Entscheidungsdatum
13.05.2024Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W208 2274437-1/10E
W208 2274435-1/7E
W208 2274434-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von Hameda XXXX (alias XXXX ) geb. XXXX .1997, sowie Silin XXXX , geb. XXXX .2018 und Mahmoud XXXX , geb XXXX .2017, vertreten durch Hameda XXXX , alle StA. SYRIEN, alle vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 04.05.2023, Zl. 1318700905-222456644, 1318677502-222456717, 1318676505-222456695, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von Hameda römisch XXXX (alias römisch XXXX ) geb. römisch XXXX .1997, sowie Silin römisch XXXX , geb. römisch XXXX .2018 und Mahmoud römisch XXXX , geb römisch XXXX .2017, vertreten durch Hameda römisch XXXX , alle StA. SYRIEN, alle vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen Spruchpunkt römisch eins. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 04.05.2023, Zl. 1318700905-222456644, 1318677502-222456717, 1318676505-222456695, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Den Beschwerden gegen Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und Hameda XXXX , Silin XXXX und Mahmoud XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.Den Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und Hameda römisch XXXX , Silin römisch XXXX und Mahmoud römisch XXXX gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass Hameda XXXX , Silin XXXX und Mahmoud XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass Hameda römisch XXXX , Silin römisch XXXX und Mahmoud römisch XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei (bP1), eine syrische Staatsbürgerin, Araberin und Sunnitin, stellte nach illegaler Einreise am 07.08.2022 für sich und ihre beiden minderjährigen Kinder (bP2 und bP3), die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Am selben Tag stellten ihre drei Brüder (einer davon minderjährig und vertreten durch die bP1) einen ebensolchen Antrag. Im Zuge der am 08.08.2022 durchgeführten Erstbefragung in der Muttersprache „Arabisch“ gab die bP zu den Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie das Heimatland wegen des Bürgerkriegs verlassen habe, ihr Haus sei durch Bomben zerstört worden, es gebe keine Sicherheit (AS 8). Sie habe den Ausreiseentschluss schon mit 13 Jahren gefasst und sei vor ca 5 Jahren in die Türkei ausgereist (AS 6).
Die korrekte Rückübersetzung und die Verständlichkeit wurden bestätigt (AS 9).
2. Am 04.04.2023 erfolgte die niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in arabischer Sprache (AS 25). Gleich zu Beginn gab sie an, dass sie bei der Erstbefragung alle ängstlich, müde und unkonzentriert gewesen seien und sie daher nicht sicher sei, ob alles richtig protokolliert worden sei (AS 31).
Sie legte Dokumente für sich, ihre Kinder und ihren Ehemann (der sich zu diesem Zeitpunkt noch in der TÜRKEI befand) vor (Auszug Personenstandsregister, Familienregister, Geburts- und Eheschließungsurkunde).
Danach gab sie zusammengefasst an, sie habe mit ihren Eltern und ihren 8 Brüdern in TAL ALAM gewohnt. Sie habe 9 Jahre die Schule besucht. Der Vater sei in SYRIEN Rechtsanwalt gewesen und habe in der TÜRKEI in einer Saftfabrik gearbeitet. 2014 hätten Sie alle gemeinsam (Eltern, Brüder, Großmutter) SYRIEN verlassen und seien zunächst ca ein Monat nach ALEPPO und dann weiter über ein Dorf an der türkischen Grenze, wo sie ebenfalls ein Monat geblieben seien, in die TÜRKEI gegangen. 2015 sei sie von ihrem Vater, mit ihrem Ehemann verheiratet worden, denn sie vor der Ehe nie gesehen habe. Ihr Ehemann habe damals bereits in der TÜRKEI als Schichtarbeiter gelebt und habe den Wehrdienst bereits absolviert gehabt. Ihr Vater habe den Wehrdienst nicht absolviert, weil er Einzelkind gewesen sei (AS 49). Keiner ihrer Brüder hätten Wehrdienst geleistet. Sie hätten in SYRIEN alles verloren und die Brüder müssten, ebenso wie ihr Mann zum Wehrdienst (AS 45). Nach ÖSTERREICH seien sie gekommen, weil es ein gutes Land sei und die Menschenrechte geachtet würden. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
Die Übersetzung wurde laut der Niederschrift einwandfrei verstanden und gab es keine Einwendungen gegen die Rückübersetzung (AS 55).
3. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA (AS 75), zugestellt am 09.05.2023, wurde die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.). Begründung für die Abweisung war im Wesentlichen, dass sich keine Hinweise fänden, dass die bP eine individuell besonders herausragende Stellung innerhalb der syrischen Gesellschaft eingenommen habe. Sie habe keine individuellen Verfolgungsgründe geltend gemacht, sondern sei aus rein wirtschaftlichen Gründen nach ÖSTERREICH gekommen. Auch die Wehrdienstverpflichtung der Brüder impliziere keine Verfolgung, weil es keinen Grund zur Annahme gebe, dass diese ihn ableisten müssten und sie keine politischen oder religiösen Überzeugungen vorgebracht habe, die dazu führen würden, dass ihr eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde. 3. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA (AS 75), zugestellt am 09.05.2023, wurde die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Begründung für die Abweisung war im Wesentlichen, dass sich keine Hinweise fänden, dass die bP eine individuell besonders herausragende Stellung innerhalb der syrischen Gesellschaft eingenommen habe. Sie habe keine individuellen Verfolgungsgründe geltend gemacht, sondern sei aus rein wirtschaftlichen Gründen nach ÖSTERREICH gekommen. Auch die Wehrdienstverpflichtung der Brüder impliziere keine Verfolgung, weil es keinen Grund zur Annahme gebe, dass diese ihn ableisten müssten und sie keine politischen oder religiösen Überzeugungen vorgebracht habe, die dazu führen würden, dass ihr eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde.
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde mit Schriftsatz vom 29.05.2023 Beschwerde (AS 241) erhoben. Diese ist zusammengefasst damit begründet, dass ihr als Angehörige von Wehrdienstverweigeren und aufgrund ihrer Abstammung aus ALEPPO eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde. 4. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides wurde mit Schriftsatz vom 29.05.2023 Beschwerde (AS 241) erhoben. Diese ist zusammengefasst damit begründet, dass ihr als Angehörige von Wehrdienstverweigeren und aufgrund ihrer Abstammung aus ALEPPO eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde.
Auch die mit ihr und später eingereisten Brüder – die alle ebenfalls subsidiären Schutz erhalten haben – haben Beschwerden eingelegt.
Die Beschwerden wurden dem BVwG vorgelegt und unter folgenden GZ registriert und der Gerichtsabteilung W208 zugewiesen:
bP, GZ 2274437-1 (deren beide Kinder geb 2018 und 2017: GZ 224435-1 und 2274434);
die Brüder:
Jamal Aldin, geb 1999, GZ 2273567-1
Abdalkadir, geb 2006, GZ 2274436-1 (vertreten durch die Schwester Hameda)
Hussein, geb 2001, GZ 2274572-1
Hasan der rund ein Jahr später eingereist ist, geb 2003, GZ 2287558-1
5. Das BVwG führte am 11.03.2024 und am 26.04.2024 (Hasan) mündliche Verhandlungen mit allen bP durch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der bP
Die bP1 ist eine körperlich und geistig gesunde 27 Jahre alte Frau, Staatsangehörige SYRIENS und gehört der Volksgruppe der Araber an. Sie ist Sunnitin. Ihr Familienname lautet: XXXX Die bP1 ist eine körperlich und geistig gesunde 27 Jahre alte Frau, Staatsangehörige SYRIENS und gehört der Volksgruppe der Araber an. Sie ist Sunnitin. Ihr Familienname lautet: römisch XXXX
Die bP stammt aus XXXX , östlich von ALEPPO-Stadt im Registeramt XXXX in der Provinz ALEPPO. Die bP stammt aus römisch XXXX , östlich von ALEPPO-Stadt im Registeramt römisch XXXX in der Provinz ALEPPO.
Ihr Vater (Mustafa) war bis kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges Dorfvorsteher mehrerer Dörfer für das Regime ( XXXX ).Ihr Vater (Mustafa) war bis kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges Dorfvorsteher mehrerer Dörfer für das Regime ( römisch XXXX ).
Sie ist gemeinsam mit ihren Eltern und ihren acht Geschwistern sowie der in der Zwischenzeit bereits verstorbenen Großmutter väterlicherseits (vs) spätestens im Herbst 2013 in die TÜRKEI ausgereist und hat dort bis zu ihrer Ausreise nach Europa im Sommer 2022 (zuletzt in XXXX ) gelebt. Der Vater hat dort als Lehrer, Taxifahrer und in einer Saftfabrik sein Geld verdient. Er befindet sich derzeit in GRIECHENLAND. Zwei Brüder ( XXXX ) befinden sich mit deren Familien nach wie vor in der TÜRKEI in XXXX . Sie ist gemeinsam mit ihren Eltern und ihren acht Geschwistern sowie der in der Zwischenzeit bereits verstorbenen Großmutter väterlicherseits (vs) spätestens im Herbst 2013 in die TÜRKEI ausgereist und hat dort bis zu ihrer Ausreise nach Europa im Sommer 2022 (zuletzt in römisch XXXX ) gelebt. Der Vater hat dort als Lehrer, Taxifahrer und in einer Saftfabrik sein Geld verdient. Er befindet sich derzeit in GRIECHENLAND. Zwei Brüder ( römisch XXXX ) befinden sich mit deren Familien nach wie vor in der TÜRKEI in römisch XXXX .
Die bP wurde zwischen 2015 und 2016 mit Ali XXXX (geb XXXX .1991), einem Syrer, in der TÜRKEI in XXXX verheiratet, denn sie zuvor noch nicht gesehen hat. Mit diesem hat sie zwei Kinder Silin XXXX (bP2, geb XXXX .2018) und Mahmoud XXXX (bP3, geb XXXX .2017), die beide in der TÜRKEI geboren wurden. Die bP wurde zwischen 2015 und 2016 mit Ali römisch XXXX (geb römisch XXXX .1991), einem Syrer, in der TÜRKEI in römisch XXXX verheiratet, denn sie zuvor noch nicht gesehen hat. Mit diesem hat sie zwei Kinder Silin römisch XXXX (bP2, geb römisch XXXX .2018) und Mahmoud römisch XXXX (bP3, geb römisch XXXX .2017), die beide in der TÜRKEI geboren wurden.
Die bP verfügt über Verwandte in der TÜRKEI, in SYRIEN, DEUTSCHLAND, SCHWEDEN und DÄNEMARK. Diese haben zum Teil die Familie bei der Aufbringung der Schlepperkosten unterstützt.
Die wirtschaftliche Situation der Familie war gut. Sie bewirtschaftete mehrere Grundstücke mit einem Arbeiter und betrieb Landwirtschaft. Der Vater war als Einzelkind vom Wehrdiesnt bei der syrischen Armee befreit (AS 49), hat neben seiner Tätigkeit als Landwirt und Dorfvorsteher Recht studiert und wollte dann Anwalt werden. Er konnte diese Tätigkeit aber aufgrund des Ausbruchs der Konflikte nicht mehr ausüben. Das Elternhaus im Heimatdorf wurde nach der Ausreise durch einen Bomben- oder Granattreffer zumindest teilweise zerstört und als Militärstützpunkt verwendet. Sofern die Grundstücke nicht schon zur Finanzierung der Flucht der nunmehr insgesamt 12-köpfigen Familie aus der TÜRKEI verwendet wurden, hat der Vater der bP keinen Zugriff mehr darauf, was sich darin zeigt, dass er sich schon Geld ausborgen musste, um die Ausreisen zu finanzieren.
Die bereits am 07.08.2022 eingereiste bP, deren zwei minderjährigen Kindern und ihre Brüder haben für die Schleppung 5.000 oder 6000 Euro für jeden der Brüder und für die bP und ihre beiden Kinder 10.000 Euro bezahlt.
Die mit der bP eingereisten Brüder (Jamal Aldin, geb XXXX 1999; Hussein, geb XXXX 2001; Abdalkadir, geb XXXX 2006) sowie der später eingereiste Bruder (Hasan, geb XXXX 2003) sind alle im wehrpfli