TE Vfgh Erkenntnis 1993/3/19 B1440/91

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Veröffentlicht am 19.03.1993
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Oö BauO §46
Oö RaumOG §16
Oö RaumOG §16a Abs6

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verneinung des Vorliegens eines subjektiv-öffentlichen Rechts der Nachbarn auf widmungsgemäße Bebauung im gemischten Baugebiet; Widmung des Baugrundstückes (gemischtes Baugebiet), nicht Art des geplanten Bauwerks (Einkaufszentrum und Parkhaus) maßgebend

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Oberösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Vertreters die mit S 15.000 bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wels vom 31. Mai 1991 wurde der S Gesellschaft m.b.H. die Baubewilligung zur Errichtung von - nicht schon durch eine frühere, rechtskräftige Baubewilligung erfaßten - Teilen eines Einkaufszentrums sowie eines Parkhauses erteilt. Der gegen diese Bewilligung von der Beschwerdeführerin als Anrainerin erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wels vom 23. September 1991 teilweise stattgegeben und die Baubewilligung durch zusätzliche Auflagen ergänzt.

Der gegen diesen letztinstanzlichen Gemeindebescheid von der Beschwerdeführerin eingebrachten Vorstellung gab die Oberösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom 29. Oktober 1991 keine Folge.

2. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt.

3. Die Oberösterreichische Landesregierung und die Stadt Wels haben in Gegenschriften die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

1. Im angefochtenen Vorstellungsbescheid der

O.Ö. Landesregierung heißt es unter anderem:

"Vorerst wird festgehalten, daß der Vorstellungswerberin insoferne zugestimmt wird, als sie behauptet, das Geschäftsgebäude stelle samt dem Parkhaus eine funktionelle Einheit dar. Dies deshalb, weil den vorgelegten Plänen entnommen werden kann, daß das Parkhaus direkt an das Geschäftsgebäude angebaut wird und überdies Verbindungen (teilweise über Schleusen) zwischen dem Parkhaus und den Geschäftsräumlichkeiten bestehen. Ohne Änderung des Projektes wäre es sohin nicht möglich, das Geschäftsgebäude getrennt vom Parkhaus zu bewilligen und ist auf Grund dieses Umstandes daher davon auszugehen, daß sowohl das Parkhaus als auch das Geschäftsobjekt in der derzeit projektierten Form eine untrennbare bzw. unteilbare Einheit bilden. Dies bedeutet jedoch für die weiteren Erörterungen, daß Parkhaus und Geschäftsgebäude ein einheitliches Geschäftsgebäude für den überörtlichen Bedarf darstellen.

Nachdem das Ermittlungsverfahren weiters ergab, daß Teile der Geschäftsräume bzw. das Parkhaus zur Gänze auf einem Areal zu liegen kommen, welches als 'gemischtes Baugebiet' gewidmet ist, ist im Sinn der oben getätigten Ausführungen über die funktionelle Einheit von Geschäftsbau und Parkhaus davon auszugehen, daß das gegenständliche Geschäftsgebäude für den überörtlichen Bedarf (ein Einkaufszentrum im Sinn des §16 a Abs1 Z. 3 O.ö. Raumordnungsgesetz) teilweise auf einem Gebiet mit der Widmung 'gemischtes Baugebiet' zu liegen kommt.

§16 a Abs6 1. Satz O.ö. Raumordnungsgesetz ist nun zu entnehmen, daß derartige Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf nur dann bewilligt werden dürfen, wenn diese Gebäude auf Grundflächen erbaut werden, die entweder als 'Gebiet für Geschäftsbauten' oder als 'Kerngebiet', in dem die Errichtung von Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf ausdrücklich für zulässig erklärt wurde, gewidmet sind.

Vorweg ist hiezu auszuführen, daß das gegenständliche Areal nicht als 'Kerngebiet', in dem die Errichtung von Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf ausdrücklich für zulässig erklärt wurde, gewidmet werden kann, da es Zweck des §16 Abs6 O.ö. Raumordnungsgesetz ist, eine entsprechende Baulandwidmung für Ortskerne aufzustellen. Nachdem das gegenständliche Bauvorhaben an der Periferie der Stadt Wels errichtet werden soll, kommt daher eine Widmung 'Kerngebiet' nicht in Betracht.

Einkaufszentren, wie das gegenständliche, welche in der Periferie von Orten errichtet werden sollen, können daher lediglich in einem Gebiet errichtet werden, welches eine entsprechende Widmung nach §16 Abs12 O.ö. Raumordnungsgesetz (Geschäftsbaugebiet) aufweisen.

Nachdem jedoch Teile dieses Einkaufszentrums auf einem Gebiet zu liegen kommen, welches nicht die Widmung 'Geschäftsbaugebiet' aufweist, ist durch die gegenständlichen baubehördlichen Bewilligungsbescheide eine widmungswidrige Bebauung bewilligt worden und leidet daher der Bescheid der Berufungsinstanz diesbezüglich jedenfalls an einer Rechtswidrigkeit."

Sodann wendet sich die belangte Landesregierung der Frage zu, ob Nachbarn im Hinblick auf einen Geschäftsbau für den überörtlichen Bedarf ein subjektiv-öffentliches Recht auf widmungsgemäße Bebauung haben. Die Landesregierung geht davon aus, ein derartiges subjektiv-öffentliches Recht der Nachbarn läge nur dann vor, wenn die jeweils zu bebauende Baulandkategorie in ihrer Umschreibung im Gesetz den Nachbarn ausdrücklich einen Schutz vor Immissionen einräumt. Die Vorstellungsbehörde meint, aus dem Wortlaut des §16 Abs12 des Oberösterreichischen Raumordnungsgesetzes sei kein wie immer gearteter Immissionsschutz der Nachbarn im Zusammenhang mit einem Anspruch auf widmungsgemäße Bebauung ableitbar und führt dazu aus:

"Aus der Zusammenschau der Bestimmungen der §§16 Abs12 und 16 a Abs6 1. Satz des O.ö. Raumordnungsgesetzes ist daher abzuleiten, daß bei einer Baubewilligung für einen Geschäftsbau für den überörtlichen Bedarf allein die Baubehörden unter Berücksichtigung der von ihnen wahrzunehmenden öffentlichen Interessen dafür Sorge zu tragen haben, daß Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf in einem Gebiet erbaut werden, welches die Widmung 'Geschäftsbaugebiet' aufweist. Dies deshalb, weil einerseits bei Errichtung eines Gebäudes in einem gemäß §16 Abs12 O.ö. Raumordnungsgesetz gewidmetem Gebiet den Nachbarn kein Anspruch auf Immissionsschutz durch widmungsgemäße Bebauung eingeräumt ist, und andererseits unter anderem Einkaufzentren nur in einem gemäß §16 Abs12 O.ö. Raumordnungsgesetz gewidmeten Areal errichtet werden dürfen. Die raumordnungsrechtliche Zulässigkeit der Baubewilligung eines Einkaufszentrums wie dem gegenständlichen ist daher ausschließlich an Hand der Bestimmung des §16 Abs12 O.ö. Raumordnungsgesetz zu beurteilen und steht daher Nachbarn auch dann kein subjektiv-öffentliches Recht auf widmungsgemäße Bebauung zu, wenn eine Baubewilligung für einen Geschäftsbau für den überörtlichen Bedarf in einem Areal beantragt bzw. erteilt wird, welches nicht die erforderliche Widmung gemäß §16 Abs12 O.ö. Raumordnungsgesetz aufweist.

Hieraus folgt nun, daß Nachbarn in raumordungsrechtlichen Bestimmungen keine Befugnis eingeräumt wurde, gegen die Baubewilligung hinsichtlich Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf Einwendungen wegen widmungswidriger Bebauung zulässigerweise zu erheben. Diese Belange sind - wie oben darstellt - allein im öffentlichen Interesse wahrzunehmen."

Die Landesregierung kommt auf Grund dieser Überlegungen zu dem Schluß, die Baubehörde habe im vorliegenden Fall zwar das öffentliche Interesse an einer widmungsgemäßen Bebauung bei Erteilung der baubehördlichen Bewilligungen nicht gewahrt und der Berufungsbescheid sei daher rechtswidrig. Diese rechtswidrige Vorgangsweise der Baubehörde greife jedoch nicht in subjektiv-öffentliche Rechte der Vorstellungswerberin ein.

2. Diese Rechtsmeinung der belangten Behörde ist verfehlt:

a) Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblichen Rechtsvorschriften stellen sich im Normzusammenhang wie folgt dar:

Nach §46 Abs2 der Oberösterreichischen Bauordnung, LGBl. 35/1976 (OÖ BauO), können Nachbarn gegen die Erteilung der Baubewilligung unter anderem mit der Begründung Einwendungen erheben, daß sie durch das Bauvorhaben in subjektiven Rechten verletzt werden, die im öffentlichen Recht begründet sind. Nach dem ersten Satz des dritten Absatzes dieses Paragraphen sind öffentlich-rechtliche Einwendungen der Nachbarn unter anderem dann zu berücksichtigen, wenn sie sich auf Bestimmungen eines Flächenwidmungsplanes stützen, welche auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen. Hiezu gehören nach dem zweiten Satz des §46 Abs3 OÖ BauO insbesondere jene Bestimmungen, die gesundheitlichen Belangen oder dem Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen dienen.

In Abs3 des - die Baulandkategorien regelnden - §16 des Oberösterreichischen Raumordnungsgesetzes, LGBl. 18/1972 in der Fassung der Novelle LGBl. 15/1977 (OÖ ROG), ist festgelegt, daß Bauten und Anlagen im Wohngebiet unter anderem nur errichtet werden dürfen, wenn ihre ordnungsgemäße Benützung keine Gefahren oder unzumutbaren Belästigungen für die Bewohner mit sich bringen. Nach Abs6 dieses Paragraphen dürfen in Kerngebieten Bauten und Anlagen nicht errichtet werden, die Gefahren oder erhebliche Belästigungen für die im Kerngebiet wohnhafte oder anwesende Bevölkerung bedingen. Gemischte Baugebiete sind im Sinne des siebenten Absatzes des §16 im allgemeinen für nicht wesentlich störende Betriebe bestimmt. Als Betriebsbaugebiete nach Abs8 des §16 sind solche Flächen vorzusehen, die zur Aufnahme von Betrieben dienen, die die Umgebung nicht erheblich stören und nicht gefährden. Die im Industriegebiet (Abs9 leg.cit.) zulässigen Anlagen dürfen im Prinzip die im Betriebsbaugebiet nicht erlaubten Störungen und Gefahren verursachen. Nach Abs12 des §16 OÖ ROG sind als Gebiete für Geschäftsbauten solche Flächen vorzusehen, die für Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf bestimmt sind.

b) Es steht unbestritten fest, daß das hier maßgebliche Bauwerk zum Teil im gemischten Baugebiet errichtet wurde, in welchem Nachbarrechte vorgesehen sind (siehe oben unter a).

Die Landesregierung steht aber ungeachtet dessen auf dem Standpunkt, die raumordnungsrechtliche Zulässigkeit der Baubewilligung eines Einkaufszentrums wie hier sei ausschließlich anhand der Bestimmung des §16 Abs12 OÖ ROG zu beurteilen und es stehe daher Nachbarn auch dann kein subjektiv-öffentliches Recht auf widmungsgemäße Bebauung zu, wenn eine Baubewilligung für einen Geschäftsbau für den überörtlichen Bedarf in einem Areal beantragt und erteilt wird, welches nicht die erforderliche Widmung gemäß §16 Abs12 OÖ ROG aufweist. In der Gegenschrift verteidigt die belangte Landesregierung diese Auffassung mit folgendem Argument:

"Nachdem also derartige Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf nur in einem Gebiet mit der Widmung 'Gebiet für Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf' errichtet werden dürfen und Nachbarn hinsichtlich Bauten, die in einem Gebiet mit einer Widmung gemäß §16 Abs12 leg.cit. errichtet werden, zulässigerweise nicht die Einrede der widmungswidrigen Bebauung erheben können, ergibt sich nun, daß Nachbarn die Einwendung der widmungswidrigen Bebauung auch dann nicht zusteht, wenn ein Geschäftsbau für den überörtlichen Bedarf in einem Gebiet errichtet wird, welches nicht die Widmung gemäß §16 Abs12 O.ö. Raumordungsgesetz aufweist."

c) Die Oberösterreichische Landesregierung hat bei der Beurteilung der Frage, ob Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht auf widmungsgemäße Bebauung zusteht, von der tatsächlichen Widmung des Baugrundstückes auszugehen, nicht aber von einer anderen Widmungsart, nämlich (wie hier) jener, welche der Art des geplanten Bauwerks entsprechen würde.

Da Nachbarrechte nach dem oben unter Pkt. a dargestellten, im Zusammenhang der entsprechenden Vorschriften der OÖ BauO und des OÖ ROG stehenden System des Gesetzes immer dann bestehen, wenn sie sich auf Bestimmungen des Flächenwidmungsplans stützen, die auch einen nachbarschützenden Gehalt haben, sich also aus der Widmung des Baugrundstückes ergeben, hat die belangte Behörde das Gesetz schon deshalb denkunmöglich angewendet, weil sie das subjektiv-öffentliche Recht des Nachbarn nicht aus der Widmung des Grundstückes sondern vom geplanten Bauwerk her ableitet. Angesichts dessen braucht der Verfassungsgerichtshof im gegebenen Zusammenhang nicht weiter zu prüfen, ob die belangte Behörde dem Gesetz insofern einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, als sie annahm, daß den Nachbarn hinsichtlich eines Bauverfahrens betreffend ein Bauwerk auf einem für Geschäftsbauten für den überörtlichen Bedarf gewidmeten Grundstück entsprechende subjektive Rechte nicht zustehen.

Daß die Vorgangsweise der belangten Behörde auf einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung beruht, wird auch durch die Konsequenz dieser Vorgangsweise illustriert:

Die Argumentation der Landesregierung würde - zu Ende gedacht - bewirken, daß für den Nachbarn auch bei Baulandwidmungen, auf deren Einhaltung den Nachbarn auch nach Auffassung der belangten Behörde unzweifelhaft ein Recht zusteht, solche Rechte dann wegfallen, wenn innerhalb dieser Kategorie - noch dazu widmungswidrig - Bauten errichtet werden sollen, die nur bei einer anderen, vermeintlich keinen Immissionsschutz enthaltenden Widmung zulässig wären. Die Rechtsstellung des Nachbarn würde also ausschließlich von der Vorgangsweise des Bauwerbers abhängen und gerade dann geschmälert werden, wenn der Bauwerber rechtswidrig handelt.

3. Da die belangte Landesregierung das Gesetz denkunmöglich angewendet hat (was nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ein Indiz für Willkür darstellt), ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid ist daher aufzuheben, ohne daß auf das übrige Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden braucht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500 enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Nachbarrechte, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Rechte subjektive

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B1440.1991

Dokumentnummer

JFT_10069681_91B01440_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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