TE Bvwg Erkenntnis 2024/6/10 W140 2277941-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.06.2024
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Entscheidungsdatum

10.06.2024

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Spruch


W140 2277941-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2023, Zl. XXXX , zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2023, Zl. römisch 40 , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (infolge: BF), ein syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am 07.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 08.08.2022 erfolgte eine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Der BF begründete seine Fluchtgründe im Wesentlichen damit, dass er Syrien wegen des Krieges und des Militärdienstes verlassen habe. Er habe den Militärdienst nicht voll geleistet und dies sei strafbar. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchte er die Todesstrafe.

Am 07.06.2023 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: BFA). Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er im Wesentlichen aus, er habe am XXXX seinen Militärdienst angetreten und sei dann für die Luftwaffe in der Umgebung von Damaskus eingeteilt worden. Nach einer 6-monatigen Grundausbildung sei er zu einem Militärflughafen namens XXXX in der Umgebung von Damaskus versetzt worden. Er sei bis XXXX dort gewesen und sei dann einfach weggegangen und desertiert. Er sei zuständig gewesen für die Sicherheit des Flughafens. Damals habe er gesehen - während seines Dienstes - dass sie Hubschrauber mit Sprengladungen beladen hätten. Er habe gefragt, was das sein soll und habe immer nur die Antwort bekommen, es wäre nichts. Er habe mit einem anderen Soldaten, der auch mit ihm den Militärdienst geleistet habe, Kontakt aufgenommen in XXXX . Dieser habe ihm ein Taxi geschickt, welches ihn dort abgeholt hätte. Der Taxifahrer sei ein Mitglied des Militärrates in XXXX gewesen und dieser hätte ihn an einen Ort gebracht, wo viele Deserteure mit ihren Frauen und Kindern gewartet hätten. Sie seien dann in den Norden, wo die Opposition die Kontrolle gehabt hätte, gebracht worden mit einem LKW. Dort hätten sie auch Papiere bekommen, sodass sie keine Schwierigkeiten an den Checkpoints hätten. Dann sei er wieder nach Hause gekommen. Am 07.06.2023 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: BFA). Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er im Wesentlichen aus, er habe am römisch 40 seinen Militärdienst angetreten und sei dann für die Luftwaffe in der Umgebung von Damaskus eingeteilt worden. Nach einer 6-monatigen Grundausbildung sei er zu einem Militärflughafen namens römisch 40 in der Umgebung von Damaskus versetzt worden. Er sei bis römisch 40 dort gewesen und sei dann einfach weggegangen und desertiert. Er sei zuständig gewesen für die Sicherheit des Flughafens. Damals habe er gesehen - während seines Dienstes - dass sie Hubschrauber mit Sprengladungen beladen hätten. Er habe gefragt, was das sein soll und habe immer nur die Antwort bekommen, es wäre nichts. Er habe mit einem anderen Soldaten, der auch mit ihm den Militärdienst geleistet habe, Kontakt aufgenommen in römisch 40 . Dieser habe ihm ein Taxi geschickt, welches ihn dort abgeholt hätte. Der Taxifahrer sei ein Mitglied des Militärrates in römisch 40 gewesen und dieser hätte ihn an einen Ort gebracht, wo viele Deserteure mit ihren Frauen und Kindern gewartet hätten. Sie seien dann in den Norden, wo die Opposition die Kontrolle gehabt hätte, gebracht worden mit einem LKW. Dort hätten sie auch Papiere bekommen, sodass sie keine Schwierigkeiten an den Checkpoints hätten. Dann sei er wieder nach Hause gekommen.

Im Zuge der Einvernahme legte der BF seinen syrischen Personalausweis im Original vor sowie die Geburtsurkunden seiner Frau und Kinder, einen Auszug aus dem Personenstandsregister der Familie, eine Eheschließungsurkunde und einen Auszug aus dem Familienregister jeweils in Kopie. Eine durch die zuständige Landespolizeidirektion veranlasste Dokumentenüberprüfung ergab die Unbedenklichkeit des vorgelegten Personalausweises.

Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 16.08.2023 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr (Spruchpunkt III.).Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 16.08.2023 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.).

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF fristgerecht Beschwerde aufgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Er wiederholte hierbei im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen und führte aus, dass ihm eine Bestrafung aufgrund seiner Desertion und der damit zusammenhängenden – ihm zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung drohe. Auch aufgrund der Asylantragstellung im Ausland und der illegalen Ausreise aus Syrien werde ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt. Aufgrund des stärker werdenden Einflusses des syrischen Regimes in XXXX im Jahr 2021 sei er gezwungen gewesen, Syrien illegal aus Angst vor einer Bestrafung zu verlassen. Durch die Teilnahme am Krieg in Syrien wäre er einer erheblichen Gefahr für sein Leben ausgesetzt und es sei davon auszugehen, dass er zur Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder an anderen Handlungen, die der Satzung der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, gezwungen wäre, da bekannt sei, dass alle Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg derartige Handlungen bereits begangen hätten. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhob der BF fristgerecht Beschwerde aufgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Er wiederholte hierbei im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen und führte aus, dass ihm eine Bestrafung aufgrund seiner Desertion und der damit zusammenhängenden – ihm zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung drohe. Auch aufgrund der Asylantragstellung im Ausland und der illegalen Ausreise aus Syrien werde ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt. Aufgrund des stärker werdenden Einflusses des syrischen Regimes in römisch 40 im Jahr 2021 sei er gezwungen gewesen, Syrien illegal aus Angst vor einer Bestrafung zu verlassen. Durch die Teilnahme am Krieg in Syrien wäre er einer erheblichen Gefahr für sein Leben ausgesetzt und es sei davon auszugehen, dass er zur Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder an anderen Handlungen, die der Satzung der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, gezwungen wäre, da bekannt sei, dass alle Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg derartige Handlungen bereits begangen hätten.

Mit Parteiengehör vom 23.04.2024 wurden dem BF die Version 11 der Länderinformation der Staatendokumentation Syrien vom 27.03.2024 und weitere Länderinformationen übermittelt und ihm eine 3-tägige Frist zur Stellungnahme eingeräumt. Mit Schreiben vom 26.04.2024 brachte der BF im Wege seiner Vertretung eine Stellungnahme ein und führte im Wesentlichen aus, dass das aktuelle LIB weiterhin die unverhältnismäßige Bestrafung von Deserteuren verdeutliche. Berichte im aktuellen LIB würden ganz klar davon ausgehen, dass Deserteure verfolgt würden und mit einer unverhältnismäßig hohen Bestrafung zu rechnen hätten. Im Falle, dass sie dann wieder ihren Wehrdienst antreten müssten, wären sie gezwungen an schweren Kriegsverbrechen teilzunehmen. Bei Menschen aus ehemaligen Oppositionsgebieten gebe es sogar Berichte über die Verhängung von Todesstrafen. Bei einer Rückkehr bestehe die Gefahr für den BF, der ein Deserteur sei, festgenommen oder auf Fahndungslisten für Deserteure gesetzt zu werden. Der BF habe sein Wehrdienstbuch bei Antritt seines Wehrdienstes abgegeben. Da er desertiert sei, habe er auch sein Militärbuch nicht zurückbekommen und somit unterstreiche dies die Glaubwürdigkeit des BF. Aus den Berichten der EUAA ergebe sich, dass die Region um XXXX , vor allem entlang der Frontlinie zwischen SDF- und SNA-kontrollierten Gebieten unter der gemeinsamen Kontrolle des syrischen Regimes und der kurdischen Armee stehe. Ein Zugriff des syrischen Regimes auf den Herkunftsort des BF könne daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Dem BF drohe eine Bestrafung aufgrund seiner Desertion und der damit zusammenhängenden – ihm zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung.Mit Parteiengehör vom 23.04.2024 wurden dem BF die Version 11 der Länderinformation der Staatendokumentation Syrien vom 27.03.2024 und weitere Länderinformationen übermittelt und ihm eine 3-tägige Frist zur Stellungnahme eingeräumt. Mit Schreiben vom 26.04.2024 brachte der BF im Wege seiner Vertretung eine Stellungnahme ein und führte im Wesentlichen aus, dass das aktuelle LIB weiterhin die unverhältnismäßige Bestrafung von Deserteuren verdeutliche. Berichte im aktuellen LIB würden ganz klar davon ausgehen, dass Deserteure verfolgt würden und mit einer unverhältnismäßig hohen Bestrafung zu rechnen hätten. Im Falle, dass sie dann wieder ihren Wehrdienst antreten müssten, wären sie gezwungen an schweren Kriegsverbrechen teilzunehmen. Bei Menschen aus ehemaligen Oppositionsgebieten gebe es sogar Berichte über die Verhängung von Todesstrafen. Bei einer Rückkehr bestehe die Gefahr für den BF, der ein Deserteur sei, festgenommen oder auf Fahndungslisten für Deserteure gesetzt zu werden. Der BF habe sein Wehrdienstbuch bei Antritt seines Wehrdienstes abgegeben. Da er desertiert sei, habe er auch sein Militärbuch nicht zurückbekommen und somit unterstreiche dies die Glaubwürdigkeit des BF. Aus den Berichten der EUAA ergebe sich, dass die Region um römisch 40 , vor allem entlang der Frontlinie zwischen SDF- und SNA-kontrollierten Gebieten unter der gemeinsamen Kontrolle des syrischen Regimes und der kurdischen Armee stehe. Ein Zugriff des syrischen Regimes auf den Herkunftsort des BF könne daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Dem BF drohe eine Bestrafung aufgrund seiner Desertion und der damit zusammenhängenden – ihm zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt die im Spruch genannte Identität (Name und Geburtsdatum). Seine Identität steht fest. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben. Seine Muttersprache ist Arabisch.

Der BF wurde in dem Dorf XXXX , nahe der Stadt XXXX , im Gouvernement Aleppo, geboren und hat bis zu seiner Ausreise aus Syrien in der Stadt XXXX gelebt. Er besuchte sechs Jahre die Grundschule, verfügt über keine Berufsausbildung und arbeitete in seinem Herkunftsstaat als Maler. Der BF wurde in dem Dorf römisch 40 , nahe der Stadt römisch 40 , im Gouvernement Aleppo, geboren und hat bis zu seiner Ausreise aus Syrien in der Stadt römisch 40 gelebt. Er besuchte sechs Jahre die Grundschule, verfügt über keine Berufsausbildung und arbeitete in seinem Herkunftsstaat als Maler.

Im Jahr 2022 verließ der BF Syrien und hielt sich einen Monat in der Türkei auf, bis er – unter Umgehung der Grenzkontrollen – in das österreichische Bundesgebiet reiste und am 07.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte. Dem BF kommt in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu.

Der BF ist verheiratet und hat drei Söhne sowie eine Tochter. Der Vater des BF ist verstorben. Die Mutter, ein Bruder, zwei Schwestern sowie die Ehefrau und Kinder des BF leben aktuell noch im Herkunftsstaat des BF.

Der BF ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Die im Norden Syriens gelegene Herkunftsregion des BF, die Stadt XXXX , im Gouvernement Aleppo, befindet sich in den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Allerdings ist die Sicherheitslage im Nordosten Syriens besonders volatil und sind seit der türkischen Militäroffensive gegen die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) syrische Regimekräfte in allen größeren Städten Nordostsyriens präsent.Die im Norden Syriens gelegene Herkunftsregion des BF, die Stadt römisch 40 , im Gouvernement Aleppo, befindet sich in den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Allerdings ist die Sicherheitslage im Nordosten Syriens besonders volatil und sind seit der türkischen Militäroffensive gegen die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) syrische Regimekräfte in allen größeren Städten Nordostsyriens präsent.

Im Oktober 2019 haben das syrische Regime und die Kräfte der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord-und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES), die „Syrian Democratic Forces –SDF“ ein Abkommen geschlossen, um sich der türkischen Aggression in Nordsyrien entgegenzustellen. Seither verfügt das syrische Regime über Präsenzen in allen größeren Städten Nordostsyriens. Wie bereits festgestellt, stammt der BF aus der Stadt XXXX , sodass auch in dieser größeren Stadt Nordsyriens das syrische Regime präsent ist. Trotz grundsätzlicher kurdischer Gebietskontrolle hat das syrische Regime daher Zugriff auf die Region um XXXX und somit auf die Herkunftsregion des BF.Im Oktober 2019 haben das syrische Regime und die Kräfte der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord-und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES), die „Syrian Democratic Forces –SDF“ ein Abkommen geschlossen, um sich der türkischen Aggression in Nordsyrien entgegenzustellen. Seither verfügt das syrische Regime über Präsenzen in allen größeren Städten Nordostsyriens. Wie bereits festgestellt, stammt der BF aus der Stadt römisch 40 , sodass auch in dieser größeren Stadt Nordsyriens das syrische Regime präsent ist. Trotz grundsätzlicher kurdischer Gebietskontrolle hat das syrische Regime daher Zugriff auf die Region um römisch 40 und somit auf die Herkunftsregion des BF.

Für männliche syrische Staatsangehörige zwischen 18 und 42 Jahren ist die Ableistung des Wehrdienstes in Syrien gesetzlich verpflichtend. Der BF befindet sich im Entscheidungszeitpunkt mit seinen XXXX Jahren im wehrpflichtigen Alter. Seinen Wehrdienst hat er am XXXX angetreten und ist am XXXX während seines Dienstes desertiert. Den Militärdienst in der syrischen Armee hat er somit nicht vollständig abgeleistet und entzog sich diesem durch Desertion. Für männliche syrische Staatsangehörige zwischen 18 und 42 Jahren ist die Ableistung des Wehrdienstes in Syrien gesetzlich verpflichtend. Der BF befindet sich im Entscheidungszeitpunkt mit seinen römisch 40 Jahren im wehrpflichtigen Alter. Seinen Wehrdienst hat er am römisch 40 angetreten und ist am römisch 40 während seines Dienstes desertiert. Den Militärdienst in der syrischen Armee hat er somit nicht vollständig abgeleistet und entzog sich diesem durch Desertion.

Wehrdienstentzug und Desertion werden in Syrien mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wobei Desertion meist härter bestraft wird als Wehrdienstverweigerung. Die Haftstrafen im Falle von Desertion können sich bei Vorliegen bestimmter Umstände noch erhöhen (z. B. Desertion während des Dienstes). Die Todesstrafe ist bei Überlaufen zum Feind und bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen. Deserteure und Wehrdienstverweigerer sind regelmäßig Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes.

Der BF hat durch seine Ausreise aus Syrien im Jahr 2022, im wehrfähigen Alter ( XXXX Jahre), die vollständige Ableistung des Militärdienstes verweigert und würde daher bei einer Rückkehr als Regimegegner angesehen werden. Er lehnt einen Militärdienst bei der syrischen Armee ab.Der BF hat durch seine Ausreise aus Syrien im Jahr 2022, im wehrfähigen Alter ( römisch 40 Jahre), die vollständige Ableistung des Militärdienstes verweigert und würde daher bei einer Rückkehr als Regimegegner angesehen werden. Er lehnt einen Militärdienst bei der syrischen Armee ab.

Im Falle einer Rückkehr besteht für den BF daher die Gefahr, etwa an Checkpoints angehalten und wegen der Ausreise und der damit einhergehenden Desertion verhaftet zu werden und zumindest mit einer längeren Gefängnisstrafe bestraft zu werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.

Auch die illegale Ausreise des BF und die dadurch bewirkte Entziehung von der weiteren Ableistung des Wehrdienstes bzw. die Desertion wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen.

Es besteht die Gefahr, dass der BF bei einer Rückkehr aufgrund seines Alters von XXXX Jahren zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen wird, was er jedoch ablehnt. Hinweise darauf, dass der BF vom Wehrdienst befreit wäre, haben sich im Verfahren nicht ergeben. Der BF hat seinen Wehrdienst bis dato nicht vollständig abgeleistet und eine Einziehung zum Wehrdienst ist aufgrund seines wehrpflichtigen Alters und angesichts des willkürlichen Verhaltens der syrischen Behörden sowie des Bedarfs an kampffähigen Soldaten sehr wahrscheinlich. Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit sich vom Militärdienst durch Zahlung einer Befreiungsgebühr „freizukaufen“, wobei im Fall des BF nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Zahlung jener Befreiungsgebühr zur tatsächlichen Befreiung des Militärdienstes führt. Der BF lebt in Österreich von der Grundversorgung.Es besteht die Gefahr, dass der BF bei einer Rückkehr aufgrund seines Alters von römisch 40 Jahren zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen wird, was er jedoch ablehnt. Hinweise darauf, dass der BF vom Wehrdienst befreit wäre, haben sich im Verfahren nicht ergeben. Der BF hat seinen Wehrdienst bis dato nicht vollständig abgeleistet und eine Einziehung zum Wehrdienst ist aufgrund seines wehrpflichtigen Alters und angesichts des willkürlichen Verhaltens der syrischen Behörden sowie des Bedarfs an kampffähigen Soldaten sehr wahrscheinlich. Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit sich vom Militärdienst durch Zahlung einer Befreiungsgebühr „freizukaufen“, wobei im Fall des BF nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Zahlung jener Befreiungsgebühr zur tatsächlichen Befreiung des Militärdienstes führt. Der BF lebt in Österreich von der Grundversorgung.

Bei einer Rückkehr nach Syrien läuft der BF aufgrund seiner Desertion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch das – in seiner kurdisch kontrollierten Herkunftsregion präsente – syrische Militär ausgesetzt zu sein. Würde der BF in seine Herkunftsregion, eigentlich ein von den kurdischen Kräften (SDF) kontrolliertes Gebiet, zurückkehren, könnte er sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einem Zugriff der syrischen Regierung und Armee entziehen, weil sich die SDF aufgrund der türkischen Vorstöße dazu gezwungen sahen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet ebenfalls Stellung zu beziehen, um die sich nach Syrien ausdehnende Türkei abzuschrecken. Der BF würde demnach Gefahr laufen, in seiner Herkunftsregion, eigentlich Kurdengebiet, von syrischen Regimekräften, die nunmehr in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent sind, (etwa an Checkpoints) aufgegriffen zu werden.

1.3.    Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Im Verfahren wurden u.a. folgende Quellen zum Herkunftsstaat des BF herangezogen:

-        Anfragebeantwortung zu Syrien: Zugriff des syrischen Regimes auf Deserteure in der AANES vom 17.04.2024

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen [a-12197] vom 24.08.2023

-        Anfragebeantwortung zu Syrien: Fragen des BVwG zur Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion vom 16.09.2022

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Abschaffung der militärischen Feldgerichte (Rechtsgrundlage, praktische Auswirkungen auf Militärgerichtsbarkeit, innenpolitische Bedeutung); Organisation Militärjustiz, Verfahrensführung in der Militärjustiz [a-12360] vom 24.04.2024

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Abgabe des Wehrdienstbuches und des Personalausweises zu Beginn des Wehrdienstes und Einbehaltung der Dokumente bis zur Ausmusterung von der Militärbehörde [a-11840] vom 20.04.2022

-        BFA Staatendokumentation, Themenbericht Syrien – Grenzübergänge vom 25.10.2023

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformation der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024, auszugsweise wiedergegeben:

„[…]

Politische Lage

Letzte Änderung 2024-03-08 10:59

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).

Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).

Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).

Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).

Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).

Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).

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Syrische Arabische Republik

Letzte Änderung 2024-03-08 11:06

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).

Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).

Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).

Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 2.2.2024).

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Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien

Letzte Änderung 2024-03-08 11:12

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).

Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).

Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 2.2.2024).

Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).

Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021).

Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 9.3.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).

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Sicherheitslage

Letzte Änderung 2024-03-08 11:17

Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).

Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse

Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu O

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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