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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des H in S, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. August 1994, Zl. 4.312.843/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, der am 18. März 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 30. April 1991, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 29. März 1991 angegeben, er habe sich für die PKK betätigt und habe auf Grund seiner kurdischen Abstammung und Zugehörigkeit zur alevitischen Glaubensgemeinschaft keine Möglichkeit gehabt, eine Anstellung - insbesondere auch nicht im öffentlichen Dienst - zu erlangen. Von 1984 bis 1990 seien einmal im Monat Soldaten in das Dorf gekommen und hätten allen Leuten, um diese zu erniedrigen, die Bärte und Haare geschnitten. Die Soldaten hätten alle öffentlich peinlich beschimpft und diejenigen, die sich dagegen verwehrt hätten, verschleppt. Die Verschleppten seien erst nach vierzig Tagen oder gar nicht mehr zurückgekommen. Im letzten halben Jahr (offenbar gemeint vor dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Istanbul) seien die Soldaten bereits täglich gekommen und hätten diejenigen, die die Fastenzeit nicht eingehalten hätten (die Fastenzeit gelte für Aleviten nicht), verprügelt. Der Beschwerdeführer habe, als ihn 1984 ein Soldat mit dem Knüppel auf den Kopf geschlagen habe, einen Bruch der Schädeldecke erlitten, habe aber nicht zum Arzt gehen dürfen. Auch würden die Soldaten Ärzte nicht einmal in die Nähe seines Dorfes lassen, damit niemand behandelt werden könne. Es sei auch dadurch zu Freiheitseinschränkungen gekommen, daß man seine Schafe nicht mehr auf die Weide habe treiben können, weil einen dann die Soldaten für mehrere Monate verschleppt hätten. Am Transport von Käse und Getreide in die Stadt sei man von der Militärpolizei gehindert worden; sei es dennoch geglückt, Waren in der Stadt zu verkaufen, sei einem am Nachhauseweg das Geld von der Militärpolizei weggenommen worden. Man lebe somit nur mehr vom spärlichen Mitleid der Soldaten. Zuletzt hätten Männer überhaupt nicht mehr aus dem Dorf heraus gedurft, weshalb man versucht habe, die Waren durch Frauen und Mädchen in der Stadt verkaufen zu lassen. Dabei habe aber die Gefahr bestanden, daß diese von den Soldaten vergewaltigt würden. Der Beschwerdeführer habe sich durch diese Situation vor seiner Familie derart erniedrigt gefühlt, daß er beschlossen habe, die Türkei zu verlassen. Um einen Reisepaß zu erlangen, habe er in Istanbul für einen Kaffeehausbesitzer sieben Monate kostenlos arbeiten müssen.
In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung behauptete der Beschwerdeführer, er sei in der Türkei verfolgt und gefoltert sowie gezwungen worden, seine Heimatstadt Tuncelli zu verlassen und nach Istanbul zu ziehen.
Mit Bescheid vom 22. August 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte die Gewährung von Asyl.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid zunächst damit begründet, daß durch die Verweigerung eines Arbeitsplatzes, insbesondere der vom Beschwerdeführer angestrebten Beschäftigung bei staatlichen Stellen, in kein geschütztes Rechtsgut im Sinne des Asylgesetz 1991 eingegriffen werde, soferne durch diese Verweigerung nicht die Lebensgrundlage entzogen werde. Diese Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers steht in Übereinstimmung mit der ständigen hg. Judikatur, derzufolge allgemeine Benachteiligungen wie zum Beispiel auch das Nichterlangen oder der Verlust eines Arbeitsplatzes, soferne sie nicht die Lebensgrundlage des Asylwerbers massiv bedrohen, nicht als Verfolgung gewertet werden können (vgl. für viele andere z.B. die hg. Erkenntnisse vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0717, und vom 16. März 1994, Zl. 93/01/0982, 0997). Daß aber das Nichterlangen eines Arbeitsplatzes in seinem Heimatort für den Beschwerdeführer eine derartige massive Bedrohung seiner Lebensgrundlage bedeutet hätte, kann seinem Vorbringen vor der Behörde erster Instanz nicht entnommen werden.
Die belangte Behörde hat das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der 1984 erlittenen Schädelverletzung dahin gewürdigt, daß die diesen Angaben zugrunde liegenden Ereignisse zeitlich so weit zurücklägen, daß aus ihnen begründete Furcht vor Verfolgung nicht mehr abgeleitet werden könne. Diese Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers steht in Übereinstimmung mit der ständigen hg. Judikatur, derzufolge Umstände, die sich schon längere Zeit vor der Ausreise ereignet haben, nicht mehr beachtlich sind; die wohlbegründete Furcht muß vielmehr bis zur Ausreise andauern (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0205).
Wie die belangte Behörde richtig erkannt hat, hat der Beschwerdeführer im Rahmen des gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 maßgeblichen erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens für die Zeit nach 1984 nicht behauptet, das Ziel konkreter, gegen ihn selbst gerichteter behördlicher Verfolgungshandlungen gewesen zu sein. Aus der von ihm ins Treffen geführten schlechten allgemeinen Lage der kurdischen Bevölkerungsgruppe und den Drangsalierungen, denen diese allgemein ausgesetzt ist, wie auch aus der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, kann aber für sich allein begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) nicht abgeleitet werden (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0806). Daß der Beschwerdeführer selbst solchen Unbilden in besonderem Maße ausgesetzt gewesen wäre, kann seinen Darlegungen aber nicht entnommen werden.
Auch soweit die belangte Behörde davon ausgegangen ist, aus der vom Beschwerdeführer behaupteten Betätigung für die PKK könne begründete Furcht vor Verfolgung nicht abgeleitet werden, ist ihr beizupflichten. Der Beschwerdeführer hat nämlich, abgesehen davon, daß er in keiner Weise angedeutet hat, worin seine Tätigkeit für diese Organisation bestanden habe, nicht angegeben, etwa deshalb sein Heimatland verlassen zu haben, weil diese Tätigkeit den staatlichen Behörden bekannt geworden wäre oder weil mit einem solchen Bekanntwerden zu rechnen sei. Vielmehr hat er als eigentlichen Grund für seine Ausreise angeführt, die Situation gegenüber seiner Familie sei für ihn als Mann beschämend und nicht mehr zu ertragen gewesen. Mit diesem Vorbringen ist es - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - dem Beschwerdeführer aber nicht gelungen, begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen.
Wenn der Beschwerdeführer gegenüber der von der belangten Behörde angenommenen Sicherheit vor Verfolgung während seines Aufenthaltes in Istanbul einwendet, er wäre dort nicht vor Verfolgung sicher gewesen, ist ihm entgegenzuhalten, daß er bei seiner Erstbefragung keinerlei Ausführungen darüber gemacht hat, daß er sich während seines einjährigen Aufenthaltes in Istanbul etwa nicht vor Verfolgung sicher gefühlt hätte. Auch in der Beschwerde führt er nicht aus, warum ein "offizieller und staatlich geduldeter Aufenthalt" in Istanbul nicht möglich gewesen wäre. Damit wurde aber die Wesentlichkeit eines vom Beschwerdeführer im Unterbleiben von Ermittlungen über die Situation in Istanbul erblickten Verfahrensmangels nicht dargetan (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Wien 1987, S. 591 angeführte Judikatur).
Wenn schließlich in der Beschwerde geltend gemacht wird, beim Beschwerdeführer liege ein Nachfluchtgrund vor, der darin gesehen wird, daß der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in sein Heimatland wegen Zugehörigkeit bzw. eines Naheverhältnisses zur kurdisch-separatistischen Bewegung mit Verfolgung zu rechnen hätte, ist dem entgegenzuhalten, daß im Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, abgesehen von der Behauptung einer offenbar den Behörden nicht bekannt gewordenen Tätigkeit für die PKK, keinerlei Hinweise enthalten sind, er sei im Verdacht gestanden, für türkisch-separatistische Organisationen einzutreten. Damit kann aber auch aus diesem Vorbringen, mit welchem der Beschwerdeführer im übrigen dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot unterliegt, Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht abgeleitet werden.
Die sich insgesamt sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200724.X00Im RIS seit
20.11.2000