sei.
Angehörige oder sonstige Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders enge Beziehung bestehe, habe die Beschwerdeführerin in Österreich nicht. Sie habe auch keine sozialen Kontakte, die sie an Österreich binden würden.
Insgesamt stelle eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Deutschland keine Verletzung von Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK dar.Insgesamt stelle eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Deutschland keine Verletzung von Artikel 3, EMRK oder Artikel 8, EMRK dar.
10. Gegen den Bescheid des BFA erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Vertretung, die BBU GmBH, das Rechtsmittel der Beschwerde. Gleichzeitig wurde angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, und wurde gerügt, dass das BFA keine amtswegige Prüfung gemäß § 57 AsylG 2005 vorgenommen habe.10. Gegen den Bescheid des BFA erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Vertretung, die BBU GmBH, das Rechtsmittel der Beschwerde. Gleichzeitig wurde angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, und wurde gerügt, dass das BFA keine amtswegige Prüfung gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 vorgenommen habe.
Inhaltlich wurde unter anderem ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin medizinischer Behandlung bedürfe und nicht reisefähig sei. Sie sei psychisch in äußerst schlechter Verfassung. Sie traue ihrem Ehemann alles zu und habe deshalb große Angst, im selben Land wie er leben zu müssen.
Mit der Beschwerde vorgelegt wurde ein Rezept für die Medikamente Pantoprazol 20mg [Anm. BVwG: zur kurzzeitigen Behandlung von Refluxsymptomen] und für Mirtabene 30mg [Anm. BVwG: Antidepressivum].
11. Dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurden zudem zwei Ärztliche Ambulanzberichte vom 20.02.2023 und vom 27.02.2023 (OZ 4), denen sich als Diagnose jeweils entnehmen lässt: „re: Chorioretinitis bei Toxoplasmose B58.0, re: Chorioretinitis bei Toxoplasmose H32.0“ [Anm. BVwG: Augenerkrankung]. Als Therapie wurde festgehalten: „Clindamycin 300mg, Prednisolon reduziert auf 25mg, Pantoprazol 40mg“ Vorgesehen wurden Kontrollen in der Augenambulanz.
12. Im Zuge von Ermittlungen hinsichtlich der möglichen Verlängerung bzw. des möglichen Ablaufs der Überstellungsfrist gab das BFA dem Bundesverwaltungsgericht gegenüber bekannt (OZ 5), dass geplant gewesen wäre, die Beschwerdeführerin am 25.01.2023 nach Deutschland zu überstellen, doch sei sie bei der Anhaltung haftunfähig gewesen und daher aus dem Polizeianhaltezentrum entlassen worden. Am 31.03.2023 sei ein weiterer Versuch der Abschiebung nach Deutschland geplant gewesen, diesmal am Landweg, doch habe die Beschwerdeführerin nicht festgenommen werden können. Laut Bericht der zuständigen Polizeiinspektion sei die Beschwerdeführerin am 29.03.2023 bereits freiwillig mit dem Zug nach Deutschland ausgereist und sei dies der deutschen Behörde mitgeteilt worden. Der Auskunft des BFA waren entsprechende Unterlagen (ua. der Bericht vom 29.03.2023 und ein Transfer-Storno an Deutschland vom 30.03.2023) beigefügt.
13. Mit Eingabe vom 11.07.2023 (OZ 6) erkundigte sich die Vertretung der Beschwerdeführerin nach dem Verfahrensstand und brachte gleichzeitig vor, dass die Beschwerdeführerin Ende Mai 2023 festgenommen und nach Deutschland überführt worden sei. Dabei sei die bereits abgelaufene Überstellungsfrist in keiner Weise berücksichtigt worden.
14. Mit Parteiengehör vom 21.07.2023 (OZ 7) wurde den Parteien seitens des Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit gegeben, zum Sachverhalt eine Stellungnahme abzugeben.
Das BFA gab mit Schreiben vom 24.07.2023 bekannt (OZ 8), dass sich die Überstellungfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO verlängert habe, da die Beschwerdeführerin untergetaucht gewesen sei. Übermittelt wurde ein entsprechendes Aussetzungsschreiben an Deutschland vom 31.01.2023. Weiters wurde ausgeführt, dass die von der Vertretung behauptete Amtshandlung (Ende Mai 2023) dem BFA nicht aktenkundig sei. Der letzte aktenkundige Aufenthalt der Beschwerdeführerin sei am 29.03.2023 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle im Reisezug von Linz nach Salzburg gewesen; der dazugehörige Polizeibericht sei dem Bundesverwaltungsgericht bereits nachgereicht worden. Das BFA gab mit Schreiben vom 24.07.2023 bekannt (OZ 8), dass sich die Überstellungfrist gemäß Artikel 29, Absatz 2, Dublin-III-VO verlängert habe, da die Beschwerdeführerin untergetaucht gewesen sei. Übermittelt wurde ein entsprechendes Aussetzungsschreiben an Deutschland vom 31.01.2023. Weiters wurde ausgeführt, dass die von der Vertretung behauptete Amtshandlung (Ende Mai 2023) dem BFA nicht aktenkundig sei. Der letzte aktenkundige Aufenthalt der Beschwerdeführerin sei am 29.03.2023 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle im Reisezug von Linz nach Salzburg gewesen; der dazugehörige Polizeibericht sei dem Bundesverwaltungsgericht bereits nachgereicht worden.
Die Vertretung der Beschwerdeführerin brachte mit Stellungnahme vom 28.07.2023 vor (OZ 9), dass irrtümlich vom Zeitraum Ende Mai 2023 ausgegangen worden sei; tatsächlich habe die Beschwerdeführerin berichtet, ab Ende März 2023 von der Polizei wegen der geplanten Überstellung in Furcht versetzt worden zu sein. Sie habe sodann lieber freiwillig den Zug nach München genommen. Sie habe dies entschieden, ohne die Vertretung der BBU GmBH zu involvieren. Die Beschwerdeführerin habe damals nicht gewusst, dass sie ab dem 27.03.2023 gar nicht mehr überstellt werden hätte dürfen, weil die Überstellungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei.
15. Im Zuge eines weiteren Parteiengehörs vom 28.07.2023 (OZ 10) wurde der Vertretung das Schreiben des BFA vom 24.07.2023 samt dem Aussetzungsschreiben an Deutschland vom 31.01.2023 sowie ein vom Bundesverwaltungsgericht eingeholter Auszug aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) vom 20.07.2023 übermittelt; dem ZMR-Auszug lässt sich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin zwischen 26.01.2023 und 07.02.2023 über keine aufrechte Meldeadresse verfügte.
Dazu führte die Vertretung am 03.08.2023 im Wesentlichen aus (OZ 11), dass die Beschwerdeführerin im fraglichen Zeitraum zwischen 26.01.2023 und 07.02.2023 nicht untergetaucht gewesen sei, sondern deshalb vorübergehend nicht ordnungsgemäß gemeldet gewesen sei, weil sie sich nach der Freilassung aus dem Polizeianhaltezentrum erst wieder um einen Platz in einem Asylcamp bemühen habe müssen, was in der Praxis leider einige Tage gedauert habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Gambia, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 16.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zuvor war sie mit einem von 26.04.2022 bis 14.07.2022 gültigen Schengen-Visum Typ C, ausgestellt von der deutschen Botschaft in Dakar/Senegal, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist. Sie hat dieses seither nicht wieder verlassen.
Das BFA richtete am 24.09.2022 ein auf Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Deutschland, welchem Deutschland mit Schreiben vom 27.09.2022 gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO ausdrücklich zustimmte.Das BFA richtete am 24.09.2022 ein auf Artikel 12, Absatz 4, Dublin-III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Deutschland, welchem Deutschland mit Schreiben vom 27.09.2022 gemäß Artikel 12, Absatz 4, Dublin-III-VO ausdrücklich zustimmte.
Die Beschwerdeführerin war im Zeitraum zwischen 26.01.2023 und 07.02.2023 unbekannten Aufenthalts, für das BFA nicht greifbar und daher flüchtig. Am 31.01.2023 sendete das BFA daher zu Recht ein Aussetzungsschreiben an Deutschland. Die Überstellungsfrist hat sich gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO auf 18 Monate verlängert.Die Beschwerdeführerin war im Zeitraum zwischen 26.01.2023 und 07.02.2023 unbekannten Aufenthalts, für das BFA nicht greifbar und daher flüchtig. Am 31.01.2023 sendete das BFA daher zu Recht ein Aussetzungsschreiben an Deutschland. Die Überstellungsfrist hat sich gemäß Artikel 29, Absatz 2, Dublin-III-VO auf 18 Monate verlängert.
Am 29.03.2023 reiste die Beschwerdeführerin selbständig nach Deutschland aus.
Zur Lage in Deutschland werden folgende Feststellungen getroffen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 07.03.2024):
COVID-19
Alle Personen, die sich in Deutschland aufhalten, einschließlich der Asylbewerber, sind berechtigt, sich gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Der Zugang zu Covid-19-Impfstoffen richtet sich nach dem Aufenthalt in Deutschland und nicht nach dem Krankenversicherungsstatus (AIDA 4.2023).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
Allgemeines zum Asylverfahren
In Deutschland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Für das erstinstanzliche Asylverfahren zuständig ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Beschwerden können an die zuständigen Verwaltungsgerichte oder weiter an übergeordnete Gerichte (Gerichtshöfe) gerichtet werden (AIDA 4.2023; vgl. BAMF 10.2023, für ausführliche Informationen siehe dieselben Quellen).In Deutschland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Für das erstinstanzliche Asylverfahren zuständig ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Beschwerden können an die zuständigen Verwaltungsgerichte oder weiter an übergeordnete Gerichte (Gerichtshöfe) gerichtet werden (AIDA 4.2023; vergleiche BAMF 10.2023, für ausführliche Informationen siehe dieselben Quellen).
Überblick über das deutsche Asylverfahren: (…) (Quelle: AIDA 4.2023)
Nach Angaben der Bundesregierung haben in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 188.967 Menschen in Deutschland einen Asylantrag gestellt, was einem Anstieg von 78,1% gegenüber 2022 entspricht. Die meisten Antragsteller kamen aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Iran und Irak (HRW 11.1.2024).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2023): Ablauf des deutschen Asylverfahrens, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/Asylverfahren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile&v=31, Zugriff 27.2.2024
- HRW – Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Germany, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103213.html, Zugriff 1.3.2024
Dublin-Rückkehrer
Im Jahr 2022 wurden 3.700 Überstellungen nach Deutschland durchgeführt, verglichen mit 4.274 im Jahr 2021, 4.369 im Jahr 2020 und 6.087 im Jahr 2019. Im Jahr 2022 kamen die meisten Überstellungsersuchen an Deutschland aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Es gibt keine Berichte darüber, dass Dublin-Überstellte nach der Überstellung nach Deutschland Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren oder andere Probleme hatten. Es gibt kein einheitliches Verfahren für die Aufnahme und Weiterbehandlung von Dublin-Überstellten. Wenn sie bereits in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, sind sie in der Regel verpflichtet, in die Region zurückzukehren, der sie während ihres früheren Asylverfahrens in Deutschland zugewiesen wurden. Wurde ihr Antrag bereits rechtskräftig abgelehnt, ist es möglich, dass sie bei der Rückkehr nach Deutschland in Schubhaft genommen werden (AIDA 4.2023).
Dublin-Überstellungen nach Deutschland müssen in einem kontrollierten Umfeld durchgeführt werden. Das heißt, die deutschen Behörden sind im Voraus über die Ankunft des Antragstellers informiert. Nach Ankunft muss sich der Rückkehrer bei einer staatlichen Behörde (in der Regel der Bundespolizei) melden, welche die Ankunft dokumentiert. Im Falle der Ersteinreise nach Deutschland registriert die Bundespolizei den Betreffenden und verweist ihn an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung. Bei einer Wiedereinreise nach Deutschland (Wiederaufnahme, Folgeantrag) wird der Antragsteller an die zuständige Aufnahmeeinrichtung verwiesen. In beiden Fällen wird dem Antragsteller ein Zugticket und ein Dokument zur Ermittlung der zuständigen Aufnahmeeinrichtung ausgehändigt. Der Antragsteller reist selbständig zur angegebenen Aufnahmeeinrichtung. Der Zugang zu Unterkünften und anderen materiellen Aufnahmebedingungen erfordert keinen gesonderten Antrag, sondern wird automatisch gewährt, wenn der Behörde die Existenz des Leistungsempfängers und dessen Anspruch auf die Leistungen bekannt ist. Daher empfiehlt es sich, nach Überstellung nach Deutschland, die Leistungsstelle persönlich zu kontaktieren. Wenn der Rückkehrer nicht bereits als Asylwerber in Deutschland registriert ist, ist ein Asylantrag und die entsprechende Registrierung gemäß Asylgesetz erforderlich. Die nötigen Schritte werden so schnell als unternommen, um grundlegende Bedürfnisse wird sich innerhalb von Stunden oder Tagen gekümmert (BAMF/EUAA 5.3.2024).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
- BAMF/EUAA – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) [Deutschland] (Autor) / European Union Agency for Asylum (EUAA) (Veröffentlicher) (2.5.2023): Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Germany, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-05/factsheet_dublin_transfers_de.pdf, Zugriff 5.3.2024
Vulnerable
Es gibt keine gesetzliche Vorschrift bzw. Mechanismus zur systematischen Identifizierung vulnerabler Personen im Asylverfahren, mit Ausnahme von unbegleiteten Minderjährigen. Dies ist Gegenstand von Kritik. Nach Ansicht des BAMF ist die Identifizierung vulnerabler Antragsteller Aufgabe der Bundesländer, die auch für Aufnahme und Unterbringung zuständig sind. Die Praxis der Identifizierung in den Aufnahmezentren der Bundesländer ist unterschiedlich. Kurz nach der Registrierung des Asylantrags im Ankunftszentrum sollte bei allen Asylwerbern eine medizinische Untersuchung durchgeführt werden, die sich jedoch auf die Identifizierung übertragbarer Krankheiten konzentriert. Es gibt keinen gemeinsamen Ansatz für den Zugang zu sozialen Diensten oder anderen Beratungseinrichtungen. Dies hängt davon ab, wie die Bundesländer und das BAMF das Verfahren in den jeweiligen Zentren organisieren. Rund zwei Drittel aller Bundesländer haben auch Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt in Gewalt in den Unterbringungseinrichtungen erlassen (AIDA 4.2023).
Das BAMF verfügt nicht über spezialisierte Einheiten, die sich mit vulnerablen Gruppen befassen. Alle Entscheider absolvieren das EUAA-Schulungsmodul zum Thema "Befragung von vulnerablen Personen". Wenn Informationen vorgelegt werden, die auf eine Vulnerabilität hindeuten, werden diese an den zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet, der Maßnahmen ergreifen kann. Für bestimmte Gruppen von Vulnerablen setzt das BAMF sogenannte Sonderbeauftragte ein, die für deren Verfahren zuständig sind und ihre Kollegen im Umgang mit vulnerablen Antragstellern beraten. Die Richtlinien des BAMF sehen vor, dass die folgenden Fälle besonders sensibel und gegebenenfalls von speziell geschulten Entscheidern behandelt werden: unbegleitete Minderjährige; Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung; Opfer von Menschenhandel; und Opfer von Folter und Traumatisierung. Stellt sich während der Anhörung heraus, dass ein Asylwerber zu einer dieser Gruppen gehört, ist der Beamte, der die Anhörung durchführt, verpflichtet, zusätzlich zur Benachrichtigung der Aufnahmeeinrichtung einen Sonderbeauftragten hinzuzuziehen. Anwälte haben berichtet, dass die Einführung von Sonderbeauftragten zu einer gewissen Verbesserung bei der Bearbeitung von sensiblen Fällen geführt hat, aber es gab auch Beispiele von Fällen, in denen Hinweise auf Traumata und sogar ausdrückliche Hinweise auf Folter nicht dazu führten, dass Sonderbeauftragte hinzugezogen wurden (AIDA 4.2023).
In Deutschland liegt die Unterbringung von Asylwerbern in der Zuständigkeit der Bundesländer. Nach ihrer Ankunft und Registrierung sind Asylwerber gesetzlich verpflichtet, während der Prüfung des Asylantrags in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu bleiben. Für Familien mit minderjährigen Kindern gilt diese Verpflichtung allerdings nur für bis zu sechs Monate und für Vulnerable kann diese generell beendet werden, wenn z.B. eine besondere Unterbringung notwendig ist. Die Bundesländer prüfen, ob die Antragsteller besondere Unterbringungsbedürfnisse haben und berücksichtigen diese durch besondere Maßnahmen. So werden beispielsweise Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, und ihre minderjährigen Kinder in der Regel gemeinsam in besonders geschützten Bereichen der Aufnahmeeinrichtungen untergebracht. Einige Bundesländer bieten spezielle Aufnahmeeinrichtungen, z.B. für allein reisende Frauen und Familien, Personen mit körperlichen Behinderungen, LGBTIQ-Personen oder Opfer von Menschenhandel (BAMF/EUAA 5.3.2023).
2019 wurden die Bundesländer verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz von Frauen und vulnerablen Personen bei der Unterbringung von Asylwerbern in Erstaufnahmeeinrichtungen zu gewährleisten (AIDA 4.2023). In einigen Bundesländern gibt es spezielle Programme zur Identifizierung vulnerabler Personen und spezielle Programme zu deren Schutz vor Gewalt (BAMF/EUAA 5.3.2023). Besondere Bedürfnisse sollen im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen berücksichtigt werden, und Sozialarbeiter oder medizinisches Personal in den Aufnahmeeinrichtungen können bei der spezifischen medizinischen Behandlung helfen. Die Praktiken unterscheiden sich jedoch von Bundesland zu Bundesland und auch von Kommune zu Kommune. Die AnkER-Zentren und die funktional gleichwertigen Aufnahmezentren sehen in der Regel eine getrennte Unterbringung von allein reisenden Frauen und teilweise auch von anderen vulnerablen Gruppen vor (AIDA 4.2023). NGOs bieten Beratung oder Hilfe durch niedrigschwellige psychosoziale Beratung vor Ort; sie können die Betroffenen an externe professionelle Dienste verweisen (BAMF/EUAA 5.3.2023).
Unbegleitete Minderjährige
Unbegleitete Minderjährige, die nicht aufgrund irregulärer Einreise sofort zurückgeführt werden, werden in der Gemeinde, in der sie den ersten Behördenkontakt hatten oder aufgegriffen wurden, in die vorläufige Obhut des Jugendamtes genommen. In dieser Phase der vorläufigen Inobhutnahme prüft das örtliche Jugendamt, welches Jugendamt letztlich zuständig ist und ob der Minderjährige dem bundesweiten Verteilungsverfahren unterzogen werden kann. Nachdem das zuständige Jugendamt ermittelt wurde, wird das reguläre Inobhutnahmeverfahren eingeleitet. Es umfasst die Bestellung eines Vormunds durch das zuständige Familiengericht und das so genannte Clearingverfahren, bei dem geprüft wird, ob es Alternativen zum Asylantrag gibt, wie z.B. die Familienzusammenführung in einem Drittstaat oder die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Der Vormund muss den Asylantrag für den unbegleiteten Minderjährigen schriftlich bei der zuständigen Außenstelle des BAMF stellen. Der Vormund fungiert als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen in allen rechtlichen Angelegenheiten, einschließlich des Asylverfahrens, aber auch als persönlicher Ansprechpartner für die Entwicklung von Zukunftsperspektiven und für die vom Jugendamt durchgeführte Unterstützung. In den meisten Fällen fungiert das Jugendamt als Vormund für den Minderjährigen, aber es gibt auch ehrenamtliche Vormunde mit spezieller Ausbildung. Oft sind die von den Jugendämtern bestellten Vormunde nicht in der Lage, die Minderjährigen im Asylverfahren ausreichend zu betreuen, da sie überlastet sind. Manche Vormunde in den Jugendämtern sind für bis zu 50 Minderjährige gleichzeitig zuständig. Eine weitere Herausforderung ist das fehlende spezifische Wissen über das Asylrecht, vor allem bei ehrenamtlichen Vormunden (AIDA 4.2023).
Das BAMF ist nicht für die Altersfeststellung zuständig, sondern verweist alle vorgeblich unbegleitet minderjährigen Asylwerber an das örtliche Jugendamt. Während der vorläufigen Inobhutnahme muss das Jugendamt das Alter des unbegleiteten Minderjährigen feststellen. Dies geschieht entweder durch Dokumente oder auf Basis einer „qualifizierten Überprüfung“ (Gespräch, visueller Eindruck) durch zwei erfahrene Mitarbeiter des Amtes. Im Rahmen dieser qualifizierten Überprüfung kann das Amt Sachverständige und Zeugen anhören oder schriftliche Beweise sammeln. Nur in Fällen, in denen Zweifel am Alter auf diese Weise nicht ausgeräumt werden können, kann das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung mit den "sorgfältigsten Methoden" veranlassen. In der Praxis werden unterschiedliche Methoden angewandt, darunter Röntgenaufnahmen des Gebisses, des Schlüsselbeins oder des Handgelenks. Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel möglich, dieses hat aber keine aufschiebende Wirkung. In der Praxis werden die Ergebnisse der Altersfeststellung jedoch nur selten angefochten. Da für die Altersfeststellung verschiedene Jugendämter und Familiengerichte zuständig sind, liegen keine Statistiken über die Anzahl und den Ausgang von Altersfeststellungen vor (AIDA 4. 2023).
Für unbegleitete Minderjährige muss sich das Jugendamt um eine angemessene Unterbringung bemühen. Das kann in einer privaten Unterbringung bei Verwandten, bei Pflegefamilien, in allgemeinen Kinderheimen oder in speziellen, auf die Bedürfnisse ausländischer unbegleiteter Minderjähriger zugeschnittenen Kinderheimen (Clearinghäusern) der Fall sein. Die Art der Unterbringung variiert je nach Bundesland und den verfügbaren Kapazitäten. Unbegleitete Minderjährige bleiben in der Regel nicht an dem Ort, an dem sie angekommen sind, sondern können im Rahmen eines Verteilungssystems auf andere Orte in Deutschland verteilt werden (AIDA 4.2023). Allein reisende unbegleitete Minderjährige werden gemäß den gesetzlichen Bestimmungen außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen in Wohngruppen oder Jugendzentren untergebracht, die von den mit der Inobhutnahme betrauten örtlichen Jugendämtern betrieben werden (BAMF/EUAA 5.3.2023). Im Jahr 2021 wurden 11.278 neu ankommende unbegleitete Minderjährige in die Obhut eines Jugendamtes gegeben (im Vergleich zu 7.563 im Jahr 2020) (AIDA 4.2023).
Grundsätzlich gilt das Recht und die Pflicht zum Schulbesuch für alle Kinder in Deutschland, unabhängig von ihrem Status. Da das Bildungssystem jedoch in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt, gibt es einige wichtige Unterschiede in Gesetzgebung und Praxis (AIDA 4.2023).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Hoffmeyer-Zlotnik/Stiller (Autoren) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE) (Veröffentlicher); Country Report Germany 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-DE_2022update.pdf, Zugriff 27.2.2024
- BAMF/EUAA – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) [Deutschland] (Autor) / European Union Agency for Asylum (EUAA) (Veröffentlicher) (2.5.2023): Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Germany, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-05/factsheet_dublin_transfers_de.pdf, Zugriff 5.3.2024
Non-Refoulement
Deutschland führt eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Zusätzlich führt Deutschland eine Liste sicherer Drittstaaten, von denen angenommen werden kann, dass sie die Flüchtlingskonvention von 1951 und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) anwenden. Letztere Liste umfasst derzeit Norwegen und die Schweiz (AIDA 4.2023).
Wenn Asylsuchende bereits in einem "sonstigen Drittstaat" vor Verfolgung sicher waren, ist dies ein Grund für Unzulässigkeit. Eine solche Sicherheit wird vermutet, wenn der Antragsteller im Besitz eines Reisedokuments aus diesem Land ist oder sich dort mehr als drei Monaten aufhielt, ohne von Verfolgung bedroht zu sein. Der Antragsteller kann diese Vermutung widerlegen, indem er eine Verfolgungsbedrohung glaubhaft macht. Die Bestimmung wird selten angewendet (24-mal im Jahr 2020, 4-mal im Jahr 2021 und 6-mal im Jahr 2022) (AIDA 4.2023).
Die Einreise in das Hoheitsgebiet muss verweigert werden, wenn ein Migrant an der Grenze ohne die erforderlichen Dokumente für eine legale Einreise erscheint und wenn eine sofortige Abschiebung in das Nachbarland (als sicherer Drittstaat) möglich ist. Seit 2013 dürfen Asylwerber nicht mehr in Nachbarländer zurückgeschickt werden, ohne dass ihr Antrag auf internationalen Schutz registriert wurde. Doch selbst wenn Migranten die Grenze überschritten haben - die aufgrund einer im Bundespolizeigesetz (in Anlehnung an den Schengener Grenzkodex) als 30 km langer Streifen definiert ist - haben sie nicht unbedingt das Hoheitsgebiet betreten, und es ist möglich, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine Zurückweisung in den Nachbarstaat erfolgt, ohne zu prüfen, welches Land für die Behandlung des Asylantrags zuständig ist. Im Jahr 2022 stellten die Grenzkontrollbehörden insgesamt 34.731 Personen fest, die irregulär nach Deutschland einreisten und Asyl beantragten. Von diesen wurden 34.061 an das BAMF verwiesen. Seit 2015 führt Deutschland an den Grenzen zu Österreich regelmäßig wieder Grenzkontrollen ein (AIDA 4.2023).