Entscheidungsdatum
05.07.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L524 2273535-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX StA Türkei, vertreten durch RA Mag. Stefan ERRATH, Mariahilfer Straße 89a/34, 1060 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2023, Zl. XXXX , betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.03.2024, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 StA Türkei, vertreten durch RA Mag. Stefan ERRATH, Mariahilfer Straße 89a/34, 1060 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2023, Zl. römisch 40 , betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.03.2024, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 03.05.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte eine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts. Am 15.12.2022 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen.
Mit Bescheid des BFA vom 28.04.2023, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Mit Bescheid des BFA vom 28.04.2023, Zl. römisch 40 , wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch VI.).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 20.03.2024 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm. Das BFA entsandte keinen Vertreter, beantragte jedoch die Abweisung der Beschwerde.
II. Feststellungen:römisch II. Feststellungen:
Der 22-jährige Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, Türke, Alevit, ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Malatya in Ostanatolien geboren und übersiedelte kurz darauf – nach der Trennung seiner Eltern – gemeinsam mit seiner Mutter nach Istanbul in der türkischen Marmararegion. Er lebte dort zuletzt – abgesehen von einem vierjährigen Aufenthalt in einem Schulinternat – mit seiner Mutter bis zu deren Ausreise im Jahr 2019 in einer Mietwohnung im Landkreis XXXX der Provinz Istanbul. Im Anschluss wohnte er dort alleine. Der Beschwerdeführer besuchte acht Jahre die Grundschule und vier Jahre ein Fachlyzeum in Istanbul. Er erhielt eine Berufsausbildung zum Graphiker/Webdesigner. Noch während der Schulzeit verrichtete der Beschwerdeführer bereits Saisonarbeiten. Nach Absolvierung der Schule bestritt der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt etwa als Kellner, Gartengestalter und Lagerarbeiter (kombiniert mit Onlinehandel). Er beherrscht Türkisch auf muttersprachlichem Niveau. Der 22-jährige Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, Türke, Alevit, ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Malatya in Ostanatolien geboren und übersiedelte kurz darauf – nach der Trennung seiner Eltern – gemeinsam mit seiner Mutter nach Istanbul in der türkischen Marmararegion. Er lebte dort zuletzt – abgesehen von einem vierjährigen Aufenthalt in einem Schulinternat – mit seiner Mutter bis zu deren Ausreise im Jahr 2019 in einer Mietwohnung im Landkreis römisch 40 der Provinz Istanbul. Im Anschluss wohnte er dort alleine. Der Beschwerdeführer besuchte acht Jahre die Grundschule und vier Jahre ein Fachlyzeum in Istanbul. Er erhielt eine Berufsausbildung zum Graphiker/Webdesigner. Noch während der Schulzeit verrichtete der Beschwerdeführer bereits Saisonarbeiten. Nach Absolvierung der Schule bestritt der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt etwa als Kellner, Gartengestalter und Lagerarbeiter (kombiniert mit Onlinehandel). Er beherrscht Türkisch auf muttersprachlichem Niveau.
In der Türkei leben unter anderem der Vater, der Großvater mütterlicherseits, ein Bruder, ein Halbbruder, drei Tanten, fünf Onkel sowie ein Cousin. Der Vater und der Großvater mütterlicherseits wohnen in Istanbul. Der Bruder verbüßt in der Provinz Malatya eine Haftstrafe. Eine Tante lebt in Ankara. Die beiden anderen Tanten und die Onkel wohnen in der Provinz Izmir. Der Aufenthaltsort des Halbbruders ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt. Der Vater geht einer Beschäftigung als LKW-Fahrer nach und der Großvater vertreibt Second-Hand-Artikel. Eine Tante arbeitet als Köchin, eine Tante als Verkäuferin und der Cousin in einer „Facebook Kette“. Wie die anderen Familienangehörigen ihren Lebensunterhalt bestreiten, ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt. Sollte der Kontakt zu den in der Türkei lebenden Verwandten in dem von ihm beschriebenen Ausmaß (zum Vater, seinen Verwandten väterlicherseits und seinen Tanten) tatsächlich abgebrochen sein, läge dem kein nachhaltiges Zerwürfnis zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Familie zugrunde, das eine neuerliche Kontaktaufnahme in jedem Fall ausschließen würde.
Der Beschwerdeführer verließ zwischen März 2022 und Mai 2022 – das genaue Datum kann nicht exakt festgestellt werden – illegal die Türkei. Der Beschwerdeführer reiste Anfang Mai 2022 illegal in Österreich ein, wo er am 03.05.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer hält sich als Asylwerber rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.
Der Beschwerdeführer gehört nicht der Gülen-Bewegung an und war nicht in den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verstrickt.
Gegen den Bruder des Beschwerdeführers wurde wegen eines von diesem verübten Kapitalverbrechens ein Strafverfahren geführt. Ein türkisches Strafgericht verurteilte den Bruder des Beschwerdeführers rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe.
Der Großvater mütterlicherseits des Beschwerdeführers wurde im Oktober 2023 im Halsbereich und an der rechten Hand durch Schnittverletzungen schwer verletzt. Die Identität des Täters (oder der Täter) und die der Tat zugrundeliegenden Beweggründe, können nicht festgestellt werden.
Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, dass er nach der Begehung eines Kapitalverbrechens durch seinen Bruder von der Familie des Opfers jahrelang – telefonisch – bedroht und/oder verfolgt worden sei, um sich an seiner Person für die von seinem Bruder verübte Straftat zu rächen, wird der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt.
Schläge wider den Beschwerdeführer im Vorschulalter durch eine Nachbarin und später in der Volksschulzeit durch einen Lehrer auf Grund der alevitischen Religionszugehörigkeit sind glaubhaft. Die körperlichen Übergriffe hatten leichte Körperverletzungen, etwa Hämatome, zur Folge, die jedoch keiner ärztlichen Behandlung bedurften. Beschimpfungen, Schikanen oder mangelnde Wertschätzung des Beschwerdeführers durch Angehörige türkischer Behörden oder Teile der Zivilbevölkerung, etwa während der Schulzeit oder des Erwerbslebens, auf Grund der alevitischen Religionszugehörigkeit sind ebenso glaubhaft. Nicht festgestellt werden kann indes, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Religionszugehörigkeit in der Türkei verfolgt wurde.
Der Beschwerdeführer befürchtet im Falle der Ableistung des Wehrdiensts Diskriminierungen auf Grund der alevitischen Religionszugehörigkeit. Er unterliegt als männlicher türkischer Staatsangehöriger der allgemeinen Wehrpflicht in der Türkei. Er wird im Fall einer Rückkehr in der Türkei seinen Wehrdienst ableisten müssen.
Der Beschwerdeführer verließ die Türkei zwecks Verbesserung der Lebenssituation.
Der Beschwerdeführer ist gesund und leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung. Aktuelle ärztliche bzw. medizinische Befunde, welche eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit aufzeigen und/oder Behandlung in Österreich erforderlich erscheinen lassen, hat der Beschwerdeführer nicht vorgelegt.
Der Beschwerdeführer führt keine Beziehung in Österreich. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt in Österreich. Sie verfügt über einen bis Februar 2025 gültigen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot Karte plus“. Der Beschwerdeführer hat Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache besucht. Die Absolvierung einer Deutschprüfung hat er nicht nachgewiesen. Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, die es ihm erlauben, eine einfache Unterhaltung in deutscher Sprache zu führen. Er verfügt über gewöhnliche soziale Kontakte in Form eines Freundes- und Bekanntenkreises. Der Beschwerdeführer legte keine Unterstützungserklärungen seiner Freunde und Bekannten vor. Soziale Kontakte von maßgeblicher Bedeutung liegen in Österreich nicht vor. Der Beschwerdeführer ist nicht in Vereinen oder Organisationen aktiv und nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation in Österreich. Er hat in Österreich auch keine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen besucht. Er geht hier keiner ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Arbeit nach. Der Beschwerdeführer ging nie einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Ebenso wenig brachte der Beschwerdeführer eine Einstellungszusage in Vorlage. Der Beschwerdeführer bezieht seit seiner Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt seit 20.06.2022 gemeinsam mit seiner Mutter und deren Ehegatten in einer Wohnung in Wien. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
Zur Lage in der Türkei:
Sicherheitslage
Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG (Yekîneyên Parastina Gel - Volksverteidigungseinheiten vornehmlich der Kurden in Nordost-Syrien) in Syrien, durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) (AA 28.7.2022, S. 4) und durch weitere terroristische Gruppierungen, wie die linksextremistische DHKP-C und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) (AA 3.6.2021, S. 16) sowie durch Instabilität in den Nachbarstaaten Syrien und Irak. Staatliches repressives Handeln wird häufig mit der "Terrorbekämpfung" begründet, verbunden mit erheblichen Einschränkungen von Grundfreiheiten, auch bei zivilgesellschaftlichem oder politischem Engagement ohne erkennbaren Terrorbezug (AA 28.7.2022, S. 4). Eine Gesetzesänderung vom Juli 2018 verleiht den Gouverneuren die Befugnis, bestimmte Rechte und Freiheiten für einen Zeitraum von bis zu 15 Tagen zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit einzuschränken, eine Befugnis, die zuvor nur im Falle eines ausgerufenen Notstands bestand (OSCE/ODIHR 15.5.2023, S. 5).Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG (Yekîneyên Parastina Gel - Volksverteidigungseinheiten vornehmlich der Kurden in Nordost-Syrien) in Syrien, durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) (AA 28.7.2022, Sitzung 4) und durch weitere terroristische Gruppierungen, wie die linksextremistische DHKP-C und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) (AA 3.6.2021, Sitzung 16) sowie durch Instabilität in den Nachbarstaaten Syrien und Irak. Staatliches repressives Handeln wird häufig mit der "Terrorbekämpfung" begründet, verbunden mit erheblichen Einschränkungen von Grundfreiheiten, auch bei zivilgesellschaftlichem oder politischem Engagement ohne erkennbaren Terrorbezug (AA 28.7.2022, Sitzung 4). Eine Gesetzesänderung vom Juli 2018 verleiht den Gouverneuren die Befugnis, bestimmte Rechte und Freiheiten für einen Zeitraum von bis zu 15 Tagen zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit einzuschränken, eine Befugnis, die zuvor nur im Falle eines ausgerufenen Notstands bestand (OSCE/ODIHR 15.5.2023, Sitzung 5).
Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihren mutmaßlichen Ableger, den TAK (Freiheitsfalken Kurdistans - Teyrêbazên Azadîya Kurdistan), den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front - Devrimci Halk Kurtulu? Partisi- Cephesi – DHKP-C) (SDZ 29.6.2016; vgl. AJ 12.12.2016). Der Zusammenbruch des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK führte ab Juli 2015 zum erneuten Ausbruch massiver Gewalt im Südosten der Türkei. Hierdurch wiederum verschlechterte sich weiterhin die Bürgerrechtslage, insbesondere infolge eines sehr weit gefassten Anti-Terror-Gesetzes, vor allem für die kurdische Bevölkerung in den südöstlichen Gebieten der Türkei. Die neue Rechtslage diente als primäre Basis für Inhaftierungen und Einschränkungen von politischen Rechten. Es wurde zudem wiederholt von Folter und Vertreibungen von Kurden und Kurdinnen berichtet. Im Dezember 2016 warf Amnesty International der Türkei gar die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus dem Südosten des Landes sowie eine Unverhältnismäßigkeit im Kampf gegen die PKK vor (BICC 12.2022, S. 33). Kritik gab es auch von den Institutionen der Europäischen Union am damaligen Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte. - Die Europäische Kommission zeigte sich besorgt ob der unverhältnismäßigen Zerstörung von privatem und kommunalem Eigentum und Infrastruktur durch schwere Artillerie, wie beispielsweise in Cizre (EC 9.11.2016, S. 28). Im Frühjahr zuvor (2016) zeigte sich das Europäische Parlament "in höchstem Maße alarmiert angesichts der Lage in Cizre und Sur/Diyarbak?r und verurteilt[e] die Tatsache, dass Zivilisten getötet und verwundet werden und ohne Wasser- und Lebensmittelversorgung sowie ohne medizinische Versorgung auskommen müssen [...] sowie angesichts der Tatsache, dass rund 400.000 Menschen zu Binnenvertriebenen geworden sind" (EP 14.4.2016, S. 11, Pt. 27). Das türkische Verfassungsgericht hat allerdings eine Klage im Zusammenhang mit dem Tod mehrerer Menschen zurückgewiesen, die während der 2015 und 2016 verhängten Ausgangssperren im Bezirk Cizre in der mehrheitlich kurdisch bewohnten südöstlichen Provinz ??rnak getötet wurden. Das oberste Gericht erklärte, dass Artikel 17 der Verfassung über das "Recht auf Leben" nicht verletzt worden sei (Duvar 8.7.2022). Vielmehr sei laut Verfassungsgericht die von der Polizei angewandte tödliche Gewalt notwendig gewesen, um die Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten (TM 4.11.2022). Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihren mutmaßlichen Ableger, den TAK (Freiheitsfalken Kurdistans - Teyrêbazên Azadîya Kurdistan), den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front - Devrimci Halk Kurtulu? Partisi- Cephesi – DHKP-C) (SDZ 29.6.2016; vergleiche AJ 12.12.2016). Der Zusammenbruch des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK führte ab Juli 2015 zum erneuten Ausbruch massiver Gewalt im Südosten der Türkei. Hierdurch wiederum verschlechterte sich weiterhin die Bürgerrechtslage, insbesondere infolge eines sehr weit gefassten Anti-Terror-Gesetzes, vor allem für die kurdische Bevölkerung in den südöstlichen Gebieten der Türkei. Die neue Rechtslage diente als primäre Basis für Inhaftierungen und Einschränkungen von politischen Rechten. Es wurde zudem wiederholt von Folter und Vertreibungen von Kurden und Kurdinnen berichtet. Im Dezember 2016 warf Amnesty International der Türkei gar die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus dem Südosten des Landes sowie eine Unverhältnismäßigkeit im Kampf gegen die PKK vor (BICC 12.2022, Sitzung 33). Kritik gab es auch von den Institutionen der Europäischen Union am damaligen Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte. - Die Europäische Kommission zeigte sich besorgt ob der unverhältnismäßigen Zerstörung von privatem und kommunalem Eigentum und Infrastruktur durch schwere Artillerie, wie beispielsweise in Cizre (EC 9.11.2016, Sitzung 28). Im Frühjahr zuvor (2016) zeigte sich das Europäische Parlament "in höchstem Maße alarmiert angesichts der Lage in Cizre und Sur/Diyarbak?r und verurteilt[e] die Tatsache, dass Zivilisten getötet und verwundet werden und ohne Wasser- und Lebensmittelversorgung sowie ohne medizinische Versorgung auskommen müssen [...] sowie angesichts der Tatsache, dass rund 400.000 Menschen zu Binnenvertriebenen geworden sind" (EP 14.4.2016, Sitzung 11, Pt. 27). Das türkische Verfassungsgericht hat allerdings eine Klage im Zusammenhang mit dem Tod mehrerer Menschen zurückgewiesen, die während der 2015 und 2016 verhängten Ausgangssperren im Bezirk Cizre in der mehrheitlich kurdisch bewohnten südöstlichen Provinz ??rnak getötet wurden. Das oberste Gericht erklärte, dass Artikel 17 der Verfassung über das "Recht auf Leben" nicht verletzt worden sei (Duvar 8.7.2022). Vielmehr sei laut Verfassungsgericht die von der Polizei angewandte tödliche Gewalt notwendig gewesen, um die Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten (TM 4.11.2022).
Nachdem die Gewalt in den Jahren 2015/2016 in den städtischen Gebieten der Südosttürkei ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank das Gewaltniveau wieder (NL-MFA 18.3.2021, S. 12). Obschon die Zusammenstöße zwischen dem Militär und der PKK in den ländlichen Gebieten im Osten und Südosten der Türkei ebenfalls stark zurückgegangen sind (HRW 12.1.2023), kommt es dennoch mit einiger Regelmäßigkeit zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK in den abgelegenen Berggebieten im Südosten des Landes (NL-MFA 2.3.2022, S. 13), was die dortige Lage weiterhin als sehr besorgniserregend erscheinen lässt (EC 12.10.2022, S. 5, 17). Allerdings wurde die Fähigkeit der PKK (und der TAK), in der Türkei zu operieren, durch laufende groß angelegte Anti-Terror-Operationen im kurdischen Südosten sowie durch die allgemein verstärkte Präsenz von Militäreinheiten der Regierung erheblich beeinträchtigt (Crisis24, 24.11.2022). Nachdem die Gewalt in den Jahren 2015/2016 in den städtischen Gebieten der Südosttürkei ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank das Gewaltniveau wieder (NL-MFA 18.3.2021, Sitzung 12). Obschon die Zusammenstöße zwischen dem Militär und der PKK in den ländlichen Gebieten im Osten und Südosten der Türkei ebenfalls stark zurückgegangen sind (HRW 12.1.2023), kommt es dennoch mit einiger Regelmäßigkeit zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK in den abgelegenen Berggebieten im Südosten des Landes (NL-MFA 2.3.2022, Sitzung 13), was die dortige Lage weiterhin als sehr besorgniserregend erscheinen lässt (EC 12.10.2022, Sitzung 5, 17). Allerdings wurde die Fähigkeit der PKK (und der TAK), in der Türkei zu operieren, durch laufende groß angelegte Anti-Terror-Operationen im kurdischen Südosten sowie durch die allgemein verstärkte Präsenz von Militäreinheiten der Regierung erheblich beeinträchtigt (Crisis24, 24.11.2022).
Gelegentliche bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften einerseits und der PKK und mit ihr verbündeten Organisationen andererseits führen zu Verletzten und Toten unter den Sicherheitskräften, PKK-Kämpfern, aber auch unter der Zivilbevölkerung. Diesbezüglich gibt es glaubwürdige Hinweise, dass die Regierung im Zusammenhang mit ihrem Kampf gegen die PKK zum Tod von Zivilisten beigetragen hat, auch wenn deren Zahl in den letzten Jahren stetig abnahm (USDOS 20.3.2023, S. 3, 29). In den Grenzgebieten ist die Sicherheitslage durch wiederkehrende Terrorakte der PKK prekärer (EC 12.10.2022, S. 17). Die häufigen Anschläge der PKK richten sich hauptsächlich gegen die Sicherheitskräfte, können aber auch Zivilpersonen treffen. Die Sicherheitskräfte unterhalten zahlreiche Straßencheckpoints und sperren ihre Operationsgebiete vor militärischen Operationen weiträumig ab. Die bewaffneten Konflikte in Syrien und Irak können sich auf die angrenzenden türkischen Gebiete auswirken, zum Beispiel durch vereinzelte Granaten- und Raketenbeschüsse aus dem Kriegsgebiet (EDA 16.5.2023), denn die Türkei konzentriert ihre militärische Kampagne gegen die PKK unter anderem mit Drohnenangriffen in der irakischen Region Kurdistan, wo sich PKK-Stützpunkte befinden, und zunehmend im Nordosten Syriens gegen die kurdisch geführten, von den USA und Großbritannien unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) (HRW 12.1.2023). Die türkischen Luftangriffe, die angeblich auf die Bekämpfung der PKK in Syrien und im Irak abzielen, haben auch Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert (USDOS 20.3.2023, S.29). Umgekehrt sind wiederholt Anschläge gegen zivile Ziele verübt worden. Das Risiko von Entführungen durch terroristische Gruppierungen aus Syrien kann im Grenzgebiet nicht ausgeschlossen werden (EDA 16.5.2023).Gelegentliche bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften einerseits und der PKK und mit ihr verbündeten Organisationen andererseits führen zu Verletzten und Toten unter den Sicherheitskräften, PKK-Kämpfern, aber auch unter der Zivilbevölkerung. Diesbezüglich gibt es glaubwürdige Hinweise, dass die Regierung im Zusammenhang mit ihrem Kampf gegen die PKK zum Tod von Zivilisten beigetragen hat, auch wenn deren Zahl in den letzten Jahren stetig abnahm (USDOS 20.3.2023, Sitzung 3, 29). In den Grenzgebieten ist die Sicherheitslage durch wiederkehrende Terrorakte der PKK prekärer (EC 12.10.2022, Sitzung 17). Die häufigen Anschläge der PKK richten sich hauptsächlich gegen die Sicherheitskräfte, können aber auch Zivilpersonen treffen. Die Sicherheitskräfte unterhalten zahlreiche Straßencheckpoints und sperren ihre Operationsgebiete vor militärischen Operationen weiträumig ab. Die bewaffneten Konflikte in Syrien und Irak können sich auf die angrenzenden türkischen Gebiete auswirken, zum Beispiel durch vereinzelte Granaten- und Raketenbeschüsse aus dem Kriegsgebiet (EDA 16.5.2023), denn die Türkei konzentriert ihre militärische Kampagne gegen die PKK unter anderem mit Drohnenangriffen in der irakischen Region Kurdistan, wo sich PKK-Stützpunkte befinden, und zunehmend im Nordosten Syriens gegen die kurdisch geführten, von den USA und Großbritannien unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) (HRW 12.1.2023). Die türkischen Luftangriffe, die angeblich auf die Bekämpfung der PKK in Syrien und im Irak abzielen, haben auch Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert (USDOS 20.3.2023, S.29). Umgekehrt sind wiederholt Anschläge gegen zivile Ziele verübt worden. Das Risiko von Entführungen durch terroristische Gruppierungen aus Syrien kann im Grenzgebiet nicht ausgeschlossen werden (EDA 16.5.2023).
Angaben der türkischen Menschenrechtsvereinigung (?HD) zufolge kamen 2021 346 Personen, innerhalb und außerhalb [Anmerkung: Grenzgebiete zu Irak und Syrien] der Türkei bei bewaffneten Auseinandersetzungen ums Leben, davon mindestens 69 Angehörige der Sicherheitskräfte 275 bewaffnete Militante und acht Zivilisten (?HD 6.11.2022, S. 40). Die International Crisis Group (ICG) zählte seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe 2015 6.561 Tote (4.310 PKK-Kämpfer, 1.414 Sicherheitskräfte - in der Mehrzahl Soldaten [983], aber auch 304 Polizisten und 127 sog. Dorfschützer - 611 Zivilisten und 226 nicht-zuordenbare Personen) im Zeitraum 20.7.2015 bis 3.3.2023. Betroffen waren insbesondere die Provinzen, ??rnak (1.185 Tote), Hakkâri (929 Tote), Diyarbak?r (667 Tote), Mardin (444), die zentralanatolische Provinz Tunceli/Dersim (293) [Anm.: kurdisch-alevitisches Kernland] und Van (248 Tote), wobei 1.479 Opfer in diesem Zeitrahmen auf irakischem Territorium vermerkt wurden. Im Jahr 2022 wurden 434 Todesopfer (2021: 392, 2020: 396) registriert, was einem Zuwachs von mehr als 10 % im Vergleich zu den beiden Vorjahren ausmacht (ICG 3.3.2023). Es gab keine Entwicklungen hinsichtlich der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erzielung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 12.10.2022, S. 18). Angaben der türkischen Menschenrechtsvereinigung (?HD) zufolge kamen 2021 346 Personen, innerhalb und außerhalb [Anmerkung: Grenzgebiete zu I