Entscheidungsdatum
12.06.2024Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
L512 1303435-3/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX XXXX , StA. Libanon, vertreten durch Rechtsanwältin Mag.a. Susanne Singer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerden von römisch 40 , geb. römisch 40 römisch 40 , StA. Libanon, vertreten durch Rechtsanwältin Mag.a. Susanne Singer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch 40 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57 AsylG als unbegründet abgewiesen.A) Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins,, Paragraph 8, Absatz eins,, Paragraph 57, AsylG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein libanesischer Staatsangehöriger und Angehöriger der sunnitischen Religionsgemeinschaft reiste XXXX in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten mit 01.12.2012 rechtskräftig negativ entschieden wurde. römisch eins.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein libanesischer Staatsangehöriger und Angehöriger der sunnitischen Religionsgemeinschaft reiste römisch 40 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten mit 01.12.2012 rechtskräftig negativ entschieden wurde.
I.2. Mit XXXX wurde dem BF der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte-plus“ erteilt und in weiterer Folge bis XXXX mehrfach verlängert. römisch eins.2. Mit römisch 40 wurde dem BF der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte-plus“ erteilt und in weiterer Folge bis römisch 40 mehrfach verlängert.
Mit XXXX erhielt der Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“.Mit römisch 40 erhielt der Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“.
Vom XXXX bis XXXX hielt sich der BF wieder im Libanon auf und ist mit XXXX der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ gemäß § 20 Abs. 4 NAG (Aufenthalt von mehr als zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des EWR-Gebietes) erloschen.Vom römisch 40 bis römisch 40 hielt sich der BF wieder im Libanon auf und ist mit römisch 40 der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ gemäß Paragraph 20, Absatz 4, NAG (Aufenthalt von mehr als zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des EWR-Gebietes) erloschen.
I.3. Im XXXX reiste der BF erneut in das östereichischen Bundesgebiet ein und wurde mit Schreiben vom 03.07.2020 unter anderem darüber informiert, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme geführt bzw. der diesbezügliche Sachverhalt geprüft wird.römisch eins.3. Im römisch 40 reiste der BF erneut in das östereichischen Bundesgebiet ein und wurde mit Schreiben vom 03.07.2020 unter anderem darüber informiert, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme geführt bzw. der diesbezügliche Sachverhalt geprüft wird.
Mit Bescheid des des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung des BF in den Libanon wurde für zulässig zulässig erklärt und gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt.Mit Bescheid des des BFA vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung des BF in den Libanon wurde für zulässig zulässig erklärt und gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX , wurde die dagegen erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen.Mit Erkenntnis des BVwG vom römisch 40 , GZ: römisch 40 , wurde die dagegen erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen.
I.4. Am 28.02.2022 stellte der BF den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. römisch eins.4. Am 28.02.2022 stellte der BF den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.
I.4.1 Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 01.03.2022 zu seinen Ausreisegründen zusammengefasst vor, dass 2019 im Libanon eine Revolution gewesen sei und er auf XXXX die Hisbollah wegen der Tötung des damaligen Präsidenten Al-Hariri kritisiert habe. Deswegen habe die Hisbollah den BF durch seine Familie bedroht und ihn als Spion bezeichnet. Im Falle einer Rückkehr in den Libanon fürchte er von der Hisbollah getötet zu werden. römisch eins.4.1 Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 01.03.2022 zu seinen Ausreisegründen zusammengefasst vor, dass 2019 im Libanon eine Revolution gewesen sei und er auf römisch 40 die Hisbollah wegen der Tötung des damaligen Präsidenten Al-Hariri kritisiert habe. Deswegen habe die Hisbollah den BF durch seine Familie bedroht und ihn als Spion bezeichnet. Im Falle einer Rückkehr in den Libanon fürchte er von der Hisbollah getötet zu werden.
I.3. Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachte der BF am 07.09.2022 zu seinen Antragsgründen im Wesentlichen vor, dass XXXX sein Problem mit der Hisbollah angefangen habe. Er sei in dieser Zeit in Österreich gewesen und habe seine Meinung über die Hisbollah immer wieder auf XXXX kundgetan. Im Jahr XXXX oder XXXX habe es nach dem Mord an Rafiq Al-Hariri viele Demonstrationen im Libanon gegeben und sei er gegen die Hisbollah sehr aktiv gewesen. Al-Hariri sei 2005 ermordet, das Urteil aber erst im Jahr 2019 oder 2020 beschlossen worden. Darin habe gestanden, dass die Hisbollah Schuld daran habe. Sie seien zum Haus seiner Familie gegangen und hätten sie erpresst bzw. unterdrückt, insbesondere, weil der BF Sunnite sei und die Hisbollah Schiiten seien. Das sei alles. Jeder der eine andere Meinung äußere werde getötet. Die Hisbollah habe die Macht im Land. Das Land könne sie nicht vor der Hisbollah schützen. Die Hisbollah habe überall Minister und könne man vor der Hisbollah nicht beschützt werden. Vor einem Jahr sei sogar ein schiitischer Politiker ermordet worden, weil er eine andere Meinung gehabt habe. Der BF könne nicht mehr in den Libanon einreisen, weil er als Ungläubiger angesehen werde. römisch eins.3. Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachte der BF am 07.09.2022 zu seinen Antragsgründen im Wesentlichen vor, dass römisch 40 sein Problem mit der Hisbollah angefangen habe. Er sei in dieser Zeit in Österreich gewesen und habe seine Meinung über die Hisbollah immer wieder auf römisch 40 kundgetan. Im Jahr römisch 40 oder römisch 40 habe es nach dem Mord an Rafiq Al-Hariri viele Demonstrationen im Libanon gegeben und sei er gegen die Hisbollah sehr aktiv gewesen. Al-Hariri sei 2005 ermordet, das Urteil aber erst im Jahr 2019 oder 2020 beschlossen worden. Darin habe gestanden, dass die Hisbollah Schuld daran habe. Sie seien zum Haus seiner Familie gegangen und hätten sie erpresst bzw. unterdrückt, insbesondere, weil der BF Sunnite sei und die Hisbollah Schiiten seien. Das sei alles. Jeder der eine andere Meinung äußere werde getötet. Die Hisbollah habe die Macht im Land. Das Land könne sie nicht vor der Hisbollah schützen. Die Hisbollah habe überall Minister und könne man vor der Hisbollah nicht beschützt werden. Vor einem Jahr sei sogar ein schiitischer Politiker ermordet worden, weil er eine andere Meinung gehabt habe. Der BF könne nicht mehr in den Libanon einreisen, weil er als Ungläubiger angesehen werde.
I.4. Am 31.05.2023 wurde der BF erneut vor einem Organwalter der belangten Behörde einvernommen und brachte zu seinen Ausreisegründen im Wesentlichen vor, dass er politisch interessiert gewesen sei und XXXX und XXXX auch demonstriert habe. Er habe der Partei „ XXXX “ seine Zustimmung gegeben. Der BF habe ein Visum gehabt und sei damals wegen der Demonstrationen von der Hisbollah bedroht und geschlagen worden. Er habe ein Problem bezüglich seiner Ehe gehabt und danach mit der Hisbollah. Dann sei er mit einem Visum hierhergekommen. Als er XXXX in Österreich gewesen sei, habe er viel gegen die Hisbollah auf XXXX geschrieben. Eine bewaffnete Gruppe sei drei- bis viermal zu seiner Familie gegangen. Zuletzt sei das vor XXXX gewesen.römisch eins.4. Am 31.05.2023 wurde der BF erneut vor einem Organwalter der belangten Behörde einvernommen und brachte zu seinen Ausreisegründen im Wesentlichen vor, dass er politisch interessiert gewesen sei und römisch 40 und römisch 40 auch demonstriert habe. Er habe der Partei „ römisch 40 “ seine Zustimmung gegeben. Der BF habe ein Visum gehabt und sei damals wegen der Demonstrationen von der Hisbollah bedroht und geschlagen worden. Er habe ein Problem bezüglich seiner Ehe gehabt und danach mit der Hisbollah. Dann sei er mit einem Visum hierhergekommen. Als er römisch 40 in Österreich gewesen sei, habe er viel gegen die Hisbollah auf römisch 40 geschrieben. Eine bewaffnete Gruppe sei drei- bis viermal zu seiner Familie gegangen. Zuletzt sei das vor römisch 40 gewesen.
I.4. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon nicht zugesprochen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.).römisch eins.4. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon nicht zugesprochen (Spruchpunkt römisch II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
I.4.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF als unglaubwürdig.römisch eins.4.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF als unglaubwürdig.
I.4.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.römisch eins.4.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.
I.4.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben.römisch eins.4.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG ergeben.
I.5. Gegen den Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist vollumfänglich Beschwerden erhoben.römisch eins.5. Gegen den Bescheid vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist vollumfänglich Beschwerden erhoben.
I.6. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den XXXX eine öffentliche mündliche Verhandlung an und übermittelte dem BF aktuelle Länderinformationen für den Libanon.römisch eins.6. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den römisch 40 eine öffentliche mündliche Verhandlung an und übermittelte dem BF aktuelle Länderinformationen für den Libanon.
I.6.1. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte der BF die Möglichkeit zu seiner Integration, seinem Fluchtvorbringen und seiner Rückkehrsituation Stellung zu nehmen. Dem BF wurden aktualisierte Länderberichte zum Libanon ausgehändigt und ihm zur Abgabe einer Stellungnahme eine Frist von zwei Wochen eingeräumt.römisch eins.6.1. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte der BF die Möglichkeit zu seiner Integration, seinem Fluchtvorbringen und seiner Rückkehrsituation Stellung zu nehmen. Dem BF wurden aktualisierte Länderberichte zum Libanon ausgehändigt und ihm zur Abgabe einer Stellungnahme eine Frist von zwei Wochen eingeräumt.
1.7. Mit Schriftsatz vom 31.01.2024 erstattete die Vertretung des BF eine Urkundenvorlage.
I.8. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.römisch eins.8. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
II.1.1. Der Beschwerdeführerrömisch II.1.1. Der Beschwerdeführer
Die Identität des BF steht fest. Der BF ist libanesischer Staatsangehöriger, Angehöriger der sunnitischen Glaubensgemeinschaft und wurde in XXXX (auch: XXXX ) geboren, lebte zuletzt aber in dem Dorf XXXX im Gouvernement Libanon-Berg.Die Identität des BF steht fest. Der BF ist libanesischer Staatsangehöriger, Angehöriger der sunnitischen Glaubensgemeinschaft und wurde in römisch 40 (auch: römisch 40 ) geboren, lebte zuletzt aber in dem Dorf römisch 40 im Gouvernement Libanon-Berg.
Der BF hat im Libanon zehn Jahre die Schule besucht, jedoch keinen Beruf erlernt. Er war im Libanon ca. XXXX als XXXX tätig (AS 88). Der BF hat im Libanon zehn Jahre die Schule besucht, jedoch keinen Beruf erlernt. Er war im Libanon ca. römisch 40 als römisch 40 tätig (AS 88).
Der BF ist seit XXXX geschieden. Mit seiner Ex-Ehegattin hat der BF zwei Kinder. Die Ex-Ehegattin, die Kinder und die Eltern des BF sind nach wie vor im Libanon aufhältig und wohnen alle im Dorf XXXX . Die Kinder des BF leben bei der Ex-Ehegattin des BF (AS 88). Die Ex-Ehegattin wohnt mit den Kindern im Haus ihrer Eltern, ist in einer XXXX tätig und wird vom BF mit € 150,-- monatlich unterstützt. Der BF ist seit römisch 40 geschieden. Mit seiner Ex-Ehegattin hat der BF zwei Kinder. Die Ex-Ehegattin, die Kinder und die Eltern des BF sind nach wie vor im Libanon aufhältig und wohnen alle im Dorf römisch 40 . Die Kinder des BF leben bei der Ex-Ehegattin des BF (AS 88). Die Ex-Ehegattin wohnt mit den Kindern im Haus ihrer Eltern, ist in einer römisch 40 tätig und wird vom BF mit € 150,-- monatlich unterstützt.
Der Vater des BF war beim libanesischen Militär und ist mittlerweile pensioniert. Ein Bruder des BF ist in XXXX aufhältig. Das Haus, in dem die Eltern des BF im Libanon leben, gehört dem BF (AS 89).Der Vater des BF war beim libanesischen Militär und ist mittlerweile pensioniert. Ein Bruder des BF ist in römisch 40 aufhältig. Das Haus, in dem die Eltern des BF im Libanon leben, gehört dem BF (AS 89).
Im XXXX reiste der BF erstmals in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher am XXXX rechtskräftig negativ entschieden wurde. Im römisch 40 reiste der BF erstmals in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher am römisch 40 rechtskräftig negativ entschieden wurde.
Mit XXXX wurde dem BF der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte-plus“ erteilt und in weiterer Folge bis XXXX mehrfach verlängert. Mit römisch 40 wurde dem BF der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte-plus“ erteilt und in weiterer Folge bis römisch 40 mehrfach verlängert.
Am XXXX erhielt der Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“.Am römisch 40 erhielt der Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“.
Vom XXXX bis XXXX hielt sich der BF wieder im Libanon auf und ist mit XXXX der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ gemäß § 20 Abs. 4 NAG (Aufenthalt von mehr als zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des EWR-Gebietes) erloschen.Vom römisch 40 bis römisch 40 hielt sich der BF wieder im Libanon auf und ist mit römisch 40 der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ gemäß Paragraph 20, Absatz 4, NAG (Aufenthalt von mehr als zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des EWR-Gebietes) erloschen.
Im XXXX reiste der BF erneut in das östereichischen Bundesgebiet ein. Dem BF wurde mit Bescheid des des BFA vom XXXX ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung des BF in den Libanon wurde für zulässig erklärt und gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Im römisch 40 reiste der BF erneut in das östereichischen Bundesgebiet ein. Dem BF wurde mit Bescheid des des BFA vom römisch 40 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung des BF in den Libanon wurde für zulässig erklärt und gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit Erkenntnis des BVwG vom römisch 40 wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Am 28.02.2022 hat der BF den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Der BF spricht auf dem Nivau B1 die deutsche Sprache.
Der BF leidet an keinen lebensbedrohenden Krankheiten, wohnt mit einem Freund gemeinsam in einer Mietwohnung und war vom XXXX bis XXXX bzw. ist seit XXXX laufend selbstständig erwerbstätig. Vom XXXX bis XXXX war er als Arbeiter angestellt. Er verfügt seit XXXX über die Gewerbeberechtigung „Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe“.Der BF leidet an keinen lebensbedrohenden Krankheiten, wohnt mit einem Freund gemeinsam in einer Mietwohnung und war vom römisch 40 bis römisch 40 bzw. ist seit römisch 40 laufend selbstständig erwerbstätig. Vom römisch 40 bis römisch 40 war er als Arbeiter angestellt. Er verfügt seit römisch 40 über die Gewerbeberechtigung „Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe“.
Auch während seinem ersten Aufenthalt in Österreich von XXXX bis März XXXX war der BF vom XXXX und am XXXX war er als Arbeiter angestellt.Auch während seinem ersten Aufenthalt in Österreich von römisch 40 bis März römisch 40 war der BF vom römisch 40 und am römisch 40 war er als Arbeiter angestellt.
Der BF verfügt im Herkunftsstaat über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.
In Österreich leben keine Verwandte des BF. Er verfügt über soziale und freundschaftliche Kontakte und hat seit ca. XXXX eine Freundin. Die Freundin des BF ist XXXX Staatsangehörige und besteht mit ihr kein gemeinsamer Wohnsitz. Es finden regelmäßig Besuche sowie gemeinsame Unternehmungen statt.In Österreich leben keine Verwandte des BF. Er verfügt über soziale und freundschaftliche Kontakte und hat seit ca. römisch 40 eine Freundin. Die Freundin des BF ist römisch 40 Staatsangehörige und besteht mit ihr kein gemeinsamer Wohnsitz. Es finden regelmäßig Besuche sowie gemeinsame Unternehmungen statt.
Der BF spielt Fußball in einem Verein und hat in Österreich keine Ausbildung absolviert.
II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Libanonrömisch II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Libanon
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon werden folgende Feststellungen getroffen:
1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen
Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden.
2. COVID-19
Laut einem Bericht des libanesischen Gesundheitsministerium (MoPH) zur Beobachtung von COVID-19-Infektionen im Libanon betrug die COVID-19 bedingte Belegung der Intensivstationen in der Woche vom 13.2.2023 bis zum 20.2.2023 13 %. Die lokale PCR-Positivitätsrate lag bei 8,4 %. 71,2 % der Bevölkerung haben laut offiziellen Daten mindestens eine COVID-19 Impfdosis erhalten (MoPH 20.2.2023). Das Gesundheitsministerium hat eine Hotline für Aufklärung und Fragen zu COVID-19 eingerichtet (MoPH 2023). Der Libanon hat im Januar 2021 eine elektronische Plattform für Bürger und Einwohner eingerichtet, die sich gegen COVID-19 impfen lassen wollen (AN 29.1.2021; vgl. MoPH 28.1.2021). Ähnlich wie in vielen anderen Ländern wurde eine App zur Ermittlung von Kontaktpersonen, „Ma3an“, entwickelt, um Menschen zu benachrichtigen, die möglicherweise mit COVID-19 in Kontakt gekommen sind. Auf kommunaler Ebene haben die lokalen Gemeinden die Aufgabe der Nachverfolgung von Fällen und der Verhängung von Quarantänen übernommen (RAND 6.5.2022).Laut einem Bericht des libanesischen Gesundheitsministerium (MoPH) zur Beobachtung von COVID-19-Infektionen im Libanon betrug die COVID-19 bedingte Belegung der Intensivstationen in der Woche vom 13.2.2023 bis zum 20.2.2023 13 %. Die lokale PCR-Positivitätsrate lag bei 8,4 %. 71,2 % der Bevölkerung haben laut offiziellen Daten mindestens eine COVID-19 Impfdosis erhalten (MoPH 20.2.2023). Das Gesundheitsministerium hat eine Hotline für Aufklärung und Fragen zu COVID-19 eingerichtet (MoPH 2023). Der Libanon hat im Januar 2021 eine elektronische Plattform für Bürger und Einwohner eingerichtet, die sich gegen COVID-19 impfen lassen wollen (AN 29.1.2021; vergleiche MoPH 28.1.2021). Ähnlich wie in vielen anderen Ländern wurde eine App zur Ermittlung von Kontaktpersonen, „Ma3an“, entwickelt, um Menschen zu benachrichtigen, die möglicherweise mit COVID-19 in Kontakt gekommen sind. Auf kommunaler Ebene haben die lokalen Gemeinden die Aufgabe der Nachverfolgung von Fällen und der Verhängung von Quarantänen übernommen (RAND 6.5.2022).
Im Libanon traf die Pandemie mit der Wirtschaftskrise zusammen. Die Krankenhäuser befanden sich bereits in einer schwierigen Situation, was sich auf alle gesundheitsbezogenen Aspekte, auch auf COVID-19 Patienten, auswirkte. Unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie wurde deutlich, dass private Krankenhäuser keine Abteilung für COVID-19 Patienten öffnen wollten, und der libanesische Staat war nicht in der Lage, sie dazu zu verpflichten, zumal die für die Gesundheitsversorgung bereitgestellten öffentlichen Gelder aufgebraucht waren und in der Vergangenheit nicht vollständig an diese Krankenhäuser gezahlt wurden. Es dauerte Wochen, bis einige private Krankenhäuser beschlossen, einige Abteilungen für COVID-19-Patienten zu öffnen (HBS 2.12.2022). Die COVID-19-Krise verschärfte auch die bereits bestehenden Ungleichheiten in den Bereichen Beschäftigung und Bildung und verringerte die Chancen für viele der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen (UNICEF 6.2022). Besonders schwerwiegende Auswirkungen hatte COVID-19 auf Flüchtlingsgemeinschaften, insbesondere auf Frauen und Mädchen, was durch die grundlegenden Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, noch verstärkt wurde: Bewegungsfreiheit, Schutz, Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beschäftigung. Auch über die Pandemie hinaus deuten Schätzungen von Hilfsstudien darauf hin, dass COVID-19 noch lange Zeit unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Flüchtlingsfrauen im Libanon haben wird, insbesondere auf diejenigen, die Gewalt ausgesetzt waren (HBS 2.12.2022).
Quellen:
- AN - Arab News (29.1.2021): Lebanon launches online platform for vaccine registration, https://www.arabnews.com/node/1800166/middle-east, Zugriff 21.2.2023
- HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (20.2.2023): Monitoring of COVID-19 Infection In Lebanon – 20/2/2023, https://www.moph.gov.lb/en/Pages/127/43750/monitoring-of-covid-19-, Zugriff 21.2.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (2023): Novel Coronavirus 2019, https://www.moph.gov.lb/en/Pages/2/24870/novel-coronavirus-2019-, Zugriff 21.2.2023
- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (28.1.2021):
COVID-19 Vaccine Platform (Presentation), https://www.moph.gov.lb/userfiles/files/Prevention/nCoV-%202019/Covid19_Vaccine_Process(2020)-1-1.pdf, Zugriff 21.2.2023
- RAND (6.5.2022): Lebanon: Challenges and Successes in COVID-19 Pandemic Response, https://www.rand.org/blog/2022/05/lebanon-challenges-and-successes-in-covid-19-pandemic.html, Zugriff 21.2.2023
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.2022): Synthesis of the crisis impact on the Lebanese labour market and potential business, employment and training opportunities, https://www.unicef.org/lebanon/media/8726/file/ILO%20UNICEF%20Synthesis%20report%20EN%20.pdf, Zugriff 21.2.2023
3. Politische Lage
Der Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Ta’if-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 5.12.2022). Der Nationalpakt verteilt die Regierungsgewalt auf einen maronitischen christlichen Präsidenten, einen schiitischen Sprecher der Abgeordnetenkammer (Parlament) und einen sunnitischen Premierminister (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, AA 5.12.2023). Bei der im Abkommen von Ta’if vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es keine Fortschritte (AA 5.12.2022). Die libanesische Elite ist nicht bereit, ein System abzuschaffen, das ihre Macht garantiert, oder sich der Kontrolle durch ein neues, demokratischeres und rechenschaftspflichtiges Parlament zu stellen (CH 11.8.2021).Der Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Ta’if-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 5.12.2022). Der Nationalpakt verteilt die Regierungsgewalt auf einen maronitischen christlichen Präsidenten, einen schiitischen Sprecher der Abgeordnetenkammer (Parlament) und einen sunnitischen Premierminister (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022, AA 5.12.2023). Bei der im Abkommen von Ta’if vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es keine Fortschritte (AA 5.12.2022). Die libanesische Elite ist nicht bereit, ein System abzuschaffen, das ihre Macht garantiert, oder sich der Kontrolle durch ein neues, demokratischeres und rechenschaftspflichtiges Parlament zu stellen (CH 11.8.2021).
Die 128 Abgeordnetensitze im Parlament werden nach einem detaillierten Schlüssel für die 18 anerkannten Religionsgemeinschaften je zur Hälfte von Christen (zwölf anerkannte christliche
Konfessionen) bzw. Muslimen (Sunniten, Schiiten, Drusen, Alawiten und Ismailiten) besetzt.
Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 5.12.2023). Das komplizierte konfessionelle Proporzsystem, das Christen, Schiiten und Sunniten gleichermaßen Zugang zu Macht und Ämtern sichern soll, hat in den vergangenen Jahren zu einer vollständigen Blockade des politischen Prozesses geführt (WZ 15.1.2023). In der libanesischen Politik bestehen formelle und informelle Allianzen, allerdings häufig auch über die religiöse Kluft hinweg. Die „Allianz des 8. März“ ist eine Koalition, deren zwei führende Parteien schiitische Muslime (Hizbollah) und Christen (Freie Patriotische Bewegung) sind, die durch eine pro-syrische Agenda vereint sind. Ihnen gegenüber steht die „Allianz des 14. März“, eine anti-syrische Gruppe, die von sunnitischen Muslimen und christlichen Maroniten dominiert wird. Die ungewöhnliche und mangelhafte politische Struktur des Libanon ermöglicht es der Hizbollah, über die Allianz des 8. März enorme Macht und parlamentarische Kontrolle auszuüben, ohne selbst über eine hohe Anzahl von Sitzen im Parlament zu verfügen (CH 11.8.2021). Außerdem hat die Hizbollah im Laufe der Jahre eine mehrdimensionale Strategie verfolgt, die neben ihrem Militärapparat auch mehrere politische Mittel umfasst. Neben der Bildung eines politischen Gürtels aus nicht-schiitischen Verbündeten (Christen, Alawiten, Drusen und Sunniten) gehörte auch die massive Unterwanderung der öffentlichen Verwaltung und anderer Einrichtungen wie der allgemeinen Gewerkschaft und der Verkehrsgewerkschaft dazu (USIP 8.6.2022). Zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) stellt die Hizbollah auch weiterhin eine Art Staat im Staat dar und übernimmt dort die sozialen und politischen Aufgaben (AA 5.12.2022). In der Europäischen Union wird bislang lediglich der „militärische Arm“ der Hizbollah als Terrororganisation gelistet. Diese künstliche Unterscheidung zwischen einem militärischen und dem politischen Arm, die von der Hizbollah selbst negiert wird, ist international umstritten (ELNET 5.5.2021; vgl. ST 12.5.2021). Neben Deutschland, den USA, Kanada und den Niederlanden hat auch Großbritannien die Hizbollah als Ganzes verboten. In Österreich gilt für die Hizbollah – also auch für den politischen Arm – ein Symbole-Verwendungsverbot (ST 12.5.2021).Die 128 Abgeordnetensitze im Parlament werden nach einem detaillierten Schlüssel für die 18 anerkannten Religionsgemeinschaften je zur Hälfte von Christen (zwölf anerkannte christliche
Konfessionen) bzw. Muslimen (Sunniten, Schiiten, Drusen, Alawiten und Ismailiten) besetzt.
Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 5.12.2023). Das komplizierte konfessionelle Proporzsystem, das Christen, Schiiten und Sunniten gleichermaßen Zugang zu Macht und Ämtern sichern soll, hat in den vergangenen Jahren zu einer vollständigen Blockade des politischen Prozesses geführt (WZ 15.1.2023). In der libanesischen Politik bestehen formelle und informelle Allianzen, allerdings häufig auch über die religiöse Kluft hinweg. Die „Allianz des 8. März“ ist eine Koalition, deren zwei führende Parteien schiitische Muslime (Hizbollah) und Christen (Freie Patriotische Bewegung) sind, die durch eine pro-syrische Agenda vereint sind. Ihnen gegenüber steht die „Allianz des 14. März“, eine anti-syrische Gruppe, die von sunnitischen Muslimen und christlichen Maroniten dominiert wird. Die ungewöhnliche und mangelhafte politische Struktur des Libanon ermöglicht es der Hizbollah, über die Allianz des 8. März enorme Macht und parlamentarische Kontrolle auszuüben, ohne selbst über eine hohe Anzahl von Sitzen im Parlament zu verfügen (CH 11.8.2021). Außerdem hat die Hizbollah im Laufe der Jahre eine mehrdimensionale Strategie verfolgt, die neben ihrem Militärapparat auch mehrere politische Mittel umfasst. Neben der Bildung eines politischen Gürtels aus nicht-schiitischen Verbündeten (Christen, Alawiten, Drusen und Sunniten) gehörte auch die massive Unterwanderung der öffentlichen Verwaltung und anderer Einrichtungen wie der allgemeinen Gewerkschaft und der Verkehrsgewerkschaft dazu (USIP 8.6.2022). Zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) stellt die Hizbollah auch weiterhin eine Art Staat im Staat dar und übernimmt dort die sozialen und politischen Aufgaben (AA 5.12.2022). In der Europäischen Union wird bislang lediglich der „militärische Arm“ der Hizbollah als Terrororganisation gelistet. Diese künstliche Unterscheidung zwischen einem militärischen und dem politischen Arm, die von der Hizbollah selbst negiert wird, ist international umstritten (ELNET 5.5.2021; vergleiche ST 12.5.2021). Neben Deutschland, den USA, Kanada und den Niederlanden hat auch Großbritannien die Hizbollah als Ganzes verboten. In Österreich gilt für die Hizbollah – also auch für den politischen Arm – ein Symbole-Verwendungsverbot (ST 12.5.2021).
Die jüngsten Parlamentswahlen im Libanon fanden am 15.5.2022 statt (AA 5.12.2023). Die Wahlen waren die ersten seit einem landesweiten Aufstand im Jahr 2019 gegen eine politische Elite, die weithin als korrupt und ineffektiv gilt. Die Hizbollah und ihre verbündete Allianz gewannen 62 der 128 Sitze, und haben damit ihre Mehrheit im libanesischen Parlament verloren. Die Hizbollah behielt zwar ihre eigenen Sitze, aber die christliche Freie Patriotische Bewegung von Präsident Michel Aoun verlor an Unterstützung. Die „Lebanese Forces“, eine rivalisierende christliche Partei mit engen Beziehungen zu Saudi-Arabien, gewann 19 Sitze und damit 15 Sitze mehr als bei den letzten Wahlen im Jahr 2018 (BBC 17.5.2022). Kandidaten, die als Opposition zum Establishment gelten, haben 13 Sitze im Parlament gewonnen (OT 17.5.2022). Das zersplitterte Parlament war allerdings nicht in der Lage, einen neuen Präsidenten zu wählen, sodass nach dem Ende der Amtszeit von Michel Aoun im Oktober 2022 ein Vakuum entsteht. Michel Moawad, ein Anti-Hizbollah-Kandidat, hat in mehreren Wahlgängen die meisten Stimmen erhalten, aber keine Mehrheit. Die Abstimmung wird so lange fortgesetzt, bis jemand die Pattsituation durchbrechen kann. Da es keinen Präsidenten gibt, ist die Regierung von Premierminister Najib Mikati nur geschäftsführend tätig, was die anhaltende Wirtschaftskrise im Libanon noch verschärft, da die Währung einen neuen Rekordtiefstand erreicht hat (21Vote 21.2.2023).
Die Hizbollah und ihr wichtigster Verbündeter, die Amal-Bewegung von Nabih Berri, setzen sich für eine ausschließliche Vertretung der schiitischen Gemeinschaft ein, indem sie alle ihrer Gemeinschaft zugewiesenen Parlamentssitze und den gesamten Quotenanteil der Schiiten in jeder Regierung kontrollieren. Im System der Machtteilung im Libanon bedeutet dies, dass sie gegen jede Entscheidung ein Veto einlegen oder jede Sitzung des Parlaments oder der Regierung für ungültig erklären können, indem sie alle schiitischen Mitglieder auffordern, nicht teilzunehmen oder dagegen zu stimmen. Letztlich kann die Partei außerdem immer noch auf Einschüchterung und direkte Aktionen zurückgreifen und ihre bewaffneten Mitglieder mobilisieren, wenn die politischen Mittel nicht ausreichen (USIP 8.6.2022). Die wachsende wirtschaftliche Not und die Frustration über das politische System lösen im ganzen Land häufig weit verbreitete Proteste und zivile Unruhen aus, bei denen konkrete finanzielle und wirtschaftliche Maßnahmen zur Eindämmung der Krise gefordert werden (REACH 6.4.2022). Mehr als 200 Menschen protestierten Ende Januar 2023 vor dem libanesischen Justizpalast gegen die Versuche, die Ermittlungen im Zusammenhang mit der tödlichen Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 zu stoppen. Richter Tarek Bitar kündigte an, dass er die Ermittlungen zu der Explosion, bei der mehr als 220 Menschen ums Leben kamen, wieder aufnehmen werde, nachdem sie aufgrund von juristischen Auseinandersetzungen und politischem Druck auf höchster Ebene 13 Monate lang ausgesetzt worden waren (Reuters 26.1.2023). Im Oktober 2021 wurden bei einer Demonstration, zu der die Schiitische Amal und Hizbollah aufgerufen hatten, um die Absetzung des Richters Bitar zu fordern, sieben Menschen getötet und Dutzende verwundet (ToI 16.10.2021).
Quellen:
- 21Vote (21.2.2023): Ongoing Middle East Elections - Lebanon Indirect Presidential Election (by parliament): Continuing, https://21votes.com/middle-east-110/, Zugriff 1.3.2023
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023
- BBC - British Broadcasting Corporation (17.5.2022): Lebanon election: Hezbollah and allies lose parliamentary majority, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61463884, Zugriff 1.3.2023
- CH - Chatham House (11.8.2021): Lebanon’s politics and politicians, https://www.chathamhouse.org/2021/08/lebanons-politics, Zugriff 28.2.2023
- ELNET (5.5.2021): Gemeinsam gegen Hisbollah – eine Bestandsaufnahme für Deutschland, Österreich und die Schweiz, https://elnet-deutschland.de/themen/politik/gemeinsam-gegen-hisbollah-eine-bestandsaufnahme-fuer-deutschland-oesterreich-und-die-schweiz/, Zugriff 1.3.2023
- FH - Freedom House (3.6.2022): Freedom on the Net 2022 – Lebanon, https://freedomhouse.org/country/lebanon/freedom-net/2022, Zugriff 8.2.2023
- OT - L’Orient Today (17.5.2022): Lebanon elects a new Parliament: A breakdown of divisions, winners and losers, https://today.lorientlejour.com/article/1299886/lebanon-elects-a-new-parliament.html, Zugriff 1.3.2023
- REACH - REACH Initiative (6.4.2022): Lebanon: 2021 Multi-Sector Needs Assessment - April 2022, https://reliefweb.int/report/lebanon/lebanon-2021-multi-sector-needs-assessment-april-2022, Zugriff 23.1.2023
- Reuters (26.1.2023): Lebanese protest as fate of blast probe hangs in balance, https://www.reuters.com/world/middle-east/lebanese-protest-anger-over-efforts-hamstring-blast-probe-2023-01-26/, Zugriff 1.3.2023
- ST - Der Standard (12.5.2021): Österreich verbietet sämtliche Hisbollah-Symbole, https://www.derstandard.at/story/2000126602629/oesterreich-verbietet-saemtliche-hisbollah-symbole, Zugriff 1.3.2023
- ToI - The Times of Israel (16.10.2021): A who’s who of the groups involved in Beirut violence that left 7 dead, https://www.timesofisrael.com/the-groups-involved-in-deadly-beirut-violence-that-left-7-dead/, Zugriff 1.3.2023
- USIP - United States Institute of Peace (8.6.2022): Lebanon’s Election Offers Lessons for Now and the Future, https://www.usip.org/publications/2022/06/lebanons-election-offers-lessons-now-and-future, Zugriff 1.3.2023
- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023
4. Sicherheitslage
[Anm.: Für Informationen bzgl. der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern siehe Kapitel 20.2 „Palästinensische Flüchtlinge“]
Die allgemeine Sicherheitslage ist durch die Proteste und den wirtschaftlichen Abschwung unübersichtlicher geworden (AA 12.5.2022). Es kommt zu Demonstrationen, Straßenblockaden, Streiks und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen sowie zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften. Dabei werden vereinzelt auch Schusswaffen eingesetzt (EDA 14.2.2023). Diebstähle, Schießereien und Zusammenstöße nehmen zu, da immer mehr Menschen verzweifelt versuchen, über die Runden zu kommen, was manchmal zu tödlichen Auseinandersetzungen führt. Die von den Banken eingeführten informellen Kapitalverkehrskontrollen für Einlagen haben dazu geführt, dass einige Menschen in verschiedenen Bankfilialen im ganzen Land Geiseln genommen haben, um an ihr Geld zu kommen. Die sich verschlechternde Sicherheitslage stellt eine besondere Herausforderung für die libanesischen Sicherheitskräfte dar, die ohnehin schon mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, durch die ihre Ressourcen schrumpfen und die Gehälter ihrer Mitarbeiter gekürzt werden (NL 27.9.2022).
Die libanesische schiitische Miliz Hizbollah kontrolliert den Zugang zu Teilen des Libanon und operiert innerhalb des Landes relativ ungestraft (CRS 11.1.2023). Ihr „militärischer Arm“ ist von der EU seit 2013 als terroristische Vereinigung gelistet. Die Hizbollah übernimmt zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) faktisch auch die Funktion einer Sicherheitsbehörde (AA 5.12.2023). Im Libanon präsent sind neben der Hizbollah auch andere Terrorgruppen wie die Abdallah Azzam Brigades, al-Aqsa Martyrs Brigade, Asbat al-Ansar, Hamas, an-Nusrah Front (Hay'at Tahrir ash-Sham), Palestine Liberation Front, Islamic Revolutionary Guard Corps/Qods Force, Islamic State of Iraq and ash-Sham (ISIS); PFLP-General Command; Popular Front for the Liberation of Palestine (CIA 14.2.2023).
Südlibanon
Viele Gebiete (Zonen) im gesamten Südlibanon gelten als Militärgelände der Hizbollah. Der Zugang zu diesen Gebieten ist untersagt. Die örtliche Zivilbevölkerung, die United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL)-Truppen und sogar die libanesische Armee haben keinen Zugang zu diesen Gebieten. Einige der Gebiete befinden sich in unmittelbarer Nähe von Dörfern (Alma 16.6.2022). Entlang der Blauen Linie im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Libanon und Israel. Bei den grenzüberschreitenden Streitigkeiten zwischen beiden Seiten werfen die Libanesen Israel wiederholt vor, den libanesischen Luftraum und die Hoheitsgewässer zu verletzen. Im Oktober 2022 legten Libanon und Israel unter Vermittlung der USA nach zwei Jahren indirekter Verhandlungen ihre Seegrenze fest. Die beiden Länder befinden sich technisch gesehen immer noch im Kriegszustand und unterhalten keine diplomatischen Beziehungen, was jede Art von Kontakt zwischen