Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §39 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde der H-G.m.b.H. in S, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 5. Dezember 1994, Zl. 317.085/4-III/4/94, betreffend Devolutionsantrag i.A. Konzessionsansuchen und Geschäftsführerbestellung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Erledigung des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 22. Februar 1994 wurde "über die Berufung des Herrn R gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 1. Juni 1993" (betreffend Konzessionsansuchen und Geschäftsführerbestellung) gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 8 AVG dahin entschieden, daß die Berufung als unzulässig zurückgewiesen wurde.
In der Begründung dieses Bescheides heißt es im wesentlichen, ein im Sinne des § 8 AVG aus den gewerberechtlichen Vorschriften ableitbares rechtliches Interesse komme im Konzessionserteilungsverfahren, betreffend das Gewerbe, hinsichtlich dessen Ausübung der Berufungswerber zum Geschäftsführer bestellt werden solle, dem gewerberechtlichen Geschäftsführer nicht zu. Es sei der Berufung vom 16. Juni 1993 in eindeutiger Weise zu entnehmen, daß der handelsrechtliche Geschäftsführer R als natürliche Person und im Zusammenhang mit der Abweisung des Antrages der Gesellschaft m.b.H. auf Genehmigung der Bestellung seiner Person zum gewerberechtlichen Geschäftsführer die Berufung eingebracht habe.
Nach dem im Akt erliegenden Zustellnachweis (nach Form. 4 zu § 22 des Zustellgesetzes) wird als Übernehmer dieser behördlichen Erledigung die "Zimmerwirtin" (offenkundig des Empfängers R) bezeichnet. Als Tag der Übernahme ist der 1. März 1994 angegeben.
Mit Schriftsatz vom 23. März 1994 wurde folgender Devolutionsantrag gestellt:
"Devolutionswerberin: H-GmbH
p.a. H-Str. 112
vertreten durch: Rechtsanwalt
Dr. G
in W
VM erteilt
wegen: § 189 (alt) GewO
Die - damals unvertretene - Dw.in hat am 16.06.93 an den LH von NÖ Berufung gegen den Bescheid der BH Gänserndorf zu 12-G-9369/7 gerichtet, die mitübermittelt wird. Der LH von NÖ hat diesen Schriftsatz als Berufung des in Aussicht genommenen gew.-r. Gf. gewertet und konsequenterweise zurückgewiesen. R ist zugestandener- und aktenkundigermaßen handelsrechtlicher Gf der Dw.in und somit deren gesetzlicher Vertreter. Die Berufungsbehörde hätte daher entweder vorzuhalten gehabt, es möge erklärt werden, wer Berufung erhebe, oder die Berufung, wie sich aus deren Betreff ergibt, als Berufung der Dw.in zu werten gehabt, wie sich dies aus der Anleitungspflicht ergibt, deren Nichtwahrnehmung gerügt wird.
Die Berufungsbehörde hat jedenfalls innerhalb der gesetzlichen Frist über die Berufung der Dw.in nicht entschieden, sodaß nunmehr die Entscheidung des BM f wA
BEGEHRT
wird.
H-GmbH"
Mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 5. Dezember 1994 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung "über die Berufung der genannten Gesellschaft" gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 1. Juni 1993 gemäß § 73 Abs. 2 AVG als unzulässig zurückgewiesen.
Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 22. Februar 1994 sei, wie aus dem im Akt erliegenden Rückschein ersichtlich, am 1. März 1994 "dem handelsrechtlichen Geschäftsführer der Berufungswerberin zu Handen eines Mitbewohners zugestellt" worden. Der verfahrensgegenständliche Devolutionsantrag sei jedoch erst am 23. März 1994 mittels Fax beim Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten eingebracht worden. Eine (relevante) Säumnis des Landeshauptmannes von Niederösterreich wäre daher nur insoweit denkmöglich, als die Zustellung des Berufungsbescheides auf Grund eines Zustellmangels unwirksam gewesen wäre, sodaß in diesem Fall eine rechtswirksame Bescheidzustellung vor Einbringung des Devolutionsantrages nicht erfolgt wäre. Mit Schreiben des Bundesministeriums vom 30. September 1994 sei die Antragstellerin daher aufgefordert worden, "für den Fall, daß deren handelsrechtlicher Geschäftsführer in der Zeit vom 1.3.1994 bis 22.3.1994 durchgehend ortsabwesend gewesen sein sollte (sodaß der in Rede stehende Berufungsbescheid nicht in Rechtskraft erwachsen wäre)", binnen 14-tägiger Frist entsprechende Beweismittel für ein derartiges Vorbringen (wie Sichtvermerke im Reisepaß oder Hotelrechnungen) vorzulegen, widrigenfalls ohne weitere Anhörung entschieden werden würde. Weder innerhalb der eingeräumten Frist noch bis dato sei eine Stellungnahme, geschweige denn ein Beweisanbot für die Ortsabwesenheit des Geschäftsführers der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Zustellung des Berufungsbescheides eingelangt. Da daher von der Rechtswirksamkeit der Zustellung des Berufungsbescheides auszugehen sei, sei die in Rede stehende Berufung einer Erledigung zugeführt worden und der Devolutionsantrag somit mangels Säumigkeit als unzulässig zurückzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in dem "Recht auf Sachentscheidung" verletzt. Sie bringt hiezu im wesentlichen vor, die bekämpfte Entscheidung beruhe auf der verfehlten Annahme der belangten Behörde, eine Zimmerwirtin (als Bestandgeberin) stehe zu ihrem Kunden (Bestandnehmer) im Verhältnis eines Mitbewohners. Der Zustellversuch vom 1. März 1994 sei daher jedenfalls unwirksam gewesen, weil das Schriftstück der Beschwerdeführerin bzw. deren gesetzlichen Vertreter nicht zugekommen sei. Dieser habe daher auch nicht dartun können, daß er abwesend gewesen sei, zumal dies für den vorliegenden Fall irrelevant sei.
§ 16 Abs. 1 und 2 Zustellgesetz lautet:
"(1) Kann die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
(2) Ersatzempfänger kann jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist."
Nach Ausweis des in den Verwaltungsakten erliegenden Zustellnachweises (Form. 4 zu § 22 Zustellgesetz) scheint als Übernehmer der Sendung nicht ein "Mitbewohner der Abgabestelle" auf; es wurde auf dem Formular als Übernehmer der Sendung vielmehr (handschriftlich) die "Zimmerwirtin" bezeichnet. Derart durfte aber die belangte Behörde nicht (schon) von der vom Gesetz im Zusammenhalt mit einem vorhandenen Zustellnachweis aufgestellten Vermutung der vorschriftsmäßigen Zustellung an einen "Mitbewohner" - also einen Ersatzempfänger im Sinne des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz, der an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt - ausgehen. Die Behörde hätte vielmehr gemäß § 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen den Sachverhalt zu klären gehabt, insbesondere dahin, ob es sich bei der Übernehmerin der Sendung (tatsächlich) um einen Ersatzempfänger im Sinne des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz, der "an derselben Abgabestelle wohnt", handelt.
Davon aber, daß die Sanierungsregel des § 7 Zustellgesetz - durch ein "tatsächliches" Zukommen - zum Tragen gekommen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1992, Zl. 92/05/0067, und die dort zitierte Vorjudikatur), geht die belangte Behörde gar nicht aus und kann derartiges - aus dem oben wiedergegebenen Devolutionsantrag läßt sich (noch) nicht der Schluß ziehen, die in Frage stehende Erledigung sei der Beschwerdeführerin "tatsächlich" zugekommen (und es liege nicht etwa ein Fall der bloßen Kenntnisnahme von deren Inhalt vor) - auch vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm gestellten Prüfungsaufgabe nicht erkannt werden. In diesem Sinne kann auch das von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/05/0159, nicht mit Erfolg für die Rechtmäßigkeit des in Beschwerde gezogenen Bescheides ins Treffen geführt werden.
Der Vollständigkeit halber ist noch weiters anzumerken, daß sich bei der gegebenen verfahrensrechtlichen Situation die Frage gar nicht stellt, ob die Erledigung des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 22. Februar 1994 im Sinne des hg. Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg. N. F. Nr. 11.625/A, die (bindende) Entscheidung darüber enthält, daß die Berufung nicht der Beschwerdeführerin zuzurechnen sei.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenmehraufwand.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995040019.X00Im RIS seit
20.11.2000