Entscheidungsdatum
31.05.2024Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W214 2290155-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (auch XXXX ), geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2024, Zl. 1379817901/232563286, wegen Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch XXXX (auch römisch XXXX ), geb. römisch XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2024, Zl. 1379817901/232563286, wegen Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.Der Beschwerde wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG stattgegeben und römisch XXXX gemäß Paragraph 3, AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG wird festgestellt, dass römisch XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:römisch eins. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte infolge illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX 2023 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG.1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte infolge illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am römisch XXXX 2023 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG.
2. Bei der Erstbefragung am XXXX 2023 gab der Beschwerdeführer an, am XXXX geboren worden zu sein sowie der kurdischen Volksgruppe zuzugehören. Seine Muttersprache sei Kurmanji, er habe aber auch exzellente arabische Sprachkenntnisse in Wort und Schrift. Er sei ledig, seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern seien allesamt in der Türkei, drei Brüder befänden sich mittlerweile in Österreich. Er habe im Jahr 2016 Syrien illegal am Landweg in die Türkei verlassen. Befragt zu seinem Fluchtgrund, führte er an, dass sie damals im Jahr 2016 wegen des Krieges und der allgemein unsicheren Lage aus Syrien geflohen seien. Er könne dorthin nicht zurück, da er dort den Militärdienst für das Regime oder die kurdischen Milizen leisten müsse. Er wolle nicht im Krieg sterben und sei deshalb nach Österreich geflohen.2. Bei der Erstbefragung am römisch XXXX 2023 gab der Beschwerdeführer an, am römisch XXXX geboren worden zu sein sowie der kurdischen Volksgruppe zuzugehören. Seine Muttersprache sei Kurmanji, er habe aber auch exzellente arabische Sprachkenntnisse in Wort und Schrift. Er sei ledig, seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern seien allesamt in der Türkei, drei Brüder befänden sich mittlerweile in Österreich. Er habe im Jahr 2016 Syrien illegal am Landweg in die Türkei verlassen. Befragt zu seinem Fluchtgrund, führte er an, dass sie damals im Jahr 2016 wegen des Krieges und der allgemein unsicheren Lage aus Syrien geflohen seien. Er könne dorthin nicht zurück, da er dort den Militärdienst für das Regime oder die kurdischen Milizen leisten müsse. Er wolle nicht im Krieg sterben und sei deshalb nach Österreich geflohen.
3. Am XXXX .2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch niederschriftlich einvernommen.3. Am römisch XXXX .2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch niederschriftlich einvernommen.
Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Kopie von einem Auszug aus dem syrischen Personenstandsregister vor.
Der Beschwerdeführer brachte zunächst vor, dass seine Angaben aus der Erstbefragung insoweit stimmen würden, bis auf den Aufenthalt in der Türkei, wo er ca. 10 Jahre (und nicht 7 Jahre) aufhältig gewesen sei, im Jahr 2017 habe er dort einen Kimlik erhalten. Er sei in XXXX geboren worden, wo er bis zu seiner Ausreise aus Syrien gelebt habe. Er sei ledig und kinderlos, seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern befänden sich in der Türkei, drei weitere Brüder seien nunmehr in Österreich. Seinen Herkunftsstaat habe er alleine und illegal im Jahr 2014 in die Türkei verlassen. Befragt zu seinen Fluchtgründen, führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, Syrien als Minderjähriger verlassen zu haben, er sei 15 Jahre gewesen und der IS habe seine Region gestürmt. Sie hätten die Jugendlichen rekrutieren wollen, sein Vater habe dann entschieden, dass er aus Syrien flüchten solle. Mittlerweile sei er im Militäralter und müsste zum Militär. Unabhängig vom syrischen Regime, der FSA oder den Kurden, wolle der Beschwerdeführer keine Waffe tragen oder sterben. Die FSA und die Türken – welche derzeit die Kontrolle in seinem Heimatdorf innehätten – seien auch schlimm, es gäbe dort keine Sicherheit. Im Falle einer Rückkehr müsste er seinen Militärdienst ableisten, die Kurden seien dort nicht beliebt. Weiters seien die FSA und die Türken dort an der Macht, weswegen man ihm eine PKK-Mitgliedschaft unterstellen würde.Der Beschwerdeführer brachte zunächst vor, dass seine Angaben aus der Erstbefragung insoweit stimmen würden, bis auf den Aufenthalt in der Türkei, wo er ca. 10 Jahre (und nicht 7 Jahre) aufhältig gewesen sei, im Jahr 2017 habe er dort einen Kimlik erhalten. Er sei in römisch XXXX geboren worden, wo er bis zu seiner Ausreise aus Syrien gelebt habe. Er sei ledig und kinderlos, seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern befänden sich in der Türkei, drei weitere Brüder seien nunmehr in Österreich. Seinen Herkunftsstaat habe er alleine und illegal im Jahr 2014 in die Türkei verlassen. Befragt zu seinen Fluchtgründen, führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, Syrien als Minderjähriger verlassen zu haben, er sei 15 Jahre gewesen und der IS habe seine Region gestürmt. Sie hätten die Jugendlichen rekrutieren wollen, sein Vater habe dann entschieden, dass er aus Syrien flüchten solle. Mittlerweile sei er im Militäralter und müsste zum Militär. Unabhängig vom syrischen Regime, der FSA oder den Kurden, wolle der Beschwerdeführer keine Waffe tragen oder sterben. Die FSA und die Türken – welche derzeit die Kontrolle in seinem Heimatdorf innehätten – seien auch schlimm, es gäbe dort keine Sicherheit. Im Falle einer Rückkehr müsste er seinen Militärdienst ableisten, die Kurden seien dort nicht beliebt. Weiters seien die FSA und die Türken dort an der Macht, weswegen man ihm eine PKK-Mitgliedschaft unterstellen würde.
4. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Die belangte Behörde erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigen zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).4. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG ab (Spruchpunkt römisch eins.). Die belangte Behörde erkannte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigen zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass nicht festgestellt habe werden können, dass der Beschwerdeführer in Syrien einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Beweiswürdigend wurde zusammengefasst dazu festgehalten, dass sein Herkunftsort XXXX , unter Kontrolle der syrischen Freiheitskämpfer (SNA) stehe, weshalb mithilfe der aktuellen Länderfeststellungen festgestellt werden könne, dass ihm dort keine Zwangsrekrutierung seitens des syrischen Regimes drohe. Seitens der SNA fänden keine Zwangsrekrutierungen statt, Wehrdienstverweigerung werde von der SNA nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung gesehen. Mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe dem Beschwerdeführer weder seitens der SNA noch seitens des syrischen Regimes eine Zwangsrekrutierung. Im Falle einer Rückkehr könne davon ausgegangen werden, dass ihm höchstens Illoyalität zur SNA unterstellt werden könne, was allein allerdings keine Asylrelevanz begründe. In der Gesamtschau habe er keine glaubhafte asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung vorbringen können.Begründend führte die belangte Behörde aus, dass nicht festgestellt habe werden können, dass der Beschwerdeführer in Syrien einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Beweiswürdigend wurde zusammengefasst dazu festgehalten, dass sein Herkunftsort römisch XXXX , unter Kontrolle der syrischen Freiheitskämpfer (SNA) stehe, weshalb mithilfe der aktuellen Länderfeststellungen festgestellt werden könne, dass ihm dort keine Zwangsrekrutierung seitens des syrischen Regimes drohe. Seitens der SNA fänden keine Zwangsrekrutierungen statt, Wehrdienstverweigerung werde von der SNA nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung gesehen. Mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe dem Beschwerdeführer weder seitens der SNA noch seitens des syrischen Regimes eine Zwangsrekrutierung. Im Falle einer Rückkehr könne davon ausgegangen werden, dass ihm höchstens Illoyalität zur SNA unterstellt werden könne, was allein allerdings keine Asylrelevanz begründe. In der Gesamtschau habe er keine glaubhafte asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung vorbringen können.
5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 08.04.2024 innerhalb offener Frist Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In dieser wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer aus XXXX - welches unter Kontrolle der türkischen Streitkräfte „Operation Euphrates Shield“ bzw. der SNA stehe - stamme und der kurdischen Volksgruppe zugehöre. Er habe Syrien im Jahr 2014 verlassen und sei illegal in die Türkei gereist, weil seine Familie durch oppositionelle Kräfte im Herkunftsort verfolgt worden sei. Von den oppositionellen Kräften an seinem Herkunftsort werde er als Gegner angesehen und aufgrund einer ihm zumindest unterstellten politisch oppositionellen Gesinnung verfolgt. Er könne zudem nicht in sein Herkunftsgebiet gelangen, ohne in Kontakt mit dem syrischen Regime zu gelangen, überdies sei eine Einberufung des Beschwerdeführers durch das syrische Regime aus (kriegs-)strategischen Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Er wolle den Wehrdienst aufgrund seiner politischen Haltung weder für das syrische Regime, noch für oppositionelle Gruppen wie die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten oder die Freie Syrische Armee ableisten. Durch das syrische Regime werde er bereits als Deserteur angesehen und wegen einer ihm zumindest unterstellten politischen Gesinnung verfolgt, da er sich dem Wehrdienst durch seine Flucht entzogen habe. Hinzu komme die dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch das Regime zugeschriebene oppositionelle Haltung aufgrund der Herkunft aus oppositionellem Gebiet, der illegalen Ausreise sowie der Asylantragstellung im Ausland. Im Hinblick auf die Gefährdungsanalyse für Kurden in von der SNA/türkisch kontrollierten Gebieten sei grundsätzlich davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung bestehe, weshalb ebenso der Beschwerdeführer eine begründete Furcht vor einer Gruppenverfolgung habe. Nach den Länderberichten bestehe für die Volksgruppe der Kurden generell die Gefahr einer Verfolgung durch türkische Streitkräfte bzw. Türkei-nahe Milizen in den von der SNA kontrollierten Gebieten. Daher habe der kurdische Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach XXXX begründete Furcht vor Verfolgung durch die SNA und mit ihr verbündeten Milizen aus Gründen der Rasse, der Nationalität und aus politischen Gründen.5. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 08.04.2024 innerhalb offener Frist Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In dieser wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer aus römisch XXXX - welches unter Kontrolle der türkischen Streitkräfte „Operation Euphrates Shield“ bzw. der SNA stehe - stamme und der kurdischen Volksgruppe zugehöre. Er habe Syrien im Jahr 2014 verlassen und sei illegal in die Türkei gereist, weil seine Familie durch oppositionelle Kräfte im Herkunftsort verfolgt worden sei. Von den oppositionellen Kräften an seinem Herkunftsort werde er als Gegner angesehen und aufgrund einer ihm zumindest unterstellten politisch oppositionellen Gesinnung verfolgt. Er könne zudem nicht in sein Herkunftsgebiet gelangen, ohne in Kontakt mit dem syrischen Regime zu gelangen, überdies sei eine Einberufung des Beschwerdeführers durch das syrische Regime aus (kriegs-)strategischen Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Er wolle den Wehrdienst aufgrund seiner politischen Haltung weder für das syrische Regime, noch für oppositionelle Gruppen wie die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten oder die Freie Syrische Armee ableisten. Durch das syrische Regime werde er bereits als Deserteur angesehen und wegen einer ihm zumindest unterstellten politischen Gesinnung verfolgt, da er sich dem Wehrdienst durch seine Flucht entzogen habe. Hinzu komme die dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch das Regime zugeschriebene oppositionelle Haltung aufgrund der Herkunft aus oppositionellem Gebiet, der illegalen Ausreise sowie der Asylantragstellung im Ausland. Im Hinblick auf die Gefährdungsanalyse für Kurden in von der SNA/türkisch kontrollierten Gebieten sei grundsätzlich davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung bestehe, weshalb ebenso der Beschwerdeführer eine begründete Furcht vor einer Gruppenverfolgung habe. Nach den Länderberichten bestehe für die Volksgruppe der Kurden generell die Gefahr einer Verfolgung durch türkische Streitkräfte bzw. Türkei-nahe Milizen in den von der SNA kontrollierten Gebieten. Daher habe der kurdische Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach römisch XXXX begründete Furcht vor Verfolgung durch die SNA und mit ihr verbündeten Milizen aus Gründen der Rasse, der Nationalität und aus politischen Gründen.
6. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt dem bezughabenden Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Hinsichtlich der Lage in Syrien:
Länderinformation der Staatendokumentation Syrien:
Syrische Arabische Republik
(Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien, letzte Änderung: 10.07.2023)
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v.a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.3.2023).
Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung
Letzte Änderung: 11.07.2023
Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.3.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.1.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.3.2023).
Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.1.2023).
Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.4.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 4.5.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, sind diese Institutionen Mechanismen, die hochrangige Persönlichkeiten innerhalb der herrschenden Koalitionen ermächtigen und bereichern (Brookings 27.1.2023). In dem Gebiet werden keine organisierten Wahlen abgehalten und die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen. Die HTS versucht in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Obwohl die Mehrheit der Menschen in Idlib sunnitische Muslime sind, ist HTS nicht beliebt. Die von der HTS propagierten religiösen Dogmen sind nur ein Aspekt, der den Bürgerinnen und Bürgern missfällt. Zu den anderen Aspekten gehören der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, willkürliche Verhaftungen, Gewalt und Missbrauch (BS 23.2.2022).
In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral- Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu verwechseln mit Assads Syrischen Streitkräften -, mächtiger als die SIG, die sie routinemäßig ignoriert oder außer Kraft setzt (Brookings 27.1.2023). Beide wiederum operieren de facto unter der Autorität der Türkei (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 18.3.2023).In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral- Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu ve