Entscheidungsdatum
25.06.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W169 2293985-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2024, Zl. 1295757608-240474047, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch XXXX geb. römisch XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2024, Zl. 1295757608-240474047, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 68 AVG, §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 68, AVG, Paragraphen 10, Absatz eins, Ziffer 3,, 57 AsylG 2005, Paragraph 9, BFA-VG, und Paragraphen 52,, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 28.02.2022 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung durch Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.03.2022 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass er Mitglied einer politischen Partei gewesen sei. Die gegnerische Partei hätte begonnen, die Mitglieder seiner Partei zu töten. Er habe aus Angst um sein Leben sein Heimatland verlassen.
1.2. Da der Beschwerdeführer mangels feststellbarer Aufenthaltsadresse zur Einvernahme nicht geladen werden konnte, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 16.03.2022 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne weiteres Verfahren ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel gemäß §§ 57 AsylG, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.1.2. Da der Beschwerdeführer mangels feststellbarer Aufenthaltsadresse zur Einvernahme nicht geladen werden konnte, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 16.03.2022 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne weiteres Verfahren ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel gemäß Paragraphen 57, AsylG, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
Zur Begründung verwies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter anderem darauf, dass schon aufgrund des nicht substantiierten Fluchtvorbringens und Fehlens von Beweismitteln eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht glaubhaft gemacht worden sei.
1.3. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18.01.2023, Zl. W159 2255145-1/3E, als unbegründet abgewiesen. Das Gericht stütze sich im Wesentlichen auf folgende Feststellungen:
„Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger von Indien, gehört der Volksgruppe der PUNJABI/PANSCHABI und der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Er wurde am XXXX in der Provinz Punjabi, in Indien geboren und ist dort aufgewachsen. Er ist ledig. Seine Eltern leben in Indien. „Der Beschwerdeführer führt den Namen römisch XXXX , ist Staatsangehöriger von Indien, gehört der Volksgruppe der PUNJABI/PANSCHABI und der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Er wurde am römisch XXXX in der Provinz Punjabi, in Indien geboren und ist dort aufgewachsen. Er ist ledig. Seine Eltern leben in Indien.
Mangels Anschrift sowie mangels Bekanntgabe eines Vertreters konnte der Beschwerdeführer nicht zu einer niederschriftlichen Einvernahme beim zuständigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien eingeladen werden.
Es können keine glaubhaften asylrelevanten Fluchtgründe festgestellt werden. Es liegt jedenfalls keine staatliche Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vor. Er führt in Österreich kein Familienleben und ist auch keine nennenswerte Integration feststellbar, da er erst wenige Monate in Österreich aufhältig ist.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten“.
1.4. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 19.09.2023, E 548/2023-14, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
1.5. In der Folge brachte der Beschwerdeführer eine außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof ein, welche mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.12.2023, Zl. Ra 2023/18/0057-9, zurückgewiesen wurde.
2. Gegenständliches Asylverfahren:
2.1. Am 25.09.2023 reiste der Beschwerdeführer nach Italien, wo er sich bis 20.03.2024 aufhielt. Anschließend reiste er erneut illegal nach Österreich ein und stellte am 21.03.2024 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer als Grund seiner neuerlichen Asylantragstellung an, dass seine alten Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien, er nach negativem Asylbescheid in Österreich nach Italien ausgereist sei, er sich dort aber nicht sicher gefühlt habe, da er dort ein Jahr hätte warten müssen, bis er einen Asylantrag hätte stellen dürfen, weshalb er wieder nach Österreich eingereist sei. Im Fall einer Rückkehr nach Indien habe er Angst um sein Leben. Es habe keine Änderungen zu seiner Fluchtgeschichte im Erstverfahren gegeben.
2.2. Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 17.05.2024 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er gesund sei und keine Medikamente nehmen müsse. Er habe Indien im Jänner 2022 verlassen und sei erstmals Anfang März 2022 in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Im September 2023 habe er dann Österreich verlassen und sei nach Italien gegangen, um um Asyl anzusuchen. In Italien sei er sechs Monate aufhältig gewesen. Da „der ganze Prozess“ ein Jahr gedauert hätte, sei er wieder nach Österreich zurückgekommen. Seine Angaben im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Folgeantrag hätten der Wahrheit entsprochen. Seine Fluchtgründe aus dem Vorverfahren seien nach wie vor aufrecht. Er habe keine neuen Fluchtgründe, es habe sich nichts verändert. Er stelle einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, weil die Gründe aus dem Vorverfahren noch immer bestehen würden und er sich nicht sicher fühle, nach Indien zurückzureisen. Im Falle einer Rückkehr wisse er nicht, ob er getötet werde oder ins Gefängnis komme. Er fühle sich in Indien nicht sicher, weil er die Akali Dal Partei unterstütze und die Regierung es auf diese Parteimitglieder abgesehen habe. Er habe damals in Indien nicht versucht, sich an die Polizei zu wenden. Im Falle einer negativen Entscheidung würde er zwar Österreich verlassen, aber nicht nach Indien zurückgehen.
Zu seinen Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer an, dass er im Bundesgebiet bzw. in der EU keine Verwandten habe und auch mit niemanden eine familienähnliche Lebensgemeinschaft führe. Er arbeite als Zeitungszusteller, wodurch er 700 bis 800 Euro verdiene. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation und spreche ein bisschen Deutsch.
Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen der Einvernahme die Möglichkeit eingeräumt, in die aktuellen Länderfeststellungen zu Indien Einsicht zu nehmen und dazu eine Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer führte dazu an, dass er das nicht wolle.
2.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers festgelegt (Spruchpunkt VI.).2.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte römisch eins. und römisch II.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und weiters gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß Paragraph 46, FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers festgelegt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keinen glaubhaften, entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht habe, der nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar weder im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen sei, noch in jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei – noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, sei der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens nicht entgegen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe aufgrund der zurückweisenden Entscheidung nicht. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keinen glaubhaften, entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht habe, der nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar weder im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen sei, noch in jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei – noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, sei der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens nicht entgegen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe aufgrund der zurückweisenden Entscheidung nicht.
2.4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte nach Wiederholung der bisher getätigten Angaben aus, dass keine „entschiedene Sache“ vorliege.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer stammt aus dem Bundesstaat Punjab, gehört der Volksgruppe der Punjabi sowie der Religionsgemeinschaft der Sikh an. Er spricht die Sprachen Punjabi und Hindi, ist im Punjab aufgewachsen und hat dort als Landwirt gearbeitet. Er ist ledig und gesund. Seine Eltern leben in Indien.
Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich oder sonst in der EU. Er verfügt auch sonst über keine intensiven sozialen Bindungen in Österreich. Er spricht ein wenig Deutsch, ist nicht Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation und verteilt Zeitungen. Er nimmt keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch und ist strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer verließ seinen Herkunftsstaat Indien im Jänner 2022 und reiste in Österreich illegal ein, wo er am 28.02.2022 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dieser wurde letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.01.2023 als unbegründet abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 19.09.2023 ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge brachte der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgerichtshof eine außerordentliche Revision ein, welche mit Beschluss vom 20.12.2023 zurückgewiesen wurde.
Im September 2023 verließ der Beschwerdeführer Österreich und reiste für sechs Monate nach Italien, um anschließend erneut illegal in Österreich einzureisen, wo er am 21.03.2024 den gegenständlichen Folgeantrag stellte.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung 2023-11-28 15:04
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 5.6.2023). Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. AA 5.6.2023). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet. Indien bleibt ein Land extremer Kontraste. Es gibt viel Positives: stabile Demokratie, verfassungsrechtlich garantierte bürgerliche Freiheiten, fortschrittliche Rechtsprechung und eine beeindruckend vielfältige und lebendige Zivilgesellschaft. Aber es existieren eben auch enorme Defizite, eklatante Grundrechtsverletzungen und eine gesellschaftliche Realität, die aus westlicher Sicht häufig schockierend wirkt. Die Menschenrechtssituation spiegelt die komplexe Lebenswirklichkeit eines multiethnischen und multireligiösen Landes wider, die sich aus jahrtausendealten kulturellen Traditionen speist, die in Teilen die Durchsetzung universeller Menschenrechte behindern. Der Alltag vieler Bevölkerungsgruppen ist von systematischer gesellschaftlicher Benachteiligung geprägt. Ursache hierfür sind häufig tief verwurzelte soziale Praktiken wie das Kastenwesen und der niedrige Bildungsstand von Teilen der Bevölkerung und weniger systematische Menschenrechtsverletzungen durch den Staat (AA 5.6.2023).Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 5.6.2023). Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB New Delhi 7.2023; vergleiche AA 5.6.2023). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet. Indien bleibt ein Land extremer Kontraste. Es gibt viel Positives: stabile Demokratie, verfassungsrechtlich garantierte bürgerliche Freiheiten, fortschrittliche Rechtsprechung und eine beeindruckend vielfältige und lebendige Zivilgesellschaft. Aber es existieren eben auch enorme Defizite, eklatante Grundrechtsverletzungen und eine gesellschaftliche Realität, die aus westlicher Sicht häufig schockierend wirkt. Die Menschenrechtssituation spiegelt die komplexe Lebenswirklichkeit eines multiethnischen und multireligiösen Landes wider, die sich aus jahrtausendealten kulturellen Traditionen speist, die in Teilen die Durchsetzung universeller Menschenrechte behindern. Der Alltag vieler Bevölkerungsgruppen ist von systematischer gesellschaftlicher Benachteiligung geprägt. Ursache hierfür sind häufig tief verwurzelte soziale Praktiken wie das Kastenwesen und der niedrige Bildungsstand von Teilen der Bevölkerung und weniger systematische Menschenrechtsverletzungen durch den Staat (AA 5.6.2023).
Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft (AA 5.6.2023). Menschenrechtsverletzungen werden auch von Terroristen in Jammu und Kaschmir, in den nordöstlichen Bundesstaaten und in den vom maoistischen Terrorismus betroffenen Gebieten begangen wurden, darunter Tötungen und Folter von Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei, von Regierungsbeamten und Zivilisten, Entführungen sowie die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 20.3.2023b).
Die Verfassung garantiert bürgerliche Freiheiten, einschließlich der Meinungs- und Religionsfreiheit, aber die Schikanen gegen Journalisten, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und andere Regierungskritiker haben unter Modi erheblich zugenommen. Die BJP hat zunehmend staatliche Einrichtungen genutzt, um politische Gegner ins Visier zu nehmen. Muslime, registrierte Kasten (Dalits) und registrierte Stämme (Adivasis) werden nach wie vor wirtschaftlich und sozial ausgegrenzt (FH 2023).
Die Verfassung garantiert den Bürgern das Recht, ihre eigene Sprache, Schrift und Kultur zu bewahren (DFAT 29.9.2023).
Die Gesetze gestatten der Regierung das Abhören von Gesprächen zum Schutz der Souveränität und Integrität des Landes, der Sicherheit des Staates, der freundschaftlichen Beziehungen zu ausländischen Staaten, der öffentlichen Ordnung oder zur Verhinderung der Anstiftung zur Begehung einer Straftat. Es gab Berichte, wonach Regierungsbehörden willkürlich oder unrechtmäßig oder ohne entsprechende rechtliche Befugnisse auf private Kommunikation zugriffen, diese sammelten oder nutzten und Praktiken entwickelten, die einen willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriff in die Privatsphäre ermöglichen, einschließlich des Einsatzes von Technologien zur willkürlichen oder unrechtmäßigen Überwachung oder Beeinträchtigung der Privatsphäre von Personen (USDOS 20.3.2023b).
Die indische Regierung erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt jedoch erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Die Hauptverantwortung für die Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels lag bei den indischen Bundesstaaten und Unionsterritorien, die von der Zentralregierung politisch beaufsichtigt wurden (USDOS 15.6.2023).
Seit 1993 gibt es eine Nationale Menschenrechtskommission als unabhängiges Organ, die auf Antrag oder von Amts wegen Menschenrechtsverletzungen untersuchen und Empfehlungen an die Regierung richten oder beim Obersten Gerichtshof die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen beantragen kann. Ihre Kompetenz erstreckt sich allerdings nicht auf Überprüfung von Menschenrechtsverletzungen durch das Militär. Obwohl sie keine Weisungsbefugnis zur Einleitung von Strafverfahren hat und mangels Ermittlungsbefugnissen auf die Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden und Polizei angewiesen ist, trägt sie zunehmend auch durch in der Öffentlichkeit ausgeübten Druck und durch Zusammenarbeit mit NGOs zur Ahndung und zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen bei. Der Protection of Human Rights Act, 1993, empfiehlt, dass jeder Bundesstaat eine Menschenrechtskommission einrichtet, die es in der Mehrzahl der Unionsstaaten bereits gibt (ÖB New Delhi 7.2023).
Quellen
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5/6/2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2093231/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_April_2023%29%2C_05.06.2023.pdf, Zugriff 19.10.2023 [Login erforderlich];
? DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (29/9/2023): DFAT COUNTRY INFORMATION REPORT INDIA, https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/country-information-report-india.pdf, Zugriff 19.10.2023;
? FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088517.html, Zugriff 16.10.2023;
? USDOS - United States Department of State [USA] (15/6/2023): 2023 Trafficking in Persons Report: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2093624.html, Zugriff 24.10.2023;
? USDOS - United States Department of State [USA] (20/3/2023b): 2022 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089116.html, Zugriff 31.10.2023;
? ÖB New Delhi - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (7.2023): Asylländerbericht 2023 - Indien;
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung 2023-11-28 15:04
Die Niederlassungsfreiheit (FH 2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023) sowie landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung werden gesetzlich gewährt, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.3.2023b; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Allerdings verlangen das Innenministerium und die Regierungen der Bundesstaaten von ihren Bürgern Sondergenehmigungen, wenn sie in bestimmte Bundesstaaten reisen wollen (USDOS 20.3.2023b; vgl. ÖB New Delhi 8.2021). In den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Manipur sind sogenannte Inner Line Permits erforderlich (USDOS 20.3.2023b). Die Bewegungsfreiheit wird in einigen Teilen des Landes durch aufständische Gewalt oder kommunale Spannungen behindert (FH 24.2.2022).Die Niederlassungsfreiheit (FH 2023; vergleiche ÖB New Delhi 7.2023) sowie landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung werden gesetzlich gewährt, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.3.2023b; vergleiche ÖB New Delhi 7.2023). Allerdings verlangen das Innenministerium und die Regierungen der Bundesstaaten von ihren Bürgern Sondergenehmigungen, wenn sie in bestimmte Bundesstaaten reisen wollen (USDOS 20.3.2023b; vergleiche ÖB New Delhi 8.2021). In den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Manipur sind sogenannte Inner Line Permits erforderlich (USDOS 20.3.2023b). Die Bewegungsfreiheit wird in einigen Teilen des Landes durch aufständische Gewalt oder kommunale Spannungen behindert (FH 24.2.2022).
Grundsätzlich ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet. Es gibt nach wie vor kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung (AA 5.6.2023). Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023) ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (ÖB New Delhi 7.2023). Durch die Verknüpfung vieler Dienstleistungen mit der biometrischen Aadhaar Karte wird die Auffindbarkeit einzelner Personen für Behörden erleichtert (ÖB New Delhi 7.2023).Grundsätzlich ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet. Es gibt nach wie vor kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung (AA 5.6.2023). Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich (AA 5.6.2023; vergleiche ÖB New Delhi 7.2023) ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (ÖB New Delhi 7.2023). Durch die Verknüpfung vieler Dienstleistungen mit der biometrischen Aadhaar Karte wird die Auffindbarkeit einzelner Personen für Behörden erleichtert (ÖB New Delhi 7.2023).
Die Regierung kann jedem Antragsteller einen Reisepass verweigern, wenn er sich außerhalb des Landes an Aktivitäten beteiligt, die "der Souveränität und Integrität der Nation schaden" (USDOS 20.3.2023b). Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller - einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren - zusätzlichen Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 12.4.2022).
Eine Ausreiseverweigerung ist aus Gründen der nationalen Sicherheit möglich (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023).Eine Ausreiseverweigerung ist aus Gründen der nationalen Sicherheit möglich (AA 5.6.2023; vergleiche ÖB New Delhi 7.2023).
Quellen
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5/6/2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2093231/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_April_2023%29%2C_05.06.2023.pdf, Zugriff 19.10.2023 [Login erforderlich];
? FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088517.html, Zugriff 16.10.2023;
? FH - Freedom House (24/2/2022): Freedom in the World 2022 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068733.html, Zugriff 19.10.2023;
? USDOS - United States Department of State [USA] (20/3/2023b): 2022 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089116.html, Zugriff 31.10.2023;
? USDOS - United States Department of State [USA] (12/4/2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071142.html, Zugriff 19.10.2023;
? ÖB New Delhi - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (7.2023): Asylländerbericht 2023 - Indien;
? ÖB New Delhi - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht 2021 - Indien [Login erforderlich];
Meldewesen
Letzte Änderung 2023-11-28 10:44
In Indien gibt es weder ein zentralisiertes Meldewesen oder Personenstands- oder auch Strafregister (AA 5.6.2023). Im Jahr 2009 führte Indien allerdings Aadhaar ein, ein digitales Identitätssystem für die fast 1,4 Milliarden Menschen des Landes (UCLA 13.4.2022). Das Aadhaar-Programm weist jedem Einwohner (auch Ausländer) eine eindeutige 12-stellige Nummer zu, die mit den biometrischen Daten der Person verknüpft ist - alle 10 Fingerabdrücke und ein Iris-Scan. Mittlerweile wurden über 1,3 Milliarden Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB New Delhi 7.2023). Durch die Verknüpfung vieler Dienstleistungen mit der biometrischen Aadhaar Karte wird die Auffindbarkeit einzelner Personen für Behörden erleichtert (ÖB New Delhi 7.2023).
Das Nationale Bevölkerungsregister (NPR) ist ein Register, das Angaben zu Personen enthält, die gewöhnlich in einem Dorf oder einer ländlichen Gegend oder einer Stadt oder einem Bezirk oder einem abgegrenzten Gebiet innerhalb eines Bezirks in einer Stadt oder einem städtischen Gebiet wohnen. Das NPR wurde erstmals 2010 erstellt und 2015 gemäß Citizenship (Registration of Citizens and Issue of National Identity Cards) Rules, 2003, die auf der Grundlage des Citizenship Act, 1955, erstellt wurden, aktualisiert. Um die Änderungen aufgrund von Geburten, Todesfällen und Migration zu berücksichtigen, werden die NPR zusammen mit den Wohnungslisten und Wohnungsvorgängen der kommenden Volkszählung aktualisiert. Ziel der NPR ist es, eine umfassende Datenbank der üblichen Einwohner des Landes zu erstellen (Census India 11.8.2023).
Quellen
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5/6/2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2093231/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_%28Stand_April_2023%29%2C_05.06.2023.pdf, Zugriff 19.10.2023 [Login erforderlich];
? Census India - Census India (11/8/2023): National Population Register of India, https://censusindia.gov.in/census.website/node/343, Zugriff 14.11.2023;
? UCLA - University of California Los Angeles Anderson Review (13/4/2022): Addressing Its Lack of an ID System, https://anderson-review.ucla.edu/addressing-its-lack-of-an-id-system-india-registers-1-2-billion-in-a-decade/, Zugriff 14.11.2023;
? ÖB New Delhi - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (7.2023): Asylländerbericht 2023 - Indien;
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung 2023-11-28 15:04
Allgemeine Wirtschaftsleistung
Die indische Wirtschaft hat sich von der bereits vor COVID bestehenden Krise erholt und erreichte im Finanzjahr 2021/22 ein Wachstum von 8,7 %, für das Jahr 2023/24 wurde von der Weltbank ein Wachstum von 6,3 % prognostiziert. Trotz negativer externer Faktoren (RU/UA Krieg, Lieferkettenengpässe, Inflation (6,7 % 2022/23) wird die indische Wirtschaft als resilient eingestuft (ÖB New Delhi 7.2023). Indien ist damit die am stärksten wachsende Volkswirtschaft aller G20-Staaten. Diese Dynamik wird von einem wiedererstarkten Privatkonsum und einem enormen Investitionsprogramm der Regierung getragen (WKO 30.10.2023).
Die Landwirtschaft stieg um 3,7 % (15 % BIP-Anteil), der wiedererstarkende Industriesektor um 4,5 % (30 % BIP-Anteil) sowie der Dienstleistungsbereich um 7,6 % (55 % BIP-Anteil), wobei hier die IT-Services dominieren (WKO 9.2023).
Arbeitsmarkt
Von den etwas 500 Millionen Arbeitskräften sind 90 % im informellen Sektor tätig (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. AA 5.6.2023), auch wenn nach manchen Analysen der Anteil der formell Beschäftigten steigt. Von den 10 % im organisierten Sektor Beschäftigten, die über formelle soziale Absicherung und Arbeitsschutz verfügen, arbeiten 70 % im staatlichen Bereich. Nur 5 % der Gesamtarbeitskräfte sind aus