TE Vfgh Erkenntnis 1993/3/17 G84/92, G86/92

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Veröffentlicht am 17.03.1993
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Index

L4 Innere Verwaltung
L4005 Prostitution, Sittlichkeitspolizei

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Wr ProstitutionsG §4 und §5 idF LGBl 34/1991

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit von Bestimmungen des Wr ProstitutionsG über das Verbot der Anbahnung oder Ausübung der Prostitution an bestimmten Orten; Regelung im öffentlichen Interesse gelegen und zur Zielerreichung geeignet und adäquat

Spruch

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Antragstellerinnen üben nach ihren Angaben in Wien die Prostitution aus. Sie erachten sich durch bestimmte Vorschriften des Wiener Prostitutionsgesetzes, LGBl. 7/1984, idF LGBl. 34/1991, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt.

Die maßgebenden Gesetzesbestimmungen lauten (die angefochtenen Teile sind hervorgehoben):

"§4. (1) Die Anbahnung darf nicht in aufdringlicher Weise erfolgen.

(2) In religiösen Zwecken gewidmeten Gebäuden, in Schulen, Schüler- und Jugendheimen, Jugendzentren, auf Kinder- und Jugendspielplätzen, in Heil- und Pflegeanstalten und Kasernen sowie in einem Umkreis von 150 m von Aus- und Eingängen aller dieser Örtlichkeiten ist die Anbahnung verboten. Weiters ist die Anbahnung in Bahnhöfen, Stationsgebäuden und Haltestellenbereichen öffentlicher Verkehrsmittel verboten.

(3) ....

§5. (1) Die Ausübung der Prostitution in Wohnungen ist verboten. Dieses Verbot gilt auch für andere Räume eines Gebäudes, wenn sie keinen unmittelbaren und gesonderten Zugang von einer öffentlichen Verkehrsfläche aus aufweisen oder wenn das Gebäude innerhalb des im §4 Abs2 umschriebenen Bereiches liegt.

(2) Das Verbot bezieht sich nicht auf die Unterkunft (Wohnung) derjenigen Person, welche die Dienstleistung einer die Prostitution ausübenden Person in Anspruch nimmt (Hausbesuch).

(3) Vom Verbot nach Abs1 sind Gebäude ausgenommen, deren Wohnungen ausschließlich von Personen benützt oder bewohnt werden, welche die Prostitution ausüben, sofern die Gebäude einen unmittelbaren und gesonderten Zugang von der öffentlichen Verkehrsfläche aus aufweisen und sich außerhalb des im §4 Abs2 umschriebenen Bereiches befinden.

(4) - (5) ...."

2. Die Antragstellerinnen begehren mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG gestützten Anträgen, die zitierten (hervorgehobenen) Gesetzesbestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Wiener Landesregierung erstattete aufgrund ihres Beschlusses vom 16. Juni 1992 Äußerungen, in denen sie begehrt, die Anträge als unbegründet abzuweisen.

Sie weist insbesondere auf die mit der Prostitution verbundenen, das öffentliche Wohl gefährdenden Begleiterscheinungen hin und führt aus, daß die getroffenen Regelungen tauglich und adäquat seien, um diese Mißstände zu bekämpfen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Antragstellerinnen bringen zur Antragslegitimation vor, durch das angefochtene Gesetz werde ihnen verboten, an bestimmten Orten die Prostitution anzubahnen und auszuüben.

Das Gesetz greift tatsächlich unmittelbar in ihre Rechtssphäre ein. Den Antragstellerinnen steht kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um die behaupteten Rechtsverletzungen, die nach ihrem Vorbringen durch die zitierten Normen bewirkt werden, abzuwehren (vgl. zB VfSlg. 9252/1981, 9253/1981, 9254/1981, 10184/1984, 10187/1984, 11460/1987, 12498/1990).

Die Antragstellerinnen sind also antragslegitimiert. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind ihre Individualanträge zulässig.

2.a) Die Antragstellerinnen verweisen darauf, daß durch die angefochtenen Bestimmungen des Wr. Prostitutionsgesetzes die Anbahnung und Ausübung der Prostitution an bestimmten Orten verboten werde. Dieses Verbot verstoße gegen Art6 StGG (Freiheit der Erwerbsausübung) und gegen Art2 StGG (Gleichheitsgrundsatz). Die angefochtenen landesgesetzlichen Bestimmungen stellten nämlich kein taugliches und adäquates Mittel zur Hintanhaltung der (durch die Anbahnung und Ausübung der Prostitution) möglichen Beeinträchtigung öffentlicher Interessen dar. Die Regelung sei vielmehr exzessiv überschießend. Das Gesetz mache die Prostitution faktisch weitgehend unmöglich. Inbesondere sei die Festlegung einer 150-Meter - Grenze zu bestimmten Örtlichkeiten und Gebäuden sachlich nicht gerechtfertigt, zumal auch keine zeitliche Einschränkung vorgesehen sei; zB seien Kindergärten zur Nachtzeit nicht geöffnet.

b) Diese Bedenken treffen nicht zu:

Auch die Antragstellerinnen gehen davon aus, daß mit der Anbahnung und Ausübung der Prostitution Mißstände verbunden sind, deren Hintanhaltung im öffentlichen Interesse liegt. Diese Mißstände sind mannigfacher Art. Nicht nur daß die Prostitution bekanntlich von Schwer- und Kleinkriminalität begleitet wird und durch Verbreitung von (Geschlechts-)Krankheiten die Volksgesundheit gefährdet, führt sie zur Belästigung von unbeteiligten Personen (etwa Ruhestörungen, Verletzung der Sittlichkeit und des Anstandes).

Es ist daher an sich sachlich, Regelungen zu treffen, um derartige Belästigungen zumindest an bestimmten Orten hintanzuhalten. Unerheblich ist dabei, ob diese Regelungen in der Rechtsform eines unmittelbar anwendbaren Gesetzes (wie dies bei den bekämpften Vorschriften der Fall ist) ergehen, ob unmittelbar anwendbar erst eine aufgrund des Gesetzes ergehende Durchführungsverordnung oder eine individuelle Norm (ein Bescheid) ist, oder ob die Basis für behördliches Einschreiten eine ortspolizeiliche Verordnung (Art118 Abs6 B-VG) darstellt. (Vgl. hiezu die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 7960/1976, 7965/1976, 7969/1976, 8272/1978, 8445/1978, 8763/1980, 9252/1981, 9253/1981, 9254/1981, 10184/1984, 10187/1984, 10363/1985, 11371/1987, 11460/1987, 11926/1988, 12498/1990); in diesen Erkenntnissen werden konkrete Mißstände geschildert, die mit der Prostitution verbunden waren und die mit den damals auf ihre Rechtmäßigkeit untersuchten Rechtsvorschriften - meist zulässigerweise - bekämpft werden sollten).

Fraglich kann also im vorliegenden Fall nur sein, ob die angefochtenen Normen zur Zielerreichung untauglich oder inadäquat (überschießend) sind. Davon kann - entgegen der Meinung der Antragstellerinnen - keine Rede sein. So hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11926/1988 dargetan, daß es im Hinblick auf die bestehenden oder zu erwartenden Mißstände nicht unangemessen sei, den "Gassenstrich" überhaupt zu verbieten und die Prostitution auf Bordelle oder "bordellähnliche Betriebe" zu beschränken; das aber erfordere, hiefür nähere Reglementierungen zu treffen.

Ausgehend von dieser Judikatur kann es nicht überschießend sein, wenn die angefochtenen Bestimmungen (bloße Erwerbsausübungsregeln) die Anbahnung und Ausübung der Prostitution bloß an bestimmten Orten - also nicht generell - verbieten, nämlich dann, wenn zu befürchten ist, daß dort die Prostitution in der Regel eine besondere Belästigung darstellt.

Die Behauptung der Antragstellerinnen, es sei unsachlich, auch auf Kindergärten abzustellen, weil diese nachts nicht geöffnet sind, geht ins Leere, weil Kindergärten in den bekämpften Vorschriften gar nicht erwähnt werden.

Die angefochtenen Bestimmungen sind also sachlich begründbar und verstoßen mithin nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Da die Regelung im öffentlichen Interesse liegt und zur Zielerreichung geeignet und adäquat ist, könnte sie auch nicht das Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzen (vgl. hiezu die ständige Judikatur, zB VfSlg. 10179/1984, 11749/1988). Bei diesem Ergebnis braucht nicht untersucht zu werden, ob die Prostitution überhaupt ein von Art6 StGG geschützter Erwerbszweig ist (vgl. zB VfSlg. 10187/1984).

c) Die von den Antragstellerinnen ob der Verfassungsmäßigkeit des Wr. ProstitutionsG vorgebrachten Bedenken treffen sohin nicht zu.

Ihre Anträge waren deshalb abzuweisen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Prostitution, Erwerbsausübungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:G84.1992

Dokumentnummer

JFT_10069683_92G00084_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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