Entscheidungsdatum
03.07.2024Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W140 2278064-1/4E
W140 2278066-1/4E
W140 2278063-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , und 3. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2023, Zl. XXXX (ad 1.), XXXX (ad 2.) und XXXX (ad 3.), zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. römisch 40 , geb. römisch 40 , 2. römisch 40 , geb. römisch 40 , und 3. römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) gegen Spruchpunkt römisch eins. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2023, Zl. römisch 40 (ad 1.), römisch 40 (ad 2.) und römisch 40 (ad 3.), zu Recht:
A)
Den Beschwerden wird stattgegeben und 1. XXXX , 2. XXXX und 3. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1. XXXX , 2. XXXX und 3. XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.Den Beschwerden wird stattgegeben und 1. römisch 40 , 2. römisch 40 und 3. römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1. römisch 40 , 2. römisch 40 und 3. römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer (infolge: BF1) ist der Vater der Zweitbeschwerdeführerin (infolge: BF2) und der Drittbeschwerdeführerin (infolge: BF3). Gemeinsam werden sie in der Folge als „die Beschwerdeführer“ (infolge: BF) bezeichnet.
Die BF, syrische Staatsangehörige, reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellten am 12.09.2022 Anträge auf internationalen Schutz. Es erfolgte am 13.09.2022 eine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Der BF1 begründete seine Fluchtgründe im Wesentlichen damit, dass er im Jahr 2014 aufgrund des Krieges mit seiner Familie geflüchtet sei. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst um sein Leben. Die BF2 begründete ihre Flucht aus dem Heimatstaat im Wesentlichen damit, dass sie 2014 wegen des Krieges aus Syrien ausgereist seien. Im Falle einer Rückkehr habe sie Angst im Krieg zu sterben. Die BF3 gab befragt zu ihren Fluchtgründen an, dass sie 2014 wegen des Krieges aus Syrien ausgereist seien und im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat habe sie Angst um ihr Leben.
Am 26.07.2023 wurden die BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Zu ihren Fluchtgründen befragt führte der BF1 aus, dass im Jahr 2013 die Kurden sein Gebiet übernommen hätten. Die Kurden hätten seine Töchter rekrutieren wollen. Bei den Kurden habe es Zwangsrekrutierung gegeben. Er habe große Angst um seine Kinder gehabt, aus diesem Grund seien sie aus Syrien geflüchtet. Die Kurden hätten ihm sein Haus weggenommen und es habe sehr viele Plünderungen gegeben. Es herrsche Krieg und es habe viele Kampfhandlungen gegeben. Die Lage dort sei tragisch gewesen. Sein Sohn XXXX hätte dort nicht mehr leben können, es habe viele Kampfhandlungen und Schüsse gegeben und er habe in ständiger Angst gelebt. Sein Sohn hätte jahrelang daran gelitten. Die BF2 gab im Wesentlichen an, dass sie aufgrund des Krieges und der tragischen Lage Syrien verlassen habe. In dem Gebiet, wo sie gelebt hätten, seien die Mädchen aufgefordert worden seitens der Kurden sich ihnen anzuschließen. Die BF3 führte im Wesentlichen aus, dass die Kurden ihre älteren Schwestern aufgefordert hätten, sich ihnen anzuschließen. Aus diesem Grund seien sie aus Syrien geflüchtet und in die Türkei gegangen. Die Kurden hätten ihnen ihr Haus weggenommen. Wenn sie zurückkehren würden, würden ihre Schwestern seitens der Kurden zum Militär eingezogen. Die Lage dort sei sehr schlecht und habe sie mit ihrer Familie in die Türkei gehen müssen. Am 26.07.2023 wurden die BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Zu ihren Fluchtgründen befragt führte der BF1 aus, dass im Jahr 2013 die Kurden sein Gebiet übernommen hätten. Die Kurden hätten seine Töchter rekrutieren wollen. Bei den Kurden habe es Zwangsrekrutierung gegeben. Er habe große Angst um seine Kinder gehabt, aus diesem Grund seien sie aus Syrien geflüchtet. Die Kurden hätten ihm sein Haus weggenommen und es habe sehr viele Plünderungen gegeben. Es herrsche Krieg und es habe viele Kampfhandlungen gegeben. Die Lage dort sei tragisch gewesen. Sein Sohn römisch 40 hätte dort nicht mehr leben können, es habe viele Kampfhandlungen und Schüsse gegeben und er habe in ständiger Angst gelebt. Sein Sohn hätte jahrelang daran gelitten. Die BF2 gab im Wesentlichen an, dass sie aufgrund des Krieges und der tragischen Lage Syrien verlassen habe. In dem Gebiet, wo sie gelebt hätten, seien die Mädchen aufgefordert worden seitens der Kurden sich ihnen anzuschließen. Die BF3 führte im Wesentlichen aus, dass die Kurden ihre älteren Schwestern aufgefordert hätten, sich ihnen anzuschließen. Aus diesem Grund seien sie aus Syrien geflüchtet und in die Türkei gegangen. Die Kurden hätten ihnen ihr Haus weggenommen. Wenn sie zurückkehren würden, würden ihre Schwestern seitens der Kurden zum Militär eingezogen. Die Lage dort sei sehr schlecht und habe sie mit ihrer Familie in die Türkei gehen müssen.
Im Zuge der Einvernahme legte der BF1 seinen syrischen Personalausweis im Original sowie einen Personenregisterauszug, einen Familienregisterauszug und eine Eheschließungsurkunde jeweils in Kopie vor. Eine durch die zuständige Landespolizeidirektion veranlasste Dokumentenüberprüfung ergab die Unbedenklichkeit des vorgelegten Personalausweises. Die BF2 und BF3 legten jeweils einen Personenregisterauszug in Kopie vor.
Mit den angefochtenen Bescheiden vom 03.08.2023 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Ihnen wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).Mit den angefochtenen Bescheiden vom 03.08.2023 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.). Ihnen wurde gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide des BFA erhoben die BF fristgerecht Beschwerde aufgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit, beantragten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und wiederholten hierbei im Wesentlichen ihr Fluchtvorbringen und führten aus, dass ihnen ihr Haus von den kurdischen Kräften weggenommen worden sei und den ältesten zwei Töchtern des BF1 bzw. den zwei älteren Schwestern der BF2 und BF3 die Zwangsrekrutierung durch die Kurden gedroht habe. Die BF2 und BF3 seien damals noch minderjährig gewesen. Der BF1 habe an Demonstrationen gegen das syrische Regime in Syrien und auch in Österreich teilgenommen und sei gefährdet als politischer Gegner des syrischen Regimes wahrgenommen und verfolgt zu werden. Die BF2 und BF3 seien ebenfalls aktuell gefährdet, in Syrien asylrelevant in das Blickfeld der Machthaber in ihrem Herkunftsgebiet - den SDF/PYD/YPG, zu geraten - als politische Gegner wahrgenommen und deshalb Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen zu werden. Der BF2 und BF3 drohe von Seiten der SDF/PYD/YPG insbesondere die zwangsweise Rekrutierung sowie der Einsatz im bewaffneten Konflikt in Syrien. Des Weiteren seien die BF2 und BF3 gefährdet als alleinstehende Frauen geschlechtsspezifischer Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien ausgesetzt zu sein. Im Zuge der Beschwerde wurden Fotos in Bezug auf die Demonstrationsteilnahme des BF1 in Österreich vorgelegt. Gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide des BFA erhoben die BF fristgerecht Beschwerde aufgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit, beantragten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und wiederholten hierbei im Wesentlichen ihr Fluchtvorbringen und führten aus, dass ihnen ihr Haus von den kurdischen Kräften weggenommen worden sei und den ältesten zwei Töchtern des BF1 bzw. den zwei älteren Schwestern der BF2 und BF3 die Zwangsrekrutierung durch die Kurden gedroht habe. Die BF2 und BF3 seien damals noch minderjährig gewesen. Der BF1 habe an Demonstrationen gegen das syrische Regime in Syrien und auch in Österreich teilgenommen und sei gefährdet als politischer Gegner des syrischen Regimes wahrgenommen und verfolgt zu werden. Die BF2 und BF3 seien ebenfalls aktuell gefährdet, in Syrien asylrelevant in das Blickfeld der Machthaber in ihrem Herkunftsgebiet - den SDF/PYD/YPG, zu geraten - als politische Gegner wahrgenommen und deshalb Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen zu werden. Der BF2 und BF3 drohe von Seiten der SDF/PYD/YPG insbesondere die zwangsweise Rekrutierung sowie der Einsatz im bewaffneten Konflikt in Syrien. Des Weiteren seien die BF2 und BF3 gefährdet als alleinstehende Frauen geschlechtsspezifischer Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien ausgesetzt zu sein. Im Zuge der Beschwerde wurden Fotos in Bezug auf die Demonstrationsteilnahme des BF1 in Österreich vorgelegt.
Mit Bescheiden des BFA vom 24.05.2024 bzw. vom 29.05.024 wurden die befristeten Aufenthaltsberechtigungen der BF für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre verlängert (§ 8 Abs. 4 AsylG).Mit Bescheiden des BFA vom 24.05.2024 bzw. vom 29.05.024 wurden die befristeten Aufenthaltsberechtigungen der BF für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre verlängert (Paragraph 8, Absatz 4, AsylG).
Mit Schreiben vom 18.06.2024 brachte das Bundesverwaltungsgericht das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11, vom 27.03.2024 in das Verfahren ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die BF führen die im Spruch genannte Identität (Name und Geburtsdatum). Die Identität des BF1 steht fest. Die BF sind syrische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Araber an und bekennen sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben. Ihre Muttersprache ist Arabisch.
Die BF wurden in der Stadt XXXX , in der Nähe der Stadt XXXX , im Gouvernement Aleppo, geboren, sind dort aufgewachsen und haben bis zu ihrer Ausreise aus Syrien dort gelebt. Der BF1 besuchte drei Jahre die Grundschule, verfügt über keine Berufsausbildung und arbeitete in seinem Herkunftsstaat und in der Türkei als Landwirt. Die BF2 besuchte fünf Jahre die Grundschule, verfügt über keine Berufsausbildung und arbeitete in der Türkei als Erntehelferin. Die BF3 besuchte fünf Jahre die Grundschule in Syrien sowie ein Jahr in der Türkei und arbeitete in der Türkei als Erntehelferin.Die BF wurden in der Stadt römisch 40 , in der Nähe der Stadt römisch 40 , im Gouvernement Aleppo, geboren, sind dort aufgewachsen und haben bis zu ihrer Ausreise aus Syrien dort gelebt. Der BF1 besuchte drei Jahre die Grundschule, verfügt über keine Berufsausbildung und arbeitete in seinem Herkunftsstaat und in der Türkei als Landwirt. Die BF2 besuchte fünf Jahre die Grundschule, verfügt über keine Berufsausbildung und arbeitete in der Türkei als Erntehelferin. Die BF3 besuchte fünf Jahre die Grundschule in Syrien sowie ein Jahr in der Türkei und arbeitete in der Türkei als Erntehelferin.
Im Jahr 2014 verließen die BF Syrien und hielten sich acht Jahre in der Türkei auf, bis sie – unter Umgehung der Grenzkontrollen – in das österreichische Bundesgebiet reisten und am 12.09.2022 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich stellten. Den BF kommt in Österreich der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu.
Die Eltern des BF1 und Großeltern väterlicherseits der BF2 und BF3 sind bereits verstorben. Der BF1 ist verheiratet und hat einen Sohn und vier Töchter. Die BF2 und BF3 sind ledig und kinderlos. Die Ehefrau des BF1 und Mutter der BF2 und BF3 lebt mit dem Sohn des BF1 bzw. Bruder der BF2 und BF3 und den zwei Töchtern des BF1 bzw. Schwestern der BF2 und BF3 in der Türkei. Eine Schwester und drei Brüder des BF1 bzw. eine Tante und drei Onkel der BF2 und BF3 leben als Asylberechtigte in Österreich.
Die BF sind gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen:
Das Herkunftsgebiet der BF steht unter der Kontrolle der kurdischen Kräfte (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Allerdings ist die Sicherheitslage im Nordosten Syriens besonders volatil und sind seit der türkischen Militäroffensive gegen die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) syrische Regimekräfte in allen größeren Städten Nordostsyriens präsent. Wie bereits festgestellt, stammen die BF aus der Stadt XXXX , welche sich in unmittelbarer Nähe zu der Stadt XXXX , im Gouvernement Aleppo, befindet, sodass auch in dieser größeren Stadt Nordsyriens sowie im umliegenden Gebiet das syrische Regime präsent ist. Trotz grundsätzlicher kurdischer Gebietskontrolle hat das syrische Regime daher Zugriff auf die Region XXXX und somit auf die Heimatregion der BF.Das Herkunftsgebiet der BF steht unter der Kontrolle der kurdischen Kräfte (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Allerdings ist die Sicherheitslage im Nordosten Syriens besonders volatil und sind seit der türkischen Militäroffensive gegen die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) syrische Regimekräfte in allen größeren Städten Nordostsyriens präsent. Wie bereits festgestellt, stammen die BF aus der Stadt römisch 40 , welche sich in unmittelbarer Nähe zu der Stadt römisch 40 , im Gouvernement Aleppo, befindet, sodass auch in dieser größeren Stadt Nordsyriens sowie im umliegenden Gebiet das syrische Regime präsent ist. Trotz grundsätzlicher kurdischer Gebietskontrolle hat das syrische Regime daher Zugriff auf die Region römisch 40 und somit auf die Heimatregion der BF.
Im Oktober 2019 haben das syrische Regime und die Kräfte der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES), die „Syrian Democratic Forces – SDF“ ein Abkommen geschlossen, um sich der türkischen Aggression in Nordsyrien entgegenzustellen. Seither verfügt das syrische Regime über Präsenzen in allen größeren Städten Nordsyriens. Wie bereits festgestellt, stammen die BF aus einem Ort in der Nähe der Stadt XXXX , sodass auch in dieser größeren Stadt Nordsyriens das syrische Regime präsent ist. Im Oktober 2019 haben das syrische Regime und die Kräfte der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES), die „Syrian Democratic Forces – SDF“ ein Abkommen geschlossen, um sich der türkischen Aggression in Nordsyrien entgegenzustellen. Seither verfügt das syrische Regime über Präsenzen in allen größeren Städten Nordsyriens. Wie bereits festgestellt, stammen die BF aus einem Ort in der Nähe der Stadt römisch 40 , sodass auch in dieser größeren Stadt Nordsyriens das syrische Regime präsent ist.
Der BF1 verließ Syrien aus Angst vor dem Krieg und aufgrund der drohenden Zwangsrekrutierung seiner Töchter durch die kurdischen Kräfte. Weiters befürchtet er vom syrischen Regime aufgrund seiner oppositionellen Gesinnung verfolgt zu werden bzw. als Regimegegner angesehen zu werden. Der BF1 vertritt eine politische Gesinnung, die in Opposition zum aktuellen syrischen Machthaber steht. Er hat eine oppositionelle Gesinnung gegenüber dem syrischen Regime. Er hat sich bereits aktiv durch Demonstrationsbesuche in Syrien und Österreich oppositionell betätigt.
Im Falle einer Rückkehr droht dem BF1 Verfolgung aufgrund oppositioneller Gesinnung durch das syrische Regime. Das Verhalten des BF1 - die Teilnahme an Demonstrationen in Syrien und Österreich - wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen. Aufgrund der besonderen Situation in Syrien ist die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als „oppositionell“ betrachtet zu werden, relativ niedrig. Der BF1 läuft Gefahr, aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen als illoyal angesehen zu werden, was dazu führen kann, dass er verdächtigt, bestraft oder willkürlich inhaftiert wird.
Bei einer Rückkehr in seine Heimatregion besteht für den BF1 ein erhebliches Risiko, wegen oppositioneller Gesinnung vom - in seinem kurdisch kontrollierten Herkunftsgebiet präsenten syrischen Regime - verfolgt zu werden. Würde der BF1 in sein Herkunftsgebiet, eigentlich ein von den kurdischen Kräften (SDF) kontrolliertes Gebiet, zurückkehren, könnte er sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einem Zugriff der syrischen Regierung entziehen, weil sich die SDF aufgrund der türkischen Vorstöße dazu gezwungen sahen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet ebenfalls Stellung zu beziehen, um die sich nach Syrien ausdehnende Türkei abzuschrecken. Es besteht daher das reale Risiko, dass der BF1 an einem der Checkpoints in seinem Herkunftsgebiet verhaftet und aufgrund seiner oppositionellen Gesinnung bestraft wird. Im Falle einer Rückkehr besteht für den BF1 die reale Gefahr, durch das syrische Regime wegen seiner oppositionellen Betätigungen verhaftet zu werden und zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft zu werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre. Die syrische Regierung geht brutal gegen oppositionelle Aktivisten vor.
Auch die illegale Ausreise aus Syrien und die Asylantragstellung der BF in Österreich wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen.
Die BF2 und BF3 würden als alleinstehende junge Frauen - sowie Töchter eines Vaters mit oppositioneller Gesinnung - nach Syrien zurückkehren und könnten weder auf männlichen Schutz noch auf familiäre Unterstützung zurückgreifen, weil sich ihre Kernfamilie im Ausland befindet. Sie sind ledig und ihre Eltern sowie ihre Geschwister haben Syrien verlassen.
Im Falle einer Rückkehr nach Syrien wären die BF2 und BF3 – als alleinstehende junge Frauen ohne männlichen Schutz und ohne familiäre Unterstützung in Syrien, – der realen Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in ihre (sexuelle) Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch die syrische Gesellschaft ausgesetzt. Eine Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit der syrischen Behörden besteht gegenständlich nicht. Es wäre ihnen als alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz und Unterstützung nicht möglich, in Syrien ohne Gefahr von (sexuellen) Übergriffen und relevanten Diskriminierungen leben zu können.
Bei einer Rückkehr nach Syrien laufen die BF somit Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in ihre Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch das – in ihrem kurdisch kontrollierten Herkunftsgebiet präsente – syrische Regime und/oder die syrische Gesellschaft ausgesetzt zu sein.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Im Verfahren wurden u.a. folgende Quellen zum Herkunftsstaat der BF herangezogen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (COI-CMS) – Syrien, Version 11 vom 27.03.2024
- Themenbericht der Staatendokumentation Syrien – Grenzübergänge vom 25.10.2023
- EUAA Country Guidance Syria 2024 vom April 2024
- UNHCR Latest Country Information on Syria with Focus on Returnees vom Juni 2024
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung vom März 2021
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Gefahren für weibliche Haushaltsvorstände in der Provinz Dara’a vom 08.03.2024
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Zwangsrekrutierung von Frauen/Mädchen im Zeitraum 2015-2021 durch die YBJ in der Stadt Al-Malikiyah und/oder im Gouvernment Al-Hasakah vom 03.10.2022
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11 vom 27.03.2024, auszugsweise wiedergegeben:
„[…]
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
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Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung 2024-03-08 11:06
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 2.2.2024).
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Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien
Letzte Änderung 2024-03-08 11:12
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).
Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 2.2.2024).
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021).
Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 9.3.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).
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Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-03-08 11:17
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden (CFR 24.1.2024). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 2.2.2024).
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Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen [Anm.: zu den Gebieten mit IS-Präsenz siehe Unterkapitel zu den Regionen]:
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Au