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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art140 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde der J in W, vertreten durch Dr. T, Rechtanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 11. März 1994, Zl. 120.906/2-6a/94, betreffend Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei:
Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der vorliegenden Beschwerde, dem in einer Ausfertigung vorgelegten angefochtenen Bescheid und den vom Verfassungsgerichtshof übermittelten Verwaltungsakten ergibt sich im wesentlichen folgender Sachverhalt:
Mit Bescheid vom 10. Oktober 1993 sprach die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt aus, daß die Beschwerdeführerin ab 5. Jänner 1993 der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 GSVG unterliege, weil sie ab diesem Zeitpunkt zur Ausübung einer die Mitgliedschaft zur Kammer der gewerblichen Wirtschaft begründenden Gewerbeberechtigung berechtigt sei.
Die Beschwerdeführerin erhob Einspruch. Sie unterliege aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses als Volksschullehrerin beim Stadtschulrat für Wien einer gesetzlichen Pensionsversicherung, weshalb sie von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG auszunehmen sei.
Mit Bescheid vom 11. Jänner 1994 gab der Landeshauptmann von Wien dem Einspruch keine Folge und bestätigte die Entscheidung der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt. Nach der Begründung seien die Ausnahmen von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung im § 4 GSVG geregelt. Während nach § 4 Abs. 2 Z. 4 der genannten Bestimmung Personen, die nach dem BKUVG in der Krankenversicherung pflichtversichert seien, von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG ausgenommen seien, gebe es eine analoge Ausnahmeregelung für den Bereich der Pensionsversicherung nicht. Die Beschwerdeführerin sei daher zu Recht in die Pensionsversicherung nach dem GSVG einbezogen worden.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, wobei sie im wesentlichen vorbrachte, aufgrund der Ausnahmebestimmungen des § 4 GSVG ergebe sich, daß eine Doppelversicherung nach dem ASVG vermieden werden solle. Es sei daher sachlich nicht gerechtfertigt, "öffentlich-rechtliche Versicherte" einer Doppelversicherung zu unterwerfen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde auch der Berufung keine Folge gegeben. Nach der Begründung trete die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG kraft Gesetzes mit der Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes (hier: Kammermitgliedschaft) ein und begründe die Anwartschaft auf Versicherungsleistungen. Ob und in welchem Umfang tatsächlich Ansprüche auf Versicherungsleistungen entstünden, habe keinen Einfluß auf die Frage des Entstehens der Pflichtversicherung, sondern hänge vom Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles und der Erfüllung allfälliger weiterer vom Gesetz normierter Leistungsvoraussetzungen ab.
Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der mit Beschluß vom 27. Februar 1995, B 933/94, deren Behandlung ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerdeergänzung bringt die Beschwerdeführerin lediglich vor, der angefochtene Bescheid sei deshalb rechtswidrig, weil er auf § 2 Abs. 1 GSVG gestützt werde, obwohl diese Bestimmung vom Verfassungsgerichtshof zu G 29/79-9 (ergänze: Erkenntnis vom 18. Oktober 1979, VfSlg. 8657) als verfassungswidrig aufgehoben worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 GSVG in der Fassung der 2. GSVG-Novelle BGBl. Nr. 531/1979 sind die Mitglieder der Kammer der gewerblichen Wirtschaft unter anderem in der Pensionsversicherung pflichtversichert.
Nach § 4 Abs. 3 Z. 2 GSVG in der Fassung der genannten Novelle sind von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unter anderem Personen, die aufgrund der die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz begründenden Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz unterliegen, für die Dauer dieser Pflichtversicherung ausgenommen.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 18. Oktober 1979, G 29, 42/79 = VfSlg. 8657, u.a.
§ 2 Abs. 1 Z. 1 GSVG in der Stammfassung BGBl. Nr. 560/1978,
als verfassungswidrig aufgehoben. Zu diesem Ergebnis gelangte
der Gerichtshof im wesentlichen deshalb, weil er die
Bestimmungen über die Versicherungspflicht in der
Pensionsversicherung der gewerblichen Wirtschaft und die damit
im Zusamenhang stehenden Ausnahmeregelungen als eine Einheit
betrachtet hat. Zwischen den in der Privatwirtschaft Tätigen
und den öffentlich Bediensteten werde nämlich eine unsachliche
Unterscheidung getroffen: Während die ersteren durch
§ 4 Abs. 3 Z. 2 GSVG ausgenommen würden, seien die öffentlich
Bediensteten trotz einer gleichwertigen Anwartschaft auf eine
Versorgung in der Pensionsversicherung der gewerblichen
Selbständigen versicherungspflichtig, so daß
§ 2 Abs. 1 Z. 1 GSVG gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße.
Die Beschwerdeführerin übersieht bei ihrem Vorbringen, daß
§ 4 Abs. 3 Z. 2 GSVG durch die 2. GSVG-Novelle,
BGBl. Nr. 531/1979, eine neue Fassung erhielt. Diese
unterscheidet sich von der Fassung des Stammgesetzes dadurch,
daß der Bestand einer Pflichtversicherung in der
Pensionsversicherung nach dem ASVG aufgrund einer anderen
Erwerbstätigkeit keinen Ausnahmegrund mehr von der
Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG
bildet. Die neue Fassung der Z. 2 war ein Teil jener Maßnahmen,
die die Neuregelung der Mehrfachversicherung zum Gegenstand
hatten. Dabei wurde der Grundsatz der Subsidiarität der Systeme
verlassen; jede versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit führt
nunmehr grundsätzlich zu einer Versicherungs- und damit
Beitragspflicht in jenem System, das aufgrund der einzelnen
Tätigkeiten sachlich hiefür in Betracht kommt (vgl. dazu die
Ausführungen zu den §§ 2 und 4 GSVG bei Teschner-Widlar, Die
Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft
selbständig Erwerbstätigen, insbesondere Anm. 4a zu § 2 und
Anm. 8 zur § 4 GSVG; ferner das hg. Erkenntnis vom
28. Juni 1994, Zl. 94/08/0108).
Ob der Gesetzgeber beim Zusammentreffen zweier oder mehrerer versicherungspflichtiger Beschäftigungen eine Mehrfachversicherung vorsieht oder ob er nach dem Grundsatz der Subsidiarität bei Bestehen einer Pflichtversicherung in einem anderen Versicherungszweig die Ausnahme von der Pflichtversicherung normiert, liegt in seinem Ermessen (vgl. dazu das Erkenntnis vom 13. März 1993, Zl. 91/08/0174; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Mehrfachversicherung vgl. das Erkenntnis vom 24. März 1992, Zl. 91/08/0155, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes). Die Pflichtversicherung tritt kraft Gesetzes mit der Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes ein und begründet die Anwartschaft auf Versicherungsleistungen. Ob und in welchem Umfang tatsächlich Ansprüche auf Versicherungsleistungen entstehen, hat keinen Einfluß auf die Frage des Zustandekommens der Pflichtversicherung, sondern hängt vom Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles und der Erfüllung allfälliger weiterer vom Gesetz normierter Leistungsvoraussetzungen ab (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 14. August 1986, Zl. 86/08/0153). Aus der sachlich abgegrenzten Riskengemeinschaft ergibt sich, daß in Kauf genommen werden muß, daß es in manchen Fällen trotz bestehender Versicherungspflicht zu keinem Rentenanfall kommt (vgl. das Erkenntnis vom 20. April 1993, Zl. 91/08/0115, mit weiteren Judikaturhinweisen).
Die belangte Behörde handelte daher nicht rechtswidrig, wenn sie die Versicherungspflicht der Beschwerdeführerin in der Pensionsversicherung nach dem GSVG bejaht hat.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995080067.X00Im RIS seit
20.11.2000