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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Rechtmäßige Zusammensetzung einer Gemeindewahlbehörde bei Entscheidungen betreffend die Verweigerung der Eintragung in das Wählerverzeichnis; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; Verletzung im Recht auf Teilnahme an der Gemeinderatswahl mangels erschöpfender Beurteilung der entscheidenden Frage des Wohnsitzes der BeschwerdeführerSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Teilnahme an der Gemeinderatswahl verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Das Land Burgenland ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen des Beschwerdevertreters, in der Sache B1721/92 dem Beschwerdeführer selbst die mit je 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Einzelbescheiden der Bezirkswahlbehörde Neusiedl am See vom 18. September 1992, ZII-G-12-1992, wurde den von Dipl.-Ing. Mag. G und H D, A, G, K und K A, R B, C D, E D, G und R L, L H, N, A und F F, H und W F, H L, Mag. G M, A und M P, J S, B S, W S, B W sowie A und H W erhobenen Berufungen gegen nicht stattgebende Entscheidungen der Gemeindewahlbehörde Neusiedl am See über Einsprüche wegen Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis dieser Gemeinde für die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen 1992, ferner der Berufung des Dr. G W gegen seine Streichung aus diesem Wählerverzeichnis gemäß §25 Abs3 Gemeindewahlordnung 1992 - GWO, Bgld. LGBl. 1992/54, keine Folge gegeben.
1.2.1.1. Gegen diese Bescheide ergriffen die jeweiligen Berufungswerber Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 Abs1 B-VG, in denen sie die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG, geltend machen und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide, hilfsweise die Abtretung der Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof beantragen.
1.2.1.2. Zusammenfassend sinngemäß wiedergegeben, wenden die Beschwerdeführer ein, daß die Gemeindewahlbehörde Neusiedl am See, die über die Einsprüche wegen Nichtaufnahme/Streichung (in einem Fall) in das/aus dem Wählerverzeichnis befunden habe, nicht gesetzmäßig zusammengesetzt gewesen sei. Nach einem Anschlag an der Gemeindeamtstafel habe sie nämlich aus Dipl.-Ing. H H (Gemeindewahlleiter), S F (Stellvertreter des Gemeindewahlleiters) sowie Mag. B W, J E, L A, A K und F E bestanden. Daraus gehe hervor, daß ihr nur fünf anstatt sechs (: §6 Abs2 GWO) Beisitzer angehörten. Aus diesen Gründen seien die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich verbürgten Recht nach Art83 Abs2 B-VG, aber auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht zu den Gemeindevertretungen verletzt worden.
1.2.2. Die Bezirkswahlbehörde Neusiedl am See als belangte Behörde legte Verwaltungsakten vor und erstattete - ausgenommen zur Beschwerde des Dipl.-Ing. Mag. G D - Gegenschriften, in denen sie für die Abweisung dieser Beschwerden eintrat.
2. Über die (zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen) Beschwerden wurde erwogen:
2.1. Der administrative Instanzenzug wurde ausgeschöpft (§25 Abs4 GWO).
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind alle Beschwerden zulässig.
2.2.1.1. Das von den Beschwerdeführern relevierte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ua. verletzt, wenn eine in letzter Instanz zur Entscheidung der Sache zuständige Behörde die unrichtige Zusammensetzung einer Kollegialbehörde unterer Instanz nicht wahrnimmt (zB. VfSlg. 8309/1978, 8729/1980, 8795/1980, 8796/1980).
2.2.1.2. Dies trifft hier aber aus folgenden Gründen nicht zu:
Gemäß §24 Abs1 GWO hat über Einsprüche wegen Nichtaufnahme vermeintlich Wahlberechtigter oder wegen Aufnahme vermeintlich Nichtwahlberechtigter in das Wählerverzeichnis (§23 Abs1 GWO) die Gemeindewahlbehörde zu entscheiden. Nach §6 Abs2 GWO besteht die Gemeindewahlbehörde "aus dem Bürgermeister oder einem von ihm zu bestellenden ständigen Vertreter als Vorsitzenden und Gemeindewahlleiter sowie aus sechs Beisitzern", somit aus insgesamt sieben Personen, nämlich aus dem Gemeindewahlleiter = Bürgermeister (oder seinem Vertreter) und aus sechs weiteren Mitgliedern (Beisitzern). Die Beisitzer der Gemeindewahlbehörde sind gemäß §11 Abs1 GWO (nach dort festgelegten Regeln) von der Bezirkswahlbehörde zu berufen.
Im vorliegenden Fall bestellte die Bezirkswahlbehörde Neusiedl am See in ihrer Sitzung vom 21. August 1992 (gemäß §11 Abs1 und 4 GWO) für die Durchführung der Gemeinderatswahlen 1992 in der Gemeinde Neusiedl am See folgende (sechs) Beisitzer der Gemeindewahlbehörde: Mag. B W, J E, L A, S F, A K und F E. Ebendiese Beisitzer mit Ausnahme des L A, der damals durch seinen von der Bezirkswahlbehörde ordnungsgemäß berufenen Ersatzmann P P vertreten wurde, entschieden unter dem Vorsitz des Bürgermeisters, des gesetzlichen Gemeindewahlleiters, als zuständige Gemeindewahlbehörde Neusiedl am See am 8. September 1992 über den Einspruch gegen die Aufnahme eines Beschwerdeführers (Dr. G W) sowie über die Einsprüche der übrigen Beschwerdeführer gegen ihre Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis. Gegen diese Entscheidungen der Gemeindewahlbehörde erhoben die Beschwerdeführer Berufung an die im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Bezirkswahlbehörde Neusiedl am See.
Die Gemeindewahlbehörde Neusiedl am See war in ihrer Sitzung vom 8. September 1992 gesetzmäßig zusammengesetzt:
Die gemäß §12 GWO vorgesehene Verlautbarung der Zusammensetzung dieser Behörde an der Gemeindeamtstafel wies - auch nach dem Beschwerdevorbringen - alle Kommissionsmitglieder namentlich richtig aus (: Dipl.-Ing. H H, Mag. B W, J E, L A, S F, A K und F E). Daß in dieser Verlautbarung dem Namen S F nicht die Funktionsbezeichung Beisitzer beigefügt war, sondern die des stellvertretenden Gemeindewahlleiters - einer Funktion, die S F in der Sitzung vom 8. September 1992 infolge Anwesenheit des gesetzlichen Gemeindewahlleiters, des Bürgermeisters, nicht ausübte -, vermag an der damals rechtmäßigen Zusammensetzung der Gemeindewahlbehörde nichts zu ändern.
2.2.1.3. Aus diesen Erwägungen wurden die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG nicht verletzt.
2.2.2.1. Die Beschwerdeführer erachten sich überdies im verfassungsgesetzlich verbürgten Recht auf Teilnahme insbesondere an der Gemeinderatswahl verletzt, beziehen sich aber im Abschnitt "Beschwerdegründe" zur Stützung dieser Behauptung ausschließlich auf ihre Einlassungen zu Art83 Abs2 B-VG (S. 8, 9 (B1721/92) der Beschwerdeschriften), die bereits als ungerechtfertigt erkannt wurden und im gegebenen Zusammenhang nicht mehr zu erörtern sind.
2.2.2.2. Allerdings sind die Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht:
Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes genießt das Wahlrecht zum Gemeinderat kraft der Vorschrift des Art117 Abs2 B-VG den gleichen verfassungsgesetzlichen Schutz wie das Wahlrecht zum Nationalrat (VfSlg. 5148/1965, 7017/1973 uam.), sodaß jede rechtswidrige Verweigerung der Eintragung in das entsprechende Wählerverzeichnis das in dem zitierten Verfassungsartikel verbürgte Recht verletzt. Das ist auch dann der Fall, wenn das zur Nichteintragung (Streichung) führende Verfahren an gravierenden Mängeln leidet (VfSlg. 10668/1985, 11676/1988 uam.).
Die angefochtenen Bescheide entbehren nun jedweder substantiellen Begründung. Sie lassen jegliche Tatsachenfeststellungen vermissen und berufen sich (nicht etwa auf konkretisierte notorische Umstände, sondern) nur mit wenigen Worten - floskelhaft - ganz allgemein auf ein "Ermittlungsverfahren" (der belangten Behörde), das aber in den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Administrativakten nicht zureichend dokumentiert ist.
Damit fehlen für die erschöpfende Beurteilung der entscheidenden Frage des Wohnsitzes der Beschwerdeführer entsprechend geeignete Grundlagen; Behauptungen in der Gegenschrift im Verfahren vor dem angerufenen Verfassungsgerichtshof können weder ein erforderliches administratives Ermittlungsverfahren noch eine (Tatsachenfeststellungen umfassende) ausreichende Bescheidbegründung nachtragen und ersetzen.
2.2.2.3. Demgemäß wurden die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Teilnahme an der Gemeinderatswahl (Art117 Abs2 B-VG) verletzt.
Die angefochtenen Bescheide mußten als verfassungswidrig aufgehoben werden.
2.3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 2.500,-- S enthalten.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Wahlen, Wahlbehörden, Wahlrecht aktives, Wohnsitz, Bescheidbegründung, Ermittlungsverfahren (Wahlen), Wählerevidenz, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B1696.1992Dokumentnummer
JFT_10069681_92B01696_00