Entscheidungsdatum
04.06.2024Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W161 2292470-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.05.2024, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.05.2024, Zl. römisch 40 , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 idgF und § 61 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 5, AsylG 2005 idgF und Paragraph 61, FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein volljähriger afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.04.2024 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Eine EURODAC-Abfrage ergab je einen Treffer der Kategorie 1 mit Bulgarien vom 07.12.2020, mit Rumänien vom 08.02.2021 und mit Belgien vom 13.04.2021.
2. Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.04.2024 gab der BF im Wesentlichen an, er sei XXXX Jahre alt und stamme aus Afghanistan. Seine Mutter und zwei seiner Brüder seien in Afghanistan aufhältig. Sein Vater sei verstorben. Ein Bruder sei in Österreich aufhältig und asylberechtigt. Seinen Herkunftsstaat habe er im Jahr 2018 mit dem Bus in den Iran (Aufenthalt 2 Wochen) verlassen und sei dann von dort aus in die Türkei (Aufenthalt 1,5 Jahre), nach Bulgarien (Aufenthalt 4 Monate) und Serbien (Aufenthalt 2 Monat), Rumänien (Aufenthalt 2 Monate), Italien (Aufenthalt 2 Wochen), Frankreich (Aufenthalt 1 Woche), Belgien (Aufenthalt von 13.04.2021-03.04.2024), Frankreich (Aufenthalt 1 Woche) über die Schweiz (Durchreise) nach Österreich gereist. Er habe in Belgien um Asyl angesucht, sonst habe er in keinem anderen Land um Asyl angesucht. In Belgien sei über seinen Asylantrag negativ entschieden worden. Er wolle in Österreich bleiben. Als Fluchtgrund gab der BF an, aufgrund einer Grundstückstreitigkeit seines Vaters mit ihren Feinden habe er sein Heimatland verlassen müssen. Ihre Feinde seien Anhänger der Taliban, sein Leben sei in Gefahr. 2. Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.04.2024 gab der BF im Wesentlichen an, er sei römisch 40 Jahre alt und stamme aus Afghanistan. Seine Mutter und zwei seiner Brüder seien in Afghanistan aufhältig. Sein Vater sei verstorben. Ein Bruder sei in Österreich aufhältig und asylberechtigt. Seinen Herkunftsstaat habe er im Jahr 2018 mit dem Bus in den Iran (Aufenthalt 2 Wochen) verlassen und sei dann von dort aus in die Türkei (Aufenthalt 1,5 Jahre), nach Bulgarien (Aufenthalt 4 Monate) und Serbien (Aufenthalt 2 Monat), Rumänien (Aufenthalt 2 Monate), Italien (Aufenthalt 2 Wochen), Frankreich (Aufenthalt 1 Woche), Belgien (Aufenthalt von 13.04.2021-03.04.2024), Frankreich (Aufenthalt 1 Woche) über die Schweiz (Durchreise) nach Österreich gereist. Er habe in Belgien um Asyl angesucht, sonst habe er in keinem anderen Land um Asyl angesucht. In Belgien sei über seinen Asylantrag negativ entschieden worden. Er wolle in Österreich bleiben. Als Fluchtgrund gab der BF an, aufgrund einer Grundstückstreitigkeit seines Vaters mit ihren Feinden habe er sein Heimatland verlassen müssen. Ihre Feinde seien Anhänger der Taliban, sein Leben sei in Gefahr.
3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) richtete am 23.04.2024 einen auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Dublin III-VO gestützten Aufnahmeantrag an Belgien. 3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) richtete am 23.04.2024 einen auf Artikel 18, Absatz eins, Litera d, der Dublin III-VO gestützten Aufnahmeantrag an Belgien.
Mit Schreiben vom 29.04.2024 gaben die zuständigen belgischen Behörden bekannt, dass Belgien der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zustimme. Mit Schreiben vom 29.04.2024 gaben die zuständigen belgischen Behörden bekannt, dass Belgien der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin III-VO zustimme.
4. Am 13.05.2024 fand die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA statt, bei der er zunächst angab, er fühle sich geistig und körperlich in der Lage die Einvernahme durchzuführen. Er sei gesund, leide an keinen Krankheiten und nehme keine Medikamente zu sich. In Österreich habe er einen Bruder, welcher mit seiner Familie in XXXX wohne. Dieser sei in Österreich asylberechtigt. Er halte telefonisch Kontakt mit seinem Bruder, persönlich gesehen hätten sie sich nur einmal in Österreich. Der letzte persönliche Kontakt davor sei in Afghanistan gewesen. Als er in Belgien gewesen wäre, habe er die Telefonnummer des Bruders bekommen und seither würden sie regelmäßig telefonieren. Zu seinem Bruder bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis. Der Bruder habe ihm bei seiner Ankunft Kleidung gekauft und € 100,- in bar gegeben, danach habe er kein Geld mehr von ihm gebraucht. Es seien keine weiteren Personen, zu welchen ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe, in Österreich aufhältig. Seine bisherigen Angaben in der Erstbefragung, bezüglich seines Reiseweges würden stimmen. Er habe in Belgien die ganze Zeit im Camp gelebt und sei dort auch versorgt worden. Er habe dann eine negative Entscheidung erhalten und dann nichts mehr bekommen. Die erste negative Entscheidung habe er vor ca. einem Jahr erhalten, die zweite sei ihm dann eine Woche später mitgeteilt worden. Er sei dann noch einige Zeit im Camp toleriert worden. Dann sei er aufgefordert worden, das Camp zu verlassen. Er habe neun oder zehn Monate dort bleiben dürfen. Danach sei er ca. einen Monat bei Freunden gewesen oder habe auf der Straße geschlafen. Ein Anwalt habe auch erfolglos um eine Arbeitserlaubnis angefragt. Es habe während seines Aufenthalts in Belgien keine ihn konkret betreffenden Vorfälle gegeben. Befragt nach seiner Stellungnahme zu den ihm ausgefolgten Länderinformationen zu Belgien, gab der BF nichts an. Auf den Vorhalt, Belgien habe seiner Wiederaufnahme gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-Verordnung zugestimmt, gab der BF an, er wolle nicht nach Belgien zurück, weil er dort 3 Jahre lang auf einen Aufenthaltstitel gewartet und nichts bekommen habe. Er habe dort alles versucht, aber es habe weder Arbeit noch Asyl oder einen anderen Aufenthaltstitel für ihn gegeben. 4. Am 13.05.2024 fand die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA statt, bei der er zunächst angab, er fühle sich geistig und körperlich in der Lage die Einvernahme durchzuführen. Er sei gesund, leide an keinen Krankheiten und nehme keine Medikamente zu sich. In Österreich habe er einen Bruder, welcher mit seiner Familie in römisch 40 wohne. Dieser sei in Österreich asylberechtigt. Er halte telefonisch Kontakt mit seinem Bruder, persönlich gesehen hätten sie sich nur einmal in Österreich. Der letzte persönliche Kontakt davor sei in Afghanistan gewesen. Als er in Belgien gewesen wäre, habe er die Telefonnummer des Bruders bekommen und seither würden sie regelmäßig telefonieren. Zu seinem Bruder bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis. Der Bruder habe ihm bei seiner Ankunft Kleidung gekauft und € 100,- in bar gegeben, danach habe er kein Geld mehr von ihm gebraucht. Es seien keine weiteren Personen, zu welchen ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe, in Österreich aufhältig. Seine bisherigen Angaben in der Erstbefragung, bezüglich seines Reiseweges würden stimmen. Er habe in Belgien die ganze Zeit im Camp gelebt und sei dort auch versorgt worden. Er habe dann eine negative Entscheidung erhalten und dann nichts mehr bekommen. Die erste negative Entscheidung habe er vor ca. einem Jahr erhalten, die zweite sei ihm dann eine Woche später mitgeteilt worden. Er sei dann noch einige Zeit im Camp toleriert worden. Dann sei er aufgefordert worden, das Camp zu verlassen. Er habe neun oder zehn Monate dort bleiben dürfen. Danach sei er ca. einen Monat bei Freunden gewesen oder habe auf der Straße geschlafen. Ein Anwalt habe auch erfolglos um eine Arbeitserlaubnis angefragt. Es habe während seines Aufenthalts in Belgien keine ihn konkret betreffenden Vorfälle gegeben. Befragt nach seiner Stellungnahme zu den ihm ausgefolgten Länderinformationen zu Belgien, gab der BF nichts an. Auf den Vorhalt, Belgien habe seiner Wiederaufnahme gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, der Dublin III-Verordnung zugestimmt, gab der BF an, er wolle nicht nach Belgien zurück, weil er dort 3 Jahre lang auf einen Aufenthaltstitel gewartet und nichts bekommen habe. Er habe dort alles versucht, aber es habe weder Arbeit noch Asyl oder einen anderen Aufenthaltstitel für ihn gegeben.
5. Mit Bescheid des BFA vom 13.05.2024 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO Belgien für die Prüfung des Antrags zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Belgien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). 5. Mit Bescheid des BFA vom 13.05.2024 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß Paragraph 5, Absatz eins, AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin III-VO Belgien für die Prüfung des Antrags zuständig sei (Spruchpunkt römisch eins.). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Ziffer eins, FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Belgien gemäß Paragraph 61, Absatz 2, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch II.).
Zur Lage in Belgien wurden folgende Feststellungen getroffen [unkorrigiert, gekürzt]:
Zur Lage im Mitgliedsstaat:
1. COVID-19
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports.
Für historische Daten bis zum 10.3.2023 s. die Datenbank der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 .
Personen, die internationalen Schutz beantragen, haben Anspruch auf denselben Zugang zu COVID-19-Impfstoffen und Tests wie belgische Staatsangehörige. Für Antragsteller, die in Aufnahmezentren untergebracht sind, hat Fedasil Impfkampagnen durchgeführt (AIDA 4.2023).
Quellen
• AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Vluchtelingenwerk Vlaanderen (Autor), veröffentlicht von European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Belgium; 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-BE_2022update_final.pdf, Zugriff: 30.11.2023
2. Allgemeines zum Asylverfahren
Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit:
(Quelle: AIDA 4.2023)
Erstinstanzliche Asylbehörde ist das Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose (Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides / Commissariaat-generaal voor de vluchtelingen en de staatlozen, CGRA/CGVS) (AIDA 4.2023).
„Aufnahmekrise“
(siehe dazu auch Kapitel 7. Versorgung und seine Unterkapitel; Anm.) Belgien befindet sich seit Mitte Oktober 2021 in einer sogenannten „Aufnahmekrise“, die den Zugang zum Asylverfahren beeinträchtigt, weil immer wieder Asylsuchende wegen mangelnder Unterbringungsplätze im Ankunftszentrum Petit Château/Klein Kasteeltje keine Asylanträge stellen konnten und folglich nicht als Asylwerber galten und bestimmte mit diesem Status verbundene Grundrechte, wie das Recht auf Unterbringung, nicht in Anspruch nehmen konnten. Alternativ wurde die Registrierung auf einer Warteliste angeboten. In einem Urteil vom 19. Januar 2022 verurteilte das Brüsseler Gericht erster Instanz den belgischen Staat diesbezüglich. Nach dem Urteil besserte sich die Situation zunächst, doch mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine kam es wieder zu Behinderungen beim Zugang zum Verfahren. Ende August 2023 erklärte die belgische Regierung, dass sie asylsuchende alleinstehende Männer (2022 machten diese 71% der Asylanträge aus) nicht mehr unterbringen kann, da die Aufnahmekapazitäten vorrangig für Familien, Frauen und Kinder genutzt werden sollen (AP 30.8.2023). Mitte September 2023 hob das oberste belgische Verwaltungsgericht diese Entscheidung der Regierung auf (AP 13.9.2023; vgl. ECRE 22.9.2023).(siehe dazu auch Kapitel 7. Versorgung und seine Unterkapitel; Anmerkung Belgien befindet sich seit Mitte Oktober 2021 in einer sogenannten „Aufnahmekrise“, die den Zugang zum Asylverfahren beeinträchtigt, weil immer wieder Asylsuchende wegen mangelnder Unterbringungsplätze im Ankunftszentrum Petit Château/Klein Kasteeltje keine Asylanträge stellen konnten und folglich nicht als Asylwerber galten und bestimmte mit diesem Status verbundene Grundrechte, wie das Recht auf Unterbringung, nicht in Anspruch nehmen konnten. Alternativ wurde die Registrierung auf einer Warteliste angeboten. In einem Urteil vom 19. Januar 2022 verurteilte das Brüsseler Gericht erster Instanz den belgischen Staat diesbezüglich. Nach dem Urteil besserte sich die Situation zunächst, doch mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine kam es wieder zu Behinderungen beim Zugang zum Verfahren. Ende August 2023 erklärte die belgische Regierung, dass sie asylsuchende alleinstehende Männer (2022 machten diese 71% der Asylanträge aus) nicht mehr unterbringen kann, da die Aufnahmekapazitäten vorrangig für Familien, Frauen und Kinder genutzt werden sollen (AP 30.8.2023). Mitte September 2023 hob das oberste belgische Verwaltungsgericht diese Entscheidung der Regierung auf (AP 13.9.2023; vergleiche ECRE 22.9.2023).
Im Laufe der sogenannten Aufnahmekrise wurde die belgische Unterbringungsagentur Fedasil mehr als 8.000 mal auf nationaler Ebene wegen Verletzung des Rechts auf Unterbringung verurteilt und es gab mehr als 1.100 einstweilige Anordnungen (Artikel 39) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (AIDA 4.2023).Nichtsdestotrotz hält die belgische Regierung an dieser Politik fest und verweist auf die Warteliste für die Unterbringung (TP 6.11.2023).
Im Jänner 2023 eröffnete die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien (INF(2022)2157), wegen nicht ordnungsgemäßer und nicht vollständiger Umsetzung der Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Richtlinie 2013/33/EU) (EK 26.1.2023).
Im Juli 2023 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall Camara v. Belgien (49255/22), dass Belgien das Recht auf ein faires Verfahren verletzte, indem die Behörde den Beschwerdeführer trotz einer dahingehenden Entscheidung eines nationalen Gerichtes nicht unterbrachte. Der EGMR bezeichnete dies nicht als isoliertes Ereignis, sondern als systemisches Versagen der belgischen Behörden, Gerichtsurteile bezüglich Unterbringung von Asylwerbern umzusetzen (EGMR 18.7.2023).
Statistik
2022 verzeichnete Belgien mit über 33.000 Asylanträgen bis Ende November den höchsten Stand seit der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 (USDOS 20.3.2023). Im Jahr 2022 wurden in Belgien insgesamt 36.871 Anträge auf internationalen Schutz gestellt (davon waren 4.652 Folgeanträge). Im Jahr 2022 hat das CGRA/CGVS 10.632 Personen einen Flüchtlingsstatus und 429 Personen einen subsidiären Schutzstatus zuerkannt, womit die Gesamtanerkennungsquote 43% beträgt. Berücksichtigt man nur die Entscheidungen über Erstanträge, lag die Anerkennungsquote bei 52,8% (AIDA 4.2023).
Quellen
• AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Vluchtelingenwerk Vlaanderen (Autor), veröffentlicht von European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Belgium; 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-BE_2022update_final.pdf, Zugriff: 30.11.2023
• AP - Associated Press (30.8.2023): Belgian court overturns government decision to deny shelter to single men seeking asylum, https://apnews.com/article/belgium-asylum-shelter-migrants-protection-refugees-fd55171384ba977229fce01ed8f58f7f, Zugriff 13.12.2023
• AP - Associated Press (13.9.2023): Belgium’s asylum shelters will no longer take in single men in order to make room for families, https://apnews.com/article/belgium-asylum-protection-families-47170304e6de56ea69315abcb013f123, Zugriff 13.12.2023
• ECRE - European Council on Refugees and Exiles (22.9.2023): ELENA Weekly Legal Update, per E-Mail
• EGMR – Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (18.7.2023), Press Release: Refusal by national authorities to execute immediately enforceable court order, https://hudoc.echr.coe.int/#{%22itemid%22:[%22003-7706270-10639596%22]}, Zugriff: 15.12.2023
• EK – Europäische Kommission (26.1.2023): Vertragsverletzungsverfahren im Januar: wichtigste Beschlüsse, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/DE/inf_23_142, Zugriff 15.12.2023
• TP – The Parliament (6.11.2023): Belgium’s asylum crisis, https://www.theparliamentmagazine.eu/news/article/belgiums-asylum-crisis, Zugriff 13.12.2023
3. Dublin-Rückkehrer
Ein Dublin-Rückkehrer wird an der Grenze (Flughafen oder Landgrenzübergang) von der Grenzpolizei empfangen. Diese händigt dem Überstellten ein persönliches Einladungsschreiben aus, sich am nächsten Arbeitstag um 8.30 Uhr bei der Einwanderungsbehörde in Brüssel einzufinden, um seinen Antrag auf internationalen Schutz in Belgien zu stellen und einzureichen. Wenn der Antragsteller zu diesem Termin erscheint, hat er sofort Zugang zum Verfahren (EUAA 24.4.2023).
Wenn ein Antragsteller Belgien vor dem ersten Interview verlässt, wird sein Verfahren beendet („technische Zurückweisung“). Belgien betrachtet Dublin-Rückkehrer als Folgeantragsteller, wenn ihr Verfahren in Belgien als implizit oder explizit zurückgezogen gilt und geschlossen wurde. Stellt ein solcher Rückkehrer erneut einen Asylantrag, ist die Behörde verpflichtet, diesen als zulässig zu betrachten (AIDA 4.2023).
Im Rahmen des Dublin-Verfahrens wurden 2022 insgesamt 15.052 Aufnahme- und Wiederaufnahmegesuche an andere Staaten gerichtet, von denen 8.735 angenommen wurden. Im Jahr 2022 wurden insgesamt 831 Personen tatsächlich von Belgien in andere Mitgliedstaaten überstellt. Im selben Zeitraum gingen 2.787 Aufnahme- und Rücknahmeersuchen in Belgien ein, von denen die belgischen Behörden 1.696 annahmen. 357 Personen wurden im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Belgien überstellt (AIDA 4.2023).
Quellen:
• AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Vluchtelingenwerk Vlaanderen (Autor), veröffentlicht von European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Belgium; 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-BE_2022update_final.pdf, Zugriff: 30.11.2023
• EUAA - European Union Agency for Asylum (24.04.2023), Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Belgium, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-04/factsheet_dublin_transfers_be.pdf, Zugriff: 14.12.2023
4. Non-Refoulement
Es gibt keine Berichte über tatsächliche Refoulementfälle an den Grenzen Belgiens. Personen, die nicht über die erforderlichen Reisedokumente verfügen, wird die Einreise in das Schengen-Gebiet verweigert. (Der im Französischen verwendete Ausdruck „refoulement“ für die Zurückweisungsentscheidung (nl.: terugdrijving) ist hier irreführend.) Sie können trotzdem einen Asylantrag bei der Grenzwache stellen, der auch behandelt wird, während die Zurückweisungsentscheidung suspendiert ist und der Antragsteller sich in einem geschlossenen Zentrum an der Grenze befindet (meist das Zentrum Caricole am Brüsseler Flughafen) (AIDA 4.2023).
Belgien verfügt über eine Liste sicherer Herkunftsstaaten und kann im Einzelfall auch das Prinzip des sicheren Drittstaats als Unzulässigkeitsgrund anwenden, hat aber keine Liste sicherer Drittstaaten (AIDA 4. 2023).
Wenn ein Folgeantrag nicht zugelassen wird, sollte das CGRA/CGVS bei der Umsetzung einer Rückkehrentscheidung das Vorliegen eines direkten oder indirekten Refoulement-Risikos prüfen (AIDA 4.2023).
Quellen:
• AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Vluchtelingenwerk Vlaanderen (Autor), veröffentlicht von European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Belgium; 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-BE_2022update_final.pdf, Zugriff: 30.11.2023
5. Versorgung
Nach dem Aufnahmegesetz hat jeder Asylwerber das Recht auf materielle Aufnahmebedingungen ab dem Zeitpunkt der Asylantragstellung. Zuständig für die Versorgung von Asylwerbern ist die Unterbringungsagentur Fedasil (AIDA 4.2023).
Die Versorgung vom Asylwerbern in den kollektiven Unterbringungszentren hat sich mittlerweile vollständig von finanzieller Hilfe auf rein materielle Hilfe verlagert. Dazu gehören Unterbringung, Verpflegung, Kleidung, medizinische, soziale und psychologische Hilfe, Zugang zu Dolmetscherdiensten und rechtlicher Vertretung, Zugang zu Schulungen, ein Programm zur freiwilligen Rückkehr und ein Tagegeld (das sogenannte Taschengeld) (AIDA 4.2023; vgl. EUAA 24.4.2023). Als Taschengeld erhalten im Jahr 2023 Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren, die eine Schule besuchen EUR 9,50 pro Woche, jüngere Kinder und Kinder ab 12 Jahren, die nicht zur Schule gehen, erhalten EUR 5,60 pro Woche, und unbegleitete Minderjährige in der ersten Phase der Unterbringung (in den Beobachtungs- und Orientierungszentren) erhalten EUR 6,80 pro Woche (AIDA 4.2023).Die Versorgung vom Asylwerbern in den kollektiven Unterbringungszentren hat sich mittlerweile vollständig von finanzieller Hilfe auf rein materielle Hilfe verlagert. Dazu gehören Unterbringung, Verpflegung, Kleidung, medizinische, soziale und psychologische Hilfe, Zugang zu Dolmetscherdiensten und rechtlicher Vertretung, Zugang zu Schulungen, ein Programm zur freiwilligen Rückkehr und ein Tagegeld (das sogenannte Taschengeld) (AIDA 4.2023; vergleiche EUAA 24.4.2023). Als Taschengeld erhalten im Jahr 2023 Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren, die eine Schule besuchen EUR 9,50 pro Woche, jüngere Kinder und Kinder ab 12 Jahren, die nicht zur Schule gehen, erhalten EUR 5,60 pro Woche, und unbegleitete Minderjährige in der ersten Phase der Unterbringung (in den Beobachtungs- und Orientierungszentren) erhalten EUR 6,80 pro Woche (AIDA 4.2023).
Asylwerber in individueller Unterbringung bei NGOs oder lokalen Unterbringungsinitiativen, erhalten zusätzlich noch einen Geldbetrag oder Essensgutschein, in der Höhe anhängig von der Familiengröße und von der Tatsache ob in der Unterkunft Mahlzeiten ausgegeben werden:
(Quelle: AIDA 4.2023)
Die sogenannte Aufnahmekrise, die Mitte Oktober 2021 begonnen hat, dauert an. (siehe dazu auch Kapitel 3. Allgemeines zum Asylverfahren; Anm.) Da der Mangel an Unterbringungsplätzen noch zugenommen hat, werden die verfügbaren Plätze vorrangig an die vulnerabelsten Antragsteller vergeben. In der Praxis handelt es sich dabei um Familien mit Kindern, alleinstehende Frauen und unbegleitete Minderjährige. Alleinstehenden männlichen Asylwerbern wird systematisch der Zugang zum Aufnahmesystem verweigert und sie müssen sich auf eine Warteliste setzen lassen. Aufgenommen werden Männer vorrangig dann, wenn sie mit Hilfe eines Anwalts die Verletzung ihres Rechts auf Aufnahme vor Gericht einklagen. Doch auch nach einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung müssen die Antragsteller mehrere Monate warten, bevor sie eine Einladung in das Aufnahmesystem erhalten. Während dieser Zeit sind die Betroffenen gezwungen auf der Straße, in Zelten oder besetzten Häusern zu schlafen oder bei Freunden oder Familien unterzukommen. Die Ende 2022/Anfang 2023 von Asylwerbern besetzten Häuser wurden in der Regel schnell geräumt und die Betroffenen in Obdachlosen- und Notunterkünften untergebracht (AIDA 4.2023).Die sogenannte Aufnahmekrise, die Mitte Oktober 2021 begonnen hat, dauert an. (siehe dazu auch Kapitel 3. Allgemeines zum Asylverfahren; Anmerkung Da der Mangel an Unterbringungsplätzen noch zugenommen hat, werden die verfügbaren Plätze vorrangig an die vulnerabelsten Antragsteller vergeben. In der Praxis handelt es sich dabei um Familien mit Kindern, alleinstehende Frauen und unbegleitete Minderjährige. Alleinstehenden männlichen Asylwerbern wird systematisch der Zugang zum Aufnahmesystem verweigert und sie müssen sich auf eine Warteliste setzen lassen. Aufgenommen werden Männer vorrangig dann, wenn sie mit Hilfe eines Anwalts die Verletzung ihres Rechts auf Aufnahme vor Gericht einklagen. Doch auch nach einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung müssen die Antragsteller mehrere Monate warten, bevor sie eine Einladung in das Aufnahmesystem erhalten. Während dieser Zeit sind die Betroffenen gezwungen auf der Straße, in Zelten oder besetzten Häusern zu schlafen oder bei Freunden oder Familien unterzukommen. Die Ende 2022/Anfang 2023 von Asylwerbern besetzten Häuser wurden in der Regel schnell geräumt und die Betroffenen in Obdachlosen- und Notunterkünften untergebracht (AIDA 4.2023).
Nach wie vor sind zahlreiche Asylwerber obdach- und mittellos, weil ihnen aufgrund mangelnder Kapazitäten der Zugang zu Unterkünften verweigert wird (AI 27.3.2023),
Trotz der Bemühungen der Regierung das Aufnahmeproblem zu lösen, indem zusätzliche Plätze in Unterkünften geschaffen wurden, übersteigt die Zahl der Asylwerber weiterhin die Kapazität (USDOS 20.3.2023).
Asylwerber, die innerhalb von vier Monaten ab Antragstellung noch keine erstinstanzliche Entscheidung erhalten haben, haben Zugang zum Arbeitsmarkt. Das Recht auf Arbeit ist direkt in ihrer befristeten Aufenthaltserlaubnis (orange Karte) vermerkt, so dass keine separate Arbeitserlaubnis erforderlich ist. Alleinstehende männliche Antragsteller, die im Zuge der sogenannten Aufnahmekrise keine Unterkunft erhalten, haben jedoch oft Schwierigkeiten, eine befristete Aufenthaltserlaubnis (orange Karte) zu erhalten, was ihren Zugang zum Arbeitsmarkt in der Praxis stark einschränkt (AIDA 4.2023).
Quellen:
• AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Belgium 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089434.html, Zugriff 15.12.2023
• AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Vluchtelingenwerk Vlaanderen (Autor), veröffentlicht von European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Belgium; 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-BE_2022update_final.pdf, Zugriff: 30.11.2023
• EUAA - European Union Agency for Asylum (24.04.2023), Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Belgium, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-04/factsheet_dublin_transfers_be.pdf, Zugriff: 14.12.2023
• USDOS – United States Department of State (20.3.2023), 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Belgium, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089455.html, Zugriff: 15.12.2023
51. Unterbringung
Es gibt das offene Ankunftszentrum Klein Kasteeltje/Petit Château in Brüssel, wo Asylanträge registriert werden und wo die Antragsteller Zugang zum Aufnahmesystem finden. Die Unterbringungsagentur Fedasil prüft eventuelle besondere Aufnahmebedürfnisse (z. B. medizinische Bedürfnisse) und bestimmt in der zweiten Phase ein Aufnahmezentrum für den Rest des Verfahrens (AIDA 4.2023).
Fedasil weist dann einen Aufnahmeplatz zu (sogenannter „Code 207“) (Fedasil o.D.b). Dies wird in kollektiven Zentren oder in lokalen Unterbringungsinitiativen umgesetzt. Koordiniert werden die diesbezüglichen Anstrengungen von der Unterbringungsagentur Fedasil, die diese in Zusammenarbeit mit Sozialämtern (PCSW), NGOs und Privaten umsetzt (AIDA 4.2023). Mit Stand 1.12.2023 verfügt Belgien über insgesamt etwa 35.435 Unterbringungsplätze, von denen 33.285 belegt waren (94%). Diese Plätze verteilen sich auf rund 100 kollektive Zentren, welche etwa 75% der Gesamtkapazität ausmachen. 398 belgische Gemeinden stellen 4.633 Unterbringungsplätze in lokalen Unterbringungsinitiativen zur Verfügung (Fedasil o.D.a).
Asylwerber, die privat untergebracht sind, haben nur Anspruch auf medizinische, nicht aber auf materielle Versorgung (AIDA 4.2023; vgl. Fedasil o.D.b).Asylwerber, die privat untergebracht sind, haben nur Anspruch auf medizinische, nicht aber auf materielle Versorgung (AIDA 4.2023; vergleiche Fedasil o.D.b).
Es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie viele alleinstehende männliche Antragsteller im Laufe der sogenannten Aufnahmekrise mittellos geworden sind. Im Jahr 2022 waren 3.888 Personen auf der Warteliste von Fedasil eingetragen, von denen 2.826 eine Einladung für einen Aufnahmeplatz erhielten. 2.722 Personen haben auf diese Einladung reagiert und einen Aufnahmeplatz erhalten. Mit Stand April 2023 standen 1.200 Personen auf dieser Warteliste und die durchschnittliche Wartezeit betrug 4 Monate (AIDA 4.2023). Im November 2023 waren etwa 2.500 Asylwerber auf der Warteliste. Lokale NGOs schätzen die Zahl der obdachlosen Asylwerber auf mindestens 2.000. Behelfsunterkünfte sind in den letzten zwei Jahren überall in Brüssel entstanden (TP 6.11.2023).
Wer eine endgültig negative Asylentscheidung erhält, wird eingeladen sich zu einem der vier Fedasil-Zentren zu begeben, welche „offene Rückkehrplätze“ bereithalten (Fedasil o.D.b), von denen es etwa 360 Plätze gibt (AIDA 4.2023). Dort geht es vorrangig darum, die Bewohner von den Vorteilen einer freiwilligen Rückkehr im Gegensatz zu einer erzwungenen Rückkehr zu überzeugen. Der offene Charakter der Zentren wird dadurch gewährleistet, dass die Bewohner nicht abgeschoben werden, solange sie auf den Ausreisebescheid warten (in der Regel 30 Tage), und dass sie die Zentren frei verlassen können (Fedasil o.D.b).
Quellen:
• AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Vluchtelingenwerk Vlaanderen (Autor), veröffentlicht von European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Belgium; 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-BE_2022update_final.pdf, Zugriff: 30.11.2023
• Fedasil – Federal Agency for the Reception of Asylum Seekers (ohne Datum a): Startseite, https://www.fedasil.be/en, Zugriff 15.12.2023
• Fedasil – Federal Agency for the Reception of Asylum Seekers (ohne Datum b): Reception of asylum seekers, https://www.fedasil.be/en/asylum-belgium/reception-asylum-seekers, Zugriff 15.12.2023TP – The Parliament (6.11.2023): Belgium’s asylum crisis, https://www.theparliamentmagazine.eu/news/article/belgiums-asylum-crisis, Zugriff 13.12.2023
5.2. Medizinische Versorgung
Asylwerber haben das Recht auf medizinische Versorgung, das auch besteht, wenn sie sonst keine materielle Versorgung erhalten sollten. Das gilt auch für Folgeantragsteller (EUAA 24.4.2023). Alle Antragsteller über fünf Jahren werden einem Lungenröntgen zur Tuberkulosediagnose unterzogen (Fedasil o.D.b).
Medizinische Versorgung umfasst alle Leistungen, welche die belgische Krankenkasse übernimmt, mit gewissen Ausnahmen bei nicht notwendigen oder sehr teuren Behandlungen. Auch der Stand des Asylverfahrens kann Einfluss auf die medizinische Behandlung haben (zum Beispiel kostet die neueste Behandlung von Hepatitis C durchschnittlich EUR 90.000 und es ist eine langwierige Behandlung, die ihre Wirkung verliert wenn sie vorzeitig abgebrochen wird. Aufgrund der Unsicherheit, ob ein Asylantrag positiv entschieden wird und ob der Antragsteller die Behandlung im Herkunftsstaat fortsetzen kann, weigert sich Fedasil häufig die moderne Behandlung zu übernehmen und bewilligt lediglich die Kosten für ältere, kostengünstigere Behandlungen. Dies hängt von der individuellen medizinischen Situation, dem Rat der Ärzte und dem Asylverfahren ab). Asylwerber sind vom Behandlungsbeitrag (Remgeld/ticket moderateur) befreit. Asylwerber, die sich in einer Unterbringung aufhalten, dürfen in der Regel nur den Arzt aufsuchen, an den sie vom Sozialarbeiter verwiesen wurden, es sei denn, sie beantragen eine Ausnahme. Elf der Zentren von Fedasil haben einen Arzt im Zentrum zur Verfügung, der bei Bedarf an einen Facharzt überweisen kann. Kollektive und individuelle Unterbringungen arbeiten oft mit bestimmten Ärzten oder medizinischen Zentren in der Umgebung zusammen. Fedasil erstattet die Kosten hierfür, sowie für notwendige psychologische Betreuung von Asylwerbern in kollektiven Zentren. Die medizinische Versorgung für Asylwerber in individuellen Unterbringungsinitiativen wird aus einem anderen Fonds erstattet. Es gibt Dienste, die sich auf die psychische Gesundheit von Migranten spezialisiert haben, wie Solentra, aber sie sind nicht in der Lage, die Nachfrage vollständig abzudecken. Öffentliche Zentren für psychische Gesundheit stehen Asylwerbern offen und haben angepasste Tarife, doch fehlt es ihnen meist an spezifischem Fachwissen. Außerdem mangelt es an qualifizierten Dolmetschern. In Wallonien gibt es ein spezialisiertes Aufnahmezentrum des Roten Kreuzes (Centre d'accueil rapproché pour demandeurs d'asile en souffrance mentale, CARDA) für traumatisierte Asylwerber. In Flandern gibt es ein Zentrum für die intensive Betreuung von Asylwerbern mit psychologischen und/oder leichten psychiatrischen Problemen (Centrum voor Intensieve Begeleiding van Asielzoekers, CIBA). Das CIBA bietet eine intensive Betreuung von maximal 3 Monaten und verfügt über 40 Plätze, von denen 5 für unbegleitete Minderjährige ab 16 Jahren reserviert sind. CARDA bietet 35 Plätze für Erwachsene und Familien, aber keine Plätze für unbegleitete Minderjährige. Weder CIBA noch CARDA hatten im März 2023 eine Warteliste. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung wird erschwert durch Sprachbarrieren und begrenzte Transportmöglichkeiten (AIDA 4.2023).
Wird ein Asylantrag abgelehnt endet das Aufnahmerecht, hat die betroffene Person nur noch Anspruch auf medizinische Notfallhilfe, für die sie sich an das Sozialamt (PCSW) wenden muss (AIDA 4.2023).
Da im Zuge der sogenannten Aufnahmekrise der Zugang männlicher Antragsteller zu Unterbringung eingeschränkt ist, hat dies auch Auswirkungen auf ihren Zugang zu medizinischer Versorgung. Medizinische Organisationen der Zivilgesellschaft haben bei zahlreichen Gelegenheiten die medizinische Situation der obdachloser Antragsteller angeprangert. (AIDA 4.2023).
Es gibt Initiativen zur Unterstützung von Asylsuchenden, die ganz oder teilweise vom belgischen Staat oder einer der Regionen subventioniert werden. Dazu gehören etwa: The Humanitarian Hub (von der Region Brüssel verwaltet und finanziert; wo Asylwerber medizinische und psychologische Hilfe, Kleidung, Hygieneartikel, Unterbringung für Frauen, Toilettenartikel und kostenlose Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr erhalten können); der Refugee Medical Point von Ärzte ohne Grenzen (bietet ähnliche Dienste an, die ebenfalls teilweise von der Regierung finanziert werden); das Tageszentrum des Roten Kreuzes (bietet Essen, Ruheplätze, sanitäre Anlagen und Sicherheit); das Vluchtelingenwerk Vlaanderen (bietet ebenfalls Lebensmittel und Zugang zu kostenlosem Rechtsbeistand) (EUAA 24.4.2023).
MedCOI bearbeitet keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten (EUAA MedCOI 19.2.2021).
Quellen:
• AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Vluchtelingenwerk Vlaanderen (Autor), veröffentlicht von European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Belgium; 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-BE_2022update_final.pdf, Zugriff: 30.11.2023
• EUAA - European Union Agency for Asylum (24.04.2023), Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Belgium, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-04/factsheet_dublin_transfers_be.pdf, Zugriff: 14.12.2023 EUAA MedCOI – Medical COI (19.2.2021): Auskunft von EUAA MedCOI, per E-Mail
• Fedasil – Federal Agency for the Reception of Asylum Seekers (ohne Datum b): Reception of asylum seekers, https://www.fedasil.be/en/asylum-belgium/reception-asylum-seekers, Zugriff 15.12.2023
5.3. Dublin-Rückkehrer
Je nach Stand des Verfahrens bevor er Belgien verlassen hat, kann ein Dublin-Rückkehrer als Folgeantragsteller betrachtet werden. Grundsätzlich haben Folgeantragsteller das Recht auf Zugang zu Versorgung während der Prüfung ihres Falles. Das Gesetz sieht jedoch die Möglichkeit vor, die Unterbringung von Folgeantragstellern zu verweigern, bis ihr Asylantrag für zulässig befunden wird (AIDA 4.2023).
Unter normalen Umständen werden Rückkehrer, die in Belgien einen neuen Antrag stellen wollen, nach der Registrierung des Antrags von der Unterbringungsagentur Fedasil im Ankunftszentrum in Brüssel (Klein Kasteeltje/Petit Chateau) betreffend weiterer Unterbringung behandelt. Wenn das Verfahren eines Rückkehrers noch läuft, kann er sich bezüglich eines Unterbringungsplatzes direkt an Fedasil wenden. Jedoch ist seit Anfang 2022 Belgien mit einem Mangel an Aufnahmeplätzen in den Aufnahmezentren konfrontiert. Daher gilt derzeit folgende Vorgehensweise: Nach der Registrierung des Asylantrags oder wenn ein Antragsteller mit noch laufendem Verfahren nach Belgien überstellt wird, kann Fedasil aufgrund des großen Drucks auf sein Aufnahmesystem derzeit keine sofortige individuelle Unterbringung garantieren. Es wird unbegleiteten Minderjährigen, Familien mit Kinder und Frauen Vorrang eingeräumt. Falls kein Platz verfügbar ist, wird die Person aufgefordert, sich in eine Warteliste einzutragen und wird zu einem späteren Zeitpunkt in das Registrierungszentrum eingeladen (EUAA 24.4.2023).
Aufgrund der sogenannten Aufnahmekrise wird alleinstehenden männlichen Dublin-Rückkehrern der Zugang zum Aufnahmesystem verweigert. Sie können sich auf eine Warteliste setzen lassen und werden zu einem späteren Zeitpunkt zur Aufnahme eingeladen werden. Ähnlich wie andere männliche Antragsteller können sie ihr Recht aus Unterbringung gerichtlich einklagen, die durchschnittliche Wartezeit beträgt dennoch vier bis fünf Monate (AIDA 4.2023).
Quellen:
• AIDA – Asylum Information Database (4.2023): Vluchtelingenwerk Vlaanderen (Autor), veröffentlicht von European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Belgium; 2022 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2023/04/AIDA-BE_2022update_final.pdf, Zugriff: 30.11.2023
• EUAA - European Union Agency for Asylum (24.04.2023), Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Belgium, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-04/factsheet_dublin_transfers_be.pdf, Zugriff: 14.12.2023
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Identität des BF stehe mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes oder eines sonstigen Bescheinigungsmittels nicht fest. Es seien weder schützenswerte familiäre, noch besondere private Anknüpfungspunkte in Österreich gegeben, weshalb die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 EMRK darstelle. Der BF habe einen Bruder in Österreich, welchen er seit seiner Ankunft lediglich einmal gesehen habe und mit dem er derzeit nur telefonisch Kontakt halte. Eine Abhängigkeit oder besonders enge Beziehung zu diesem Bruder könne nicht festgestellt werden. Die Ausweisung greife daher nicht in unzulässiger Weise in das Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers ein. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer hier relevanten Verletzung des Art. 4 GRC, beziehungsweise von Art. 3 EMRK, im Falle einer Überstellung nach Belgien ernstlich für möglich erscheinen lasse, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Es sei von einer ausreichenden Versorgungslage für Asylwerber in Belgien auszugehen. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Identität des BF stehe mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes oder eines sonstigen Bescheinigungsmittels nicht fest. Es seien weder schützenswerte familiäre, noch besondere private Anknüpfungspunkte in Österreich gegeben, weshalb die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht nach Artikel 8, EMRK darstelle. Der BF habe einen Bruder in Österreich, welchen er seit seiner Ankunft lediglich einmal gesehen habe und mit dem er derzeit nur telefonisch Kontakt halte. Eine Abhängigkeit oder besonders enge Beziehung zu diesem Bruder könne nicht festgestellt werden. Die Ausweisung greife daher nicht in unzulässiger Weise in das Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers ein. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer hier relevanten Verletzung des Artikel 4, GRC, beziehungsweise von Artikel 3, EMRK, im Falle einer Überstellung nach Belgien ernstlich für möglich erscheinen lasse, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Regelvermutung des Paragraph 5, Absatz 3, AsylG treffe daher zu. Es sei von einer ausreichenden Versorgungslage für Asylwerber in Belgien auszugehen.
6. Der BF bekämpfte diese Entscheidung des Bundesamtes mittels fristgerecht eingebrachter Beschwerde. In dieser wird im Wesentlichen ausgeführt, dass bei einer Überstellung des BF nach Belgien eine Verletzung der durch Art. 3 und 8 EMRK und Art. 4 GRC gewährleisteten Rechte wahrscheinlich sei. Dem BF drohe bei Rückkehr nach Belgien eine Kettenabschiebung. Die belangte Behörde hätte von Belgien außerdem eine ausdrückliche Zusicherung, dass der BF adäquat untergebracht und geschützt werde, einholen müssen, um sicherzustellen, dass die Rechte des BF auch in der Praxis umgesetzt werden. Auch sei aufgrund der unzureichenden Ermittlungen zur individuellen Situation des BF und der tatsächlichen Situation in Belgien, die Beweiswürdigung und die daraus resultierende rechtliche Beurteilung unrichtig. Der Beschwerdeführer pflege in Österreich darüber hinaus ein Familien- und Privatleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu seinem Bruder. Seine Außerlandesbringung würde zu einer Verletzung von Bestimmung der GRC sowie der EMRK führen, Bei einer ordnungsgemäßen Würdigung und rechtlichen Beurteilung und bei einem mangelfreien Ermittlungsverfahren hätte die Behörde erkennen müssen, dass eine Anwendung der humanitären Klausel des Art. 17 Dublin-III-VO erforderlich wäre. 6. Der BF bekämpfte diese Entscheidung des Bundesamtes mittels fristgerecht eingebrachter Beschwerde. In dieser wird im Wesentlichen ausgeführt, dass bei einer Überstellung des BF nach Belgien eine Verletzung der durch Artikel 3 und 8 EMRK und Artikel 4, GRC gewährleisteten Rechte wahrscheinlich sei. Dem BF drohe bei Rückkehr nach Belgien eine Kettenabschiebung. Die belangte Behörde hätte von Belgien außerdem eine ausdrückliche Zusicherung, dass der BF adäquat untergebracht und geschützt werde, einholen müssen, um sicherzustellen, dass die Rechte des BF auch in der Praxis umgesetzt werden. Auch sei aufgrund der unzureichenden Ermittlungen zur individuellen Situation des BF und der tatsächlichen Situation in Belgien, die Beweiswürdigung und die daraus resultierende rechtliche Beurteilung unrichtig. Der Beschwerdeführer pflege in Österreich darüber hinaus ein Familien- und Privatleben im Sinn des Artikel 8, EMRK zu seinem Bruder. Seine Außerlandesbringung würde zu einer Verletzung von Bestimmung der GRC sowie der EMRK führen, Bei einer ordnungsgemäßen Würdigung und rechtlichen Beurteilung und bei einem mangelfreien Ermittlungsverfahren hätte die Behörde erkennen müssen, dass eine Anwendung der humanitären Klausel des Artikel 17, Dublin-III-VO erforderlich wäre.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist ein volljähriger afghanischer Staatsangehöriger. Er verließ seinen Herkunftsstaat im Jahr 2018 in den Iran, um von dort nach Bulgarien zu gelangen, wo er am 07.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er reiste weiter nach Rumänien, wo er am 08.02.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und dann weiter nach Belgien, wo er am 13.04.2021 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Danach reiste er nach Österreich, wo er am 13.04.2024 gegenständlichen Antra