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L8000 RaumordnungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung der Änderungen eines Örtlichen Entwicklungskonzeptteils und eines Flächenwidmungsteils der Gemeinde Hinterstoder mangels Grundlagenforschung und Interessenabwägung im Zeitpunkt der Beschlussfassung; kein Vorliegen aller erforderlichen Unterlagen im Entscheidungszeitpunkt und keine Auseinandersetzung mit den dem Projekt entgegenlaufenden Interessen; gänzliche Aufhebung des Bebauungsplans "Peham Villa" (planerische Einheit) wegen Wegfalls der GrundlagenRechtssatz
Gesetzwidrigkeit des Örtlichen Entwicklungskonzeptteils Nr 1 Änderung Nr 1.20 und des Flächenwidmungsteils Nr 5 Änderung Nr 5.65 des Gemeinderats der Gemeinde Hinterstoder vom 27.11.2019, sowie des Bebauungsplans Nr 24 "Peham Villa" vom 04.05.2021.
Bestehen eines Gemeinderatsbeschlusses zum Örtlichen Entwicklungskonzeptteil Nr 1 Änderung Nr 1.20:
Aufgrund der vom Gemeinderat der Gemeinde Hinterstoder vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen des Amtsleiters als Protokollführer und des Bürgermeisters steht für den VfGH fest, dass die Beschlussfassung des Gemeinderates der Gemeinde Hinterstoder vom 27.11.2019 im Tagesordnungspunkt 3 lite "Flächenwidmungsplanänderung Nr 5.65 und Änderung ÖEK Nr 1.20 - Pehman Villa" unrichtig beurkundet wurde und der Gemeinderat auch die Änderung Nr 1.20 des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1 einstimmig beschlossen hat.
Zum Hinweis auf die Möglichkeit zur Einbringung von Anregungen oder Einwendungen in der öffentlichen Kundmachung zur Planauflage:
Aus den vorgelegten Unterlagen sowie den im Verordnungsakt erliegenden Zustellnachweisen ergibt sich, dass der Gemeinderat der Gemeinde Hinterstoder alle von der Planänderung Betroffenen vor der Beschlussfassung nachweislich verständigt hat, weshalb eine Veröffentlichung des Planes gemäß §33 Abs3 Oö ROG 1994 nicht erforderlich war. Auch dieses Bedenken trifft daher nicht zu.
Unzureichende Begründung sowie Fehlen der erforderlichen Grundlagenforschung und Interessenabwägung gem §36 Abs6 Oö ROG 1994 betreffend die Änderung Nr 1.20 des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1 sowie die Änderung Nr 5.65 des Flächenwidmungsteiles Nr 5:
Der Gemeinderat schaffte erst nach Beschlussfassung ein touristisches Konzept für die Nutzung der umzuwidmenden Fläche sowie darauf aufbauend ein ergänzendes Gutachten des Ortsplaners bei. Der Grund dafür war eine Stellungnahme des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung (Oö LReg) vom 30.10.2019, aus der hervorging, dass eine raumordnungs- sowie naturschutzfachliche Beurteilung des Vorhabens erst nach Vorlage eines Konzeptes über die geplante Verbauung bzw die touristische Nutzung möglich sei. Das Fehlen der diesbezüglichen Stellungnahme wird sowohl in der Verhandlungsschrift über die Sitzung des Ausschusses für Bau- und Straßenbauangelegenheiten vom 11.11.2019 als auch in der Verhandlungsschrift über die Sitzung des Ausschusses für örtliche und regionale Raumplanung, Naturraumentwicklung und Integrationsangelegenheiten vom 25.11.2019 festgehalten. Der letztgenannte Ausschuss empfahl dem Gemeinderat deshalb zwar, "den entsprechenden Beschluss zu fassen"; allerdings sollten der Oö LReg die beabsichtigten Änderungen sowie das Konzept über die touristische Nutzung erst vorgelegt werden, "[s]obald das Projekt konkreter geworden ist". Im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den Gemeinderat lagen daher auch aus Sicht des die Beschlussfassung vorbereitenden Gemeinderatsausschusses noch nicht alle erforderlichen Unterlagen vor. Der gesetzlichen Vorgabe des §36 Abs6 Oö ROG 1994 ist allerdings nur dann entsprochen, wenn die für die Änderung des Flächenwidmungsplanes erforderlichen Erhebungen vor dem Beschluss des Gemeinderates erfolgt sind, diesem also vorausgegangen sind, sodass der Gemeinderat über die für seine Entscheidung nötigen Informationen verfügt.
Auch die ergänzend vorgelegten Unterlagen vermögen am Bedenken, dass den Planungsunterlagen keine Interessenabwägung zu entnehmen sei, nichts zu ändern, denn an keiner Stelle lässt sich den vorliegenden Unterlagen eine Auseinandersetzung mit jenen Interessen entnehmen, die dem Projekt - allenfalls auch nur vermeintlich - entgegenlaufen. Soweit der Gemeinderat in seiner Äußerung darzutun versucht, dass die vom VfGH beispielhaft angeführten Interessen vom Projekt nicht berührt würden, geht er lediglich auf die Bedenken zur sachlichen Rechtfertigung der Widmung ein. Die im Gesetz geforderte Interessenabwägung muss sich aber gemäß §36 Abs6 Oö ROG 1994 aus der Begründung des Gemeinderates zur Änderung des Flächenwidmungsplanes oder den Planungsunterlagen ergeben und daher ebenso wie die erforderliche Grundlagenforschung bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorliegen. Die den Planungsunterlagen an zahlreichen Stellen zu entnehmende Hervorhebung der touristischen Bedeutung des Projektes ist keine Abwägung gegenläufiger Interessen, zumal eine Abwägung voraussetzt, dass die betroffenen Interessen überhaupt als solche identifiziert und benannt werden, wofür hier aber jeder Anhaltspunkt fehlt.
Nicht mehr zu beurteilen ist, ob die Erweiterung der Widmung "Sondergebiet des Baulandes - Tourismusgebiet" sachlich gerechtfertigt war, insbesondere angesichts des Umstandes, dass es sich bei der Villa Peham um einen rund 200 Meter von der nächsten Bebauung entfernten Siedlungssplitter handelt und der Vermeidung von Zersiedelung im Raumordnungsrecht erhebliche Bedeutung zukommt, was sich auch in anderen Raumordnungszielen (zB Schutz der Umwelt) widerspiegelt. Auch im Örtlichen Entwicklungskonzept Nr 1 der Gemeinde ist im Abschnitt 10 "Probleme - Ziele - Maßnahmen" unter dem Punkt "Raumordnungs-Naturraum" als Ziel festgelegt, keine neuen Siedlungssplitter zu genehmigen, aber Widmungen zu arrondieren und den Naturraum sowie Frei- und Erholungsflächen zu sichern, wobei dazu als Maßnahme die Freihaltung bestimmter Gebiete von Bebauung - insbesondere die gänzliche Freihaltung der Landschaft links der Steyr von neuer Bebauung, beginnend nach der Bebauung im Ortskern bis Talschluss - vorgesehen ist.
Vor diesem Hintergrund haben sich auch die gegen den Bebauungsplan Nr 24 "Peham Villa" vorgebrachten Bedenken als zutreffend erwiesen, zumal der Bebauungsplan angesichts der Aufhebung der Änderungen Nr 1.20 des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1 sowie Nr 5.65 des Flächenwidmungsteiles Nr 5 keine Stütze findet.
Da der Bebauungsplan eine planerische Einheit darstellt, ist er zur Gänze aufzuheben, und zwar auch hinsichtlich jenes Teiles, der nach wie vor als "Sondergebiet des Baulandes - Tourismusgebiet" gewidmet ist.
(Anlassfall E3500/2022, E v 06.12.2023, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Raumordnung, Verordnungserlassung, Grundlagenforschung, VfGH / Bedenken, VfGH / Verwerfungsumfang, Widmung, Verordnung Kundmachung, UmweltschutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:V73.2023Zuletzt aktualisiert am
17.07.2024