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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §63 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär MMag. Dr. Balthasar, über die Beschwerde der M in K, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid des BMwA vom 28. Jänner 1994, Zl. 308.938/2-III/A/2a/94, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, (mitbeteiligte Parteien:
A, H und RL, sowie B und FS, sämtliche in K, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 15. Oktober 1992 wurden der Beschwerdeführerin für den Betrieb ihres Sägewerkes in K im Grunde des § 79 GewO 1973 weitere Auflagen erteilt.
Gegen diesen Bescheid erhoben die mitbeteiligten Parteien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. G Berufung, welche - trotz richtiger und vollständiger - Rechtsmittelbelehrung an das "Amt der Vorarlberger Landesregierung" adressiert war. Die in der Folge gemäß § 6 AVG an die zuständige Bezirkshauptmannschaft Feldkirch weitergeleitete Berufung langte bei der gemäß § 63 Abs. 5 AVG zuständigen Behörde verspätet ein. Dieser Umstand wurde den von Rechtsanwalt Dr. G vertretenen Berufungswerbern von der belangten Behörde im Wege des Landeshauptmanns von Vorarlberg mit Schreiben vom 8. Oktober 1993, zugestellt am 12. Oktober 1993, mitgeteilt.
Mit an das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten gerichteter Eingabe vom 25. Oktober 1993 beantragten die mitbeteiligten Parteien die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachten folgendes vor:
"a) Erstmals mit dem bei uns am 12. Oktober 1993 eingelangten Schreiben des Amtes der Vorarlberger Landesregierung haben wir erfahren, daß die Berufungsfrist abgelaufen sein soll; die 14-tägige Frist zur Wiedereinsetzung gemäß § 71 Abs. 2 AVG ist daher gewahrt, wenn der Wiedereinsetzungsantrag spätestens am 26.10.1993 zur Post gegeben wird.
b) Es ist richtig, daß die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid der Behörde zweiter Instanz dem Gesetz entspricht. Richtig ist weiters daß die Berufung statt bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch bzw. beim Bundesministerium bei der Behörde zweiter Instanz eingebracht wurde.
Im vorliegenden Fall hat unser Vertreter die unterfertigte Berufung der verläßlichen Kanzleikraft mit dem Ersuchen übergeben, im vorliegenden Fall kein "Fensterkuvert" zu verwenden, sondern ein geschlossenes Kuvert mit der Aufschrift Bezirkshauptmannschaft Feldkirch. Aus Versehen ist dies dann allerdings unterblieben. Offensichtlich wurde ein Fensterkuvert verwendet, sodaß die Rechtsmittelschrift irrtümlich direkt dem Amt der Vorarlberger Landesregierung übermittelt wurde. Zu einem solchen Vorfall ist es bisher noch nie in der Rechtsanwaltskanzlei unseres Vertreters, der seit 1979 selbständig ein Rechtsanwaltsbüro in D betreibt, gekommen. Unser Vertreter konnte darauf vertrauen, daß die Berufung tatsächlich bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch eingereicht wird. Nach der Rechtsprechung darf ein Rechtsvertreter Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne weitere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen. Dies ist im vorliegenden Fall auch geschehen. Es liegt ein minderer Grad des Versehens vor, weshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerechtfertigt ist, zumal auch die anderen Voraussetzungen gegeben sind. Eine Nachholung gemäß § 71 Abs. 3 AVG erübrigt sich, da die Berufung eingebracht wurde".
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Jänner 1994 bewilligte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 15.10.1992" gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG. Nach Darstellung der maßgeblichen Gesetzeslage führte die belangte Behörde entscheidungswesentlich aus, leichte Fahrlässigkeit liege dann vor, wenn ein Fehler begangen werde, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch mache. Ein Fehler sei im vorliegenden Fall darin zu erblicken, daß die Kanzleibedienstete des Vertreters der mitbeteiligten Parteien zu Unrecht das Amt der Vorarlberger Landesregierung auf die Berufung als Adresse geschrieben habe. In Anbetracht des Umstandes, daß es sich bei der Kanzleibediensteten nicht um eine rechtskundige Person handle, sei dieser sicherlich keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag habe der einschreitende Anwalt die Kanzleibedienstete darauf aufmerksam gemacht, kein Fensterkuvert zu verwenden, sondern die richtige Einbringungsstelle ("Bezirkshauptmannschaft Feldkirch") auf das Kuvert zu schreiben. Ein weiteres Fehlverhalten könnne darin erblickt werden, daß die Kanzleibedienstete diesem Auftrag nicht nachgekommen sei bzw. diesen vergessen habe. Da es sich - zumindest nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag - um eine einmalige Fehlleistung einer sonst zuverlässigen Kanzleikraft handle, "dürfte auch keine grobe Fahrlässigkeit vorliegen". Ein Verschulden könne schließlich in der mangelden Überwachung der Kanzleikraft durch den einschreitenden Rechtsanwalt gelegen sein. Dem sei jedoch zu entgegnen, daß es wohl nicht zur zumutbaren Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwaltes gezählt werden könne, bei jedem Kuvert, das die Kanzlei verlasse, die richtige Adressierung im Detail zu überprüfen. Die anwaltliche Sorgfaltspflicht umfasse nicht die näheren Umstände der Postaufgabe oder der Kuvertierung. Im vorliegenden Fall könne daher nicht von einem einen minderen Grad des Versehens übersteigenden Verschulden des ausgewiesenen Vertreters der Wiedereinsetzungswerber gesprochen werden.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligten Parteien eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid "in ihrem Recht auf rechtskonforme Anwendung des § 71 AVG verletzt, weil ihre subjektiven Rechte durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beeinträchtigt werden, zumal die mitbeteiligten Parteien auf eine Änderung des Bescheides des Landeshauptmannes von Vorarlberg zum Nachteil der Beschwerdeführerin zielen". In Ausführung dieses Beschwerdepunktes trägt sie vor, die belangte Behörde lege ihrer Entscheidung jenen Sachverhalt zugrunde, wie er in der Eingabe des Vertreters der mitbeteiligten Parteien angeführt sei. Dies stelle kein ausreichendes Bescheinigen des Wiedereinsetzungsgrundes dar. Die Wiedereinsetzungswerber hätten zumindest eidesstattliche Erklärungen ihres Vertreters und der angeblich in den Fall involvierten Kanzleikraft vorlegen müssen, die dann als "Beweismittel" hätten gewürdigt werden können.
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder ein minderer Grad des Versehens trifft.
Gemäß § 72 Abs. 4 letzter Satz AVG ist gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung kein Rechtsmittel zulässig.
Zunächst ist die Beschwerdelegitimation auf Grund folgender Überlegungen als gegeben anzunehmen:
Entgegen der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretenen Rechtsansicht ist ein Bescheid, mit welchem einer Partei die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt worden ist, von anderen - vom Antragsteller verschiedenen - Parteien mit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpfbar, da es sich bei diesem Bescheid um keine prozeßleitende Verfügung, sondern um einen verfahrensrechtlichen, einem Rechtszug nicht mehr unterliegenden Bescheid handelt (vgl. die bei Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes,
5. Auflage, Rz. 630 dargestellte Judikatur und Literatur). Anders als in dem von der belangten Behörde in der Gegenschrift angeführten, vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 24. April 1990, Zl. 89/04/0180, beurteilten Fall einer ersatzlosen Behebung eines belastenden Bescheides können im gegenständlichen Falle eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens subjektiv-öffentliche Rechte der Beschwerdeführerin dadurch verletzt werden, daß es auf Grund des über Berufung der mitbeteiligten Parteien durchgeführten Verfahrens vor der belangten Behörde zu für die Beschwerdeführerin belastenderen Auflagen kommen kann.
Der somit zulässigen Beschwerde kommt aber auch Berechtigung zu. Ein minderer Grad des Versehens im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG liegt nicht mehr vor, wenn der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter - dessen Verschulden an der Fristversäumung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist - auffallend sorglos gehandelt hat. Dies ist der Fall, wenn eine der genannten Personen die im Verkehr mit Gerichten bzw. Behörden für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten ihr zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen hat.
Ein Versehen einer Kanzleibediensteten stellt für den Rechtsanwalt und damit für die von diesem vertretene Partei dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten nicht hinreichend nachgekommen ist.
Im Wiedereinsetzungsantrag ist auch im Falle einer behaupteten Fehlleistung einer Kanzleiangestellten darzutun, daß die dem Rechtsanwalt obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten eingehalten wurden (vgl. den hg. Beschluß vom 22. März 1991, Zl. 90/10/0122). Dies haben die Wiedereinsetzungswerber im vorliegenden Fall verabsäumt.
Zwar darf ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, daß der einer Kanzleiangestellten für einen bestimmten Tag aufgetragene, bloß manipulative Vorgang der Postaufgabe eines Schriftstückes tatsächlich erfolgt ist, ohne daß es nach der Rechtsprechung einer weiteren Kontrolle bedürfte. Entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht können aber im gegenständlichen Fall die vordargestellten, im Wiedereinsetzungsantrag angeführten näheren Umstände bei der Verfassung des Berufungsschriftsatzes und der Kuvertierung desselben nicht mehr als rein "manipulative" Tätigkeit der Kanzleiangestellten angesehen werden, weshalb es einer weiteren - im Wiedereinsetzungsantrag jedoch nicht behaupteten - Überwachung durch den Rechtsanwalt bedurft hätte. Enthält doch der - vom Rechtsanwalt unterfertigte - Berufungsschriftsatz die unrichtige Adressierung an das "Amt der Vorarlberger Landesregierung" und hätte die Kanzleikraft (gerade) abweichend von dieser Adressierung - nach der Antragsbehauptung - die Kuvertierung vornehmen sollen.
Abschließend ist im übrigen darauf hinzuweisen, daß von den Antragstellern im Wiedereinsetzungsantrag Bescheinigungsmittel weder angeboten noch ihrem Antrag beigelegt wurden.
Der angefochtene Bescheid leidet daher an einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit und war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Instanzenzug Zuständigkeit Besondere Rechtsgebiete Verfahrensrechtliche Bescheide Zurückweisung Kostenbescheide Ordnungs- und Mutwillensstrafen Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des Instanzenzuges Besondere Rechtsgebiete DiversesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994040049.X00Im RIS seit
20.11.2000