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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §14;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Fuchs und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des H in U, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Disziplinarvorgesetzten des Überwachungsgeschwaders/Kommando - Zeltweg, vom 9. November 1994, betreffend Disziplinarstrafe des Ausgangsverbotes nach § 42 des Heeresdisziplinargesetzes 1985, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist als Soldat (Präsenzdiener) bei der
2. Fliegertechnischen Kompanie des Überwachungsgeschwaders Zeltweg tätig.
Mit dem am 26. September 1994 mündlich verkündeten Disziplinarerkenntnis des Kommandanten dieser Einheit wurde er mit "3 Tage gänzliches Ausgangsverbot" bestraft, weil er seiner Verpflichtung als Zimmerkommandant gemäß § 19 Abs. 7 der Allgemeinen Dienstvorschriften für das Bundesheer (ADV) trotz mehrmaliger Belehrung durch den Kommandanten seiner Einheit nicht nachgekommen sei. (Anmerkung: so die Formulierung in der Begründung des angefochtenen Bescheides; eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides oder eine Protokollierung in Form einer Niederschrift liegt nicht vor).
In seiner Berufung führte der Beschwerdeführer aus, Grund für seine Bestrafung sei der mangelhafte Zustand des Zimmers Nr. n1, für das er als Zimmerkommandant eingeteilt worden sei, bei einer Überprüfung am Montag, den 26. September 1994, gewesen. Da der Beschwerdeführer in der Zeit vom 19. bis 23. September 1994 zur Fliegertauglichkeitshauptuntersuchung im "Korps-Spital" in W. gewesen sei, könne er nicht für leere Flaschen im Reinigungsspind und den nicht entleerten Mülleimer verantwortlich gemacht werden. Auch für nicht gemachte Betten der einzelnen Zimmerbenützer dürfe er nicht verantwortlich gemacht werden. Er könne seine Kameraden zwar darauf aufmerksam machen, aber nicht dazu zwingen, ihre Betten zu machen. Als letzter Punkt bleibe der mangelhaft gereinigte Boden. Dem Beschwerdeführer sei zwar der Zustand aufgefallen; da aber der erste Punkt im Dienstplan am 26. September 1994 ein Lauftraining im Kasernengelände gewesen sei, von dem die Präsenzdiener überlicherweise mit verschmutzter Kleidung und (verschmutzten) Schuhen zurückkämen, wollten sie sicher danach das Zimmer in Ordnung bringen, wie es auch schon seit mehreren Wochen üblich gewesen sei. Da weder der Zimmerkommandant-Stellvertreter während der Abwesenheit des Beschwerdeführers noch die einzelnen Zimmerbenützer für ihre Versäumnisse zur Verantwortung gezogen worden seien, sehe der Beschwerdeführer seine Bestrafung als nicht gerechtfertigt an. Die Zimmerkontrolle sei durch Vizeleutnant S nach dem Lauftraining zu einem Zeitpunkt durchgeführt worden, in dem gerade mehrere Grundwehrdiener dieses Zimmers mit Körperpflege und Umziehen beschäftigt gewesen seien, sodaß ein subjektiver Eindruck (der Unordentlichkeit) habe entstehen müssen.
Im Vorlagebericht gab der Kompaniekommandant bekannt, am 26. September 1994 sei das Grundwehrdiener-Zimmer der
2. Fliegertechnischen Kompanie Nr. n1 vom "DfUO" dieser Einheit auf die Ordnung und Sauberkeit überprüft worden. Dabei sei folgendes festgestellt worden:
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Von acht Betten seien vier Betten nicht gemacht gewesen.
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Im Reinigungsspind hätten sich mehrere leere Flaschen befunden.
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Im Reinigungsspind seien Abfälle (Papierreste usw.) gelegen.
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Beide Mülltonnen - eine für Papierabfälle, eine für Restmüll - seien nicht entleert und gereinigt gewesen.
Deshalb sei die Bestrafung durch den Kommandanten gemäß § 44 des Heeresdisziplinargesetzes 1985 (HDG 1985) erfolgt (verletzte Pflichten: ADV: § 19 Abs. 7). Bei der Bestrafung durch den Kompaniekommandanten habe der Beschwerdeführer zugegeben, daß er über die Verpflichtung der Reinhaltung und Ordnung im Unterkunftsbereich und über die Aufgaben als Zimmerkommandant gemäß ADV "nach Zuversetzung der Grundwehrdiener" belehrt worden sei. Der in der Berufung angeführte mangelhaft gereinigte Boden sei vom DfUO nicht beanstandet worden. Am 8. Juli 1994 sei der Beschwerdeführer mit drei Tagen gänzlichem Ausgangsverbot wegen verletzter Pflichten "ADV §§ 3 (2), 3 (3), 7 (1), 31 (1)" bestraft worden.
Nach Durchführung einer Berufungsverhandlung (über die kein Protokoll in Form einer Niederschrift aufliegt) gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen (schriftlichen) Bescheid vom 9. November 1994 der Berufung gemäß § 36 Abs. 2 HDG 1985 keine Folge und bestätigte die verhängte Strafe. Nach kurzer Darstellung des bisherigen Verwaltungsgeschehens führte sie in der Begründung dazu aus, der Beschwerdeführer hätte am Montag, den 26. September 1994, um 6.30 Uhr Dienstbeginn gehabt, d.h. bis zu diesem Zeitpunkt hätte er in der Kaserne sein müssen. Standeskontrolle sei um 7.30 Uhr bei seiner Dienststelle gewesen. Er habe somit ca. eine Stunde Zeit gehabt, das Zimmer in einen ordentlichen Zustand (Bettenbau, Papierkübel entleeren, Abfälle beseitigen) zu bringen bzw. bringen zu lassen. Des weiteren hätten der Beschwerdeführer und seine Zimmerkameraden nach dem Basistraining noch Zeit gehabt, das Zimmer bis zur Zimmerkontrolle am 26. September 1994 um 9.00 Uhr in Ordnung zu bringen. Anzufügen sei noch, daß der Fußboden des Zimmers (entgegen der Berufung) vom "DfUO" nicht beanstandet worden sei. Der Beschwerdeführer habe somit gegen die ADV (§ 3: Allgemeine Pflichten und § 19 Abs. 7: Zimmerkommandant) verstoßen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorab ist festzuhalten, daß im Beschwerdefall gemäß § 90 Abs. 1 des Heeresdisziplinargesetzes 1994, BGBl. Nr. 522 ("Für Disziplinarverfahren, die vor dem 1. Oktober 1994 eingeleitet, jedoch noch nicht rechtskräftig abgeschlossen wurden, gilt auch nach Ablauf des 30. September 1994 das Heeresdisziplinargesetz 1985") im Hinblick auf die zeitliche Lagerung im Beschwerdefall das Heeresdisziplinargesetz 1985, BGBl. Nr. 294, anzuwenden ist.
Das vorliegende Disziplinarverfahren wurde als Kommandantenverfahren (§ 23 Z. 1 HDG 1985 bis §§ 55 bis 63) durchgeführt.
Gemäß § 24 Z. 1 HDG 1985 sind im Kommandanten- und im Kommissionsverfahren unter anderem die §§ 14 und 15 (Niederschriften) die §§ 40, 41 und 42 Abs. 3 (mündliche Verhandlung) sowie §§ 58 - 61 AVG (betrifft die Erlassung von Bescheiden und die Begründung von Bescheiden) sinngemäß anzuwenden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist.
Nach § 58 Abs. 1 HDG 1985 ist (im Kommandantenverfahren) eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhaltes notwendig oder zweckmäßig erscheint. Bestreitet der Beschuldigte das Vorliegen einer schuldhaft begangenen Pflichtverletzung, so sind ihm die Erhebungsergebnisse vorzuhalten und, soferne es sich als notwendig erweist, ergänzende Erhebungen zur Überprüfung seiner Rechtfertigung durchzuführen.
Gemäß § 61 Abs. 1 HDG 1985 können Disziplinarerkenntnisse mündlich oder schriftlich ergehen. Wenn Disziplinarhaft, eine Geldstrafe oder eine strengere Strafe verhängt wird, sind sie schriftlich zu erlassen.
Ergeht ein Disziplinarerkenntnis nach einer mündlichen Verhandlung, so ist nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser vorgekommen ist (Abs. 2 dieser Bestimmung).
Gemäß § 62 Abs. 2 HDG 1985 sind im Berufungsverfahren (im Kommandantenverfahren) die für das Verfahren der ersten Instanz geltenden Bestimmungen sinngemäß anzuwenden.
In seiner Beschwerde weist der Beschwerdeführer zunächst darauf hin, er sei am Montag, den 26. September 1994 (nach mehrtägiger dienstlich bedingter Abwesenheit) um 6.30 Uhr in die Kaserne eingerückt, zum Frühstück und danach in das Zimmer 152 gegangen. Dabei habe er festgestellt, daß dieses teilweise noch nicht aufgeräumt gewesen sei. Der Tagesplan habe die Standeskontrolle um 7.30 Uhr vorgesehen. Zu dieser seien der Beschwerdeführer und seine Zimmerkollegen nach Umziehen der Kleidung (Uniform auf Trainingsanzug) und Anmarsch (eine Minute) um 7.30 Uhr angetreten. Bis 7.40 Uhr seien Aufwärm- und Dehnungsübungen erfolgt. Um 7.45 Uhr habe das Basistraining mit Sport begonnen, das bis 8.30 Uhr gedauert habe. Von 8.30 bis 8.45 Uhr sei Körperpflege angesagt gewesen. Um 8.45 Uhr hätten die Soldaten mit dem Reinigen und Aufräumen des Zimmers Nr. n1 begonnen. Die Zimmerkontrolle sei um 9.00 Uhr erfolgt. Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, das Verfahren sei mangelhaft durchgeführt worden. Seine zur Verteidigung vorgebrachten Argumente seien nicht gewürdigt und die von ihm namhaft gemachten Zeugen nicht vernommen worden. Obwohl er in seiner Berufung bereits "seine sämtlichen Argumente" dargelegt habe und auf die Möglichkeit der Einvernahme der Zeugen zur Richtigkeit seiner Argumentation ausdrücklich hingewiesen habe, insbesondere auf seine Nichtanwesenheit in der Kaserne bis Montag, den 26. September 1994, sei seine Bestrafung ausgesprochen worden. In der Berufungsverhandlung sei der vom Beschwerdeführer beigezogene "Vertreter des Soldatenvertreters" nach einer allgemeinen Belehrung weggeschickt worden. Ein ausdrücklich noch in Anwesenheit des Soldatenvertreters verlangter Rechtsbeistand sei dem Beschwerdeführer verweigert worden. Es seien auch keine Zeugen vernommen worden, obwohl sich der Beschwerdeführer zur Beweisführung der Wahrheit seiner Angaben unter anderem auf die Einvernahme des Wehrmannes C berufen habe, der im Kasernengebäude anwesend gewesen sei. Auch keiner der angeführten Zimmerkameraden sei im Rahmen der Berufungsverhandlung gehört worden. Insgesamt liege daher eine massive Verletzung des Parteiengehörs vor; die Vorgangsweise widerspreche außerdem den §§ 29 und 66 HDG 1985. Ferner sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer erstmals um 8.40 bis 8.45 Uhr hätte tätig werden können. Vor diesem Zeitpunkt sei er überhaupt nicht in der Lage gewesen, eine ausgesprochene Weisung umzusetzen. Nach seiner Rückkehr vom Frühstück, das außerhalb des Zimmers Nr. n1 eingenommen worden sei, habe er gewisse Mängel festgestellt. Da sich zu jenem Zeitpunkt die Zimmerkollegen des Beschwerdeführers bereits für die Standeskontrolle und das darin anschließende Basistraining umgezogen hätten, sei zu diesem Zeitpunkt eine Verbesserung des Zustandes aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Zum frühestmöglichen Zeitpunkt (ca. 8.40 bis 8.45 Uhr) habe dies der Beschwerdeführer jedoch veranlaßt. Daraus ergebe sich, daß kein schuldhaftes Handeln des Beschwerdeführers vorliege, da er für die Zeit davor nicht verantwortlich gewesen sei. Zum ehestmöglichen Zeitpunkt habe er jedoch gehandelt.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß vor der belangten Behörde eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde. Eine Niederschrift hierüber wurde nicht aufgenommen. Dies ist zwar wegen der in § 24 Z. 1 HDG 1985 nicht enthaltenen Übernahme des § 44 AVG und wegen des Fehlens einer dem § 71 HDG 1985 für das Kommissionsverfahren entsprechenden Regelung für das Kommandantenverfahren nicht zwingend vorgeschrieben, jedoch auch nicht ausgeschlossen, gelten doch die §§ 14 und 15 AVG über die Niederschrift auch für das Kommandantenverfahren.
Aus § 61 Abs. 2 in Verbindung mit § 62 Abs. 2 HDG 1985 folgt daraus für den Beschwerdefall die Geltung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit, d.h. die belangte Behörde hatte bei der Beschlußfassung über die von ihr zu treffende Berufungsentscheidung nur das zu berücksichtigen, was in der zuvor durchgeführten mündlichen Verhandlung vor ihr vorgekommen ist. Auf die Einhaltung dieser Vorgangsweise hat der Beschuldigte ein subjektives Recht, liegt sie doch offenkundig jedenfalls auch in seinem rechtlichen Interesse und dient nicht nur bloß der Sicherung der objektiven Rechtmäßigkeit der Entscheidungsfindung.
Dem angefochtenen Bescheid läßt sich nicht entnehmen, wie die belangte Behörde zur Feststellung des von ihr als maßgebend angenommenen Sachverhaltes gekommen ist, insbesondere ob sie dabei den Grundsatz der Unmittelbarkeit nach § 61 Abs. 2 HDG 1985 eingehalten hat oder nicht.
Damit liegt aber ein wesentlicher Begründungsmangel vor, weil der Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides gehindert ist (vgl. dazu z.B. die hg. Erkenntnisse vom 25. Mai 1982, 82/11/0030, sowie vom 26. September 1984, 84/11/0134, uva.).
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen näher einzugehen war.
Der Kostenzuspruch stützt sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie § 59 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994090385.X00Im RIS seit
20.11.2000